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Äthiopier bei Boston Marathon in Pole Position

Mit leistungsstarken Elitefeldern geht am Montagnachmittag mitteleuropäischer Zeit der Boston Marathon über die Bühne. Ehemalige Sieger wollen die Rückkehr auf das oberste Stockerl, junge Läuferinnen und Läufer streben nach dem ersten großen Erfolg. Die Fragezeichen sind deutlich, denn viele der Topathleten in Boston sind in der Pandemie kaum bei Wettkämpfen gelaufen.
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„Patriot’s Day“ einmal anders, einmal im Herbst. Wer den ältesten jährlich stattfindenden Marathonlauf vom traditionellen „Patriot’s Day“ in den Herbst verschiebt, verschiebt irgendwie den Feiertag mit – so groß ist die Bedeutung des Boston Marathon nicht nur in seiner Heimatstadt. Geblieben ist der traditionelle Start an einem Montag. Sie schmerzt, die Verschiebung. Seit 1897 hat der Boston Marathon jedes Jahr stattgefunden, selbst in den Jahren, in denen auf der Welt Kriege herrschten, selbst als die Spanische Grippe grassierte. Es brauchte eine neuerliche weltumspannende Pandemie, um den Boston Marathon zu stoppen, ihn 2020 zur Absage zu zwingen. 2021 rettete ihn die Verschiebung in den entfremdlichen Herbst. Auf dasselbe Wochenende wie den Chicago Marathon, alleine das klang vor zwei Jahren in der Marathon-Welt noch absurd genug. 20.000 Läuferinnen und Läufer ließ die ausrichtende Boston Athletics Association (BAA) nach frühzeitigem Entschluss in Absprache mit den Behörden zu. Es sind deutlich weniger als vor der Pandemie, aber immer noch genug, um den Boston Marathon seine Besonderheit zu verleihen – und eine neue Ära zu beginnen. Nach 123 Auflagen in Serie, nun die erste nach der Unterbrechung.

Die Tatkraft des Organisationsteams wurde im April 2021 übrigens in zwei Impfzentren in Boston gelegt, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Boston Marathon organisierten – ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag aus dem Laufsport heraus, der einmal nicht mit sportlicher Bewegung zu tun hatte. „Wir helfen uns selbst auf dem Weg zurück“, erklärte Renndirektor Dave McGillivray damals.

„Mein zweites Zuhause“

Dass der Boston Marathon nach wie vor ein besonderer ist, zeigt sich durch den Blick auf die Startliste. Bei den Männern hat sich ein hochinteressantes Feld mit drei sub-2:05-, acht sub-2:06 und insgesamt 21 sub-2:10-Läufern gebildet. Der prominenteste in Boston – und nicht nur dort – ist Lelisa Desisa, amtierender Weltmeister. Zweimal triumphierte er in Boston, darunter beim unvergesslichen Marathon 2013, als ein Terroranschlag die friedliche Laufwelt erschütterte. Spätestens seither ist der Boston Marathon mit dem Läuferherz Desisas verbunden und viceversa. „Für wahr: Boston ist zu meinem zweiten Zuhause geworden und ich genieße es immer, hier zu sein. Natürlich komme ich zurück, um auch sportlich zu überzeugen. Ich will ein drittes Mal gewinnen und werde alles für eine gute Show am Marathon-Monday geben!“, verspricht der 31-Jährige, der zu den konstantesten Marathonläufern auf höchstem Niveau zählt. Zur WM-Gold- und -Silbermedaille (2013) gesellen sich drei weitere Siege bzw. acht weitere Stockerlplatzierungen bei World Marathon Majors – alle ausnahmslos in Boston oder New York.

Der Boston Marathon ermöglicht seinem Star auch, auf die Straße des Erfolgs zurückzukehren. Vier Wochen nach dem anstrengenden WM-Marathon in Doha gab er in New York wenig überraschend auf. Dann kam die Pandemie mit den extrem eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten, wie mittlerweile etliche äthiopische Marathonstars geschildert haben. Rang 35 in Valencia und das Aus bei den Olympischen Spielen – es sind nicht die Resultate, die für einen Lelisa Desisa einstehen. Boston könnte aber die Bühne der Wiederauferstehung sein, denn der Äthiopier fühlt sich wohl auf selektiven Kursen mit taktischen Renngestaltungen, wo das Gefühl eine große Rolle spielt. Loszustürmen wie von einer Tarantel gestochen ist nicht sein Ding, seit 2013 ist er nur zweimal – und das haarscharf – unter 2:06 Stunden geblieben. Desisa ist aber weit besser als Rang 41 in der ewigen Weltbestenliste des Marathonlaufs. Dass er in der Weltrangliste gar nicht gelistet ist, liegt schlichtweg daran, dass er seit Pandemiebeginn kaum gelaufen ist.

