Es sind ereignisreiche Tage in der Karriere von Letesenbet Gidey. Jener Läuferin, die bei einem Einladungsmeeting in Valencia am 7. Oktober 2020 in 14:06,62 Minuten einen neuen Weltrekord im 5.000m-Lauf aufgestellt hat und bei den Olympia-Trials der Äthiopier am 8. Juni 2021 in Hengelo den Weltrekord im 10.000m-Lauf auf 29:01,03 Minuten stellte. Erst am Montag begrüßte sie das NN Running Team, eines der besten der Welt, als seinen jüngsten Neuzugang. „Ich kenne das NN Running Team gut und ich bin stolz, nun Teil des besten Teams der Welt zu sein. Das erlaubt mir, in meiner Karriere den nächsten Schritt zu machen“, wird die 23-Jährige zitiert. Diesen Stolz erwiderte Teamdirektor Jos Hermens und sieht in Gidey die perfekte Ergänzung des Teams, nicht nur sportlich, sondern auch dank ihrer Persönlichkeit.
RunAustria-Tipp: Der Valencia Halbmarathon wird am Sonntag mit Start um 8:30 Uhr auf dem Youtube-Kanal des Veranstalters live übertragen.
Youtube-Livestream
Aufbruch zu gigantischen Zielen
Nächster Schritt, das könnte in erster Linie zweierlei bedeuten. Erstens hat die zweifache Junioren-Weltmeisterin im Crosslauf zwar etliche internationale Erfolge auf der Habenseite, die weltbewegenden Ergebnisse erzielte sie auf der Zeit-, nicht auf der Ergebnisliste. Sie ist Vize-Weltmeisterin und Olympia-Dritte im 10.000m-Lauf, jeweils besiegt von Sifan Hassan. Zweitens, der Aufbruch zu neuen Ufern. Beim Halbmarathon-Debüt steht der Weltbestleistungshalterin im 15km-Straßenlauf gleich die größtmögliche Prüfung bevor, denn die – bis heute – Weltrekordhalterin Yalemzerf Yehualaw steht mit ihr an der Startlinie. Gidey sprach in der Aussendung des NN Running Teams neben dem Olympiasieg allerdings von einem langfristigen Ziel: den Marathon-Weltrekord. Das Halbmarathon-Debüt ist also eine Art Durchgangsstation.
Duell der echten mit der „falschen“ Weltrekordhalterin
Ein Duell zwischen den Weltrekordhalterinnen im Halbmarathon und auf den längsten Bahndistanzen ist mit die faszinierendste Ausgangsposition, die ein Halbmarathon haben kann. Das letzte Duell der beiden gab es in Hengelo, als Gidey der viertplatzierten – und damit Nicht-Olympionikin – Yehualaw fast 1:20 Minuten aufbrummte. Das ist eine Überrundung! Im Halbmarathon ist aber die 22-Jährige die Nummer eins, seit sie den Antrim Halbmarathon am 29. August in einer Fabel-Weltrekordzeit von 1:03:44 Stunden gewann. Diese Leistung ist aber auf der Statistikseite des Leichtathletik-Weltverbandes nicht mehr online, weil sie laut Medienberichten heute für offizielle Anerkennung annulliert wurde (siehe RunAustria-Meldung). Der Veranstalter hatte bei der Streckenvermessung gepfuscht, ist in Medienberichten zu lesen. Die offizielle Halbmarathon-Weltrekordhalterin ist also seit heute wieder Ruth Chepngetich mit einer Zeit von 1:04:02 Stunden – ein Umstand, der Yehualaw wohl zusätzlich motivieren wird.
Zahlenspiele lassen Weltrekord erwarten
Klare Favoritin ist sie deshalb allerdings nicht. Denn die jüngsten Halbmarathon-Debüts von 5.000m- und 10.000m-Spezialistinnen waren allesamt bemerkenswert: Sifan Hassan lief einen Europarekord, Hellen Obiri debütierte im Frühling in 1:04:51 Stunden. Und Gidey, die aus der äthiopischen Kriegsregion Tigray stammt, hat bekanntlich die besseren Bestzeiten als die beiden auf den Bahndistanzen. Was allerdings bedeutender ist: Laut Performance Score von World Athletics entspricht die alles bisher da gewesene überragende Weltbestleistung von 44:20 Minuten im 15km-Lauf einer Halbmarathonzeit von 1:03:07 Stunden – 55 Sekunden schneller als der Weltrekord. Und dieser ist im Übrigen mit dem selben Performance Score bewertet wie der überlegene Marathon-Weltrekord von Brigid Kosgei (2:14:04). Der Schluss: Da die Wetterprognose wie so oft für Valencia richtig gut ist, ist der Halbmarathon-Weltrekord am Sonntag richtig in Gefahr. Die US-amerikanische Laufplattform „Let’s Run“ zitiert Yehualaws Manager, seine Athletin will die ersten fünf Kilometer in etwa 15 Minuten und die ersten zehn Kilometer in etwa 30:15 Minuten anlaufen.
Dibaba von der Startliste verschwunden
Das Elitefeld der Frauen ist äthiopisch geprägt. Neben den beiden genannten Stars sind auch Senbere Teferi, eine schnelle 5.000m- und Halbmarathonläuferin, und Hawi Feysa am Start. Teferi hatte das Rennen vor der Pandemie in 1:05:32 Stunden gewonnen. Dagegen fehlt die ursprünglich angekündigte Genzebe Dibaba in der letzten verfügbaren Auflistung. Die kenianischen Topläuferinnen sind Sheila Chepkirui und Brende Jepleting.
