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Die Qual der Wahl bei Olympia-Nominierungen

In Australien, Großbritannien und Schweden sorgte die Olympia-Nominierung aus unterschiedlichen Gründen für große Diskussionen.
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In Österreich war die Nominierung für die Olympische Marathonläufe kein großer Aufreger. Julia Mayer hat als einzige die Qualifikation geschafft und wird die rot-weiß-roten Farben unter den Olympischen Ringen in Paris vertreten. In einigen Nationen schafften mehr als die drei Startberechtigten die Direkt-Qualifikation über das Olympia-Limit. Die nationalen Verbände standen vor einer Qual der Wahl. Nicht überall ging die Nominierung ohne Proteste über die Bühne.

Beim Osaka Marathon im Februar 2023 lief Lisa Weightman den schnellsten Marathon ihrer Karriere, sage und schreibe im Alter von 44 Jahren. Mittlerweile hat sie vier Leistungen unter 2:25 Stunden zu Buche stehen, alle erzielt in den letzten beiden Jahren. Die jüngste war eine von 2:24:43 Stunden, neuerlich in Osaka. Trotz ihres Alters fühlte sich Weightman in der Blüte ihrer Karriere und rechnete fix mit einer Nominierung für die Olympischen Spiele, die wohl ein letzter Höhepunkt ihrer sportlichen Laufbahn hätte sein sollen. Denn nur die bereits 46 Jahre alte australische Rekordhalterin Sinead Diver und Genevieve Gregson erzielten im Olympia-Qualifikationszeitraum noch schnellere Zeiten als sie.

Doch der Traum von der fünften Olympia-Teilnahme platzte, weil der Australische Leichtathletik-Verband (Athletics Australia) eine andere Nominierungsentscheidung traf und der arrivierten Athletin Jessica Stenson vor die Nase setzte. Die mittlerweile 45-Jährige reagierte bitterlich enttäuscht und prangerte die spezifische Nominierungspolitik des nationalen Verbandes öffentlich an. Auch, weil in sozialen Netzwerken befeuert von ihrem Ehemann die Wogen hochgingen, schlug der Fall in der australischen Medienlandschaft hohe Wellen.

Die nicht einfache Entscheidung

Im Qualifikationszeitraum für Paris 2024 unterboten sechs australische Marathonläuferinnen das Limit von 2:26:50 Stunden, womit sich Athletics Australia die Qual der Wahl bot. Eine Variante, an die sich etliche Verbände orientierten, wäre gewesen, die Athletinnen mit den schnellsten drei Zeiten zu nominieren. Die Vergleichbarkeit hat hier auch Tücken, schließlich ist auch unabhängig der Wetterbedingungen kein Rennverlauf mit dem anderen vergleichbar und eine schnelle Zeit bei einem Marathon ohne superschneller Strecke ist möglicherweise höher einzuschätzen als eine etwas schnellere auf den Topstrecken wie Valencia, Berlin oder Chicago. Außerdem ist der Qualifikationszeitraum im Marathon mit über eineinhalb Jahren lang und fallweise ein schlechter Indikator für die gegenwärtige Verfassung.

Weightmans Leistung von 2:23:15 Stunden war die drittschnellste australische im Qualifikationszeitraum hinter Sinead Diver (2:21:34, Valencia 2022), Genevieve Gregson (2:23:08, Valencia 2023), aber noch vor Isobel Batt-Doyle (2:23:27, Valencia 2023), Jessica Stenson (2:24:01, Daegu 2024) und Eloise Wellings (2:25:47, Valencia 2023). Möglicherweise war der Triumph bei den Commonwealth Games 2022 in Birmingham von Stenson ausschlaggebend für die Entscheidung des australischen Verbandes zu ihren Gunsten. Stenson, die unter ihrem Mädchennamen Trengove besser bekannt ist, lief am 7. April, vier Wochen vor dem Ende des Qualifikationszeitraums, beim Daegu Marathon in Südkorea eine Zeit von 2:24:01 Stunden, nur sechs Monate nach der Geburt ihres zweiten Kindes.

