Newsletter Subscribe
Enter your email address below and subscribe to our newsletter
Es war ein langer Abend für Superstar Faith Kipyegon. Stunden, die auch emotional an ihr zerrten. Die Jury hatte die Kenianerin nach dem 5.000m-Lauf qualifiziert und erst zehn Minuten vor Mitternacht war offiziell klar, dass der kenianische Protest gegen diese Entscheidung endgültig erfolgreich war. Kenias Leichtathletik feierte im mit Spannung erwarteten 5.000m-Lauf, dem vielleicht best besetzten Laufbewerb bei den Frauen dieser Spiele, einen frenetischen Doppelsieg. Kipyegon allerdings verließ die Laufbahn nach einem ereignisreichen Abend mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ausgerechnet in der Schlussrunde wurde sie von ihrer Landsfrau Beatrice Chebet düpiert. Und die sensationelle Bronzemedaille für die Italienerin Nadia Battocletti blieb nach der Jury-Entscheidung im Konjunktiv.
Die 77.000 Zuschauer im neuerlich ausverkauften und stimmungsvollen Stade de France in Paris wurden am gestrigen Abend nicht nur Zeuge des massiven Weltrekordflugs von Superstar Armand Duplantis. Sie wurden auch Zeuge einer hochspannenden Entscheidung im 5.000m-Lauf der Frauen und sie wurden Zeuge davon, wie schnelllebig die Sportwelt ist.
Faith Kipyegon ist längst eine der größten Läuferinnen der Sportgeschichte: Zwei Olympische Goldmedaillen im 1.500m-Lauf und vier WM-Goldmedaillen, eine davon aus dem 5.000m-Lauf, nennt sie ihr Eigen. Kaum eine Leichtathletin hat in den vergangenen Jahren so viel Preisgeld auf ihr Konto verfrachtet, wie die 30-Jährige, die alleine in den letzten 14 Monaten vier Weltrekordläufe fabrizierte.
Abgesehen von zwei Rennen in ihrer Jugendzeit und dem unbedeutenden WM-Vorlauf von Budapest 2023 hat die Kenianerin bis gestern keinen 5.000m-Lauf nicht als Siegerin beendet – auch wenn es insgesamt wenige waren. Doch gestern, als Kipyegon Teil eins einer historischen Besonderheit realisieren wollte, folgte der Rückschlag. 2023 war sie als erste Läuferin überhaupt Weltmeisterin im 1.500m- und 5.000m-Lauf im selben Jahr. Das gleiche Kunststück war das Ziel für Paris 2024. Es begann nicht mit Gold, sondern mit Silber. In ihrem Fall, „nur“ mit Silber.
So schnelllebig die Sportwelt ist: Kipyegon sollte der Lauf-Superstar der Spiele in der französischen Hauptstadt werden. Nun kennt die Fachwelt bereits die Alternative: Beatrice Chebet könnte nach ihrem triumphalen Auftritt am gestrigen Abend in Paris der Superstar der Laufbewerbe sein. Nach der Goldmedaille in einer Zeit von 14:28,56 Minuten und dem gleichzeitigen „Fail“ der Äthiopierin Gudaf Tsegay geht die Kenianerin bereits jetzt als klare Favoritin in den 10.000m-Lauf am Freitagabend und könnte wie Sifan Hassan vor drei Jahren das Langstrecken-Doppel unter Olympischen Ringen schaffen. Wie auch Tirunesh Dibaba 2008 in Peking. Sofern die Holländerin, gestern augenscheinlich zufriedene Dritte mit durchaus beachtlicher Leistung, nicht etwas dagegen haben sollte.
So ganz überraschend kam der Coup von Beatrice Chebet nicht. Die 24-Jährige entwickelte sich in den letzten Jahren vom Talent (Junioren-Weltmeisterin 2018 und im Crosslauf 2019) sukzessive und in großen Schritten zum reifen Star. In Bathurst krönte sie sich Anfang 2023 zur Crosslauf-Weltmeisterin, nachdem die führende Äthiopierin Letesenbet Gidey spektakulär auf der Zielgerade kollabiert war. Ein Jahr später verteidigte sie den Titel in Belgrad in dominanter Manier. In der Zwischenzeit wurde sie im Oktober 2023 Straßenlauf-Weltmeisterin über fünf Kilometer, verbesserte beim Silvesterlauf in Barcelona den 5km-Weltrekord und gewann nur drei 5.000m-Läufe nicht: darunter bei der WM 2023, als Kipyegon vor Hassan siegte, und beim Diamond-League-Finale in Eugene, wo Tsegay ihren Fabel-Weltrekord von 14:00,21 Minuten auf die Bahn zauberte.
