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Um Geschichte zu schreiben, braucht man im Laufsport ein Rennen nach Maß. Perfekt zugeschnitten auf die eigenen Bedürfnisse, mit idealen äußeren Bedingungen. Der Rennverlauf beim Chicago Marathon hatte für Galen Rupp etwas von einem Wunschzettel unter einem Weihnachtsbaum, der sich…
„Es ist einfach unglaublich. Man trainiert das ganze Jahr sehr hart, Tag ein, Tag aus. Und dann kommt an einem Tag alles zusammen und man ist in der Lage, den Sieg zu realisieren. Für mich ist das sehr bedeutend, just in jener Stadt, in der mein Vater aufgewachsen ist. Jene Gefühle, die ich beim Überlaufen der Ziellinie erfahren habe, lassen sich nicht in Worte fassen. Das ist nicht nur mein Sieg, das ist auch der Sieg meines Coaches Alberto Salazar, meines Sponsors und der gesamten Familie des Nike Oregon Projects“, sagte ein sichtlich bewegter Galen Rupp im TV-Interview mit NBC.
Historischer Heimsieg
Die Unterstützung vom Streckenrand wurde immer frenetischer, als auch das Publikum die große Chance eines Heimsiegs realisierte. Denn für ein patriotisches und sportbegeistertes Volk wie die US-Amerikaner ist ein Triumph in dieser Größenordnung rasch von nationalem Interesse. Galen Rupp ist der erste amerikanische Sieger beim Chicago Marathon seit Khalid Khannouchi vor 15 Jahren, der in Chicago zwei Siege als Marokkaner und zwei Siege als US-Amerikaner feierte. Der letzte in den USA geborene Sieger des Chicago Marathon war Greg Meyer im fernen Jahr 1982. Meyers Sieg 1983 in Boston war übrigens der letzte bei einem großen Marathon eines in den USA geborenen Läufers.
Optimaler Rahmen
Das traditionsreiche Event in der Millionenmetropole hätte seinen 40. Marathon nicht besser feiern können als mit einem Heimsieg durch Galen Rupp. Und auch wenn die Meldeliste etwas täuschen mag – Renndirektor Carey Pinkowski und sein Team hatten bei der Zusammenstellung des Elitefeldes durchaus im Hinterkopf, dass der Olympia-Bronzemedaillengewinner nach Rang zwei beim diesjährigen Boston Marathon hinter dem späteren Weltmeister Geoffrey Kirui tatsächlich das Potenzial des erträumten Heimsiegs mitbringen würde. Dazu passten einfach die Rahmenbedingungen: keine Pacemaker, ein Rennen mit Meisterschaftscharakter, starke Mitstreiter für einen derartigen Rennverlauf und Stars, die nicht am Höhepunkt ihrer Karrieren sind.
Rennverlauf nach Wunsch
Galen Rupp ist noch nie einen gepacten Marathon gelaufen. Aber bei den bisherigen glänzte er auch mit taktischen Fertigkeiten, einen Marathon gegen Ende schnell laufen zu können. Das führte ihn zur Bronzemedaille von Rio und zu Rang zwei in Boston. Mit Titelverteidiger Abel Kirui, ein zweifacher Weltmeister, hatte Rupp in Chicago einen perfekten Mitstreiter, der ebenfalls diese Strategie bevorzugt. Mit Feyisa Lilesa stand ein weiterer namhafter Akteur im Elitefeld, der seine besten Leistungen in Rennen mit Meisterschaftscharakter zeigen konnte.
Und es kam, wie es kommen musste: Keiner schlug ein hohes Tempo vom Start weg an, auch nicht Streckenrekordhalter Dennis Kimetto. Der am Ende zwölftplatzierte Aaron Braun nutzte die Chance und lief sich ins Rampenlicht. Fast eine Halbzeit lang führte er das Feld an, 25 (!) Mann lagen bei der Halbmarathon-Zwischenzeit praktisch gleich auf. 1:06:11 Stunden lautete die Durchgangszeit, die am Ende acht Läufern einen teils deutlichen Negativ-Split erlaubte.
Kimetto und Biwott werfen das Handtuch
Das konstante Tempo während der ersten Marathonhälfte spielte vor allen Dingen Galen Rupp und den äußerst bedacht laufenden Abel Kirui, der sich stets vorne aufhielt, in die Karten. Kaum wurde es eine Spur schneller, verabschiedete sich der Weltrekordhalter Dennis Kimetto. Noch vor der 25-Kilometer-Marke war der 33-Jährige aus dem Rennen. Eine indiskutable Leistung, die sich nahtlos in eine jahrelange Serie von Pleiten, Pech und Pannen einreiht. Dennis Kimetto ist im Augenblick nicht mehr als ein Schatten seiner selbst!
