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„Erfolge als Signal“ – Anti-Doping-Bemühungen in Kenia

Kein Land produziert im Laufsport so viele Dopingfälle wie Kenia. Nirgendwo wurde in den letzten Jahren so intensiv getestet wie in Kenia, sagt die AIU.
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Der Leichtathletik-Weltverband und die Athletics Integrity Unit intensivieren seit Jahren die Zusammenarbeit mit dem kenianischen Leichtathletik-Verband und dessen Anti-Doping-Bemühungen in Kenia. Die hohe Anzahl an sanktionierten Athlet*innen hinterlässt ein verheerendes Bild und lässt leicht einen Generalverdacht aufschwellen. Besonders dann, wenn außergewöhnliche Leistungen die Laufwelt verblüffen. Die AIU stellt die vielen Sperren und Sanktionen als sanftes Signal für langfristige Lösungsansätze dar. Geduld sei gefragt, die Finanzierung ein Schlüssel.

Was würde Ruth Chepngetich jenen Menschen antworten, die die Empfindung hätten, ihr neuer Marathon-Weltrekord wäre zu gut um wahr zu sein? Der erfahrene US-amerikanische Laufsportjournalist Robert Johnson stellte diese Frage auf der Pressekonferenz des Chicago Marathon mit aller Vorsicht – nämlich hypothetisch und ohne jeden Vorwurf. Es ist eine aussagekräftige Episode, die aber nach den Ereignissen in den letzten Jahren zum Metier im Laufsport irgendwie dazugehört.

Es ist erstaunlich, welche Wellen so eine kritische Frage, die schließlich zur Berufsaufgabe gehört, schlagen kann. Im kenianischen Parlament diskutierte man sie, empfand sie wohl als nationale Beleidigung und forderte den Journalisten öffentlich zu einer Entschuldigung auf. Dass dieser abwinkte, ist logisch. Und Christopher Kelsall, erfahrener Laufsportjournalist bei der kanadischen Plattform „Athletics Illustrated“, empfahl der kenianischen Politik in einem Kommentar, lieber einen Schwerpunkt darauf zu setzen, den kenianischen Sport sauberer und vertrauenswürdiger zu machen als Medien für ihre Arbeit zu beschuldigen.

Eine beispiellose Serie an Dopingfällen

Die skizzierte Episode ist aktuell, sie weist keinen direkten Zusammenhang mit der Dopingmisere im kenianischen Laufsport auf. Aber sie demonstriert das deutliche Hintergrundrauschen nach nahezu 300 sanktionierten Dopingfällen kenianischer Läufer*innen seit der Gründung der Athletics Integrity Unit im Jahr 2017 – das ist rund die Hälfte aller von der AIU registrierten Dopingfälle in der Leichtathletik seither. Gegenwärtig ist eine hohe zweistellige Zahl an kenianischen Athlet*innen gesperrt.

Der Kenianische Leichtathletik-Verband steht unter internationaler Beobachtung und folglich unter Druck. Auch er stört sich an den Zweifeln an Chepngetichs Leistung, die in diversen internationalen Medienberichten tatsächlich mitzuschwingen scheint. Es hätte in diesem Jahr etliche Weltrekorde gegeben, weswegen man kein Verständnis dafür habe, dass ausgerechnet bei Chepngetich nun die Doping-Diskussion angefacht werde, heißt es von Athletics Kenya. Dass die Leistung des kenianischen Marathonstars in Chicago in Fachkreisen und unter Insidern – gelinde gesagt – kontrovers diskutiert wird, scheint hochwahrscheinlich.