Anfang 2024 sagte sie in einem Interview mit der kenianischen Tageszeitung „Daily Nation“, sie sei genervt, nur die zweite Geige zu spielen. Das sei ihre Motivation, bei den Olympischen Spielen zum ganz großen Triumph auszuholen. Im Jahr 2024 wäre Chebet noch ungeschlagen, hätte sie bei den kenianischen Trials nicht mit einem gewissen Desinteresse Kipyegon den Vortritt gelassen. Der Weltrekordlauf im 10.000m-Lauf Ende Mai in Eugene zeigte dagegen ihr volles Können. In Paris war sie die Beste!
Überraschend war die Art und Weise, wie Chebet Kipyegon gestern niederrang. Die seit Jahren im 1.500m-Lauf unbesiegbare Kipyegon hatte mit ihrer Schlussrunde vermeintlich unschlagbare Argumente auf ihrer Seite. Aus der drittletzten Kurve heraus beschleunigte sie plangemäß, übernahm das Kommando und führte die noch recht große Spitzengruppe in die Schlussrunde. Durch die vorletzte Kurve zog sich die Gruppe in die Länge, die Konkurrenz war geschlagen – bis auf Chebet.
Die 24-Jährige folgte ihrer routinierten Landsfrau achtsam und mit Dynamik auf Schritt und Tritt. Die Gegengerade absolvierte Chebet als einzige im Feld unter 14 Sekunden, durch die Kurve war Kipyegon die etwas Schnellere und führte eingangs der Zielgerade. Doch dann ging der Weltmeisterin das Gas aus, Chebet überholte sie in deutlicher Überlegenheit und beendete ihren goldenen Auftritt in 14:28,56 Minuten – nur zwei Sekunden hinter dem Olympischen Rekord von Vivian Cheruiyot (2016), was angesichts der verhaltenen Anfangsphase des Rennens unerwartet kam. Die Schlussrunde ihres ersten Olympischen Auftritts überhaupt: grandiose 57,6 Sekunden.
Alter: 24
Nationalität: Kenia
🥇 Olympiasiegerin 2024 (5.000m)
🥇 Weltmeisterin 2023 und 2024 (Crosslauf) sowie 2023 (5km-Straßenlauf)
🥈 WM-Silber 2022 (5.000m)
🥉 WM-Bronze 2023 (5.000m)
🥇 Junioren-Weltmeisterin 2019 (Crosslauf) sowie 2018 (5.000m)
🥇 Afrikameisterin 2022 (5.000m)
🥇 Commonwealth Champion 2022 (5.000m)
Das 5.000m-Finale begann an einem warmen Sommerabend in Paris mit einem ersten Kilometer in 3:10 Minuten. Sifan Hassan ordnete sich wie gewohnt ganz hinten ein, Faith Kipyegon bevorzugte eine Position weit vorne, Beatrice Chebet orientierte sich an ihrer Landsfrau. Wäre nicht die Norwegerin Karoline Bjerkeli Grövdal an die Spitze gegangen, wäre der erste Kilometer noch langsamer gewesen. Die Skandinavierin führte einige Runden vor Nadia Battocletti – ein Bild, das an die Europameisterschaften erinnerte, als Grövdal die Italienerin zu einem italienischen Rekord zog und Battocletti im Finale zur Goldmedaille davonspurtete.
Grövdal verfolgte ihre Taktik, nach der Beschleunigung bei Kilometer drei allerdings im hinteren Teil der ersten und später in der zweiten Gruppe. Der achte Platz am Ende gab ihr Recht, sie war nahe an ihrem persönlichen Topergebnis, dem siebten Platz von Rio 2016, dran. Deutlich besser im Rennen blieb Battocletti, die sich beeindruckend selbstverständlich in einer guten Position auf der Innenbahn hielt und die meisten Rangeleien und Scharmützel vermied, die vielen Kraft kosteten. Der vierte Kilometer war der dritte in Folge mit einer Teilzeit von 2:55 Minuten.
In der drittletzten Runde kam es zum Zweikampf, der für Diskussionen sorgte. Und dafür, dass eine niedergeschlagene Kipyegon später wortlos durch die Mixed Zone schlich, der Kopf gesenkt, ihr Gesicht von einer kenianischen Flagge verdeckt, wie Bilder in kenianischen Medien zeigen. Die bereits Minuten lang unruhig agierende Gudaf Tsegay drängte an die Spitze und bedrängte mit einer gewissen Vehemenz Faith Kipyegon auf der Innenbahn, die berechtigte Angst um ihre Platzreserven hatte. Mit der rechten Hand griff die Kenianerin nach dem linken dem Arm und zog kurz daran. Beide kamen ins Straucheln, meilenweit war ein Sturz nicht entfernt, doch beide hielten sich auf den Beinen.