Auch einige gute europäische Halbmarathonläuferinnen sind am Start: Sarah Lahti aus Schweden, Jessica Augusto aus Portugal und Fionnuala McCormack aus Irland. Die Schweizerin Nicole Egger, die zuletzt als Gaststarterin bei den österreichischen 10.000m-Meisterschaften aktiv war, greift ihre persönliche Bestleistung von 1:13:34 Stunden an. Zuletzt hat sie in St. Moritz trainiert. Die britische 3.000m-Hindernisläuferin Aimee Pratt feiert ihre Halbmarathon-Premiere.
Kipruto an der Stätte seines wunderbaren Debüts
Nicht nur das Rennen der Frauen ist hervorragend besetzt, sondern auch jenes der Männer. Star des Elitefeldes ist Rhonex Kipruto, der eine seiner beiden Sternstunden in Valencia erlebte. Vor einem Jahr debütierte der Weltrekordhalter im 10km-Straßenlauf in Valencia im Halbmarathon und blieb zwölf Sekunden unter dem Halbmarathon-Weltrekord von Geoffrey Kamworor. Sein Pech: Zwei, nämlich Sieger und Neo-Weltrekordhalter Kibiwot Kandie sowie Weltmeister Jacob Kiplimo waren noch einmal deutlich schneller. Der 22-jährige Kipruto führt ein Feld von fünf kenianischen Athleten an, die in ihren Karrieren bereits unter 59 Minuten gelaufen sind: Philemon Kiplimo (58:11), Kelvin Kiptum (58:42), Abel Kipchumba (58:48) und Felix Kipkoech (58:57) – Kiplimo und Kiptum schafften das ebenfalls im Vorjahr in Valencia, Kipchumba als Sieger eines Einladungsrennens in Herzogenaurach vor fünf Wochen, Kipkoech als Sieger des Berliner Halbmarathons vor gut zwei Monaten. Alle fünf haben daher frische Bestleistungen, was ihre herausragende Leistungsfähigkeit in der Nähe der Gegenwart untermalt.
Moen und Mayo an der Spitze starker Europäer
Interessantester Nicht-Kenianer im Feld ist der zweifache 5.000m-Weltmeister Muktar Edris, der im Halbmarathon bereits eine Zeit von 59:04 Minuten gelaufen ist, aber aus einer aus seiner Sicht miserablen Bahnsaison kommt. Als amtierender Weltmeister hat er den Sprung ins äthiopische Olympia-Aufgebot klar verpasst. Das Feld der Europäer führt Sondre Nordstad Moen an, der in Valencia schon einmal unter einer Stunde gelaufen ist. Das war vor vier Jahren, damals Europarekord. Die spanischen Zuschauer werden insbesondere Carlos Mayo auf die Beine schauen. Der 26-Jährige ist in seiner Karriere erst einen Halbmarathon gelaufen, der war allerdings extrem schnell: 1:00:06 Stunden – natürlich, im Vorjahr in Valencia.
Die Gruppe der starken Europäer komplettieren die Spanier Juan Antonio Perez und Javier Guerra sowie die beiden Deutschen Nils Voigt und Amanal Petros. Letzterer hat bereits öfters eine Attacke auf den deutschen Rekord angekündigt, kaum eine Strecke eignet sich dafür so gut wie die schnelle in Valencia. Der Schweizer Patrik Wägeli nimmt seine persönliche Bestleistung von 1:04:51 Stunden ins Visier und bestreitet sein wichtigstes Vorbereitungsrennen auf den Marathon an gleicher Stelle in sechs Wochen. Die beiden jungen Kenianer Rodgers Kwemoi und Mathew Kimeli feiern ihre Halbmarathon-Premiere. „Ich will auftreten wie auf der Bahn. Die Distanz ist kein Problem, die kenne ich aus dem Training“, sagte Kwemoi der kenianischen Tageszeitung „The Star“ und bezeichnete sein Debüt im Halbmarathon als Traum.
Neue Strecke, anderes Ziel
Der Valencia Halbmarathon hat sich in den letzten Jahren nicht nur als WM-Austragungsort 2018 einen Namen gemacht, sondern auch mit seiner schnellen Strecke. Die wurde aus organisatorischen Gründen nun verändert, laut Angaben des Veranstalters, um das COVID-Präventionskonzept besser umsetzen zu können. Damit fällt auch das herrliche Finish auf dem Gelände der Ciutat de les Arts i les Ciències weg. Start und Ziel befinden sich auf der Avenida de Tarongers auf Höhe der Universität von Valencia. Die Strecke soll aber nach wie vor schnell sein.
12.000 Läuferinnen und Läufer aus 87 Nationen sind für die 30. Auflage des Valencia Halbmarathon zugelassen. Platz für Neuanmeldungen gab es daher nur auf einer Warteliste, schließlich haben 77% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die für den Halbmarathon 2020 angemeldet waren, der schließlich im Rahmen des Valencia Marathon als Eliterennen ausgetragen wurde, sich für die Variante eines Startplatzes im Jahr 2021 entschieden.
Medio Maraton Valencia Trinidad Alfonso