Aufgrund einer Verletzung am Kreuzbein kann der frisch vermählte europäische Lauf-Superstar, Olympiasieger im 1.500m-Lauf und zweifacher Weltmeister im 5.000m-Lauf, seine große Favoritenrolle bei den Crosslauf-Europameisterschaften nicht wahrnehmen. In Brüssel endet also Jakob Ingebrigtsens erstaunliche Serie von vier Rekordtiteln in der Altersklasse U20 und zwei Titeln in der Allgemeinen Klasse. Weil auch Mohamed Katir, Europarekordhalter und Vize-Weltmeister über 5.000m, aufgrund von Trainingsrückstand fehlt, ist das Rennen um die Medaillen offen. Andreas Vojta (team2012.at), der mit seiner 14. Teilnahme die Crosslauf-EM so gut kennt wie kaum ein anderer, traut sich keinen Tipp abzugeben: „Dadurch dass ich so lange dabei bin und viele gut kenne, weiß ich, dass so ein Rennen nicht vorhersehbar ist.“ Durch die Abwesenheit des Platzhirschen könne vieles passieren.
Lokalmatador und Aushängeschild der EM als Mitfavorit
So darf der Gastgeber im chronologisch letzten der sieben Bewerbe am Sonntagnachmittag berechtigt vom ersten belgischen Titelgewinn sein Atelaw Yeshetela im Jahr 2011 träumen. Isaac Kimeli, der sich zielgerichtet auf das Heimspiel vorbereitet hat, landete bei diesen Titelkämpfen bereits viermal in den Top-Ten, zweimal davon auf dem Stockerl mit Silber 2018 und Bronze 2022. 2016 auf Sardinien war der nun 29-Jährige Titelträger in der Altersklasse U23, in Vorbereitung auf Brüssel siegte er bei den belgischen Meisterschaften souverän. Ein weiterer heißer Kandidat auf seinen ersten Titel in der Allgemeinen Klasse ist Yemaneberhan Crippa, 2014 und 2015 Junioren-Champion und in den folgenden Jahren zweimal Dritter in der Altersklasse U23. Bei den Erwachsenen gewann er Silber 2019 und blieb im letzten Jahr vor heimischem Publikum im Parco La Mandria von Turin als Vierter glücklos. Außerdem ist Crippa amtierender Europameister im 10.000m-Lauf, auch keine schlechten Vorzeichen für einen Crosslauf über 9.000m.
Traditionell stark ist das Aufgebot der Spanier, die das volle Kontingent von sechs Athleten ausschöpfen. Alle sehcs können wohl alle an einem guten Tag in die Top-Ten laufen. Der letzte spanische Medaillengewinn liegt allerdings bereits sechs Jahre zurück. Im französischen Team fehlt der Medaillengewinner von vor zwei Jahren, Jimmy Gressier. Der zuletzt starke Bastian Augusto, Hugo Hay und Yann Schrub, bester Europäer bei der WM in Budapest über 10.000m, bilden trotzdem ein starkes Aufgebot und machen Frankreich zum Favoriten auf den Sieg in der Nationenwertung, die die drei besten Resultate pro Nation einbezieht.
Neue Herausforderin für Grövdal
Bei den Frauen war in den letzten Jahren Karoline Bjerkeli Grövdal die Nummer eins im europäischen Crosslauf. Bereits vor ihren beiden Titelgewinnen in Dublin 2021 und Turin 2022 stand sie fünfmal auf dem Stockerl und ist, inklusive der beiden Medaillen aus Juniorenzeiten, mit neunmal Edelmetall die mit Abstand erfolgreichste Teilnehmerin der Geschichte von Crosslauf-Europameisterschaften. Daher ist die 33-Jährige auch in Brüssel die erklärte Favoritin, wenngleich sie in den letzten beiden Jahren immer wieder mit gesundheitsbedingten Rückschlägen zu kämpfen hatte. Drei EM-Titel im Crosslauf in Serie hat bisher lediglich Yasemin Can im letzten Jahrzehnt geschafft.
