„Ich habe leider nicht mitbekommen, dass ich zweimal überrundet wurde. Daher habe ich aufgehört“, bekannte Lisa Redlinger (TS Lustenau). Daher blieb nicht mehr als der Entschluss: „Aus diesem Fehler lerne ich, das wird mir nicht mehr passieren.“ Ansonsten war der Trip nach Finnland für sie abseits der gewonnenen Erfahrungen einer ersten internationalen Teilnahme für den Österreichischen Leichtathletik-Verband keine Erfolgsreise. Denn auch sportlich verlief das Rennen nicht nach Wunsch. Bereits zur Halbzeit lag die Vorarlbergerin fast eine Minute hinter der späteren Siegerin und tummelte sich von der ersten Runde an am Ende des Feldes. Von der angepeilten Zeit unter 35 Minuten war Redlinger gestern Abend weit entfernt. „Mir war so heiß. Als ich alleine war, ging fast gar nichts mehr“, kommentierte sie.
Start-Zielsieg für Goodall
An der Spitze hatte eine Läuferin das Rennen komplett im Griff: Alice Goodall aus Großbritannien, eine international noch recht unerfahrene 21-Jährige. Alle Zwischenzeiten passierte sie als Führende und erreichte die Ziellinie in einer Zeit von 33:16,45 Minuten. „Ich bin schockiert!“, gab sie zu. „Dass ich nun Europameisterin bin, klingt unglaubwürdig.“ Auf dem vierten Kilometer gelangen die vorentscheidenden Machtverhältnisse in diesem Rennen. Eine größere Spitzengruppe zerbrach in mehreren Etappen und nur die Italienerin Sara Nestola konnte schlussendlich dem Tempo der Britin folgen. Dass diese nie Tempoarbeit machte, taugte der Britin nach eigener Aussage gar nicht: „Ich habe mich dennoch ruhig auf meine letzten 200 Meter verlassen.“ Nestola blieb bis zum Schluss dran und sicherte sich in einer Zeit von 33:17,51 Minuten die Silbermedaille. „Es ist ein gutes Gefühl. Es war schwierig, aber ich habe diesen Wettkampf vor dem finnischen Publikum sehr genossen. Es hat toll unterstützt“, meinte die 22-Jährige. Dann verging fast eine Minute, bis mit ihrer Landsfrau Aurora Bado die Drittplatzierte ins Ziel kam. Keine Chance auf eine Medaille hatten die beiden Deutschen Hanna Bruckmayer als Neunte und besonders die vermeintliche Medaillenaspirantin Emma Heckel auf Position 16.
Gürth gewinnt 3.000m-Hindernislauf
Der 3.000m-Hindernislauf, seit vielen Jahren eine der stärksten Laufdisziplinen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), brachte am dritten Wettkampftag auch das erste Erfolgserlebnis für die deutschen Läuferinnen und Läufer. Olivia Gürth sicherte sich im Duell mit Greta Karinauskaite den Titel in einer Zeit von 9:26,98 Minuten und trat damit in die Fußstapfen von Melanie Schulz und Gesa Krause, die die U23-Titel in den Jahren 2001 und 2013 gewinnen konnten – Krause schaffte nach diesem Erfolg in jungen Jahren den Durchbruch und ist mittlerweile zweifache Europameisterin in der Allgemeinen Klasse. Gürth feierte ihren Erfolg in Espoo mit Stil und verbesserte den vier Jahre alten Meisterschaftsrekord der Dänin Anna Emilie Möller um einige Zehntelsekunden. Für die 21-Jährige ist dies eine persönliche Bestleistung um drei Sekunden, bei der Track Night Vienna erzielte sie auf den Tag genau vor vier Wochen eine Zeit von 9:29,99 Minuten. „U23-Europameisterin zu werden, das klingt noch besser als U20-Europameisterin zu sein“, frohlockte die Junioren-Europameisterin von 2021. „Heute sind alle meine Träume und alles, was ich erhofft habe, in Erfüllung gegangen. Ich bin froh, Deutschland zu repräsentieren und die deutsche Hindernislauf-Tradition fortzusetzen.“ Sobald Gesa Krause aus ihrer Mutterschaftspause zurückkehrt und das Training Richtung Olympische Spiele 2024 wieder aufnimmt, werden sie und Gürth regelmäßig miteinander trainieren.