Schnelle Äthiopiers und Chebets sehnlicher Wunsch

Desisa ist in Boston die Nummer drei der Meldeliste laut persönlichen Bestleistungen und einer aus einem starken Kreis äthiopischer Läufer, die auf den Sieg abzielen. Der letzte Äthiopier, der in Boston gewonnen hat, war Lemi Berhanu im Jahr 2016. Sein letztes Finish fast zwei Jahre her – Rang zwei beim Toronto Marathon. Einen schnelleren Vorwert als Berhanu hat nur Asefa Mengstu. Auch bei ihm gibt es Fragezeichen: Seine richtig schnellen Marathons in Dubai 2018 und 2019 hat er anderswo nur bedingt bestätigt, der dritte Platz beim Chicago Marathon 2019 war das höchste der Gefühle abseits des Emirats. Dejene Debela, der ehemalige Frankfurt-Sieger Kelkile Gezahegn und Tsedat Ayana komplettieren die äthiopische Garde.

Angesichts dieser fehlenden Leistungsparameter der letzten Jahre rechnen sich die kenianischen Teilnehmer etwas aus. Altstar Wilson Chebet jagt zum gefühlt 32. Mal den Sieg beim Boston Marathon – 2015 war er beim Sensationssieg von Meb Keflezighi Zweiter. Da er seit acht Jahren trotz einiger Spitzenresultate Mitte des letzten Jahrzehnts nicht mehr unter 2:08 Stunden gelaufen ist, wird das eine Mammutaufgabe. Dennoch fühlt sich Chebet in Boston wie zuhause, wie er dem kenianischen Medium „The Star“ sagte – obwohl er beim misserablen Wetter 2018 nach seiner Aufgabe medizinische Betreuung benötigte. „Eine sehr schlechte Erfahrung!“, erinnert er sich. Besser scheinen die Chancen von Benson Kipruto, Filex Kiprotich, Sieger der Marathons in Daegu und Sydney im Jahr 2019, oder Felix Kandie. Und von Debütant Leonard Barsoton. Obwohl der 26-Jährige im Halbmarathon nie unter 59 Minuten gelaufen ist, zählt er aufgrund seiner Konstanz zu den besten in dieser Disziplin. Zweimal repräsentierte er sein Heimatland bei Weltmeisterschaften in dieser Disziplin, immerhin die Ränge zwölf und sechs sprangen dabei heraus. Dazu WM-Silber im Crosslauf 2017.

Geheimtipp Jemal Yimer

Apropos: Debütant! Vielleicht ist sogar der zweite Halbmarathon-Meister, der sein Debüt feiert, der größte Siegkandidat am Montag. Wenngleich es zu bedenken gilt, dass mangelnde Erfahrung nirgends in der Marathonwelt ein so großes Handicap ist wie auf dem schwierigen Kurs von Hopkington nach Boston, noch dazu, wenn die Renngestaltung komplex werden sollte. Seinen ersten Marathonversuch musste Jemal Yimer 2020 in Valencia nach einem Sturz abbrechen. Dort, wo er zwei Jahre zuvor einen noch gültigen äthiopischen Landesrekord im Halbmarathon von 58:33 Minuten auf den Asphalt pfefferte – eine von vier Leistungen im Halbmarathon unter einer Stunde. Das gelang bei der Generalprobe auf Boston nicht, doch richtig schlecht war Yimer beim Sieg beim Antrim Coast Halbmarathon Ende August in 1:00:30 Stunden auch nicht.

Neben Desisa und Berhanu sind mit Geoffrey Kirui und Yuki Kawauchi zwei weitere ehemalige Sieger am Start. Der Weltmeister von 2017 sucht seit Jahren nach seiner Form, 2019 war er in Boston immerhin Fünfter. Und Yuki Kawauchi wird am Montag keine stürmischen Land-Unter-Bedingungen wie 2018 vorfinden.

Der stärkste US-Läufer im Feld ist der mittlerweile 44-jährige Abdi Abdirahman, der es tatsächlich noch einmal zu den Olympischen Spielen geschafft hat und als 41. ins Ziel gekommen ist. Interessantester Teilnehmer, der nicht aus Ostafrika stammt, ist neben Kawauchi der Neuseeländer Jake Robertson. Dieser ist allerdings seit dem Toronto Marathon 2018 keinen einzigen Marathon und nur einen einzigen Wettkampf gelaufen.