In der Allgemeinen Klasse fehlen einige der europäischen Top-Läuferinnen, darunter die Vierfach-Europameisterin Yasemin Can aus der Türkei sowie die beiden in den letzten Jahren erfolgreichen deutschen Läuferinnen Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh, auch die letztjährige EM-Vierte Hanna Klein lässt die Crosslauf-EM aus. Daher gehört die Italienerin Nadia Battocletti, je zweifache Europameisterin in den Altersklassen U20 und U23, gleich bei ihrer Premiere in der Allgemeinen Klasse zum engsten Kreis der Medaillenanwärterin. Ihr bemerkenswerter Auftritt bei den Straßenlauf-Weltmeisterschaften in Riga über fünf Kilometer zeigte ihre Klasse. Auch die Teilnahme am internationalen Crosslauf in Alcobendas untermauerte ihre gute Form. Nun trifft sie erstmals bei einer Crosslauf-EM auf die norwegische Favoritin.
Gleich mehrere gute Läuferinnen befinden sich im von Jessica Warner-Judd angeführten britischen Aufgebot. Für eine Besonderheit sorgt die Nominierung von Fionnuala McCormack, die erst vor wenigen Tagen in Valencia die Qualifikation für den Olympischen Marathon geschafft hat. Mit ihrer 18. Teilnahme baut die 39-jährige Irin ihren Rekord weiter aus und rückt dem männlichen Rekordteilnehmer Sergej Lebid (19) nahe. Durch die Angleichung der Distanzen für beide Geschlechter ist der 9.000m lange Bewerb der längste der Crosslauf-EM-Geschichte für die Frauen.
Bühne frei für Keith, Crosslauf-EM-Debüt für Laros
Nach dem Aufstieg Battoclettis in die Allgemeine Klasse ist die Vorjahres-Silbermedaillengewinnerin Megan Keith die klare Favoritin auf die Goldmedaille, zumal die 21-jährige U23-Europameisterin im 5.000m-Lauf bei den britischen Meisterschaften in der Allgemeinen Klasse die Konkurrenz in Grund und Boden gelaufen ist. Ihr Debüt in der Altersklasse U23 bei Crosslauf-Europameisterschaften gibt die letztjährige U20-Europameisterin Maria Forero. Bei den jungen Männern sind der spanische 3.000m-Hindernislauf-Europameister der Altersklasse U23, Alejandro Quijada, der britische Junioren-Cross-Europameister des letzten Jahres, Will Barnicoat, der ein trotz der Abwesenheit von Titelverteidiger Charles Hicks starkes britisches U23-Team anführt, der Norweger Andreas Fjeld Halvorsen und der Däne Joel Ibler Lillesö bekannte Namen.
Einen haushohen Favoriten gibt es in der Altersklasse U20 mit dem holländischen Supertalent Niels Laros, der erstmals bei diesen Europameisterschaften am Start sein wird. Im Sommer dominierte er in Jerusalem bei der Junioren-EM den 1.500m- und 5.000m-Lauf. Der 5.000m lange Bewerb ist hervorragend besetzt, schließlich sind auch der Ire Nicholas Griggs und der Däne Axel Vang Christensen, Sieger in dieser Altersklasse vor zwei Jahren, im Feld. Bei den Juniorinnen gehört die Deutsche Kira Weis zu den stärksten im Feld, die in letzter Zeit bemerkenswerte Fortschritte erzielt hat. Weitere starke Läuferinnen sind in Abwesenheit von Agate Caune aus Lettland die Dänin Sofia Thögersen und die Türkin Dilek Kocak.
Zwölf Nationen haben für die 4×1.500m lange Mixed-Staffel gemeldet. Der italienische Verband hat mit einem von der letztjährigen Schlussläuferin Gaia Sabbatini angeführten Team dafür gesorgt, dass eine erfolgreiche Titelverteidigung nicht unwahrscheinlich ist. Auf dem Papier sollte die stärkste Gegenwehr aus Spanien, Frankreich und Großbritannien kommen.
Crosslauf-EM 2023 in Brüssel
European Athletics