Entscheidender Angriff in der Schlussrunde.
Die Litauerin, die die beste Vorleistung mit nach Finnland brachte, übernahm gleich nach dem Start die Führung und schlug für den ersten Kilometer ein hohes Tempo von 3:06,45 Minuten an. Wenig überraschend konnten nur Gürth und die Spanierin Marta Serrano diesem Tempo folgen, womit bereits nach 800 Metern eine vorentscheidende Lücke zu Eloise Thorner aufging und die drei aussichtsreichsten Medaillenkandidatinnen vorne lagen. Zu Beginn der zweiten Rennhälfte wirkte die 22-jährige Karinauskaite nicht mehr so souverän in der Tempogestaltung und die Deutsche ging erstmals nach vorne, der zweite Kilometer war um fünf Sekunden langsamer als der erste. Die Baltin aber holte sich die Führungsposition zurück, als Gürth in der Schlussrunde antrat, konnte sie aber nichts entgegensetzen. In einer Zeit von 9:30,96 Minuten verdiente sie sich am Ende Silber. „Es war ein hartes Rennen, ich hätte nicht gedacht, so leiden zu müssen. Nichtsdestotrotz bin ich happy mit dem zweiten Platz“, sagte sie. Serrano, mit 20 die Jüngste an der Spitze und Drittjüngste im Feld, konnte rund 800 Meter vor dem Ziel das Tempo des Top-Duos nicht mehr halten und lief in einer Zeit von 9:41,47 Minuten die Bronzemedaille nach Hause. „Mir war das wichtigste, alles zu geben. Dann ist die Farbe der Medaille egal“, kommentierte Serrano nüchtern.
Nillessen Überraschungschampion über 1.500m
Eine große Überraschung lieferte das Finale im 1.500m-Lauf der Männer. Denn die Besten laut Meldeliste, der klare Gold-Favorit Matthew Stonier aus Großbritannien, der Spanier Pol Oriach und der Pole Filip Ostrowski landeten auf den ersten Plätzen neben dem Stockerl. Als am Ende ungefährdeter Sieger eines typischen Meisterschaftsrennens mit einer pfeilschnellen letzten Runde ging der Niederländer Stefan Nillessen hervor, der als Erster in die letzte Runde einbog, das Tempo als Erster richtig hochhielt und durchkam, weil keiner seiner anfänglich in der Schlussrunde augenscheinlichen direkten Verfolger, nämlich Oriach und Stonier, das Tempo die Zielgerade entlang halten konnte. Und so stoppte die Zeit bei 3:43,35 Minuten für den jubelnden 20-Jährigen, beeindruckender ist aber seine Schlussrunde in 52,47 Sekunden. Diese wurde zwar unterboten von Silbermedaillengewinner Mohamed Attaoui, der beim Glockenton aber nur Neunter war und erst dank eines starken Finals aus dem Hinterhalt noch auf den zweiten Platz lief. Die Bronzemedaille ging an den Schweden Samuel Pihlström.
