Zuweilen erscheinen Fakten aus dem Kuriositätenkabinett, doch tatsächlich hat Eliud Kipchoge, der Olympiasieger von Rio 2016 und Tokio 2020, das Limit für die Olympischen Spiele von Paris 2024 noch nicht unterboten. Im Gegensatz zu mehr als drei Dutzend kenianischen Laufkollegen, die damit gegenwärtig theoretisches Anrecht auf eine der drei Nominierungsmöglichkeiten des nationalen Verbands hätten, und im Gegensatz zu mehreren Dutzend Athleten weltweit in der bereinigten Qualifikationsliste. Die statistische Kuriosität mag eine Momentaufnahme sein und am Sonntag vor Mittag hinfällig, vielleicht aber war dieses kleine Manko mit ein Grund für Kipchoges Entscheidung, neuerlich in seinem sportlichen Wohnzimmer anzutreten.
Rekordsieg als Ziel
Es ist sein sechstes Antreten beim größten Marathon Deutschlands, viermal hat er gewonnen, zweimal mit einer Verbesserung des Weltrekords, einmal mit heraushängender Zwischensohle und 2013, in seinem zweiten Marathon überhaupt, kam er beim Weltrekordlauf von Wilson Kipsang als Zweiter ins Ziel. Die Trauben hängen hoch, noch einmal einen Weltrekord zu laufen, ist angesichts der Marke von 2:01:09 Stunden im Alter von fast 39 Jahren eine schwierige Zielsetzung. Statistisch lukrativ wäre auch der fünfte Berlin-Sieg, womit Kipchoge zum alleinigen Rekordsieger des Events vor Haile Gebrselassie werden würde. Jedenfalls wird Eliud Kipchoge als großer Star des Events präsentiert und zelebriert, der Größte des Marathonsports in seiner Geschichte. Als Persönlichkeit, Vorbild und Inspiration für Millionen Läuferinnen und Läufer weltweit.
Neue Kollektion und ein Wunsch an die Welt
Erst im Sommer lancierte sein Sponsor Nike eine neue Kipchoge-Kollektion (EK Umoja Collection, Umoja bedeutet „Einheit“ auf Swahili). Die Kollektion ehrt das sportliche Erbe des Kenianers und blickt auf die ersten 20 Jahre seiner spitzensportlichen Karriere zurück, die ihren ersten Höhepunkt mit dem WM-Titel im 5.000m-Lauf in Paris 2003 erfuhr. Sie repräsentiere die Entwicklung als Lauffamilie und Laufcommunity gemeinsam mit seinem Ausstatter, meint Kipchoge. Der Marathon-König mit seinem Motto „No Human Is Limited“ nutzte die Gelegenheit auch gleich und philosophierte öffentlichkeitswirksam über seinen Traum einer Welt, in der Laufen eine Hauptrolle einnimmt. „Eine Laufwelt ist eine gesunde Welt. Eine Laufwelt ist eine friedliche Welt. Eine Laufwelt ist eine glückliche Welt.“ Sein purer Optimismus spiegelt sich in einem weiteren Zitat wider: „Stellen wir uns vor, in einem Garten zu stehen. Lasst uns doch auf die Blumen fokussieren, nicht auf das Unkraut.“
Motivation für einen aktiven Lebensstil
Im Bestreben, Laufen als Mittel in der Gesellschaft einzusetzen, um das Leben zu verbessern, findet Kipchoge im Veranstalter des Berlin Marathon einen Mitstreiter. Vor der 49. Auflage des Traditionsevent legt legt SCC Events großen Wert darauf, den Berlin Marathon als vorbildliche Initiative für junge Menschen und Nachhaltigkeit zu setzen. „Das Thema Bewegungsmangel ist in aller Munde“, erklärte Jürgen Lock, Geschäftsführer der SCC Events in Berlin vor Medienvertretern. „Wir wollen Menschen motivieren und sie für einen aktiven Lebensstil begeistern. Dabei gilt es immer wieder zu betonen, dass auch eine Marathonzeit von fünf Stunden eine tolle Leistung ist.“
Lauffeiertag um Kipchoge
Im Vorfeld seines sportlichen Auftritts hielt sich Kipchoge mit seinen Emotionen zurück. Er habe den Berlin Marathon gewählt, weil es für ihn ein spezieller Ort sei und weil er die optimalen Bedingungen auf dem Weg zum Ziel, zum dritten Mal Olympiasieger zu werden, vorfindet. Das gab er bei der Bekanntgabe seiner Wettkampf-Pläne für den Herbst zu Protokoll. Vor Berlin beschwichtigte der Kenianer, wohl auch mit der Niederlage beim Boston Marathon im Frühjahr im Hinterkopf, er habe mit seinem Team und hohem Vertrauen in sein System den Berlin Marathon vorbereitet. Business as usual. In einem Interview auf der Plattform „View from the Concourse“ betonte er fast demonstrativ sein Vertrauen in Patrick Sang, seinem Langzeit-Erfolgstrainer. Bei der heutigen Pressekonferenz in Berlin hielt sich Kipchoge mit konkreten Aussagen zurück. „Ich bin nervös“, verriet er. „Aber das zeigt, dass ich bereit bin.“
In Kenia herrscht sicher große Aufregung, die nationale TV-Übertragung des Berlin Marathon wird zum Straßenfeger werden. Sogar der deutsche Botschafter in Nairobi nützte diese Euphorie für einen Auftritt beim übertragenden TV-Sender, um Werbebotschaften der Hauptstadt seines Heimatlandes zu verstärken. Und natürlich auch politischer Aktivitäten, wie Investitionen in die Ausbildung kenianischer Jugendlicher, im 60. Jahr der Unabhängigkeit der kenianischen Nation. Am Wochenende reißt er nach Eldoret, sozusagen ins Zentrum der kenianischen Lauf-Aktivitäten und -Euphorie. Die Public Viewings der großen Marathon-Ereignisse in Eldoret sind legendär und erinnern beispielsweise an jene in Berlin während der Fußball-WM 2006.
BMW Berlin Marathon