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Alice Finot stürmt bei Yavi-Triumph zu Europarekord

Lokalmatadorin Alice Finot blieb als Olympia-Vierte erst als zweite Europäerin im 3.000m-Hindernislauf unter neun Minuten. Weltmeisterin Yavi ist die neue Olympiasiegerin.
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Alice Finot begeisterte das trotz der beachtlichen Internationalität großteils französische Publikum im Stade de France mit einer irren Schlussrunde, die sie zu Platz vier und zum Europarekord im 3.000m-Hindernislauf führte (8:58,67). An der Spitze setzte sich Weltmeisterin Winfred Yavi gegen Tokio-Olympiasiegerin Peruth Chemutai durch, während Weltrekordhalterin Beatrice Chepkoech in der Schlussrunde einbrach. Die Siegerzeit von 8:52,76 Minuten ist eine der schnellsten der Geschichte der Disziplin und mit sechs Sekunden Vorsprung Olympischer Rekord.

Täglich mehrmals ist es ohrenbetäubend laut im Stade de France dieser Tage. Abseits von Olympischen Medaillen war ein Aufschrei des Stadions wohl selten so laut wie gestern Abend im Finale des 3.000m-Hindernislaufs der Frauen. Nicht, dass Alice Finot davor nicht auch schon stark gelaufen wäre. Aber mit einer Schlussrunde von 66,2 Sekunden überholte sie die kenianische Weltrekordhalterin und Äthiopiens Beste. Und plötzlich gelang auf den letzten Metern noch ein Rekord, der nicht für möglich schien.

Schneller als die ehemalige Weltrekordlerin

In einer Zeit von 8:58,67 Minuten blieb die Französin um 0,14 Sekunden unter dem bisherigen Europarekord der russischen Olympiasiegerin von Peking 2008, Gulnara Samitova-Galkina, der jahrelang als Weltrekord gehalten hat. „Ich habe es heute Abend geschafft, mich selbst zu verwirklichen. Ich bin eine vollendete Athletin“, wird die 33-Jährige auf der Website des Französischen Leichtathletik-Verbandes (FFA) zitiert. Schnell schickte sie hinterher, damit nicht ihr Karriereende ankündigen zu wollen, sondern nur den besonderen Moment auf Basis einer fantastischen Leistung zu würdigen.

L’amour

Und wäre sie nicht ohnehin schon im emotionalen Himmel gewesen, sie verschönerte den Moment noch. Ein paar Schritte hinter der Ziellinie lief sie zur Tribüne, ging vor ihrem Lebensgefährten auf die Knie und machte ihm einen Heiratsantrag. „Ich hatte mir vorgenommen, das zu tun, wenn ich unter neun Minuten laufen würde. Neun ist meine Glückszahl und wir sind seit neun Jahren zusammen. Der perfekte Tag also, um diesen Schritt zu wagen“, erzählte die WM-Fünfte des letzten Jahres, damals auch schon mit französischem Rekord, im Stimmungshotspot der „Stade der Liebe“.

Ergebnis Olympisches 3.000m-Hindernislauf-Finale der Frauen, Paris 2024
Gold: Winfred Yavi (Bahrain) 8:52,76 Minuten (Olympischer Rekord)
Silber: Peruth Chemutai (Uganda) 8:53,34 Minuten (ugandischer Rekord)
Bronze: Faith Cherotich (Kenia) 8:55,15 Minuten (persönliche Bestleistung)

 
4. Alice Finot (Frankreich) 8:58,67 Minuten (Europarekord)
5. Sembo Almayew (Äthiopien) 9:00,83 Minuten
6. Beatrice Chepkoech (Kenia) 9:04,24 Minuten
7. Elizabeth Bird (Großbritannien) 9:04,35 Minuten (britischer Rekord)
8. Lomi Muleta (Äthiopien) 9:06,07 Minuten (persönliche Bestleistung)
9. Norah Jeruto (Kasachstan) 9:08,97 Minuten
10. Lea Meyer (Deutschland) 9:10,43 Minuten (persönliche Bestleistung)
11. Irene Sanchez-Escribano (Spanien) 9:10,43 Minuten (persönliche Bestleistung)
12. Courtney Wayment (USA) 9:13,60 Minuten
13. Alicja Konieczek (Polen) 9:21,31 Minuten
14. Gesa Felicitas Krause (Deutschland) 9:26,96 Minuten
15. Valerie Constien (USA) 9:34,08 Minuten