Nicht viel besser erging es seinem Landsmann Stanley Biwott, der zweite sub-2:04-Mann im Feld, der ebenfalls noch vor der 30-Kilometer-Marke das Handtuch warf – wohlgemerkt bei einem Tempo, das bisher Fünf-Kilometer-Abschnitte von unter 15:30 Minuten nicht kannte. Der 31-jährige, ehemalige New York-Sieger wartet damit seit eineinhalb Jahren auf eine Zielankunft bei einem Marathon.
Klassisches Ausscheidungsrennen
Wie üblich in solchen Rennen entwickelte sich ein klassisches Ausscheidungsrennen. Elf Mann bildeten bei Kilometer 30 noch die Spitzengruppe. Das Tempo hatte jetzt leicht angezogen und brachte einen Läufer nach dem anderen in Schwierigkeiten. Aus der Spitzengruppe verabschiedete sich mit dem Olympischen Silbermedaillengewinner Feyisa Lilesa, der von Beginn an nur hinten an der Gruppe dranhängte, der nächste Siegkandidat und lief den Marathon auf Rang 14 zu Ende – auch kein Ruhmesblatt, aber immerhin zeigte der in den USA wohnhafte Äthiopier den Anstand, bis zur Ziellinie durchzuhalten. Der nächste der großen Namen, der zurückfiel, war der bis dato passabel laufende Zersenay Tadese. Am Ende belegte der Eritreer einen ordentlichen achten Platz, doch auch im fünften Marathon gelang dem Halbmarathon-Weltrekordhalter keine Zeit unter 2:10 Stunden.
Entscheidende Attacke
Fünf Läufer gingen in die entscheidenden sieben Kilometer: Titelverteidiger Kirui, Rupp, dazu der Kenianer Bernard Kipyego, der Äthiopier Sisay Lemma und der in den USA wohlhafte Kenianer Stephen Sambu. Die Spreu trennte sich nun vom Weizen. Galen Rupp trat an und absolvierte den Abschnitt zwischen Kilometer 35 und Kilometer 40 in einem rasanten Tempo von 14:25 Minuten – mit riesigem Abstand die schnellste Teilzeit (laut Laufsport-Exerte und -Statistiker Ken Nakamuta ist diese Teilzeit ein Rekord für den Chicago Marathon!). Auch das Finale war grandios: 6:12 Minuten benötigte der entfesselte Amerikaner für die letzten 2,195 Kilometer, auch das ist laut Nakamuta Chicago-Bestmarke. Zum Vergleich: Kenenisa Bekele benötigte in Berlin 2016 6:08 Minuten, der Rekord liegt bei Geoffrey Mutais Finale in Eindhoven 2009 (6:05 Minuten).
Die Vorentscheidung war zu diesem Zeitpunkt in Chicago längst gefallen, denn auch Abel Kirui konnte Rupp nicht mehr folgen. Der 35-Jährige lief zwar eineinhalb Minuten schneller als bei seinem Sieg im Vorjahr und blieb auch unter 2:10 Stunden, gegen den US-Amerikaner hatte er aber keine Chance. Und zeigte im Ziel Größe: „Ich denke, das ist für ihn eine große Ehre. Und für mich der Beweis, dass jeder die Kenianer und Äthiopier herausfordern kann.“ Ehrliche Worte für einen, der das für viele in den letzten Jahren undenkbare gerade am eigenen Leib erfahren hat.
Gutes Debüt von Derrick
Wie Kirui zeigte sich auch der drittplatzierte Bernard Kipyego, zweifacher Sieger des Amsterdam Marathon, zufrieden mit seiner Leistung. Sisay Lemma, ehemaliger Sieger des Vienna City Marathon und des Frankfurt Marathon, kam knapp vor Stephen Sambu als Vierter ins Ziel. Dahinter folgte mit dem Japaner Kohei Matsumura der zweite Nicht-Afrikaner. Der zehntplatzierte Australier Michael Shelley hatte im Ziel nur dreieinhalb Minuten Rückstand auf den Sieger, was das kompakte Feld in einem lange Zeit neutralisierten Rennen unterstrich. Dennoch stimmte die Qualität in der Breite: 18 Läufer blieben unter 2:16 Stunden. Aus US-amerikanischer Sicht gab es noch positiv hervorzuheben, dass Chris Derrick sein Marathon-Debüt auf einem hervorragenden neunten Platz beendete – aber logischerweise stand dies alles klar im Schatten des glorreichen Siegs von Galen Rupp.
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