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Georgia Hunter-Bell und Melissa Coutney-Bryant galten als Favoritinnen auf die Goldmedaillen im 1.500m- und 3.000m-Lauf, sie konnten ihren Rollen aber nicht vollends gerecht werden. Im 800m-Lauf überraschte die bekannt endschnelle Anna Wielgosz das Feld mit einer vorentscheidenden Attacke in der vorletzten Runde.
In Abwesenheit des verletzten 800m-Topstars Keely Hodgkinson hätte Georgia Hunter-Bell für die Trainingsgruppe von Trevor Painter und Jennifer Meadows die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. So grandios die Karriere in den letzten Jahren für die 31-jährige Spätberufene auch gelaufen ist – Vierte bei der Hallen-WM, Silbermedaille bei den Europameisterschaften und die Krönung bei den Olympischen Spielen mit der Bronzemedaille, alles im Wettkampfjahr 2024.
Der Rückschlag bei den Hallen-Europameisterschaften von Apeldoorn am Freitagabend war ein großer. In der letzten Runde durchgereicht fand sich die klare Favoritin im 1.500m-Lauf, die als Europas Jahresschnellste ins Rennen gegangen war, auf dem undankbaren vierten Platz wieder. Ein Wimpernschlag kostete der völlig erschöpften Engländerin im Duell mit ihrer Landsfrau Renee Walcott-Nolan, nach einem Zweikampf an der Grenze des Erlaubten, sogar noch die Bronzemedaille.
„Ich weiß nicht wirklich, was heute passiert ist. Ich habe geglaubt, ich würde gewinnen. Ich habe den Plan genau durchgezogen, aber ich war dann völlig blockiert“, sagte die 31-Jährige gegenüber dem britischen Leichtathletik-Magazin „Athletics Weekly“. Eine Infektion im Ohr habe sie im Vorfeld geschwächt, an der Startlinie habe sie sich aber physisch ok gefühlt. Somit lag es an Revee Walcott-Nolan, britisches Lächeln zu verbreiten. In einer Zeit von 4:08,45 Minuten holte sie ihr erstes internationales Edelmetall: Bronze.
Lange Zeit sah es tatsächlich nach einem Triumph für Hunter-Bell aus. Sie kontrollierte den Wettkampf, das Feld überließ ihr die Kontrolle auch. Doch im letzten Umlauf konnte die Britin der Attacke der Französin Agathe Guillemot nicht einmal ansatzweise eine Antwort geben. Die 25-Jährige, die im vergangenen Jahr mit Position sieben bei den Hallen-Weltmeisterschaften und der Bronzemedaille bei den Europameisterschaften von Rom ihren Durchbruch hatte, zog durch und sicherte sich in einer Zeit von 4:07,23 Minuten die Goldmedaille. „Es ist unglaublich, verrückt. Ich habe gegen Georgia gewonnen, die bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewonnen hat. Das kann nur bedeuten, ich bin ein fantastisches Rennen gelaufen“, jubelte die Siegerin.
Für Frankreich ist diese Medaille eine besondere: Ein Jahrzehnt lang hatte die „Grande Nation“ im 1.500m-Lauf der Frauen gar keine Hallen-EM-Teilnehmerin, zuletzt stand vor 20 Jahren in Madrid eine Französin in einem Hallen-EM-Finale im 1.500m-Lauf. Auch damals endete das Finale mit Edelmetall, Hind Dehiba Chahyd holte Bronze – die bisher einzige französische Medaille in dieser Disziplin bei Hallen-Europameisterschaften. Nicht minder außergewöhnlich war die Silbermedaille durch Salomé Afonso, der bisher größte Erfolg in der Karriere der 27-Jährigen. Es ist der zweitgrößte Erfolg für Portugal in dieser Disziplin bei Hallen-Europameisterschaften nach der Goldmedaille von Carla Sacramento in Stockholm 1996.
Den größten Erfolg ihrer internationalen Karriere schaffte auch die Schweizerin Joceline Wind, die den Sprung ins Finale schaffte und dort als Achte ins Ziel lief. Besser war zuletzt Sandra Gasser, die 1990 in Glasgow die Silbermedaille gewonnen hat.
Viel größer waren die Hoffnungen der Schweizerinnen im 800m-Lauf. Nachdem Lore Hoffmann bereits am Samstag im Halbfinale ausgeschieden war, übernahmen ihre Landsfrauen Rachel Pellaud und Audrey Werro im sechsköpfigen Finale anfänglich das Kommando. Im Laufe des Rennens gerieten die Schweizerinnen aber ins Hintertreffen, Pellaud hatte in der Schlussphase bereits keine Chance mehr und wurde Fünfte.