Schnellster letzter Kilometer im Feld

Finot sprach von einem traumhaften Rennen, bei dem sie zwei Drittel lang stur bei ihrem Marschplan blieb und dann „die Pferde los ließ“ und den Schwung vom Publikum mitnahm. Hypothetische Ansichten einer Medaillenchance im Falle der Präsenz in der Spitzengruppe geringschätzen die Tatsache, wie schnell vorne gelaufen wurde. Und sind vielleicht davon getrieben, dass die sonst bei den Spielen so erfolgreiche Gastgebernation immer noch ohne Leichtathletik-Medaille ist. Am Ende fehlten dreieinhalb Sekunden auf die Bronzemedaille von Faith Cherotich, nach 2.000 Metern war Finot bereits über sechs Sekunden hinter der Spitzengruppe. Ihre Leistung ist auch deswegen hoch einzuschätzen, weil sie große Teile des Rennens selbst für ihr Tempo sorgen musste. Lange als Führende einer kleinen Verfolgergruppe, im finalen Teil bei ihrer Aufholjagd.

Es ist argumentativ leicht als vernünftig einzustufen, das enorme Tempo der Spitzengruppe nicht mitgegangen zu sein. Sofort zog sich das Feld in die Länge, das kenianische Duo Beatrice Chepkoech und Faith Cherotich sowie Olympiasiegerin Peruth Chemutai traten das Gaspedal durch. Nach 2:55,1 Minuten führte die Weltrekordhalterin das Feld auf den zweiten Kilometer, Finot hing als Neunte fast noch dran, aber lag doch drei Sekunden zurück. Ein leichter Ziehharmonika-Effekt entstand, weil Muleta und Jeruto krampfhaft versuchten, den Anschluss an das Quintett an der Spitze zu halten. Das Feld riss in Stücke, auch wenn der zweite Kilometer etwas langsamer als drei Minuten schnell war. Das Tempo blieb hoch, bis es auf der letzten Runde explodierte. Nicht nur vorne, sondern auch hinten bei Finot, die mit 5,4 Sekunden Rückstand auf die Spitze in die letzte Runde ging und am Ende 5,9 Sekunden Rückstand auf die Siegerin hatte.

Entscheidung im Spurt vom Hindernis ins Ziel

Ein detaillierte Blick verriet, dass Finots Schlussrunde die konstant beste war. Sie wurde nur getoppt von Winfred Yavi, weil die nach dem letzten Hindernis im Duell um Gold mit Peruth Chemutai einen unglaublichen Schlussspurt zündete. 14,9 Sekunden für die letzten 100 Meter inklusive des Hindernisses bei fortgeschrittener Ermüdung, fast eine Sekunde schneller als Chemutai, fast eineinhalb Sekunden schneller als das folgende Duo.

Dank eines taktisch gut getimten Laufs, stets in der Spitzengruppe, aber nie an der Spitze laufend, und dank der Schnelligkeit am Ende verdiente sich die 24-jährige, gebürtige Kenianerin, die seit 2016 für den Bahrain an den Start geht, ein Jahr nach dem WM-Titel den Olymp. Damals führte ihr Nationenwechsel im Alter von 15 Jahren zu großen Diskussionen und war einer der entscheidenden, die beim Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) viel straffere Regeln bei Nationenwechsel andenken ließen. Denn damals ging es nicht nur um Wirtschaftsinteressen, sondern auch um Jugendschutz. In einem Interview mit der kenianischen Tageszeitung „The Star“ sind auch ihre heutigen Erklärungen für den Nationenwechsel wirr: Weil sie sich nicht für die Olympischen Spiele von Rio qualifizieren konnte und die Konkurrenz in Kenia so groß war, wechselte sie Nationalität, um einen Startplatz bei globalen Meisterschaften fix zu haben. Wohlgemerkt, das sind Erinnerungen an die Gedanken einer 15-Jährigen.

© Dan Vernon for World Athletics

Zweitschnellste Zeit ihrer Karriere

Yavi mag erst 24 Jahre alt sein, aber ihrer Karriere dauert schon seit fast zehn Jahren. Zuerst in Kenia als 1.500m-Läuferin, dann auf internationalem Niveau als 3.000m-Hindernislauf. 2017 war sie bereits WM-Achte, als 16-Jährige wohlgemerkt. Zweimal verpasste sie als Vierte bei Weltmeisterschaften folglich Medaillen knapp, aber nach der Pandemie gelang ihr im Vergleich zum bereits starken Rennen bei der WM in Doha, als sie sich der Deutschen Gesa Krause im Kampf um eine Medaille geschlagen geben musste, ein weiterer Leistungssprung. Bereits zum fünften Mal ist die Asienrekordhalterin nun bereits unter neun Minuten gelaufen, nur Chepkoech hat mit zehn „sub-9-Leistungen“ mehr.