Lauftalente durch positive Tests ausgebremst

In den vergangenen Wochen und Monaten gab es wenig erfreuliche Nachrichten für Athletics Kenya, die den negativ behafteten Eindruck der letzten Jahre verbessern hätten können. Emmaculate Achol ist der aktuell prominenteste Fall. Die AIU suspendierte die Athletin wegen EPO- und Testosteron-Missbrauchs vorläufig. Die 24-Jährige war bis vor kurzem nicht einmal Insidern bekannt, ehe sie im November 2023 in Lille eine 10km-Zeit von 30:01 Minuten lief. Diese steigerte sie im Jänner in Valencia auf eine Zeit von 28:57 Minuten. Das wäre neuer Weltrekord gewesen, wäre nicht Agnes Ngetich im selben Rennen noch einmal elf Sekunden schneller gewesen. Nun schwebt ein Fragezeichen hinter Achols bisher kurzer Karriere.

Unter Dopingverdacht steht auch Charles Langat, Sieger des Barcelona Halbmarathon im Jahr 2023. Die Geschichte ähnelt sich: Zwar bereits 28 Jahre alt kam der Kenianer 2022 aus dem Nichts auf die internationale Bühne. Er lief in Valencia im 10km-Lauf unter 27 Minuten und gewann im Sommer 2023 das Peachtree Road Race in Atlanta, weitere Ergebnisse fehlen. Wie die AIU bekannt gab, wurde er bei einem Out-of-Competition-Test auf die verbotene Substand Furosemid getestet. Zwei Jahre lang muss der Kenianer nun zuschauen, die AIU konnte ihm keinen absichtlichen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln nachweisen, nachdem der Athlet argumentiert hatte, ein Medikament von einem Arzt verabreicht bekommen zu haben.

Drei Jahre zuschauen muss das kenianische Lauftalent Faith Chepkoech. Die 21-jährige Siegerin des 10km-Laufs in Castellon im Februar in unter 30 Minuten wurde bei einem Out-of-Competition-Test positiv auf EPO erwischt. Weil sie ihr Vergehen zugegeben hat und auf eine Öffnung der B-Probe verzichtete, verringerte sich die Strafe von den üblichen vier Jahren.

Kenias Staat spart bei der Anti-Doping-Behörde

Es sind nur drei Beispiele aktueller Dopingnachrichten aus dem kenianischen Laufsport. Sie sind Indikatoren, dass der Kampf gegen Doping in Kenia zumindest bis zu einem bestimmten Grad wirkt. Ein weiterer: In den letzten Jahren haben nicht nur kleine Fische im Netz gezappelt, es hat auch große Namen erwischt wie Jemima Sumgong, Asbel Kiprop, Wilson Kipsang oder Lawrence Cherono.

Angesichts der unüblichen Häufung der Dopingfälle im kenianischen Laufsport ist es erstaunlich, dass das kenianische Sportministerium das Budget für die kenianische Anti-Doping-Agentur (ADAK) empfindlich gesenkt hat. Das berichtete die britische Nachrichtenagentur Reuters Anfang Oktober. Die WADA schickte den Direktor seines Afrika-Büros umgehend nach Nairobi, um die Besorgnis über diese politische Entscheidung kundzutun. Die ADAK ging an die Öffentlichkeit: Sie sieht die Fortschritte der letzten Jahre im Kampf gegen Doping gefährdet.

Verstärkte Kontrolle

Athletics Kenya hat großes Interesse, die Dopingproblematik besser in den Griff zu bekommen. Man befürchtet empfindliche Maßnahme gegen die kenianische Leichtathletik bis hin zum kenianischen Horrorszenario: ein Ausschluss von Olympischen Spielen.

Laufstars in Kenia sind mehr als nur Sportstars, sie und ihre Erfolge repräsentieren das ostafrikanische Land in der Welt. Um die Integrität des kenianischen Sports und seine Legenden zu verteidigen, setzt Athletics Kenya in einer gemeinsamen Initiative mit der AIU nun darauf, auf technologischem Wege dem Misstand besser Herr werden. Man wolle ein System einführen, welches eine bessere Überwachung der Athlet*innen durch Registrierung ermögliche, berichtet das kenianische Medium „Pulse Sports“. Die Idee ähnelt jener der Meldepflicht der WADA und soll auch Läufer*innen betreffen, die in keinen internationalen Testpools gelistet sind. Rund 7.000 Athlet*innen seien bereits registriert. Athletics Kenya will die Initiative als Signal im Kampf für den sauberen Sport verstanden wissen.

