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SUB 2 HRS

Lange Zeit erschien es als unrealistischer Traum. Aber glaubt man Athleten-Manager Jos Hermens und dem Leistungsphysiologen Yannis Pitsiladis ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Athlet die magische Grenze von zwei Stunden beim Marathon durchbricht.

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Lange Zeit erschien es als unrealistischer Traum. Aber glaubt man Athleten-Manager Jos Hermens und dem Leistungsphysiologen Yannis Pitsiladis ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Athlet die magische Grenze von zwei Stunden beim Marathon durchbricht.

1:57:58 Stunden werden eines Tages über die mythische Strecke von 42.195 Metern möglich sein. Das berechnete schon im Jahr 1986 der amerikanische Langstrecken-Trainer Mike Joyner während seines Medizinstudiums. Er betrachtete dies als ein mögliches Maximum für die längste olympische Laufdistanz. Damals stand die Weltbestzeit des Portugiesen Carlos Lopes bei 2:07:12 Stunden. Joyner benannte die Faktoren, die über die Leistung entscheiden und sie begrenzen mit der anaeroben Schwelle, der Laufökonomie, der Lungenkapazität und der maximalen Sauerstoffaufnahme. Ergänzend bemerkte er damals, dass die Zwei-Stunden-Marke zwischen 2022 und 2035 fallen werde.

Bereits in 5 Jahren?

Wesentlich optimistischer beurteilen dies der Leistungsphysiologe Yannis Pitsiladis und Athleten-Manager Jos Hermens, bei dem einige der größten Läufer der Gegenwart unter Vertrag stehen. „Es braucht eine Leistungssteigerung der aktuellen Spitze um zwei bis drei Prozent“, hält der Holländer diese Entwicklung in den nächsten fünf Jahren für möglich: „Es gibt so viele Punkte, die wir verbessern können.“ Diese Meinung teilt er mit Professor Pitsiladis, der an der Universität im englischen Brighton forscht.

Dazu gründeten sie mit anderen in einem viele Länder umspannenden Netzwerk das Projekt „sub2hrs“. Eine sehr ambitionierte Herangehensweise soll in vielen Punkten der Leistungsvoraussetzungen und in Leistung bestimmenden Bereichen Fortschritte erzielen. Es gilt so viele, wenn auch noch so kleine, Zeitgewinne wie möglich zu akkumulieren. Spektakulärster Aspekt ist dabei die Genanalyse. Über eine Datenbank sollen die dafür infrage kommenden Athleten herausgefiltert werden.

In der Datenbank des Athlome Project sammelte Pitsiladis schon bis jetzt zig­tausende Informationen, die er mit der DNA von Topathleten aller Sportarten und aus aller Welt korrelieren lassen kann. So soll dieser innovative Ansatz des Datenmanagements es möglich machen, angeborene Voraussetzungen für spitzensportliche Höchstleistungen zu erkennen, sozusagen die Blaupause für das richtige Talent.

WADA mit an Bord

Das Geld zur Umsetzung der ehrgeizigen Ziele stammt zum größeren Teil aus einem Crowdfunding. Und mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) fand man einen namhaften Förderer, der an einer Besonderheit größtes Interesse zeigt: Genexpression. Dabei kann jede hormonelle Veränderung bei Athleten analysiert und überwacht werden. Dies bedeutet nicht nur, das Training optimieren zu können und gleichzeitig die Gesundheits- und Verletzungsprophylaxe auf die Spitze zu treiben. Die Technologie ermöglicht Wissenschaftlern auch die Kontrolle darüber, was dem Athletenkörper zugeführt wird. Eine Million US-Dollar lässt es sich die Wada kosten, dabei zu sein, wenn „sub2-hrs“ in Eldoret in Kenia und in Bekoji in Äthiopien entsprechende Labors einrichtet und mit Spezialisten besetzt.

Rund um diese Zentren sollen die besten fünf oder gar zehn Langstreckenläufer der Welt versammelt und betreut werden. „Nichts macht die besten Läufer der Welt schneller als die besten Läufer der Welt,“ zeigen sich Hermens und Pitsiladis vom Angriff auf die Zwei-Stunden-Grenze unter ganz neuen Rahmenbedingungen überzeugt.