Der Enttäuschung des vierten Platzes beim absurd schnellen WM-Rennen von Eugene 2022 folgte der Titel ein Jahr später in Budapest und nun der Olympiasieg von Paris. „Es ist ein Traum, etwas ganz Besonderes. Das bedeutet mir und meinem Land viel“, sagte sie. Die Leistung von 8:52,76 Minuten ist übrigens die viertschnellste der Geschichte in dieser Disziplin, nur sie selbst und zweimal Chepkoech waren je schneller. Das alles ohne Tempomacherinnen.

Olympische Spiele 2024

Die Olympischen Leichtathletik-Bewerbe werden mit Ausnahme der Geh- und Marathonbewerbe im Stade de France in Saint-Denis in der Metropolregion von Paris ausgerichtet. Charakteristisch ist die in pink gehaltene Laufbahn. Die Wettbewerbe werden von einem bemerkenswerten Zuschaueraufkommen und großartiger Atmosphäre im Stadion begleitet.
Alle Ergebnisse findest du auf der offiziellen Website:

Medaillen für Chemutai und Cherotich

Und so durfte Chemutai mit der Silbermedaille in einer Zeit von 8:53,34 Minuten, womit sie ihren ugandischen Rekord vom Sieg beim Diamond-League-Meeting in Eugene Ende Mai um knapp zwei Sekunden verbesserte, zufrieden sein. Die 25-Jährige war vor drei Jahren sensationell zu Olympia-Gold gelaufen, die erste Olympische Goldmedaille für eine weibliche Sportlerin ihres Heimatlandes überhaupt. In den folgenden Jahren hatte sie Schwierigkeiten, das Niveau von 2021 zu erreichen. 2024 schaffte sie es, es deutlich zu unterbieten: in Eugene und bei Olympia.

Die Bronzemedaille ging an eines der größten Talente des Hindernislaufs, Faith Cherotich, die in einer Zeit von 8:55,15 Minuten eine persönliche Bestleistung aufstellte. Die 20-Jährige, die mit ihrer brillanten Technik über die Hindernisse überzeugen kann, gewann 2022 das Rennen bei den Junioren-Weltmeisterschaften und holte bereits bei der WM in Budapest die Bronzemedaille. Sie steigerte ihren Bestwert um viereinhalb Sekunden und verfolgt eine interessante Serie. Bei allen wichtigen Wettkämpfen (Diamond League und Meisterschaften) kam sie seit fast zwei Jahren immer als Dritte ins Ziel, mit der Ausnahme des zweiten Platzes beim Diamond-League-Meeting in Xiamen im April.

Britischer Rekord für Bird

Cherotichs Medaille bahnte sich zum Auftakt der Schlussrunde an. Zuerst bröckelte Sembo Almayew aus Äthiopien aus der Verfolgergruppe weg, dann wurde Chepkoech auf der Gegengerade plötzlich deutlich langsamer – sie hatte alles in die Waagschale geworfen und keinen Benzin mehr im Tank. Sage und schreibe elf Sekunden verlor die Weltrekordhalterin von dem Moment, als Chemutai und Yavi sich absetzten, bis zur Ziellinie – in weniger als 300 Metern. Damit verpasste Chepkoech, die sich laut kenianischen Medienberichten außerhalb des Trainingscamps des kenianischen Teams vorbereitete, auch bei ihrem dritten Olympischen Auftritt Edelmetall.

Beinahe hätte sie Elizabeth Bird noch eingeholt, die in einer Zeit von 9:04,35 Minuten ihren eigenen britischen Rekord um dreieinhalb Sekunden verbesserte. Es gelang deshalb nicht, weil die 29-Jährige bei ihrem Bemühen, dem Tempo Finots über eine längere Zeit zu folgen, am Ende auch etwas am Zahnfleisch daherkam – verständlich angesichts der Topzeit, die sie auf Platz sieben führte. Unglaublich waren auch die Steigerungen der Spanierin Irene Sanchez-Escribano. Ihre erst im Vorlauf aufgestellte persönliche Bestleistung steigerte sie im Finale um sieben Sekunden auf eine Zeit von 9:10,43 Minuten, womit sie nur Elfte wurde. Zum spanischen Rekord der umstrittenen Marta Dominguez fehlt noch eine Sekunde.

