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Es war die Aufsehen erregendste Szene im Rahmen des 41. Silvesterlaufs BoClassic in Bozen. Die junge Äthiopierin Netsanet Gudeta und Janet Kisa beschleunigten plötzlich rasant und lieferten sich einen energischen Zwischensprint. Was für den allgemeinen Beobachter höchst ungewöhnlich war, war…
Es war die Aufsehen erregendste Szene im Rahmen des 41. Silvesterlaufs BoClassic in Bozen. Die junge Äthiopierin Netsanet Gudeta und Janet Kisa beschleunigten plötzlich rasant und lieferten sich einen energischen Zwischensprint. Was für den allgemeinen Beobachter höchst ungewöhnlich war, war für die beiden bitterer Ernst: Sie glaubten, bereits nach drei von vier Runden das Ziel erreicht zu haben, und blieben beide folgerichtig hinter der Ziellinie stehen – ein Zielsprint voller Irrtum.
Lustigerweise hatte keine der beiden Läuferinnen nach dem vermeintlichen Zielsprint gejubelt. Vielleicht hatten sie in Ermangelung eines Zielbandes auch nicht genau gewusst, wer denn als Erste die Ziellinie passiert hatte. Erst die Zuschauer und ein Streckenposten animinierten die beiden Afrikanerinnen mit eindeutigen Gesten zum Weiterlaufen und so fügten sie auch noch eine vierte der 1.250 Meter langen Runde durch die beschauliche Bozner Altstadt an, um auf die vorgesehene Distanz von fünf Kilometern zu kommen. Dabei reagierte Netsanet Gudeta bei der Wiederaufnahme des Rennens einen Tick schneller und erarbeitete sich so einen kleinen Vorsprung auf ihre Rivalin. Doch die Vorjahressiegerin gab noch nicht auf und fand zu Mitte der letzten Runde wieder den Anschluss. Als die Äthiopierin, im März Bronzemedaillengewinnerin bei den Crosslauf-Weltmeisterschaften in China, dann allerdings rund 300 Meter vor dem Ziel noch einmal merklich beschleunigte, war die Vorentscheidung gefallen. Der zweite und bedeutende Zielsprint gehörte dann ganz alleine ihr. „Ich wollte von Beginn an einen hohen Rhythmus laufen, um die Gruppe auseinander zu reißen. Ich wollte mich mit einer guten Leistung auch für die Einladung zu diesem fantastischen Rennen bedanken“, zeigte sich die 23-Jährige im Siegerinterview sehr zufrieden, ihre Taktik war voll aufgegangen. In einer Zeit von 15:58 Minuten – besonders unter Einbeziehung des kurzen, ungewollten Stopps nach drei Vierteln der Distanz eine hervorragende Zeit, die die offensive Renngestaltung der Äthiopierin unterstreicht – sorgte Gudeta für den ersten äthiopischen Sieg in Südtirols Hauptstadt seit 2009 und für die vierte Siegerzeit unter 16 Minuten in den letzten zehn Jahren.
Wenn ein Marathon-Spezialist bei einem 10 Kilometer langen Straßenlauf gegen die Spezialisten bestehen möchte, kann es nur eine siegbringende Taktik geben: mit einem konstant hohen Tempo die endschnellen Favoriten müde laufen und zermürben. Häufig bleibt dieser Ansatz in den theoretischen Fängen einer taktischen Renngestaltung stecken, doch Tamirat Tola demonstrierte in Bozen, wie man diesen Gedanken richtig in die Praxis umsetzt. Bereits in der fünften von acht Runden, also kurz nach Halbzeit, forcierte Tola das bis dato bereits ordentliche Tempo und setzte sich an die Spitze. Sofort hefteten sich seine Landsleute Muktar Edris und Imane Merga, die beiden erklärten Favoriten, an seine Fersen. Doch Tamirat Tola sollte seine Position nicht mehr hergeben. Ein hoher Rhythmus und ein flinkes Tempo entnervte seine Rivalen. Eingangs der sechsten Runde hatte Merga bereits einen Rückstand von sechs Sekunden. Wenig später verlor auch Edris den Anschluss, den er nicht wieder herstellen konnte. Nach 28:29 Minuten überquerte der 24-jährige Marathon-Spezialist, der allerdings auch im Crosslauf sehr gut zurecht kommt, wie sein sechster Platz bei der WM beweist, als überlegener Sieger die Ziellinie am Waltherplatz. Dabei sorgte er für den vierten äthiopischen Sieg in Folge und die zweitschnellste Siegerzeit im vergangenen Jahrzehnt. „Meine Form war heute wie zu meinen besten Zeiten. Ich war mir meiner Sache sehr sicher und habe mir wegen meiner Gegner keine Gedanken gemacht“, strahlte Tola, der zum ersten Mal am BoClassic teilnahm.
