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Die Psyche ist im Leistungssport entscheidend. Darüber sind sich Experten einig. Professor Günter Amesberger spricht im RunUp-Interview über den Einfluss der Sportpsychologie auf den Laufsport.
Die Psyche ist im Leistungssport entscheidend. Darüber sind sich Experten einig. Professor Günter Amesberger spricht im RunUp-Interview über den Einfluss der Sportpsychologie auf den Laufsport.
Günter Amesberger: Das ist ein komplexer Satz, weil die wichtigen physiologischen und koordinativen Voraussetzungen im Sport fundamental sind. Dass dann letztlich bei knappen Unterschieden die mentale Stärke und taktisch kluge Überlegungen entscheidend sind, ist keine Frage.
Man darf hier nicht zwei Gegensätze sehen. Jeder Sportler, der trainiert, trainiert auch automatisch in gewisser Weise mental. Wenn er sich zum Beispiel überlegt, wie er etwas optimieren kann. Man analysiert dann, inwiefern die mentalen Gedanken, die ohnehin schon vorhanden sind, funktional oder dysfunktional sind. Da setzt die Auseinandersetzung mit der eigenen kognitiven und emotionalen Strategie an.
Beim Ausdauersport stehen natürlich eigene Aspekte im Vordergrund. Zum Beispiel haben die Periodisierung während eines Laufs und der Umgang mit Schmerzen, dem eigenen Lauftempo oder störenden Gedanken eine sehr hohe Bedeutung.
Klar. Es ist ein Trugschluss zu glauben, mentales Training sei über sämtliche Sportarten strickbar. Die spezifischen Herausforderungen einer jeden Sportart verlangen entsprechend spezifische, mentale Muster. Das erfordert aus psychologischer Sicht für jede Sportart eine eigene Vorbereitung.
Mentales Training ist ja nur ein Teil der sportpsychologischen Betreuung. Mentales Training bedeutet, dass man einige typische Dimensionen der Handlungsfähigkeit des Sportlers trainiert. Um ein Beispiel zu nennen, die Relation von Erholung und Belastung, also Entspannung und Mobilisation. Es geht darum, einen Sportler schnell regenerierbar zu machen, und zu erörtern, ob er eine geeignete Atemtechnik hat, um einen Ruhezustand wiederherzustellen oder ob der Sportler unmobilisierbar ist.
Äußere Faktoren spielen eine zentrale Rolle auf die Motivation: das Umfeld, die Beziehung zum Trainer, generelle Unsicherheiten, wie geht man mit Gegnern und Angstgegnern um. Ich habe einmal einen Fall gehabt, wo bei einem Sportler immer, wenn der Angstgegner angegriffen hat, das Gefühl da war, ihm körperlich nicht entgegenhalten zu können, obwohl gleichzeitig die Überzeugung da war, leistungsstärker zu sein. In solchen Fällen braucht man eine Strategie, die Motivation und die Aufmerksamkeit in die richtige Richtung zu lenken.
Ein weiteres Beispiel im Laufsport ist der bewusste oder unbewusste Umgang mit dem eigenen Laufstil. Es kommt vor, dass Läufer, die sich bewusst auf ihre Bewegung konzentrieren, erst einmal unökonomischer laufen, als wenn sie das nicht tun. Wenn ich meinen Schritt forcieren möchte, brauche ich eine Strategie, wie ich das vom bewussten wieder in den impliziten Bereich bringe. Eine sportpsychologische Beratung hat je nach Phase eines Sportlers ganz unterschiedliche Schwerpunktsetzungen.
Natürlich. Integriertes Training auf der einen Seite, auf der anderen Seite das, was wir „am grünen Tisch“ nennen. Ein Aspekt lautet, Techniken zu erwerben, der andere, diese Techniken auch im Training oder Wettkampf umzusetzen. Zum Beispiel eine Startvorbereitung, die man zuerst kognitiv überlegt und dann praktisch umsetzt.
Der Sportler baut für sich eine komplette Wettkampfroutine auf. Der gesamte Tag ist im Wesentlichen durchgeplant und vom Sportler selbst in hohem Maße gestaltbar. Von der Essensroutine über die Vorbereitungsroutine, die Aufwärmphase, die mentale Einstellung, den Umgang mit Gegnern, die irritierend sein könnten, bis hin zum unmittelbaren Start, zur Position im Rennen, zum Lauftempo und zum Umgang mit den eigenen Überzeugungen. Dafür hat ein Sportler immer eine Strategie parat.
Das hängt ein bisschen vom Sportler ab. Es gibt typusmäßig deutliche Unterschiede zwischen adaptiven Sportlern und Sportlern, die unbedingt ihr eigenes Rennen laufen, den Rhythmus beibehalten und den Zeitpunkt für eine Attacke einhalten müssen, um erfolgreich zu sein. Andere machen sich abhängig von der Taktik der Konkurrenten.
