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Der Champion und der vielleicht neue Superstar

Noch einmal will Eliud Kipchoge im Starensemble der Allerbesten den Ton mitbestimmen. Vielleicht beginnt am Sonntag mit Jacob Kiplimo aber eine neue Ära.
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Jahrelang war Eliud Kipchoge die uneingeschränkte Nummer eins im Marathon. Er verbesserte zweimal den Weltrekord. Er führte der Welt vor Augen, dass Menschen die 42,195 Kilometer in unter zwei Stunden im Laufschritt bewältigen können. Der London Marathon war stets ein Monument seiner Dominanz. Viermal triumphierte er in der britischen Hauptstadt, unterbrochen nur vom Jahr 2017 als er sich im Autodromo di Monza erstmals an die sub-2-Schallmauer herantastete. Nun kündigt sich beim London Marathon 2025 mit Jacob Kiplimo das spannendste Marathon-Debüt seit langer Zeit an. Im Vorfeld noch fesselnder als jenes von Kelvin Kiptum in Valencia 2022, das rückblickend ein historisches war.

Viele hat die Startzusage Eliud Kipchoges zum London Marathon 2025 überrascht. Es ist sein erster Marathon nach der großen Enttäuschung bei den Olympischen Spielen von Paris, die mit einem frühzeitigen Aus aus chancenloser Position endeten. Sie markierten wie ein starkes Symbol das Ende einer noch nie da gewesenen Erfolgsära im Marathon. Denn, es war die mit Abstand enttäuschendste Marathonleistung seiner Karriere. Niemals zuvor endete ein Jahr ohne Marathonsieg von Eliud Kipchoge.

Ausgerechnet jetzt entschied sich der 40-Jährige, sich in das mit Abstand stärkste Marathonfeld des Jahres 2025 zu begeben? Doch Eliud Kipchoge wäre nicht Eliud Kipchoge, hätte er nicht Großes vor. „Da sind viele starke junge Leute am Start, die von Tag zu Tag besser werden. Ich bin glücklich, mit ihnen im Wettkampf zu laufen. Ich mag es, dass sie mit ihrer Motivation die ganze Welt für den Laufsport inspirieren. Ich erwarte von ihnen alle eine gute Leistung und ich mag die Herausforderung, es mit ihnen aufzunehmen“, sagte Kipchoge in einem Interview mit Telecom Asia Sport.

Ein Leben in Disziplin und Weitsicht

Das Fundament seiner Träume bildet wie schon seit vielen Jahren seine unheimliche Hingabe dem Laufsport gegenüber und seiner vorbildlichen Disziplin im Training, indem jegliches Handeln einer übergeordneten Zielsetzung dient. „Du musst Disziplin haben – im Leben und im Training. Es gibt keine Abkürzungen im Leben. Zieh dein Training mit ganzem Herzen durch. Nur so kannst du wirklich erfolgreich sein“, lautet sein Rat an alle Läufer*innen.“ Sein Partner COROS hat in einem kürzlich veröffentlichen Artikel Einblicke in das Training der lebenden Marathonlegende gelegt. Ein Geheimnis: Kipchoges Longrun. 40 Kilometer, zum Beispiel in einem Tempo von 3:21 Minuten pro Kilometer auf einer keineswegs flachen Strecke im kenianischen Hochland. 181 Schritte, jede Minute. Wohlgemerkt: im Training. „Für mich bedeutet ein erfolgreicher Longrun, dass ich die Kraft in meinen Beine spüre, in der Lage bin, mit den Teamkollegen um mich herum hart zu puschen und mich auf den Rhythmus meines Atems zu konzentrieren. Es geht darum, viele Kilometer zu sammeln, um die Ausdauer aufzubauen.“ Den letzten Longrun hat Kipchoge genau zwei Wochen vor dem London Marathon absolviert.

Die langen Läufe sind Teil eines smarten Wochentrainingsplans für Kipchoge, welches ein ausbalanciertes Programm inklusive Geschwindigkeitseinheiten, Kräftigungs- und Mentaltraining beinhaltet. Die Longruns sind für ihn eine Art Generalprobe, ein Test, ob die Konditionierung von Körper und Geist die Basis für eine nachhaltige Leistungsentwicklung bilden würde. Hier hilft ihm ein Fokus auf das Ganze, nicht auf Teildaten. „Du wirst überrascht sein, wie viel dir sogar eine schlechte Trainingseinheit bringt. Du hast dich immer noch angestrengt, dein Körper hat eine Herausforderung gemeistert und musste lernen, mit deinem Geist zusammenzuarbeiten, um sie zu bewältigen“, rät er.

Ein Debüt lässt träumen

Der London Marathon 2025 ist wohl der erste Marathonlauf seit langer, langer Zeit, bei dem Eliud Kipchoge nicht als einer der Top- oder Mitfavoriten am Start geht. Vielleicht unterschätzen viele den 40-jährigen, zweifachen Olympiasieger zu früh. Wahrscheinlicher ist wohl, dass diese Einordnung angesichts der Konkurrenz realistisch ist. Aus einem ohnehin schon extrem starken Feld sticht ein Name hervor – und dieser Athlet ist noch nicht einmal einen Marathon gelaufen: Jacob Kiplimo.

