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Ein hochkarätiges Marathon-Feld der Frauen sollte beim gestrigen London Marathon den Weltrekord für Marathonrennen, in denen keine männlichen Tempomacher und Begleitläufer zum Einsatz kommen, verbessern. Die Mission gelang der Olympiasiegerin Peres Jepchirchir, die im Duell mit der Weltrekordhalterin Tigst Assefa die Oberhand behielt.
Nur das über allem stehende Großereigns Olympische Spiele wird im Jahr 2024 die Qualität des London Marathon der Frauen noch übertreffen können. Das „Who is Who“ der Weltklasse war nämlich bis auf wenige Ausnahmen (z.B: Europarekordhalterin und Vorjahressiegerin Sifan Hassan) gestern in der britischen Hauptstadt auf der Strecke, um sich vor den Olympischen Spielen von Paris im Sommer in Position zu bringen.
Der Veranstalter lagerte das Eliterennen der Frauen aus dem Rennen aus, denn das Ziel war der so genannte „Women’s Only“-Weltrekord von Mary Keitany, die 2017 unter vergleichbaren Voraussetzungen eine Zeit von 2:17:01 Stunden gelaufen ist. Die Mission glückte, Peres Jepchirchir siegte in einer Zeit von 2:16:16 Stunden. Das ist nicht nur die 14.-schnellste Marathonzeit der Geschichte, sondern die zweitschnellste je beim prestigeträchtigsten Frühjahrsmarathon der Welt erzielte Siegerinnenzeit. Nur Paula Radcliffe war bei ihrem frenetischen Sieg in 2:15:25 Stunden im Jahr 2003, freilich mit männlichen Tempomachern, schneller.
Im Oktober 2019 startete Peres Jepchirchir eine beeindruckende Siegesserie, die mit der Ausnahme eines abgebrochenen Halbmarathons zweieinhalb Jahre andauerte. Damals war die Kenianerin die Nummer eins in der Szene, wurde Halbmarathon-Weltmeisterin 2020 und gewann u.a. drei der bedeutendsten Marathons der Welt: Valencia, New York und Boston. Die Krönung gelang allerdings am 7. August 2021: Jepchirchir wurde im Duell mit ihrer Landsfrau Brigid Kosgei, damals Weltrekordhalterin, Olympiasiegerin in der Hitze von Sapporo (siehe Foto).
Dann holten sie diverse kleine Verletzungen aus dieser Siegesserie heraus, erst im Oktober 2023 gelang mit dem dritten Gewinn der Goldmedaille bei den Weltmeisterschaften im Halbmarathon ein neuerlicher Top-Erfolg. Mit dem Sieg beim gestrigen London Marathon in neuer persönlicher Bestleistung ist Jepchirchir wieder zurück in der absoluten Weltklasse. Auch, weil die 30-Jährige Weltrekordhalterin Tigst Assefa im Endspurt keine Chance ließ. Der London Marathon sprach in einer Aussendung von einem spannenden Gerangel in der Schlussphase, an das man sich noch Jahrzehnte erinnern werde – verschärft durch den Gegenwind in der entscheidenden Rennphase.
Angesichts der hochklassigen Besetzung des London Marathon hat Athletics Kenya wohl festgelegt, die Siegerin des London Marathon fix für die Olympischen Spiele in Paris zu nominieren. Dort wäre Peres Jepchirchir angesichts dieser Leistung wieder zum absoluten Favoritenkreis zu zählen. Zumal von den anderen Top-Kenianerinnen gestern lediglich Joyciline Jepkosgei als Dritte in 2:16:24 Stunden, ebenfalls persönliche Bestleistung, überzeugen konnte. Dagegen erlitten Brigid Kosgei und Ruth Chepngetich als dritt- und viertschnellste Marathonläuferinnen der Geschichte empfindliche Niederlagen: Kosgei als Fünfte in 2:19:02 Stunden und Chepngetich als Neunte in 2:24:36 Stunden. Beide dürften in der Nominierungsstrategie des kenianischen Verbandes nun weit abgerutscht sein. Boston-Champion Hellen Obiri hat wohl wie Jepchirchir beste Karten für eine Nominierung in der Hand.
Mit dem Triumph in London gehört Jepchirchir zu einem erlauchten Kreis, wie „Let’sRun.com“ berichtet: Nur Ingrid Kristiansen, Margaret Okayo und Edna Kiplagat konnten wie sie die Marathons von New York, Boston und London gewinnen.
Klammert man ihr nicht repräsentatives Marathon-Debüt 2022 in Riad aus, wo sie anscheinend nicht in entsprechender Verfassung war, ist der London Marathon 2024 für Tigst Assefa tatsächlich historisch. Nämlich der erste Marathon, den die 26-jährige Ausnahmeläuferin nicht gewinnen konnte. Es war auch ihr langsamster hinter den beiden Berlin-Triumphen, angesichts der Leistung von 2:16:23 Stunden klingt das absurd.
