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Der Olympische Traum von Raphael Pallitsch

Mit 34 ein Olympia-Neuling: Raphael Pallitsch krönt mit seinem Olympia-Start am Freitag seine starke Saison und damit auch seine Karriere. Mit dem Einzug ins Halbfinale liebäugelt er.
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Zwölf Jahre, nachdem sein Olympischer Traum haarscharf nicht in Erfüllung ging, erlebt Raphael Pallitschs zweite Karriere am Wochenende ihren Höhepunkt. Nach der souveränen Qualifikation für den wichtigsten Wettkampf der Sportwelt hat der Burgenländer sein großes Ziel erreicht. Und kann daher mit bester Stimmung auf den Wettkampf hinfiebern.

„Ein Vorlauf bei den Olympischen Spielen hat ungefähr die Qualität eines EM-Finals!“ So schildert Raphael Pallitsch (SVS Leichtathletik) seine Erwartungshaltung, bevor er am Freitag, je nach Auslosung, irgendwann in der letzten Vormittagsstunde an den Start des 1.500m-Vorlaufs geht. „Hier läuft niemand schwach, viele dafür extrem gut“, bekräftigt er. Dass der Österreicher mit seinem starken Endspurt international überzeugend performen kann, hat der 34-Jährige im Mai bei internationalen Meetings, darunter beim Rekordlauf in Ostrava, sowie bei den Europameisterschaften in zwei Fällen bewiesen. Erstens in der Hundertstelentscheidung des Vorlaufs, zweitens im EM-Finale, als er bis auf Platz sechs vorgespurtet ist und beinahe noch in die Medaillenregionen gekommen wäre.

© ÖLV / @ wolf.amri
Raphael Pallitsch
Alter: 34
Nationalität: Österreicher
Verein: SVS Leichtathletik
PB: 3:33,59 Minuten (ÖLV-Rekord, Ostrava 2024)
Weltranglisten-Position (Mittelstrecke): 25
Position in der Road to Paris (1.500m): 33
Erfolge:
Platz 6 bei der EM 2024
mehrfacher Staatsmeister

Zwei garantierte Starts

Aufgrund einer Neuerung, die Einführung der Hoffnungsläufe, wird Pallitsch mindestens zweimal am Start stehen. Im 15-köpfigen Vorlauf steigen die sechs Besten direkt in die Halbfinalläufe auf. Die anderen neun pro Lauf, also 27, werden in zwei Hoffnungsläufe gepackt, wo sie am Samstagabend über Umwege mit einer Top-Drei-Platzierung ins Halbfinale rutschen können.

Pallitsch ist von dieser Idee von World Athletics, die die alte Regelung mit dem Aufstieg über die Zeitregel („Q“ / „q“) ersetzen soll, nicht begeistert. „Die, die berechtigte Ambitionen für das Finale verfolgen, haben eh kein Problem. Die sind stark genug. Sportlich fragwürdig wäre, wenn manche, die in der Schlussrunde des Vorlaufs sehen, dass sie in schlechter Position sind, ,auslaufen’ und sich Energie für die Hoffnungsrunde sparen“, sieht er im Gespräch mit RunUp.eu eine Gefahr. Er selbst wolle ohne Gedanken an die Hoffnungsläufe den Vorlauf bestreiten und sich maximal gut präsentieren.

© Olaf Brockmann

Traum im zweiten Anlauf

Vor vielen Jahren war der Olympische Moment im Leben des jungen Raphael Pallitsch undenkbar. Im Alter von nur 25 Jahren beendete der hoffnungsvolle 800m-Läufer nach chronischen Schmerzen im Fuß seine Karriere. „Ich war bei Ärzten, habe unzählige Therapien probiert. Viele haben mir vorausgesagt, dass es mit meiner Sportkarriere zu Ende war“, blickte er in einem Porträt auf der Website des Österreichischen Olympischen Komitees (OÖC) auf diese Leidenszeit zurück.

Er akzeptierte sein Schicksal, begann als Lehrer zu arbeiten und machte Trainerausbildungen, bis er eine höhere Belastungsfähigkeit im Fuß bemerkte. Er entschloss sich, eine zweite Karriere zu starten und visierte die 1.500m als neue Disziplin an. Mit einer unstillbaren Leidenschaft zum Laufsport krempelte er sein Leben um und ging „all-in“. Stetig verbesserte er sich und qualifizierte sich 2023 für die WM in Budapest. Dann erfolgte der entscheidende Leistungssprung, der ihn näher an die kontinentale und globale Spitze heranführte.