Bester Endspurt aller führt Attaoui zu Silber
Der überraschende Zieleinlauf mit dem erst zweiten niederländischen Medaillengewinner in dieser Disziplin bei U23-Europameisterschaften nach Platz zwei für Gert-Jan Liefers im Jahr 1999 an der Spitze war deshalb möglich, weil sich bei Meisterschaften wie so häufig kein Temporennen entwickelte. Und so ließen die Teilzeiten von 1:03,49 Minuten für die ersten und 1:03,77 Minuten für die zweiten 400 Meter – in dieser Phase lag fast ausschließlich Pihlström an der Spitze des Feldes – für das gesamte Teilnehmerfeld die Hoffnungen hoch, während die Favoriten mit mehr Kontrahenten als möglicherweise erwünscht in die letzte Runde gehen mussten. Nilessen eröffnete den Showdown wenige Sekunden nach dem Glockenton. Oriach, 2021 noch U20-Europameister in 3.000m-Hindernislauf, und Stonier waren jedoch perfekt positioniert und es lag daran, dass beide ihr Potenzial nicht auf die Bahn bekamen, dass sie keine Medaillen gewannen. Oriach versuchte am Ende der Gegengerade an die Spitze zu gelangen, doch Nillessen quetschte sich innen durch. Der Spanier kam etwas aus dem Tritt, nun lag der favorisierte Brite, der über eine persönliche Bestleistung von 3:32 Minuten verfügt, eingangs der Zielgerade auf der zweiten Position. Doch der Spurt zündete im Duell mit Pihlström nicht 100%ig, das Duo wurde außen von Attaoui übertrumpft. Von all dem bekam Nillessen gar nichts mit, der einfach die Arme zum Jubeln emporhob, als er erkannte, die Zielgerade passiert zu haben, ohne überholt worden zu sein.
Ergebnis 10.000m-Lauf der Frauen, U23-EM 2023
Gold: Alice Goodall (Großbritannien) 33:16,45 Minuten
Silber: Sara Nestola (Italien) 33:17,51 Minuten
Bronze: Aurora Bado (Italien) 34:12,75 Minuten
4. Maria Kassou (Griechenland) 34:20,52 Minuten
5. Malgorzata Karpiuk (Polen) 34:25,99 Minuten *
6. Dafni-Eftychia-Tereza Lavasa (Griechenland) 34:36,71 Minuten
7. Clara Las Heras (Spanien) 34:53,68 Minuten
8. Greta Settino (Italien) 35:01,46 Minuten
9. Hanna Bruckmayer (Deutschland) 35:16,65 Minuten
…
16. Emma Heckel (Deutschland) 35:49,44 Minuten
DNF Lisa Rehlinger (Österreich)
Ergebnis 3.000m-Hindernislauf der Frauen, U23-EM 2023
Gold: Olivia Gürth (Deutschland) 9:26,98 Minuten *
Silber: Greta Karinauskaite (Litauen) 9:30,96 Minuten
Bronze: Marta Serrano (Spanien) 9:41,47 Minuten
4. Elise Thorner (Großbritannien) 9:47,85 Minuten
5. Julia Koralewska (Polen) 9:54,16 Minuten
6. Sarah Tait (Großbritannien) 9:54,74 Minuten **
7. Agnieszka Chorzepa (Polen) 9:56,08 Minuten
8. Ava O’Connor (Irland) 10:01,34 Minuten **
…
16. Kim Bödi (Deutschland) 10:47,90 Minuten
* neuer Meisterschaftsrekord
** neue persönliche Bestleistung
im Vorlauf gescheitert: Lotte Seiler (Österreich)
Ergebnis 1.500m-Lauf der Männer, U23-EM 2023
Gold: Stefan Nillessen (Niederlande) 3:43,35 Minuten
Silber: Mohamed Attaoui (Spanien) 3:43,63 Minuten
Bronze: Samuel Philström (Schweden) 3:43,73 Minuten
4. Matthew Stonier (Großbritannien) 3:44,31 Minuten
5. Pol Oriach (Spanien) 3:44,85 Minuten
6. Filip Ostrowski (Polen) 3:45,01 Minuten
7. Noah Baltus (Niederlande) 3:45,49 Minuten
8. Maciej Wyderka (Polen) 3:45,68 Minuten
im Vorlauf gescheitert: Marcel Tobler (Österreich)
U23-Europameisterschaften 2023 in Espoo
European Athletics
Österreichischer Leichtathletik-Verband