Die Zwillinge aus Neuseeland

Erster Profiteur der neuesten Erkenntnisse und Methoden ist der Neuseeländer Zane Robertson, der heuer den international sehr gut besetzten 10-km-Lauf in Berlin dominierte. Der 26-Jährige setzte sich frühzeitig von der Konkurrenz ab und gewann in 27:28 Minuten. Das ist die viertschnellste Zeit weltweit über die 10-km-Distanz in diesem Jahr.

Der Kiwi ist wohl einer der interessantesten und schnellsten Weltklasseläufer. Im Alter von 17 Jahren hat er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Jake Neuseeland verlassen, um in Afrika mit den besten Läufern der Welt zu trainieren. Nach Jahren in Kenia leben sie nun in Äthiopien. Dort trainieren sie in der Höhenlage von Addis Abeba und ordnen alles ihrem Traum unter, das Beste aus ihrem Lauftalent herauszuholen. Im Vorjahr schaffte Zane beim Marugame-Halbmarathon in Japan eine Zeit von 59:47 Minuten. Der Olympiazwölfte von Rio über 10.000 Meter sorgte schon öfter mit Kritik an Dopingpraktiken unter einigen von Afrikas Topläufern für Aufsehen. Gespannt darf man auf sein Marathondebüt im Frühjahr 2017 sein.

Und Kenenisa Bekele? Der Weltrekordler über die 5.000 und 10.000 Meter ist endgültig in der Marathonspitze angekommen. Beim BMW Berlin Marathon siegte er nach spannendem Rennverlauf über einen ganz Großen der Marathonszene, Wilson Kipsang. Nur wenige Sekunden fehlten Bekele am Brandenburger Tor auf den Weltrekord des Kenianers Dennis Kimetto, der 2014 an gleicher Stelle in 2:02:57 Stunden siegte. 2:03:03 Stunden bedeuten aber Platz zwei in der Ewigen Weltbestenliste.

Glucose-Aufnahme beeinflusst

Möglicherweise profitierte der 34-jährige Äthiopier dabei von einem Sportgetränk – ein Prototyp aus Schweden. Es soll die natürliche Begrenzung der Glucose-Aufnahme im Magen überwinden, indem es den Zucker in einer Substanz, die sich erst im Darm auflöst, dorthin transportiert. Der Darm nimmt fast doppelt so viel Glucose auf. Schon im Vorfeld zum Start beim Marathon schätzte Pitsiladis: „Wenn das im Rennen so gut funktioniert wie im Training, sollte Bekele eine Minute gewinnen.“ Immerhin verbesserte er seine Bestleistung in diesem Rennen um satte zwei Minuten und eine Sekunde – bei einem nicht optimalen Rennverlauf.

Den ersten offiziellen Weltrekord im Marathonlauf stellte der Kenianer Paul Tergat in Berlin im Jahr 2003 mit seiner Siegerzeit von 2:04:55 Stunden auf. Bis dahin führte die IAAF nur Weltbest­leistungen. Bei der abschließenden Pressekonferenz wurde damals Tergat die Frage aller Fragen gestellt. „Ich glaube, dass Rekorde dazu da sind, gebrochen zu werden und dass es noch schneller geht“, sagte Tergat. „Aber einen Marathon unter zwei Stunden zu laufen ist und bleibt unmöglich.“ Nach einer kurzen Pause ergänzte er aber lächelnd: „Vielleicht wird mich die Zeit eines Besseren belehren.“ Heute zeigt er sich überzeugt, dass es bald so weit ist.

Viele kleine Schritte

Nun, wie soll es möglich sein, den Marathon unter zwei Stunden zu laufen? Die weitere Entwicklung wird wohl in kleinen Schritten gehen. Die jeweiligen Verbesserungen gehen aber ganz stark mit den mentalen Fähigkeiten der Sportler einher. Meist liegt die Konzentration an der Verbesserung des Weltrekords um wenige Sekunden. Darauf legt sich das Gehirn fest. Im Zusammenspiel mit dem Körper wird diese Programmierung abgerufen. Daher wird im Bereich der Psychobiologie untersucht, wie die Beziehung zwischen physiologischen Reaktionen beim Laufen unter, bei und über 2 Stunden Marathon-Tempo auf psychologischen Skalen einzuordnen ist.