Als zweite Äthiopierin glänzte Megertu Alemu als Vierte mit einer persönlichen Bestleistung von 2:16:34 Stunden. Nie in der Geschichte des Marathonlaufs waren eine Dritt- und Viertschnellste im Resultat mit so schnellen Zeiten verzeichnet. Nie zuvor liefen vier Läuferinnen im selben Marathon unter 2:17 Stunden. Freilich war nie zuvor ein Marathon-Feld auf dem Papier so gut besetzt wie der London Marathon 2024, was sich auch in der Halbmarathon-Zwischenzeit für die große Spitzengruppe von 1:07:04 Stunden widerspiegelt.
Star des Rennens bei den Männern war der 41-jährige Kenenisa Bekele. Der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister auf der Bahn startete zum sechsten Mal beim London Marathon, nie war er so rasch im Ziel wie dieses Mal. In einer Zeit von 2:04:15 Stunden verbesserte er seinen eigenen Masters-Weltrekord um vier Sekunden. Nur sein erster London-Sieg gelang dem Äthiopier nicht, obwohl er ab Kilometer 35 ein paar Minuten alleine an der Spitze lag. Alexander Mutiso, einer der besten jungen Marathonläufer der Welt, holte ihn noch ein und setzte sich auf den finalen Kilometer durch – Siegerzeit: 2:04:01 Stunden.
Kenenisa Bekele, der auf den letzten Kilometern etwas Zeit einbüßte, jagt in hohem Sportleralter seinem Traum, erstmals als Marathonläufer an Olympischen Spielen teilzunehmen. 2016 wurde er vom äthiopischen Verband durchaus überraschend nicht nominiert, was zu nachhaltiger Missstimmung führte. Vor den Spielen in Tokio gab es ebenfalls Querelen, Bekele missachtete die Qualifikationskriterien des Verbandes, war zu dieser Zeit aber auch nicht in Topform. Ob seine eindrucksvollen Leistungen in Valencia und London nun für eine Nominierung reichen, wird sich zeigen – die Konkurrenz in Äthiopien ist enorm. An Sisay Lemma, Sieger in Valencia und Boston, führt realistischerweise kein Weg vorbei. Im Kampf um die beiden weiteren Startplätze liegen vier Landsleute Bekeles mit besseren Zeiten im „Road to Paris“. Aus diesem Kreis kann Tamirat Tola zudem mit einem überlegenen Triumph beim New York City Marathon 2023 argumentieren. Gestern erlitt der 32-Jährige eine deftige Niederlage und musste aussteigen.
Hoffnungen auf eine Olympia-Teilnahme im kenianischen Team kann sich Alexander Mutiso nach seinem London-Sieg auch machen, die Konkurrenz in Kenia ist möglicherweise noch einen Tick härter als in Äthiopien. Aber Mutiso ist einer der schnellsten Halbmarathonläufer der Welt und hat in allen vier seiner Marathonläufe überzeugt, darunter fallen Siege in Prag 2023 und London 2024 sowie sub-2:03-Resultate in Valencia. Summasummarum: überzeugende Argumente!
Eine Marathon-Hälfte von 1:01:29 Stunden ist in der Neuzeit des Marathons keine wundersame Taktik. Trotzdem konnten nur zwei Läufer aus dem afrikanischen Elitefeld das Tempo annähernd halten. Alle anderen fielen weit zurück oder gaben das Rennen auf. Das ermöglichte den Briten eine tolle Bühne. In seinem erst zweiten Marathon verbesserte sich Emile Cairess auf eine Zeit von 2:06:46 Stunden und belegte als erster Lokalmatador seit Mo Farah 2018 beim London Marathon einen Stockerlplatz. Nicht minder erfolgreich war das Rennen für Mahamad Mahamad, der sich auf eine Zeit von 2:07:05 Stunden steigerte.
Das ist entscheidend für die Olympia-Qualifikation: Cairess hatte die schon in der Tasche, Mahamad nicht und er übernimmt nun den dritten Startplatz für die Briten. Der Dritte im Bunde ist Philipp Sesemann, der das Olympia-Limit in Sevilla geknackt hat. Damit sind 70 der 80 Startplätze für den Männer-Marathon durch die Direktlimits vergeben, noch zwei Wochen lang ist der Qualifikationszeitraum geöffnet.
Die beiden deutschen Marathonläufer Hendrik Pfeiffer und Johannes Motschmann erreichten das Ziel des London Marathon auf den Positionen sieben und neun, im Falle von Motschmann in einer persönlichen Bestleistung von 2:10:39 Stunden. Pfeiffer schaffte das Kunststück, genau nach 2:10 Stunden zu finishen.
Seit einigen Jahren führt der Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) im Straßenlauf der Frauen zwei offizielle Weltrekorde. Einen allgemeinen und einen für Frauen-Rennen. Der Unterschied ergibt sich aus der Präsenz von männlichen Tempomachern und Begleitläufern in gemischten Rennen, was ein wesentlicher Vorteil ist. Mit der Einführung der „Women’s Only“-Kategorie bleiben Leistungen aus reinen Frauenrennen besser vergleichbar.
Der Marathon-Weltrekord der Frauen liegt bei einer Zeit von 2:11:53 Stunden und wird von Tigst Assefa gehalten. Der „Women’s Only“-Weltrekord steht nun bei einer Zeit von 2:16:16 Stunden.
Autor: Thomas Kofler
Bild: © SIP / Johannes Langer – Peres Jepchirchir bei den Olympischen Spielen 2021.