Werro, die suboptimal platziert in die letzte Runde ging, versuchte auf der Gegengerade vehement außen an Anita Horvat vorbeizugehen, es ging um Position drei. Sie schaffte es nicht, kam vor der Kurve nach einer Berührung außer Tritt und zu Sturz. Damit war das Rennen für die 20-Jährige gelaufen. Auch wenn das Schweizer Duo im Finale nicht zu den erhofften Resultaten lief, sammelte es ein paar wichtige Punkte für das starke Schweizer Abschneiden im Placing Table. Im Medaillenspiegel erreichte das Nationalteam unseres Nachbarlandes gar den vierten Platz!
Die taktische Überraschung des Rennens lieferte Anna Wielgosz mit einer vehementen Tempoverschärfung in der dritten von vier Runden. Die 31-Jährige, deren bisher größter Erfolg die Bronzemedaille bei den Europameisterschaften von München 2022 war, behauptete die Spitzenposition gegen die Französin Clara Liberman in der vorletzten Kurve und behielt die Spitzenposition bis hinter der Ziellinie. „Es war das perfekte Timing heute. Auf diesen Tag habe ich gewartet, seitdem ich mir 2010 als junges Mädchen Träume für meine Karriere gemacht habe. Jetzt sind diese Träume erfüllt“, jubelte die dritte polnische Hallen-Europameisterin in dieser Disziplin nach Elzbieta Katolik 1974 und Jolanta Januchta 1980.
Clara Libermans Silbermedaille ist die sechste französische in dieser Disziplin in der Geschichte von Hallen-Europameisterschaften. Für die 24-Jährige selbst ist es der mit Abstand größte Erfolg ihrer Karriere. Wie im Falle von Wielgosz hat sich im Vorfeld von Apeldoorn eine Topform angekündigt. Die Polin präsentierte sich bei den nationalen Meisterschaften mit einem grandiosen Auftritt. Auch Liberman gewann die Goldmedaille bei den nationalen Hallenmeisterschaften und lief davor einige starke Meetings.
Für die Slowenin Horvat, eine ehemalige 400m-Spezialistin, ist es die zweite Medaille bei Hallen-Europameisterschaften nach Silber vor zwei Jahren. Die 28-Jährige rettete die Bronzemedaille im Endspurt gegen die auf der Innenbahn kämpfende Italienerin Eloisa Coiro, am Ende um 0,07 Sekunden. In einer Zeit von 2:02,52 Minuten hatte sie letztendlich keine Chance auf mehr, nachdem sie ausgangs der dritten Runde etwas den Zug an der Spitze verpasst hatte.
Die chronologisch letzte Laufentscheidung der Frauen brachte im 3.000m-Lauf das Duell um Gold zwischen Melissa Courtney-Bryant und Sarah Healy, die beiden europäischen Jahresschnellsten. Die Waliserin Courtney-Bryant kam als Erste aus der letzten Kurve, doch die Irin Healy hatte den längeren Atem und die höhere Endgeschwindigkeit. In einer Zeit von 8:52,86 Minuten feierte die zweifache U18-Europameisterin aus dem Jahr 2018 ihren bisher größten Erfolg. Es ist auch für die irische Leichtathletik ein besonderes Resultat, es ist die sechste irische Goldmedaille im Rahmen von Hallen-Europameisterschaften und die erste im 3.000m-Lauf der Frauen.
Für Courntey-Bryant war die Silbermedaille ihr bisher größter Erfolg. Nach zwei Bronzemedaillen 2019 und 2023 ist es auch ihr bestes Abschneiden bei Hallen-Europameisterschaften. Im Kampf um Bronze überholte Salomé Afonso auf den letzten Metern noch die Spanierin Marta Garcia, die davor in der Schlussphase das Tempo im Feld gemacht hat. Für Afonso war es bereits der zweite Medaillengewinn in den Tagen von Apeldoorn. Ein starkes Rennen lief auch die deutsche Hindernislauf-Spezialistin Lea Meyer, die als Siebte ins Ziel kam.
Überschattet wurde das Rennen von einem schweren Sturz der mitfavorisierten Holländerin Maureen Koster, die heftig mit dem Kopf auf der harten Laufbahn aufschlug. Schlagartig wurde es in der Halle ruhig, die Athletin wurde von den Rettungskräften von der Bahn gezogen, abgeschirmt und versorgt. Die 32-Jährige verlor kurzzeitig ihr Bewusstsein und wurde ins Krankenhaus gebracht. „Zum Glück geht es mir abgesehen von einer leichten Gehirnerschütterung, ein paar Prellungen und einem gebrochenen Herzen gut“, schrieb die Holländerin entwarnend auf ihrem Instagram-Kanal.
Autor: Thomas Kofler
Bilder: © Maja Hitij / Getty Images for European Athletics, © European Athletics / Sona Maleterova