Es ist natürlich auf beiden Ebenen ein Vorteil bzw. ein Nachteil. Das Psychophysische zu trennen ist immer problematisch: Wenn ich das Gefühl habe, schlecht drauf zu sein, heißt das noch lange nicht, dass ich langsamer laufe. Ich habe das Gefühl, es funktioniert nicht, und dann werde ich unökonomischer. Diese Wechselwirkungen zwischen dem physikalischen Vorteil und der psychischen Wirkung darf man nicht unterschätzen. Die entscheidende Frage ist, wie sehr ich die Ausgangslage für mich nutzen kann. Ich kann auf verschiedene Situationen entsprechend reagieren, um mental überlegen zu sein. Auch, wenn ich in der vermeintlich schlechteren Position bin.
Das ist eine gute Frage! Da gehen die Meinungen sehr auseinander. Wie gut ist man selbst-suggestiv. Da sind Menschen natürlich sehr verschieden. Manche Sportler sind der tiefen Überzeugung, wenn sie einen schlechten Tag haben, dass sie das psychisch nicht beeinflussen können. Ich glaube, man kann einiges wettmachen, aber sicher nicht alles. Einen Top-Tag daraus zu machen, ist sehr schwierig. Dafür muss man suggestiv sehr beeinflussbar sein, wobei die Gefahr der Überschätzung gegeben ist. ,Wenn man nur daran glaubt, dann wird es so.’ Ich halte nichts davon, das zur Philosophie zu machen. Man kann einiges wettmachen, aber sicher nicht alles.
Der überzogene Leistungsanspruch an sich und das Verzweifeln bei einem Scheitern ist ein wichtiges Thema. Für einen Freizeitläufer ist es essentiell, das Laufen genießen zu können und letztlich den Anspruch nicht derartig hochzuschrauben, dass dadurch gesundheitliche Gefährdungen entstehen. Ansonsten gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für einen Spitzensportler: realistische Einschätzung der eigenen Kompetenz, eine gute Planung des Wettkampfs mit entsprechend realistischen Laufzeiten und -geschwindigkeiten, Konzentration auf das eigene Tempo und die eigenen Meilensteine, ungeachtet anderer Läufer.
Menschen sind von ihrer Grundkonstitution ganz unterschiedlich ausgelegt. Leistungswille ist nicht für alle von gleichem Stellenwert. Leute, die sich immer an ihre Grenzen bringen wollen, gehören schon zu einer spezifischen Klientel.
Eine präzise Einschätzung ist sehr schwierig, ich sehe da keinen empirischen Zugang. Viele kennen das vielleicht aus eigener Erfahrung, dass man nach einem Trainingslauf furchtbar angeschlagen ist und sich danach wundert, dass man eigentlich um gar nicht so viel langsamer gelaufen ist und es schlichtweg mühsamer war. Also die willentliche Beeinflussung viel größer war, als wenn mit einem fantastischen Gefühl läuft und erst danach merkt, welch große Distanz man geschafft hat. Wer eine hohe Volition hat, kann auch in diesem „bösen“ Zustand dem nahekommen, was unter guten Bedingungen geht.
Die Nervosität per se ist ja nichts Schlechtes. Das Problem entsteht, wenn die Aktivierung mit negativen Gedanken gekoppelt wird. Läufer haben vor dem Start die Angst, das Tempo nicht durchzustehen. Wenn ich das in die Erregung positiver Gedanken umpole – wie spannend ist es, das richtige Tempo zu finden und die Meilensteine so abzuwickeln wie ich mir das vorstelle – dann ist die Nervosität durchaus etwas Günstiges, weil sie eine gewisse Handlungsbereitschaft ankündigt. Hohe Aktivierung kombiniert mit Zielsetzung bedeutet Leistung, hohe Aktivierung kombiniert mit Angst bedeutet Einbruch der Leistung.
Es kommt darauf an, ob die „Bauchschmerzen“ wirklich Bauchschmerzen sind. Einige Sportler reagieren auf Stress mit Magen-Darm-Problemen. Hier gilt es, besonders auf die Ernährung achten. Wenn sich die „Bauchschmerzen“ in Muskelspannung ausdrücken, was sehr typisch ist, sind entsprechende Lockerungs- und Sprungübungen gefragt, um nicht zu verbissen, sondern locker in den Wettkampf zu gehen. Wenn diese „Bauchschmerzen“ in ein Kreiseln von negativen Gedanken übergehen, ist es wichtig, sich klare Ziele in den Kopf zu setzen.
Autor: © Thomas Kofler
Bilder: © ZVG | SIP| pexels