Verzicht auf Klage

Nachdem die erste Welle des Frusts verflogen war, verzichtete Weightman auf einen Einspruch gegen den Australischen Leichtathletik-Verband vor dem Obersten Internationalen Sportgericht in Lausanne (CAS). Wohl auch, weil ihr Verfahrenskosten in Höhe einer vierstelligen Summe gedroht hätten. Nachdem sie bereits umgerechnet mehrere Tausend Euro in die Verhandlung des australischen Sportgerichts investiert hatte, der ihr übrigens Recht gab. Weightman wäre die erste australische Leichtathletin mit fünf Olympia-Teilnahmen geworden. Bei den bisherigen, alle im Marathon, schnitt Weightman stets respektabel ab: 16. in London 2012, 26. in Sapporo 2021, 31. in Rio de Janeiro 2016, 33. in Peking 2008. Bei Commonwealth Games holte sie 2010 und 2018 jeweils eine Medaille für Australien.

Ehemalige Weltrekordhalterin verpasst Olympia

Eine Änderung aus unzweifelhaften Gründen gibt es im kenianischen Marathon-Team der Frauen. Ex-Weltrekordhalterin Brigid Kosgei, die trotz ihrer Erfolge, darunter die Olympische Silbermedaille 2021, durchaus etwas überraschend genannt wurde – überraschend deshalb, weil das Niveau im kenianischen Marathonlauf in den letzten zwei Jahren bei den Frauen absurd hoch war, musste ihren Olympia-Start aus gesundheitlichen Gründen absagen. Laut kenianischen Medienberichten plagt sich die 30-Jährige mit anhaltenden Beschwerden an der Achillessehne und ist aus dem kenianischen Vorbereitungscamp abgereist. Der kenianische Verband (Athletics Kenya) reagierte umgehend und nominierte die in den USA lebende Sharon Lokedi nach. „Für mein Heimatland und meine Karriere will ich mein Herz auf der Strecke lassen“, sagte die 30-Jährige gegenüber der kenianischen Tageszeitung „The Star“. „Für mich geht ein Traum in Erfüllung.“

Lokedi hat 2022 den New York City Marathon gewonnen und überzeugte im Frühling als Zweite beim Boston Marathon, wo sie sich lediglich ihrer Landsfrau Hellen Obiri geschlagen geben musste. Obiri war als Siegerin der prestigeträchtigen Marathonläufe in New York und Boston ebenso im kenianischen Team gesetzt wie Peres Jepchirchir, Marathon-Olympiasiegerin von Sapporo 2021.

Happy-End für Catrileo und Co.

Wichtige Änderungen weist auch die finale Qualifikationsliste für den Olympischen Marathon der Männer auf. Aufgrund einiger Doppelnennungen für diverse Bewerbe stockte der Leichtathletik-Weltverband innerhalb des vom IOC verfügbaren Athleten-Kontingents das Starterfeld im Marathon von 80 auf 84 Athleten auf, wodurch vier Athleten über die Weltrangliste nachrückten. Die Profiteure: Hugo Catrileo aus Chile, Elroy Gelant aus Südafrika, Liam Adams aus Australien und der Dritte der US-Trials, Leonard Korir. Davor hatten die Verbände aus den USA und Australien massiven Druck auf World Athletics ausgeübt.

Britische Athlet*innen frustriert

Auch abseits Australiens und abseits der Marathon-Bewerbe gab es eine diskussionswürdige Nominierungsentscheidungen. Nicht zum ersten Mal leiden britische und schwedische Leichtathlet*innen darunter. Der britische Sport hat sich schon vor Jahren dazu entschieden, tendenziell kleinere Teams zu Olympische Spiele zu schicken und sich mehr auf jene Sportler*innen zu konzentrieren, die Chancen auf gute Platzierungen haben. Das wirkt sich enorm auf die britische Sportförderung aus, die weit weniger großflächig über die Sportlandschaft ist wie in Vergleichsländern wie zum Beispiel Deutschland. In der Leichtathletik gehört Großbritannien zu den Top-Nationen Europas und verfügt über einen beträchtlichen Pool an Athlet*innen, die in Paris um die Medaillen und um die Finalplätze kämpfen können. „Es geht uns darum, den Fokus darauf zu legen, wo wir Medaillen gewinnen können. Somit können wir die Ressourcen in die richtigen Bahnen lenken“, sagt Jack Buckner, Geschäftsführer des in schweren finanziellen Turbulenzen befindlichen britischen Leichtathletik-Verbandes (UK Athletics).