Unterschiedliche Emotionen bei DLV-Duo

Wie hoch das Niveau im 3.000m-Hindernislauf der Frauen ist, demonstrierten nicht nur die Top-Ten im Finale. In den Vorläufen schieden die Tunesierin Marwa Bouzayani trotz einer persönlichen Bestleistung von 9:10,91 Minuten und die Deutsche Olivia Gürth, ebenfalls mit einer persönlichen Bestzeit von 9:16,47 Minuten, aus. Gürth hatte seltenes Pech, sie lag gerade eine Hundertstelsekunde hinter Elizabeth Bird und Norah Jeruto, die jeweils ins Finale aufstiegen.

Gürths zwei Landsfrauen schafften den Sprung ins 15-köpfige Finale. Die zweifache WM-Medaillengewinnerin Gesa Krause, die in diesem Jahr ihr Comeback nach Babypause feierte und bei der EM bereits wieder auf das Stockerl gelaufen ist, hielt sich von Beginn an im hinteren Feld auf. Nach dem schnellen ersten Kilometer für das gesamte Feld unter drei Minuten konnte sie ihr Tempo bald nicht mehr halten und fiel am Ende auf Platz 14 zurück. „Ich habe von Anfang an gemerkt, dass es heute nicht läuft. Es ging heute einfach nicht, es ist ein frustrierendes Ergebnis“, kommentierte die 32-Jährige in einem Statement auf der Website des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

Das dichteste Rennen aller Zeiten

Noch nie blieben zehn Läuferinnen in einem 3.000m-Hindernislauf der Frauen unter 9:10 Minuten. Der bisherige Bestwert lag bei sieben (Monaco 2018). Der Olympische Finallauf produzierte die jeweils schnellsten Zeiten in der Geschichte dieser Disziplin für einen dritten, vierten, fünften, sechsten, siebten, achten, neunten, zehnten, elften und zwölften Platz.

Krause war nicht das einzige Opfer des enormen Tempos, zu denen man auch Chepkoech zählen könnte: Alicja Konieczek, im Vorlauf noch mit polnischem Rekord, verlor auch früh den Anschluss. Am ärgsten erwischte es US-Meisterin Valerie Constien, die in Vertretung der aufgrund von Verletzungen verhinderten Stars Emma Coburn und Courtney Frerichs am Anfang riskierte, nachdem sie ihre frenetische Leistung bei den Trials für den Kreis der Medaillenanwärterinnen qualifiziert hatte, fiel ganz ans Ende des Feldes zurück. Gegenüber „Let’sRun.com“ sprach sie von „einem mentalen Schock, wie schnell die Spitze anging“. Courntey Wayment war somit als Zwölfte beste US-Läuferin.

Deutlich glücklicher war Krauses Landsfrau Lea Meyer, die mit einer persönlichen Bestzeit von 9:09,59 Minuten als Zehnte ins Ziel lief. „Auch wenn es hinten hinaus echt hart wurde, es hat super viel Spaß gemacht. Ich habe das Rennen zu 100% genossen und innerlich ein Lächeln auf den Lippen gehabt, als ich ins Ziel gelaufen bin. Dieses Ergebnis ist für mich eine riesen Bestätigung für den Weg, den ich gewählt habe“, wird die 26-Jährige auf der Website des DLV zitiert.

Weltmeisterin von Eugene ist wieder da

Eine Platzierung abseits der Medaillen hatte noch die Bedeutung eines genaueren Blicks darauf. Norah Jeruto, gebürtig aus Kenia und 2022 in Eugene in einer beachtlichen Dominanz Weltmeisterin für Kasachstan, lief in Saisonbestzeit von 9:08,97 Minuten als Achte ins Ziel. Die 28-Jährige wurde kurz nach Saisonbeginn 2023 von der Athletics Integrity Unit (AIU) wegen vermeintlich auf Doping hinweisenden Unregelmäßigkeiten im biologischen Blutprofil suspendiert. Davor hatte sie 2022 eine dominante Saison hingelegt, während der sie der internationalen Konkurrenz keine Chance ließ.

Die Athletin argumentierte, die Blutwerte wären in Geschwüren als Folge einer schweren COVID-19-Erkrankung begründet, wegen derer sie auch ins Krankenhaus musste. Letztendlich mit Erfolg, Gerichte sahen den Tatbestand für eine Dopingsperre nicht nachgewiesen. Die AIU musste die Suspendierung fallen lassen, doch World Athletics ging gegen das Urteil in Rekurs und forderte eine vierjährige Sperre. Das Oberste Internationale Sportgericht (CAS) in Lausanne wehrte ab. Ihr Comeback gab Jeruto im Mai, das Olympische Finale war erst ihr vierter Wettkampf seither.

Autor: Thomas Kofler
Bilder: © Dan Vernon for World Athletics

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