Sollten die zwei Stunden erreicht werden, dann eben in solchen kleinen Schritten – jeder getan von einem Mitglied der winzigen, elitären Bruderschaft von Sportlern mit genügend Talent und Ehrgeiz, um den Sport langsam näher an den „unmöglichen“ Weltrekord heranzuführen. So schön beschreibt es der britische Autor Ed Caesar in seinem 2015 erschienenen Buch „Two Hours“. Es wird wohl auch um die visionäre Kraft von einer handvoll gut ausgesuchter Läufer gehen, die ein klares Ziel vor sich im Geiste sehen, es verfolgen und nach der Zukunft greifen. Zum einen Teil ist es Kondition, andererseits die mentale Stärke.

Am 6. Mai 1954 gelang dem Briten Roger Bannister in 3:59,4 Minuten als erstem Menschen die Traummeile. Eine Zeit von unter vier Minuten über die klassische Meile galt bis dahin als unmöglich. Mastermind dieser Operation „sub4“ war sein aus Wien stammender Trainer Franz Stampfl, über den Andreas Maier 2013 ein sehr lesenswertes Buch verfasste. Stampfl konnte alles mit Magie überziehen und seine Sportler mitreißen.

Eine ganz ähnliche Position verfolgt mit dem Projekt „sub2“ der schon bisher erfolgreichste Athleten-Manager in der Leichtathletik. Der Holländer Jos Hermens war einst Weltklasseläufer und Stundenweltrekordler. Für ihn liegen die größten Reserven im Training: „Wir stehen erst am Anfang. Wenige Methoden sind wirklich zuverlässig erforscht.“

„Made in Europe“

Und tatsächlich ist es so, dass die afrikanischen Athleten im Wesentlichen mit Trainingsmethoden arbeiten, die in ihren Grundzügen in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Europa entwickelt wurden. Damals führende Länder wie Italien, die DDR oder England exportierten ab Mitte der Neunzigerjahre Trainer und ihr Wissen nach Ostafrika. Bis dahin waren nur vereinzelt afrikanische Athleten auf der Marathondistanz erfolgreich. Heute sind in den Top100 nur mehr vereinzelt Nichtafrikaner zu finden.

In der Individualisierung von Trainingskonzepten sieht Hermens den größten Handlungsbedarf. Wie wirken verschiedene Trainingsmaßnahmen auf einzelne Sportler? Wie kann der Trainingsprozess für den Einzelnen optimiert werden?

Aufholbedarf ortet er nicht nur bei den Trainingsläufen, auch in der Regeneration. Durch eine bedarfsorientierte Ernährung sollen neue Ressourcen erschlossen werden, wie zum Beispiel Teff. Das Mehl dieser Zwerghirse ist Grundlage für das äthiopische Nationalgericht Injera. Es soll den Anteil der festen Bestandteile im Blut erhöhen, legt Hermens nach: „Bei mir stieg mit Teff der Hämatokrit von 45 auf 50.“ (!?)

Auf dem Materialsektor soll es weitere Entwicklungen geben. Jedenfalls ist die Industrie hellhörig geworden. Giganten wie adidas und Nike forschen am Laufschuh, mit dem die magischen 1:59:59 Stunden erreicht werden könnten. Außerdem hat Pitsiladis über einen Lauf am Toten Meer nachgedacht, wo durch die Lage unter Normal null der Sauerstoffgehalt von fünf Prozent mehr als in Höhenlage einen zusätzlichen Leistungsvorteil bescheren könnte. Ideale Temperatur: 3,8 Grad Celsius. Dort eine Laufstrecke zu bauen, wäre dann doch zu aufwendig. So glaubt Hermens, die Formel-1-Rennstrecke von Monza könnte ausreichend Laborbedingungen für den Lauf der Läufe bieten.

Lange Zeit schien es nur ein Traum. Aber schon bald könnte es soweit sein, dass ein Athlet den Marathon mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 21,1 Kilometern pro Stunde durchläuft – an Ideen dafür mangelt es nicht.

Autor: Johannes Langer
Bild: © Pexels | SIP

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