Fällt am Sonntag ein Marathon-Weltrekord?
Ein zweiter Weltrekord binnen zwei Wochen nach der Fabelleistung von Tigist Assefa in Berlin (siehe RunAustria-Bericht) wäre im Frauenrennen wohl zu viel des Guten und bei den Männern reden wir vom Weltrekord des besten Marathonläufers der Welt, der in jahrelanger Weiterentwicklung seiner Fähigkeiten bei einer Zeit von 2:01:09 Stunden angelangt ist. Auch wenn Kelvin Kiptum durch seine London-Zeit nicht weit von dieser Marke entfernt ist, zeichnen Weltrekorde im Sport sich naturgemäß dadurch aus, nur in besonderen Momenten realisierbar zu sein.
Fakt ist, mit Kiptum ist jener Läufer am Start, dem es gegenwärtig am ehesten zuzutrauen ist, die Bestmarke von Eliud Kipchoge vom Berlin Marathon 2022 zu unterbieten. Der Kenianer ist der Wunderjunge im Marathon schlechthin. Als guter Halbmarathonläufer, ohne Wunderleistungen auf dieser Distanz, absolvierte er bisher zwei Marathons: 2:01:53 Stunden in Valencia 2022 und 2:01:25 Stunden in London 2023 mit einer surrealen zweiten Marathon-Hälfte in unter einer Stunde. Vor einigen Wochen bremste er in kenianischen Medien aufgrund einigen Verzögerungen in der Vorbereitung etwas die Erwartungshaltung, sprach am gestrigen Freitag in Chicago aber von einer guten Vorbereitung und guten Fitness. Als Ziel gab Kiptum vorerst offiziell den Streckenrekord von Dennis Kimetto (2:03:45) als Ziel aus.
Hätte Tigist Assefa vor zwei Wochen beim Berlin Marathon den Weltrekord nicht um über zwei Minuten auf eine Zeit von 2:11:53 Stunden korrigiert, wären die Chancen auf einen Weltrekordlauf am morgigen Sonntag in Chicago wesentlich höher gewesen. Denn die Wetterbedingungen in „Windy City“ waren schon lange nicht mehr so gut für das Laufen wie in der Prognose für morgen. Zum Startzeitpunkt sind 8-9°C. angesagt, dazu ein bewölkter Himmel und verhältnismäßig wenig Wind. Ruth Chepngetich, die bei ihrem Vorjahressieg in 2:14:18 Stunden den damaligen Weltrekord von Brigid Kosgei nur um 14 Sekunden verfehlte, weil sie sich wohl mit der schnellsten ersten Marathon-Hälfte der Geschichte ein bisschen viel vorgenommen hatte, bleibt bei ihrem Ansatz. Auch am Sonntag soll die erste Hälfte rasend schnell sein, die Kenianerin plant die Halbmarathon-Zwischenzeit in knapp unter 1:06 Stunden zu passieren. Das wäre dann Weltrekord-Pace. „Ich hoffe auf eine ähnliche erste und eine etwas bessere zweite Hälfte“, gab die 29-Jährige die Devise bei der Pressekonferenz aus. 2:11 zu laufen, sei schließlich nicht einfach, gab sie zu bedenken.
Elitefeld der Männer
- Kelvin Kiptum (KEN) – PB: 2:01:25 Stunden (Sieger London Marathon 2023)
- Bashir Abdi (BEL) – PB: 2:03:36 Stunden (Europarekordhalter)
- Kinde Atanaw (ETH) – 2:03:51 Stunden
- Benson Kipruto (KEN) – PB: 2:04:24 Stunden (Titelverteidiger)
- Dawit Woldu (ETH) PB: 2:04:27 Stunden
- Seifu Tura (ETH) – PB: 2:04:29 Stunden
- John Korir (KEN) PB: 2:05:01 Stunden
- Huseydin Mohamed (ETH) – PB: 2:05:05 Stunden
- Galen Rupp (USA) – PB: 2:06:07 Stunden
- Leonard Korir (USA) – PB: 2:07:56 Stunden
- Conner Mantz (USA) – PB: 2:08:16 Stunden
- Daniel Mateiko (KEN) – Debüt
Was ist von den Top-Europäern zu erwarten?