Eine Nicht-Berücksichtigung von qualifizierten Athlet*innen scheint allerdings aufgrund der deutlich strengeren Qualifikationskriterien im Vergleich zu den letzten Olympischen Spielen hart. Besonders die Direktlimits sind derartig hoch angesetzt, dass nur die Allerbesten mit der Unterbietung kalkulieren können und abseits dessen Glück bei der Auswahl von Wettkämpfen, Einladungen zu Meetings und Rennverläufen eine Rolle spielen können. Einige britische Athletinnen haben laut eines Berichts der britischen Tageszeitung „The Telegraph“ frustriert ihr Karriereende angekündigt, weil sie vom Verband nicht für Paris 2024 berücksichtigt wurden, trotz erfolgreicher Qualifikation. Zu den „Opfern“ gehören alle drei britischen Hindernisläufer, darunter Zak Seddon, der im „The Telegraph“ sagt: „Das macht keinen Sinn. Du bist gut genug für Olympia, aber nicht für Großbritannien. Wir alle ordnen in unserem Leben alles dem Sport unter und können nicht zum Höhepunkt, obwohl wir es uns verdient haben.“ Seddon hätte wie Phil Norman und William Battershill die Qualifikation über die Weltrangliste haarscharf geschafft. So lag das Trio etwa vor dem entthronten Europameister Topi Raitanen, der im Gegensatz zu ihnen unverhofft doch nach Paris reisen kann.

Déjà-vu für Ngarambe

Im größten skandinavischen Land beschwerte sich Mittelstreckenläuferin Yolanda Ngarambe darüber, dass sich das Schwedische Olympische Komitee (SOK) gegen ihre Nominierung entschied. Obwohl sie das Direktlimit von 4:02,50 Minuten mit einer Saisonbestleistung von 4:05,19 Minuten bis Ende des Qualifikationszeitraums klar verpasst hat, hat sie die Qualifikation über die Weltrangliste locker geschafft. Für die EM-Zehnte von Rom 2024 ist die Entscheidung besonders bitter, schließlich wurde sie auch schon für die Olympischen Spiele von Tokio nicht nominiert, obwohl sie die sportliche Qualifikation geschafft hatte. Die Formentwicklung stimmte auch, Anfang Juli gelang in Hengelo eine Saisonbestleistung von 4:04,50 Minuten, nur eine Sekunde über ihr von der WM 2019 stammenden persönlichen Bestleistung. Und mit 32 Jahren wären die Spiele von Paris möglicherweise ihre letzte Möglichkeit eines Auftritts unter Olympischen Ringen gewesen.

Die schwedischen Verantwortlichen nominieren traditionellerweise aggressiver als andere Athlet*innen nur bei entsprechenden Erfolgschancen oder Entwicklungspotenzial aufgrund ihres Atlers. Darunter fallen neben der Erfüllung des Direktlimits Top-Platzierungen bei früheren globalen oder kontinentalen Meisterschaften sowie andere Spitzenresultate bei wichtigen Wettkämpfen, wie das „Canadian Running Magazine“ unter Berufung auf den Schwedischen Leichtathletik-Verband schrieb. „Ich habe die Qualifikation geschafft, es macht keinen Sinn, mich nicht zu nominieren“, schimpfte die amtierende schwedische Meisterin in sozialen Netzwerken.

Top-Europäer schauen durch die Finger

Ngarambe teilt das Schicksal mit den Hindernisläufern Simon Sundström und Emil Blomberg, die die Qualifikationskriterien ebenfalls über die Weltrangliste von World Athletics geschafft haben und ebenfalls nicht nominiert wurden. Sundström und Blomberg lagen in der Weltrangliste deutlich vor dem britischen Trio, konnten aber das saftige Limit von 8:15,00 Minuten in diesem Frühsommer jeweils knapp nicht unterbieten. Bei den Europameisterschaften in Rom überzeugte das Duo freilich nicht. In der Europarangliste liegen die beiden übrigens auf den Positionen sechs und neun. Das heißt: Zwei der zehn besten europäischen Hindernisläufer müssen die Olympischen Wettkämpfe vor dem Fernseher anschauen.

Olympia-Qualifikation

Mit einer Verschärfung der Direktlimits versuchte World Athletics zu erreichen, dass sich 50% der Teilnehmer*innenfelder über das Unterbieten der Limits und 50% über die Weltranglistenpunkte qualifizieren. Während im Marathon der Frauen etwa sogar mehr als alle verfügbaren Startplätze über das Limit von 2:26:50 Stunden weggingen, gelang das Verhältnis etwa im 3.000m-Hindernislauf der Männer wie gewünscht.

Autor: Thomas Kofler
Bild: © Dan Onaca / Pixabay

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