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Kurz vor dem Startschuss schaltete der internationale TV-Regisseur auf die Kamera, die auf Yuliya Stepanova gerichtet war. Zurecht, denn für viele Leichtathletik-Fans war ihr Auftritt in den Vorläufen über 800 Meter der Höhepunkt des ersten Wettkampftages. Nicht aus sportlicher, sondern…
Kurz vor dem Startschuss schaltete der internationale TV-Regisseur auf die Kamera, die auf Yuliya Stepanova gerichtet war. Zurecht, denn für viele Leichtathletik-Fans war ihr Auftritt in den Vorläufen über 800 Meter der Höhepunkt des ersten Wettkampftages. Nicht aus sportlicher, sondern aus emotionaler Sicht. Egal ob die Russin in ihrer Konzentration das Rotlicht der TV-Kamera registriert hatte oder nicht, sie nutzte den Moment, blickte in die gut besetzte Kurve und lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln. Eines, das untermalte, dass sie diesen Moment genoss. Nach knapp zwei Jahren des Undercover-Lebens konnte sich die in ihrer Heimat als Verräterin angesehene, ehemals des Dopings überführte Mittelstreckenläuferin wieder auf das fokussieren, was sie am liebsten macht. Nicht Whistleblowing um eine große Sportnationen zum Fall zu bringen, sondern Laufsport. Dass der Auftritt sportlich keine Wertigkeit haben würde, war vorher klar. Es ging um ein starkes Signal für sauberen Sport.
Verletzung
Stepanova, die als neutrale Athletin unter der Flagge des europäischen Leichtatheltik-Verbandes startete, lief deutlich hinterher. Dass sie aufgrund einer Verletzung nicht fit war, war bekannt und wurde deutlich, als nach 600 Metern der Muskel im Bereich der Achillessehne zusammenzog und ein Weiterlaufen nicht mehr erlaubte. Wäre es ein normaler Wettkampf gewesen, wäre sie sicherlich nicht an den Start gegangen. Doch dieser Wettkampf war ein besonderer. Und deshalb machte Stepanova keine Anstalten, ihn nicht bis zum Ende durchzuziehen. Sie ging die letzten 200m mit schmerzverzerrtem und ernstem Gesichtsausdruck demonstrativ zu Ende. Die später erfolgte Disqualifikation ist eine wertlose Randnotiz.
Eisiges Schweigen im Stadion
Das Spannendste war, was nun passierte. Im Olympisch Stadion von Amsterdam herrschte eine beängstigende Ruhe. Keine Stimmung, kein Applaus, kein Aufmuntern, keine Anerkennung. Das Publikum brachte Stepanova ein eisiges Schweigen entgegen. Weder die anderen Athleten, noch die Trainer oder die neutralen Zuschauer zeigten die kleinste Spur an Anerkennung an jene mutige Frau, die mit ihren Aussagen und Beweisen gemeinsam mit ihrem Mann das russische Dopingsystem zu Fall gebracht hat und damit einen Säuberungsprozess in der russischen Leichtathletik in Gang gebracht hat. Auch die Funktionäre der Leichtathletikverbände versteckten sich, keine Inszenierung, keine positiven Bilder, kein Svein Arne Hansen als Präsident des Europäischen Leichtathletik-Verbandes im Bild, der applaudierte, um seinen Aussagen, Stepanova sei in Amsterdam Willkommen, Nachdruck zu verleihen. Keine Berichterstattung auf der eigenen Website, kein gar nichts. Die EA ließ den vielleicht wichtigsten Moment dieser Titelkämpfe inaktiv verstreichen. Immerhin sollen laut Informationen des US-amerikanischen TV-Senders ESPN, der die Russin auf der Website zitierte, in der Umkleidekabine vor dem Rennen zahlreiche Konkurrentinnen auf sie zugegangen sein und sich bei ihr bedankt haben – halt hinter den Kulissen. Stepanova gab danach zu Protokoll: „Ich bin extrem dankbar, dass ich hier sein durfte. Vielen herzlichen Dank an den Leichtathletik-Weltverband!“ Wer zwischen den Zeilen liest, weiß, dass Stepanova diese Worte nach diesem absurden Erlebnis wohl sehr bewusst gewählt hat. Es darf schon mit Spannung erwartet werden, wie die Olympische Sportfamilie auf Stepanovas Auftritt in Rio reagiert. Vor allem, sollten dann russische Sportler, Trainer und Funktionäre im Stadion anwesend sein…
Kohlmann scheitert
Angesichts dieses gruseligen Ereignisses fällt die Konzentration auf die sportlichen Geschehnisse in den Vorläufen über 800m der Damen schwer. Stepanova wird im Halbfinale nicht mehr dabei sein, es war ihr einziger Auftritt bei der EM. Auch Fabienne Kohlmann wird die Halbfinalläufe vor dem Fernseher verfolgen. Die WM-Halbfinallistin lief im dritten von fünf Vorläufen von vorne und hatte im Finale nichts mehr zuzusetzen. Rang sieben von sieben in einer Zeit von 2:05,54 Minuten, auch ihr Tempo von der Spitze hatte nichts genutzt, die Zeit reichte nicht. In Abwesenheit der beiden Polinnen Sofia Ennaoui und Anna Cichocka, die beide überraschend nicht starteten, fanden alle Medaillenkandidatinnen den Weg ins Halbfinale. Darunter auch Topfavoritin Renelle Lamote, die in 2:01,60 Minuten die schnellste Zeit aller Starterinnen erzielte, die Schweizerin Selina Büchel als Siegerin des zweiten Vorlaufs, die polnische EM-Dritte von 2014, Joanna Jozwick und der britische Routinier Jenny Meadows. Die zweite Deutsche, Christina Hering, musste kämpfen, erreichte im zweiten Vorlauf allerdings Rang vier, der zur Teilnahme im Halbfinale genügte. Pikanterweise war sie langsamer gelaufen als Kohlmann wenige Minuten später…
Franzosen auf Kurs
Keine Überraschung gab es in den beiden Vorläufen über 3.000m mit Hindernissen der Herren. Atypischerweise befindet sich der Wassergraben im Amsterdamer Stadion auf der Außenseite der Kurve. Mahiedine Mekhissi-Benabbad, der als Topfavorit gilt, gewann den ersten Vorlauf locker in einer Zeit von 8:31,42 Minuten, direkt dahinter kam mit Krystian Zalewski aus Polen ein weitere Medaillenanwärter ins Ziel. Titelverteidiger Yoann Kowal belegte im zweiten Lauf Rang drei hinter dem kenianischen Türken Aras Kaya und dem Italiener Jamel Chatbi. Das Finale im 3.000m-Hindernislauf geht am Freitagabend über die Bühne. Europameisterschaften 2016 in Amsterdam
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