Dreimal hat Imane Merga bereits in Bozen triumphiert: 2010 im Sprint gegen Mo Farah, 2012 im Zielsprint gegen Muktar Edris und 2013 noch einmal. Im vergangenen Jahr hatte Edris das Blatt gewendet und Merga in einem nicht minder spannenden Sprint besiegt. Insofern war es nicht überraschend, dass alle erneut mit einem Duell Imane Merga gegen Muktar Edris rechneten. Doch dazu kam es aus zwei Gründen nicht: Erstens, weil Tola ein derartig hohes Tempo anschlug, und zweitens, weil Merga nicht seinen besten Tag erwischte. Und so spielte auch die beste Fähigkeit der beiden Äthiopier, der Schlussspurt, am letzten Tag des Jahres 2015 lediglich eine untergeordnete Rolle. Zumindest für Muktar Edris, der als Solist Rang zwei erzielte.
Dass Imane Merga noch auf das Podest kam, war durchaus eine Überraschung. Als der Äthiopier frühzeitig den Anschluss an seine beiden Landsleute verlor, wirkte er sichtlich erschöpft und musste sich anfangs der Schlussrunde von Jairus Birech und Zane Robertson einholen lassen. Das Trio sorgte für einen spannenden Kampf um den letzten verbliebenen Platz bei der Siegerehrung und trotz der Müdigkeit konnte Merga im Zielsprint noch ein Ass aus dem Ärmel schütteln und rundete den totalen Triumph der Äthiopier ab. Der kenianische Hindernis-Spezialist Birech hatte in der ersten Rennhälfte zeitweise für das Tempo gesorgt und konnte mit dem Resultat auf der für ihn ungewohnt langen Distanz durchaus zufrieden sein. In Ordnung war auch die Leistung des Neuseeländers Zane Robertson, der als Fünfter den Sprung auf das Podest wie im Vorjahr allerdings verpasste. „Das zweite Mal in Bozen zu laufen hat mir tolle Emotionen beschert. Ich habe den aufmunternden Applaus des Publikums genossen“, so der beste Nicht-Afrikaner. Fünf Läufer unter 29 Minuten sorgten für eines der schnellsten Rennen in der langen Geschichte des BoClassic.
Als bester Europäer erreichte der Brite Ross Millington auf Platz sechs das Ziel, der Schweizer Tadesse Abraham spielte eine untergeordnete Rolle und kam auf Position acht ins Ziel. Damit war er noch sechs Sekunden schneller als der beste Italiener Said El Otmani, der zu Beginn des Rennens überraschend für ein hohes Tempo gesorgt hatte. In seinem letzten Rennen als Junior erzielte der zweifache Junioren-Crosslauf-Europameister Yemaneberhan Crippa Rang zwölf.
Unmittelbar vor den Eliteläufen der Damen und Herren absolvierten 620 Läuferinnen und Läufer bei idealen äußeren Bedingungen einen Volkslauf, 184 Jugendliche nahmen am Jugendlauf teil. Damit feierte BoClassic in seiner 41-jährigen Historie einen neuen Teilnehmerrekord. Die nicht einfach zu laufende, 1.250 Meter lange Strecke durch die Bozner Altstadt mit Start und Ziel am Waltherplatz, die größtenteils auf Kopfsteinpflaster belaufen wird und besonders im ersten Streckenteil einige enge und winklige Passagen aufweist, erwies sich dabei sowohl für die Elite als auch für die Hobbyläufer als Herausforderung.