„Mein heuriges Jahr ist einfach optimal verlaufen. Ich bin nur sehr ausgewählte Wettkämpfe gelaufen. In sechs Rennen bin ich dreimal unter dem alten ÖLV-Rekord geblieben und war EM-Sechster. Es war von A bis Z die perfekte Saison bisher, die Olympia-Qualifikation ist natürlich die Krönung“, fasste Pallitsch in einem Feature auf der Website des Österreichischen Leichtathletik-Verbandes (ÖLV) zusammen. Er hätte sich schon damit abgefunden, dass er nie bei Olympischen Spielen teilnehmen würde – jetzt ist der Traum doch noch Realität geworden.

Potenzial für Halbfinale

Pallitsch ist am Montag nach Paris geflogen und stimmt sich im Olympischen Dorf auf die kommenden Tage ein, inklusive Akklimatisierung an die hohen Temperaturen. „Auf engem Raum sind die besten Sportler*innen der Welt zusammen. Jede Laufrunde macht da besonders Spaß, weil man laufend bekannte Gesichter sieht“, berichtet er. Er genießt das Flair, auch wenn das Olympische Dorf eine „Retortenstadt“ sei, in der die neuen Gebäude auf die äußerste Funktionalität reduziert seien. Der letzte heimische 1.500m-Läufer in einem Olympischen Dorf war Andreas Vojta, der 2012 in London im Vorlauf ausschied. Als letzter heimischer Läufer zog Robert Nemeth 1980 in ein Olympisches Halbfinale über diese Distanz ein. Vor 124 Jahren, bei den zweiten Olympischen Spielen der Moderne und den ersten in Paris, lief Hermann Wraschtil auf Platz sechs ins Ziel – ein unerreichbarer Bestwert für Pallitsch nach realistischem Ermessen.

Bis zu seinem Vorlauf-Auftritt am Freitag am späten Vormittag in der allerersten Leichtathletik-Session im Stade de France vergehen also noch ein paar Tage für das finale Fine-Tuning. Das gilt auch für den Kopf: Pallitsch macht sich nach außen hin keinen Druck, dennoch ist ihm bewusst, dass viel auf dem Spielt steht. Chancenlos ist der Österreicher Richtung Halbfinale nicht. „Mein vorrangiges Ziel lautet, mein Potenzial abzurufen. Bei gutem Rennverlauf, warum nicht?“ Für ihn spreche ein stabiles, hohes Niveau über die gesamte Saison, darunter gleich drei 3:33er-Läufe. Und der Schlussspurt! „Natürlich hoffe ich auf meinen Schlussspurt. Je langsamer der Vorlauf wird, desto besser. Erstens, weil ich damit eine größere Chance auf eine starke Schlussrunde habe und zweitens, weil man dann insgesamt weniger Energie einsetzen muss.“ Der Glaube daran ist klein, Pallitsch erwartet ein schnelles Tempo in allen Vorläufen.

Das Olympische Programm im 1.500m-Lauf

  • Vorläufe: 2. August ab 11:10 Uhr (mit Raphael Pallitsch)
  • Hoffnungsrunde: 3. August ab 19:15 Uhr (mit Pallitsch, wenn er im Vorlauf nicht unter die Top-Sechs läuft)
  • Halbfinalläufe: 4. August ab 21:10 Uhr (im Qualifikationsfalle mit Pallitsch)
  • Finale: 6. August um 20:50 Uhr (im Qualifikationsfalle mit Pallitsch)

Endspurt als Ass im Ärmel

Spätestens mit seinem starken Lauf zum sechsten Platz bei den Europameisterschaften in Rom, der eine starke Laufzeit mit hohen Bonuspunkten für die Weltrangliste kombinierte, war die Olympia-Qualifikation über die Weltrangliste de facto gesichert. Dass der Burgenländer zweimal das Limit von 3:33,50 Minuten um Haaresbreite verpasst hat, fiel für den ÖLV-Rekordhalter somit nicht ins Gewicht. Als 33. der „Road to Paris“ ist er relativ locker ins 45-köpfige Feld gerutscht, in der Weltrangliste rangiert Pallitsch sogar auf Platz 25. Wobei zwei vor ihm Platzierte nicht in Paris sind, weil jeder Verband nur drei Sportler nominieren konnte. „Die Weltranglistenposition lebt von den Punkten. Das täuscht ein bisschen“, hält der Österreicher den Ball flach. Unter anderem sind zwei EM-Medaillengewinner von Rom in der Weltrangliste hinter ihm.

