Wenn am kommenden Samstag in Aarhus die Crosslauf-Weltmeisterschaften ausgetragen werden, weht die rot-weiß-rote Flagge nicht über dem Veranstaltungsgelände. Der Österreichische Leichtathletik-Verband (ÖLV) ist nicht vertreten. Die deutsche Flagge sollte auf Halbmast gehängt werden. Der größte nationale Leichtathletik-Verband Europas entsendet eine Athletin (Elena Burkard) zur ersten von drei globalen Meisterschaften der Leichtathletik im Kalenderjahr 2019. Auch der Schweizer Leichtathletik-Verband (Swiss Athletics) ist mit einer Einzelkämpferin in Aarhus vertreten: Delia Sclabas.
Die europäische Teilnahme ist eine grenzenlose Enttäuschung.
Nun ist der deutsche Sprachraum nicht wirklich direkt mit einer großen Crosslauf-Tradition in Verbindung zu setzen und die Ergebnisse bei Crosslauf-Europameisterschaften der letzten Jahre brachten keine ÖLV-Athletin oder keinen ÖLV-Athleten in die Position, leistungstechnisch unbedingt in Aarhus dabei sein zu müssen. Etwas anders wäre dies in Deutschland oder der Schweiz. Das Signal an den Veranstalter, der sich enorme Mühe gibt, Crosslauf-Weltmeisterschaften auf innovative und attraktive Weise der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist ein deutliches und ein negatives. Erstmals seit sechs Jahren finden die zweijährig ausgetragenen Titelkämpfe im Crosslauf wieder auf europäischem Boden statt. Doch die europäische Teilnahme ist eine grenzenlose Enttäuschung. Nur 19 europäische Landesverbände (neben Gastgeber Dänemark sind das Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Lettland, Luxemburg, Malta, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Spanien, Tschechien, Türkei und Ukraine) haben Athleten nominiert. Heißt im Umkehrschluss – fast zwei Drittel der europäischen Verbände glänzt mit Abwesenheit. Darunter traditionsreiche Crosslauf-Nationen wie Belgien oder die Niederlande! Jene beiden Nationen, die die letzten europäischen Crosslauf-Weltmeister stellten.
„Es ist kein Geheimnis, dass wir eine größere Teilnahme erwartet hätten. Und unsere Erwartungen waren minimal.“
19 europäische Landesverbände sind zwar die meisten europäischen bei den offensichtlich ungeliebten Crosslauf-Weltmeisterschaften seit 2005, als das französische Saint-Galmier Gastgeber war, und neun mehr als vor zwei Jahren in Kampala (Uganda). Der Eindruck täuscht aber gewaltig: Weil viele europäische Nationen wie die Leichtathletik-Größen Deutschland, Polen, Italien oder die aus dem kenianischen Athleten-Pool gefütterte Türkei, aber auch die unmittelbaren skandinavischen Nachbarn, Mini-Teams schicken, ist der Veranstalter frustriert. „Es ist kein Geheimnis, dass wir eine größere europäische Teilnahme erwartet hätten. Und unsere Erwartungen waren minimal“, ließ Jakob Larsen, Geschäftsführer des Dänischen Leichtathletik-Verbandes (DAF) und OK-Vorsitzender in Aarhus seiner Enttäuschung freien Lauf. Nur vier europäische Nationen, neben Gastgeber Dänemark sind das Frankreich, Großbritannien und Spanien, haben das Kontingent an Startplätzen voll ausgeschöpft. Die Ignoranz der auf europäischem Boden durchgeführten Weltmeisterschaften in einer Disziplin, die – Crosslauf-Europameisterschaften sind Zeugen – auch auf dem alten Kontinenten eine wichtige Rolle spielt, sendet auch ein starkes Signal des fehlenden Zusammenhalts in der europäischen Leichtathletik und der fehlenden Solidarität mit einem europäischen Landesverband, in diesem Fall den dänischen, aus.