Dass beide aus dem Rhythmus geworfen wurden und vom Duell nicht profitierten und dass Kipyegon von Tsegay provoziert wurde, waren womöglich die Argumente für die endgültige Jury-Entscheidung, Kipyegon nicht für die – zweifelsohne übertriebene – Reaktion zu disqualifizieren. Eine Disqualifikation hätte einen Schatten auf den Wettkampf gelegt, so blieb die sportliche Entscheidung relevant und Kipyegon kam mit einer Verwarnung davon. Im Fußball hätte es auch keine Rote Karte gegeben, maximal eine Gelbe. Die Jury formulierte aber klar, ein solches Verhalten als inakzeptabel einzustufen.
Als die Kenianerin Ende der vorletzten Runde in einem kontinuierlichen beschleunigte, platzte Tsegay sofort weg. Die 27-jährige Äthiopierin wurde letztendlich nur Neunte und war die Enttäuschung des Rennens. Die zweifache Weltmeisterin (2022 im 5.000m-Lauf, 2023 im 10.000m-Lauf) bleibt bei einer Olympia-Medaille: Bronze in Tokio in dieser Disziplin.
Etliche Male hat sie bei Meetings ihre herausragende Klasse bewiesen: Weltrekord im 5.000m-Lauf in Eugene 2023, eine niedrige 29er Zeit über 10.000m, die Bestzeit über 1.500m zu Saisonbeginn in Xiamen, wo sie den Weltrekord von Kipyegon nur um gut eine Sekunde verpasste oder eine Reihe von irren Hallen-Leistungen, darunter einige Weltrekordversuche, von denen jener im 1.500m-Lauf in der Halle von Liévin 2021 erfolgreich war.
Aber bei großen globalen Meisterschaften zeigte Tsegay oft zwei Gesichter: das triumphale bei den zwei WM-Titeln und andererseits nicht zum ersten Mal ein enttäuschtes. Nicht nur die Position war ihrer unwürdig, auch die Art und Weise, wie sie lief – übrigens schon früh mit verbissener und Erschöpfung meinender Miene.
Während das kenianische Duo vorne die Goldmedaille unter sich ausfocht, erlitt das äthiopische Team mit den Positionen sechs (Taye), sieben (Eisa) und neun eine empfindliche Niederlage. Eine Olympische Entscheidung ohne äthiopisches Edelmetall hat es erst einmal gegeben, seitdem der 5.000m-Lauf 1996 den 3.000m-Lauf ersetzt hat – eben genau gleich damals bei den Spielen in Atlanta.
Die Olympischen Leichtathletik-Bewerbe werden mit Ausnahme der Geh- und Marathonbewerbe im Stade de France in Saint-Denis in der Metropolregion von Paris ausgerichtet. Charakteristisch ist die in pink gehaltene Laufbahn. Die Wettbewerbe werden von einem bemerkenswerten Zuschaueraufkommen und großartiger Atmosphäre im Stadion begleitet.
Alle Ergebnisse findest du auf der offiziellen Website:
Blieb aus dem Topf der Superstars noch Sifan Hassan, die den Auftakt ihres monströsen Olympia-Programms mit der Bronzemedaille feierte. Um den Sieg gelaufen ist die Olympiasiegerin von Tokio in Wahrheit nicht. Wäre das ihre Ambition gewesen, müsste ihr ein schwerer taktischer Fehler nachgesagt werden. Als Kipyegon beschleunigte – und sie tat das 500 Meter vor dem Ziel, also an einem erwartbaren Zeitpunkt, war die Holländern viel zu weit zurück und musste erst fünf Kontrahentinnen überholen, um Anfangs der letzten Runde die dritte Position zu erreichen. Diese hielt sie bis zur Ziellinie, in 14:30,61 Minuten lag sie zwei Sekunden hinter Chebet und eine hinter Kipyegon, die ihre letzten Schritte in Ernüchterung der verlorenen Goldmedaille bereits austrudelte.