Die Leistungen bei den Europameisterschaften haben sich auch im Gedächtnis der Konkurrenz verankert, besonders entscheidende Teilzeiten in der Schlussphase des Finallaufs. Dass dieses Wissen die Konkurrenz in ihren Taten in Paris beeinflusst, glaubt der Österreicher nicht: „Dafür bin ich in der Entry List zu weit hinten, als dass jemand speziell auf mich Rücksicht nehmen würde.“ Anders sei dies vielleicht, wenn inklusive ihm noch ein oder zwei Spezialisten für schnelle Zielgeraden in einen Lauf gelost werden. Kombiniert mit 2-3 großen Namen, die das Niveau für eine lockere Halbfinalqualifikation haben, hätte das möglicherweise Auswirkungen auf die Renngestaltung.

Ein Monat in der Höhe

Pallitsch ist glücklich damit, nach Rom entschieden zu haben, keine Wettkämpfe mehr zu bestreiten und auf ein Höhentrainingslager zu setzen. Nach einigen Tagen in Österreich, wo er nach der EM sofort das Trainingsvolumen hochfuhr, reiste er nach St. Moritz, ehe er vor dem Flug nach Paris noch eine Woche in der Ebene verbrachte, um sich zu akklimatisieren. „Abgesehen von einigen orthopädischen Problemen mit dem Fuß, die ich soweit im Griff habe, bin ich sehr zufrieden mit meiner Verfassung. Ich fühle mich auf dem gleichen Niveau wie in Rom – also genau jenes Niveau, das ich mir sorgfältig über viele Monate erarbeitet habe“, schätzt er.

Dass sein letzter Wettkampf vor den Olympischen Spielen über eineinhalb Monate zurückliegt, sieht er nicht als Nachteil: „Ganz im Gegenteil: Wenn man von Wettkampf zu Wettkampf reist, ist man im Rennmodus. Aber das kostet Energie: die Reisen, die Nervosität, die Rennhektik, die Begleiterscheinungen. Ich konnte mich wochenlang auf das Training fokussieren. Außerdem bin ich jemand, der immer auf hohem Niveau in eine Saison startet. Also brauch ich keine Angst haben, dass die fehlende Wettkampfpraxis ein Problem sein könnte.“

RunUp-Lesetipp: Das Duell um Gold im 1.500m-Lauf

Man trifft sich in St. Moritz

Die Planung mit An- und Abreise in die und von der Höhe war genau getimt. „Ich bin ein starker Responder“, erzählt Pallitsch, dass der Wechsel in die Höhe bei ihm tagelang sofortige Leistungseinbußen auslöst. Nach „vielen guten Trainingseinheiten“ verließ er die Höhenlage in den Schweizer Alpen übermüdet, der Rebound-Effekt des Höhentrainingslagers stellt sich verzögert ein. „Ganz in dieser Phase bin ich gerade, ich spüre jetzt die Effekte des Trainings in der Höhe.“

Trainiert hat der Autodidakt auf Basis seiner Erfahrungswerte, unmittelbar vor Olympia war nicht der Zeitpunkt, Neues auszuprobieren. Aufgrund einiger Beschwerden war der Anteil an Alternativtraining hoch. „Alternativtraining ist aber immer ein wichtiges Element in meinem Trainingsrhythmus“, meint der 34-Jährige. St. Moritz hat aber auch den Vorteil der Orientierung. Weit über die Hälfte des Olympischen Starterfeldes im 1.500m-Lauf trainierte zuletzt dort. „Klar spechtelt man zu den anderen, wenn man selbst mal Pausen hat, wie zum Beispiel beim Intervalltraining“, so Pallitsch. Direkten Austausch gebe es auf der Anlage freilich keinen, maximal abseits des Trainings bei einem Kaffee.

Hoffen auf das Halbfinale: „Spitz auf Knopf“

In Paris vereint das Feld eine kollektive Zielsetzung: Jeder will das Beste aus sich herausholen. Vorleistungen und Vorbereitung sind ab dem Startschuss Theorie, auf der Olympischen Bühne geht es um die praktische Umsetzung der Fähigkeiten. „Es geht Spitz auf Knopf!“, bedient Pallitsch mit Blick auf die Aufstiegschance einer Metapher auf einer anderen Olympischen Sportart, dem Fechten.

Bei der EM in Rom waren die Hundertstelsekunden auf seiner Seite. „Es gibt keinen Grund, warum das nicht noch einmal so sein sollte. Ich sehe diese Nuancen schließlich nicht als Folge von Glück, sondern als Folge von Erarbeitetem.“

Autor: Thomas Kofler
Bild: Olaf Brockmann

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