Dass unter dem Strich 67 Nationen in Aarhus vertreten sind, verdankt der Veranstalter etlichen Exoten aus aller Welt.
Kein Wunder, dass der Rest der Welt sich über Europas Laufsport lustig macht. „Das ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten“, heißt es in einem von Vorfreude und Faszination getriebenen Vorbericht auf das Männer-Rennen auf der Website von „Let’sRun.com“. Dieser Kommentar widmet dem europäischen Mini-Starterfeld einen ganzen Absatz mit dem Zwischentitel „Shame on Europe“ und lässt die Chancenlosigkeit im internationalen Vergleich als Argument nicht gelten. 16 Nationen, so hebt dieser Kommentar hervor, nahmen beim Männer-Rennen der Crosslauf-EM von Tilburg vor drei Monaten in der Teamwertung (drei Athleten plus) teil – die überwiegende Mehrheit ohne realistische Medaillenchance. Die USA ist übrigens mit einem großen Team dabei und macht sich insbesondere im Männer-Rennen Hoffnungen auf ein historisch gutes Abschneiden. Dass unter dem Strich 67 Nationen in Aarhus vertreten sind, verdankt der Veranstalter unter anderem auch folgenden nationalen Verbänden, die einige ihrer Athleten im Unterschied zu zahlreichen europäischen auf die transkontinentale Anreise nach Nordeuropa schicken: Uruguay, Venezuela, Ekuador, El Salvador, Sierra Leone, Mauritius, Seychellen, Sudan, Irak, Palästina und Hongkong, um eine aussagekräftige Auflistung von Leichtathletik-Exoten zu nennen.
Das britische Leichtathletik-Magazin „Athletics Weekly“ sieht in Jakob Larsen jenen Mann, der fähig sein könnte, die Crosslauf-Weltmeisterschaften zu retten.
Zwei Jahre nach dem stimmungsvollen Volksfest in Kampala, wurde die 43. Auflage der Crosslauf-Weltmeisterschaften bereits im Vorfeld dank einer innovativen Vorbereitung und kreativen, spektakulären Umsetzung am und auf dem Moesgaard Museum (siehe Video unten) mit Vorschusslorbeeren von Experten überhäuft. IAAF-Präsident Sebastian Coe sieht in den Titelkämpfen von Aarhus einen Wendepunkt in der Geschichte der Crosslauf-Weltmeisterschaften – zum Guten. Das britische Leichtathletik-Magazin „Athletics Weekly“ überhäufte Jakob Larsen und sein Team mit Lob und sieht im Dänen jenen Mann, der fähig sein könnte, die Crosslauf-Weltmeisterschaften zu retten. Einen Schwerpunkt für Laufbegeisterte setzte der Veranstalter mit der Aufnahme eines Laufs für Freizeitsportlerinnen und -sportler ins WM-Programm. Selbst Kronprinz Frederik von Dänemark wird seine Laufschuhe schnüren.
„Ich fürchte, viele europäische Verbände vernachlässigen nachhaltig die Lauf-Community.“
Angesichts des feurigen Plädoyers für den Crosslauf, das Aarhus 2019 formuliert, ist der dänische Verband alles andere als amüsiert über das bescheidene Interesse der europäischen Leichtathletik. „Nicht teilzunehmen bedeutet, ein Schaufenster nicht zu nützen. Es geht hier nicht nur darum, die besten Crossläufer der Welt zu ermitteln. Das ist ein internationales Schaufenster für Laufsport. Ich fürchte, viele europäische Verbände vernachlässigen nachhaltig die Lauf-Community, wenn sie an Weltmeisterschaften nicht teilnehmen und nicht zu diesen Meisterschaften stehen. Und die Lauf-Community ist wichtig!“, findet Larsen (vgl. insidethegames.biz).
Die spektakuläre Strecke für die Crosslauf-WM mit der Passage auf das Dach des Moesgaard Museums
Crosslauf-Weltmeisterschaften 2019 in Aarhus