Die kommenden Wettkampftage werden erst eine Gesamtbeurteilung Hassans, die keine gute Wettkampfsaison hatte, zulassen. Sie hat bewiesen, in guter Form zu sein. Den 1.500m-Lauf strich die Holländerin erwartungsgemäß aus ihrem Programm, mit dem 10.000m-Lauf und dem Marathon bleiben zwei Chancen übrig. Dasselbe gilt auch für Kipyegon und für Tsegay: Das Duo stand gleich am heutigen Morgen wieder auf der Bahn und qualifizierte sich in den Vorläufen über 1.500m locker für das Halbfinale. So schnelllebig ist die Sportwelt: Der Fokus von Kipyegon liegt längst im nächsten Wettkampf und in ein paar Tagen mögen die Emotionen schon wieder ganz andere sein. Detto im Falle von Tsegay.
Der zweite „Star der Schlussrunde“ neben Chebet war Nadia Battocletti, die die viertschnellste Schlussrunde im Feld produzierte und dabei weit höher eingeschätzte Kontrahentinnen niederrang. Achte bei der Glocke, machte sie gleich in der vorletzten Kurve zwei Plätze gut, schnappte sich in der letzten Kurve die schnellste Äthiopierin im Feld, Ejgayehu Taye, und auf der Zielgeraden die drittbeste Kenianerin, Margaret Kipkemboi, bei Weltmeisterschaften auf dieser Distanz immerhin bereits viermal in den Top-Fünf. Mit einer Zeit von 14:31,64 Minuten verbesserte die Trentinerin ihren bei der EM aufgestellten italienischen Rekord um 3,65 Sekunden und ist nun die Nummer zehn der ewigen europäischen Bestenliste.
Rund zwei Stunden lang durfte sie das Gefühl der Olympia-Medaillengewinnerin erspüren, der Moment erinnerte an Roberta Brunet, die 1996 in Atlanta Bronze gewann. Dann stufte die Jury sie wieder auf Platz vier zurück, der trotz der Undankbarkeit der Position einen Jubel Wert war. Der italienische Gegenprotest gegen die Jury-Entscheidung war erfolglos. „Ich bin überglücklich, wie ich gegen diese Weltklasseläuferinnen gelaufen bin und das Rennen gestaltet habe. Ich habe den Wettkampf sehr genossen und bin an der Herausforderung gewachsen. Der vierte Platz ist ein toller Erfolg“, wird die 24-Jährige auf der Website des Italienischen Leichtathletik-Verbandes (FIDAL) zitiert. Seit 20 Jahren war keine nicht in Afrika geborene Athletin in einem Olympischen 5.000m-Lauf so weit vorne platziert wie sie.
Battocletti war bereits vor drei Jahren Olympia-Siebte, damals ein riesiger Erfolg für die 21-Jährige. Seither entwickelte sich die Italienerin stetig weiter, feierte viele Erfolge in europäischen Nachwuchsklassen und zuletzt mit zwei Goldmedaillen bei der Heim-EM in Rom im Juni. Dass sie selbst die ostafrikanische Elite fordern kann – und zwar als zweite Europäerin neben Sifan Hassan, wies sie erstmals richtig bei der Straßenlauf-WM 2023 in Riga nach. Im 5km-Straßenlauf lief sie bis fast zum Schluss in der kleinen Spitzengruppe und wurde Fünfte. Der Olympische 5.000m-Lauf von Paris demonstrierte, dass dies kein Zufall war.
Die Schlussrunden der Top-Acht im Vergleich
Auch in den ungleich aufgeteilten Vorläufen hat Battocletti ihre Klasse bereits gezeigt. Sie agierte bedacht und mit Stärke auf Platz drei, wie im Finale hinter Kipyegon und Hassan. Und wie im Finale ließ sie bereits am Freitagabend Margaret Kiplimo, Gudaf Tsegay und Ejgayehu Taye hinter sich. Sechs der Top-Neun und fünf der Top-Sechs des Finals sind bereits im Vorlauf gegeneinander gelaufen, nur Olympiasiegerin Chebet nicht.
Dass alle drei US-Amerikanerinnen den Sprung ins Finale geschafft haben (ohne Elle St. Pierre, die sich für die 1.500m entschieden hat und ohne Alicia Monson, die verletzungsbedingt die Spiele verpasst, Anm.) und dass neben Hassan und Battocletti mit Grövdal (8.) und der Finnin Nathalie Blomqvist (13.) zwei weitere Europäerinnen sowie Südamerika-Rekordhalterin Joselyn Daniely Brea (15.) das Olympische Finale erreicht haben, ist ein Hinweis darauf, dass die Weltklasse auf den Laufdistanzen weit über Afrika hinausreicht.
Autor: Thomas Kofler
Bilder: © Dan Vernon for World Athletics / © Mattia Ozbot for World Athletics