Der Grund für eine Sonderportion an Vorfreude ereignete sich am 16. Februar. Jacob Kiplimo lief in Barcelona einen Halbmarathon in einer Zeit von 56:42 Minuten – 48 Sekunden schneller als der bisherige Weltrekord. Diese Leistung hievte nicht nur das Level im Halbmarathon in eine neue Dimension, sondern eröffnete auch einen neuen Spielraum für Gedankengänge hinsichtlich einer Aneinanderreihung zweier Halbmarathons zu einer wahnsinnig schnellen Marathonzeit. Denn der Halbmarathon-Weltrekord ist laut Performance Score von World Athletics der wertvollste im gesamten Laufbereich.

Ein Ausnahmetalent

Das britische Leichtathletik-Magazin „Athletics Weekly“ führte Anfang April ein Interview mit Giuseppe Giambrone, dem Förderer Kiplimos. Der Italiener trainiert eine Elitegruppe in den Hügeln der Toskana, das ugandische Ausnahmetalent kam bereits in Jugendjahren unter seine Fittiche. Etwas ältere Landsleute als Trainingskollegen halfen dem Jungspunt, sich wohlfühlen. Früh erkannte Giambrone das enorme Talent Kiplimos bei langen Läufen. Einen Halbmarathon in unter einer Stunde hätte der Rohdiamant bereits im Alter von 16 Jahren drauf gehabt – in der Ära vor den Superschuhen.

Als Eliud Kipchoge 2017, mit „Super-Nikes“ unter den Sohlen, in Monza die Zwei-Stunden-Marke angriff, war Giambrone, wie er in diesem Interview sagte, der festen Überzeugung, dass es für Kiplimo eines Tages möglich sein würde, 42,195 Kilometer in unter zwei Stunden zurückzulegen.

Marathon-Debüt mit 24

Kiplimo verließ Giambrone 2019 – damals war er 18 Jahre alt. Er bestach mit Crosslauf-WM-Silber 2019 hinter seinen Landsmann Joshua Cheptegei mit 18, als Halbmarathon-Weltmeister 2020 in Gdynia mit 19, als Halbmarathon-Weltrekordhalter mit 21, als zweifacher Crosslauf-Weltmeister mit 23. Angesichts dieser beeindruckenden Auflistung ist Kiplimos Erfolgsbilanz auf der Bahn beinahe bescheiden: Mehr als zwei Bronzemedaillen im 10.000m-Lauf (Olympia 2021 und WM 2022) stehen nicht zu Buche. Doch offenbar liegen seine Stärken auf der Straße. Ob auch im Marathon, wird der Sonntag möglicherweise schon weisen. Mit oder ohne Weltrekord. Oder träumt die Laufwelt gar von sub-2?

Beim gestrigen Medientermin in London war Jacob Kiplimo bemüht, die Erwartungshaltung zu bremsen. „Das erste Ziel lautet, bei meiner Premiere ein gutes Rennen zu zeigen. Ich ziele auf keine bestimmte Zeit ab, ich will mein Rennen bestreiten und mit einer guten Leistung vom Ziel weggehen“, sagte er. Am besten in den Top-Drei, fügte er an. Sein Trainer Iacopo Brasi, ein Italiener, schloss gegenüber „Let’sRun.com“ die Möglichkeit eines sub-2-Marathons für Sonntag aus, geht aber davon aus, dass Kiplimo in der Spitzengruppe laufen wird, die eine Halbmarathon-Durchgangszeit von 1:01:00 Stunden planen soll. Was diese Aussagen wirklich Wert sind, wird erst das Rennen zeigen – das im übrigen bei guten Bedingungen, vielleicht etwas hohe Temperaturen, über die Bühne gehen wird. Geäußerte Daten aus den Trainingsumfängen und Leistungen sind vielversprechend, doch Marathon sei ein Neuland für Körper und Geist.

Der Marathon der Stars

Kipchoge dagegen traut Kiplimo den großen Coup zu, zumindest generell. Es kann durchaus eine spannende Frage sein, wie die lebende Marathon-Legende am Sonntag mit dem Läufer mithalten kann, der die Zukunft des Marathons gestalten könnte. Wenn weitere Superstars wie Olympiasieger Tamirat Tola oder Valencia-Sieger Sabastian Sawe auch noch mitmischen. Und wenn die aktuellen Sieger des London Marathon, des Berlin Marathon und des New York City Marathon, wie „Let’sRun.com“ betont, noch nicht einmal zur ersten Reihe der Favoriten zählen. Dann könnte sich ein besonderer Marathon entwickeln.

Egal, wie es am Sonntag für Eliud Kipchoge ausgeht: Der London Marathon wird nicht sein letzter Marathonlauf als Spitzensportler sein. Am 31. August bestreitet er den Neo-World-Marathon-Major in Sydney.

Autor: Thomas Kofler
Bild: © COROS

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