Spezielle Voraussetzungen

Die AIU hat im Sinne der Fairness im Laufsport hohes Interesse auf Besserung der Situation in Kenia. In einem Interview mit der BBC im Sommer 2023 ortet Brett Clothier, Chef der AIU, eine hohe Motivation zum Dopen in der ostafrikanischen Laufszene. Zu lukrativ sind Start- und Preisgelder bei internationalen Straßenlauf-Veranstaltungen im Verhältnis zum Lebensstandard in der Region.

Kombiniert mit der Dichte an Lauftalenten führe das dazu, dass auch Athlet*innen, die weit entfernt von einer Zugehörigkeit im Nationalteam sind, potenzielle Marathonsieger*innen auf internationalem Parkett sind – und damit Empfänger von hohem Preisgeld. Damit sind nationale Anti-Doping-Bemühungen mit Voraussetzungen konfrontiert, die in nur wenigen Ländern der Welt im Laufsport so anzutreffen sind. Ein weiterer Faktor ist laut Clothier auch die weitverbreitete Kultur der Korruption in Kenia sowie die leichte Zugänglichkeit zu medizinischen Substanzen. Das Geschäft mit Doping sei in Kenia eine Art „organisierte Kriminalität“, wird Clothier in der New York Times zitiert. Zu groß sei der potenzielle wirtschaftliche Ertrag bei guter Beteiligung am Geschäft, nicht nur für die Athlet*innen.

Diese spezifische Struktur, die nicht vergleichbar mit westlichen Sportnationen sei, betont auch der von der WADA veröffentlichte Befund über Doping in Kenia. Leider ist dieser aber schon acht Jahre alt.

AIU gibt sich zuversichtlich

Angesichts der seit Jahren gestiegenen Investitionen in den Kampf gegen Doping und angesichts des nachhaltig und fortschreitenden Aufbaus der Infrastruktur für wirksameres Testen blickte Clothier 2023 mit Zuversicht in die Zukunft der kenianischen Leichtathletik, bittet aber um Geduld. Es würde Jahre dauern, bis effektive Veränderungen wirken. Die hohe Anzahl an Erfolgen der Doping-Jäger sei ein gutes Signal, sie seien erste wichtige Schritte.

Clothier lobt, wie auch World Athletics-Präsident Sebastian Coe, in aller Öffentlichkeit die Zusammenarbeit mit dem kenianischen Verband. Die Anti-Doping-Bemühungen Kenias spezifisch im Laufsport seien die Besten in der Welt, untermalte er nicht nur gegenüber der BBC, sondern auch der New York Times. Die Aussagen des Australiers, der seit der Gründung im Jahr 2017 der AIU vorsteht, sind allerdings allesamt gefallen, bevor die kenianische Regierung in einem generellen Sparpaket die Ausgaben für die nationale Anti-Doping-Behörde stark verringert hat. Dass die Finanzierungsfrage eine große Schwäche des globalen Kampfs gegen Doping ist, ist hinlänglich bekannt.

Mangelndes Vertrauen

Dass gegenwärtig das Vertrauen in den Kampf gegen Doping im Spitzensport nicht am Höchststand ist, dafür ist die WADA mitverantwortlich. Wie die New York Times Ende September berichtet hat, habe sie im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 die Kontrolle über mindestens 900 Doping-Verdachtsmomente im Sport wegen beschädigter, fehlender oder fehlerhafter Daten verloren. Die WADA dementierte einen Einfluss auf die Olympischen Spiele und sprach von „vorübergehenden technischen Problemen“. Travis Tygart, Chef der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur, wetterte gegenüber „Inside the Games“, die Anti-Doping-Bewegung sei aktuell so gespalten wie noch nie seit der Gründung der WADA im Jahr 1999, das Vertrauen in sie niedriger denn je.

Autor: Thomas Kofler
Bild: © Stefan Schweihofer / Pixabay – Symbolbild

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