Angesichts der prognostizierten Voraussetzungen viel. Bei den Männern ist Europarekordhalter Bashir Abdi am Start, die Nummer zwei der nach persönlichen Bestleistungen gereihten Meldeliste – also noch vor Vorjahressieger Benson Kipruto. Bei den Frauen geht London-Siegerin Sifan Hassan in ihren zweiten Marathon. Die Verfolgergruppe von Kiptum ist stark besetzt und enthält sieben Läufer mit Bestleistungen unter oder knapp über 2:05 Stunden, dazu kommt Debütant Daniel Mateiko, der schon einige sehr starke Halbmarathons absolviert hat. Das könnte für ein schnelles Rennen förderlich sein.
Auch wenn die Vorbereitung nach den Weltmeisterschaften in Budapest, wo sie mit drei Starts eine intensive Zeit erlebte, kurz war, ist der holländischen Ausnahmeläuferin prinzipiell vieles zuzutrauen – dass sie in Regionen von 2:14 Stunden oder schneller läuft, wäre dennoch wohl eine Überraschung. Doch Hassan kündigte bei der Pressekonferenz selbstbewusst an, das Angangstempo von Chepngetich in 1:06 Stunden mitgehen zu wollen. „Wir werden sehen, was dann passiert“, meint sie und pocht darauf, dass der Chicago Marathon bereits in der WM-Vorbereitung für Budapest eine wichtige Rolle in ihren Gedanken gespielt hat.
Elitefeld der Frauen
- Ruth Chepngetich (KEN) 2:14:18 Stunden (Titelverteidigerin)
- Tadu Teshome (ETH) 2:17:36 Stunden
- Joyciline Jepkosgei (KEN) 2:17:43 Stunden
- Genzebe Dibaba (ETH) 2:18:05 Stunden
- Sutume Kebede (ETH) 2:18:12 Stunden
- Emily Sisson (USA) 2:18:29 Stunden (US-Rekordhalterin)
- Megertu Alemu (ETH) 2:18:32 Stunden
- Sifan Hassan (NED) 2:18:33 Stunden (Siegerin London Marathon 2023)
- Ababel Yeshaneh (ETH) 2:20:51 Stunden
- Desiree Linden (USA) 2:22:38 Stunden
- Emma Bates (USA) 2:23:18 Stunden
- Molly Seidel (USA) 2:24:42 Stunden
Sind starke US-Leistungen zu erwarten?
In den Jahren vor Olympischen Spielen mit den Olympischen Marathon-Trials üblicherweise im Februar erfreut sich der Chicago Marathon immer über eine starke nationale Besetzung, weil der New York City Marathon vier Wochen näher an den Trials dran ist. Emily Sisson kündigte ein Jahr nach ihrem US-Rekord auf den Straßen Chicagos in 2:18:29 Stunden neuerlich an, in sehr guter Verfassung zu sein. Im Gegensatz zum Vorjahr trifft sie auf ein harmonisches Umfeld, insgesamt sieben Läuferinnen weisen Bestleistungen zwischen 2:17:30 und 2:18:33 Stunden auf. Neben der US-Rekordhalterin zeigt sich auch Emma Bates, die mit einem fünften Platz beim Boston Marathon in 2:22:10 Stunden (nicht Bestenlisten taugliche Strecke, Anm.) im Frühling ein echtes Highlight gesetzt hat, als sie mit der afrikanischen Elite rund um Siegerin Hellen Obiri eindrucksvoll mithalten konnte, optimistisch. Sie sei in einer „phänomenalen Form“ und will den Marathon auf eine Zeit unter 2:20 Stunden anlaufen, so die WM-Siebte von 2022.
Bei den Männern berichtete Galen Rupp im Vorfeld des Chicago Marathon, den er 2017 gewann, von der besten Marathon-Vorbereitung seit langem, da er schmerzfrei trainieren konnte. Um vollständig gesund und verletzungsfrei trainieren zu können, hatte sich sein Trainer Mike Smith für eine lange Wettkampfpause im Frühling entschieden, um den Umfang im Training erhöhen zu können, berichtet die US-amerikanische Laufplattform „Let’s Run.com“. Große Bedeutung hat der Chicago Marathon in Vorbereitung der US-Trials schon, denn obwohl einige amerikanische Läufer in der Weltrangliste gut liegen, hat noch keiner das Olympia-Limit von 2:08:10 Stunden unterboten. Diese Marke haben auch Leonard Korir und Conner Mantz im Blick.
Bank of America Chicago Marathon