Kurzfristige Absage von Melese

Ein offenes und interessantes Rennen verspricht auch jenes der Frauen zu werden. Angeführt hätte das Feld von der zweifachen Shanghai-Marathon-Siegerin Yebrgual Melese werden sollen, die einzige aus dem Trio der sub-2:20-Läuferinnen, die auf eine halbwegs aktuelle Referenzzeit dieser Güteklasse verweisen kann. Am Donnerstag erfolgte ihre Absage. Die anderen beiden sind die mittlerweile 41-jährige Edna Kiplagat, deren wundersamer Sieg 2017 in Erinnerung bleibt, und Mare Dibaba, die seit dem Olympia-Medaillengewinn von Rio wenig zustande gebracht hat. Die einzige Ausnahme bildete Rang zwei beim Berlin Marathon 2019, gleichzeitig ihr letzter Wettkampf-Auftritt bis heute. Ähnlich lange liegen die Erfolge von Helah Kiprop, 2015 Vize-Weltmeisterin hinter Dibaba, zurück. Ihr Glanzstück gelang 2016 mit dem Sieg beim Tokio Marathon, ein Jahr später wurde sie bei der WM in London Siebte.

Tanui und Newcomerinnen im Favoritenkreis

Daher gilt es den Favoritenkreis zu erweitern: Angela Tanui bestach im Frühjahr mit einer Zeit von 2:20:08 Stunden auf dem Flugfeld von Siena. Bei alles andere als guten Marathon-Bedingungen übrigens. Workenesh Edesa landete 2019 in Dubai und Valencia im Spitzenfeld, Sutume Kebede gewann 2019 den Peking Marathon und landete 2020 in Tokio auf dem dritten Platz. Bisher ist Netsanet Gudeta, Halbmarathon-Weltmeisterin von 2018, mit dem Marathon auf Kriegsfuß gestanden. Ihre bisherigen Versuche in Paris 2017 und New York 2018 missglückten, drei Jahre später erfolgt ein neuer Anlauf. Gar ihren ersten Marathon absolviert Caroline Chepkoech, eine für Kasachstan laufende Kenianerin. Alleine ihre persönliche Bestleistung von 1:05:07 Stunden im Halbmarathon (Ras Al Khaimah 2018) und der Sieg beim Prag Halbmarathon 2019 qualifizieren sie für die Rolle der Mitfavoritin. Sollte sie bereits offiziell für Kasachstan startberechtigt sein – die Starterliste von Boston und die Biografie auf World Athletics zeigen Divergenzen auf – wackelt der Landesrekord von Zhanna Mamazhanova (2:29:01), aufgestellt beim S7 Marathon im Frühjahr auf österreichischem Boden.

Drei prominente Amerikanerinnen

Traditionell zieht der Boston Marathon viele ehemalige Siegerinnen und Sieger an. Caroline Rotich (2015), Atsede Baysa (2016) und Desiree Linden (2018) sollten dieses Mal allerdings keine große Rolle an der Spitze spielen. Vor ihrer achten Boston-Teilnahme („Ich musste nicht zögern, ich habe mich in dieses Rennen verliebt“ (NBC)) machte die mittlerweile 38-Jährige einen Schritt zurück. Denn im Frühling blieb sie als erste Läuferin überhaupt in einem 50km-Lauf unter drei Stunden und liebäugelt augenscheinlich nach einer langen Marathon-Karriere mit längeren Distanzen. Danach kämpfte sie mit Beschwerden, die Vorbereitung auf Boston verlief nicht ideal.

Da Linden nicht mehr so stark ist, wie noch vor eineigen Jahren, sind Jordan Hasay, die nach viel versprechendem Auftakt in ihre Karriere zuletzt erhebliche Probleme hatte und wohl nicht in ihrer früheren Leistungskapazität unterwegs ist, und Routinier Molly Huddle, die immer noch auf ihren ersten richtig guten Marathon wartet, die stärksten Amerikanerinnen im Feld, die durchaus hoffen dürfen, ganz vorne mitlaufen zu können. Denn das Feld mit 15 Läuferinnen, die eine Bestleistung unter 2:23 Stunden aufweisen, wirkt auf dem ersten Blick wesentlich stärker als es nach dem zweiten Blick ist.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen mit einem Impfnachweis oder einem negativen Testergebnis eines COVID-19-Tests (maximal 72 Stunden vor dem Start) Zugang zum Boston Marathon. Läuferinnen und Läufer, die den Event aufgrund eines positiven COVID-19-Tests verpassen, erhalten das Nenngeld zurück, berichtete die britische Nachrichtenagentur (Reuters) vor einem Monat.

John Hancock Boston Marathon

Abbott World Marathon Majors

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