In Abwesenheit seines theoretisch schwierigsten Gegners auf europäischem Parkett, Mohamed Katir aus Spanien, der auf die kontinentalen Titelkämpfe am Bosporus verzichtet hat, war es dessen Landsmann Adel Mechaal, der Jakob Ingebrigtsen am gestrigen Abend im 3.000m-Lauf versuchte, an dessen Grenzen zu bringen. Kein Wunder, dass der Skandinavier bereits nach wenigen Metern an die Seite des aus Marokko stammenden Spaniers liefs und ihm einen prüfenden Blick zuwarf. Danach ging Ingebrigtsen an die Spitze des Feldes, um sein Tempo bestimmen zu können. Und das war mit Durchgangszeiten von 2:41,95 Minuten und 5:15,45 Minuten nach 1.000 bzw. 2.000m nicht langsam, aber auch nicht superschnell. Erst gegen Ende des zweiten Kilometers erhöhte der Favorit die Schlagzahl, das Feld fädelte sich weit auf. Rundenzeiten von rund 30 Sekunden brachte viele außer Atem.
Keine Chance für die Konkurrenz im Finale
Als die Glocke bimmelte, hingen Mechaal und der Serbe Elzan Bibic, der sich 200 Meter vor dem Ende auf Platz drei geschoben hatte, am Rücken Ingebrigtsens. Der sukzessive Steigerungslauf des Norwegers fand seinen Höhepunkt in der Schlussrunde, die er in 26,54 Sekunden absolvierte. In einer Zeit von 7:40,32 Minuten blieb er gut fünf Sekunden unter dem norwegischen Hallenrekords seines älteren Bruders und nunmehrigen Managers Henrik, der damals Bronze in Prag 2015 gewann, und brachte eineinhalb Sekunden zwischen sich und Mechaal. „Natürlich haben viele meinen Sieg heute erwartet. Ich hätte gerne ein bisschen mehr Konkurrenz gehabt, es hat sich angefühlt, als würde ich für mich alleine laufen. Aber alles in allem war es ein großartiger Abend“, bilanzierte der Europameister, der seinen Titel verteidigte. Mechaal, der mit einer türkischen Läuferin verheiratet ist, sagte: „Ich hätte gehofft, dass Jakob irgendwann eine kleine Schwäche zeigt. Aber seine Frequenz in der Schlussrunde war enorm und ich habe nur mehr darauf geachtet, Silber nach Hause zu bringen.“ Bibic sicherte sich in 7:44,03 Minuten die Bronzemedaille, in der Schlussrunde konnte der 24-Jährige lediglich seinen dritten Platz absichern. „Es ist meine erste Medaille bei den Erwachsenen, völlig unerwartet, daher bin ich extrem stolz“, meinte der Serbe, der die erste serbische Medaille bei Hallen-Europameisterschaften in einer Laufdisziplin überhaupt gewann. Der Deutsche Sam Parsons hatte als Siebter zu keinem Zeitpunkt eine Medaillenchance.
Gourley zwingt Ingebrigtsen zu Meisterschaftsrekord
Bereits am Freitagabend stand der Finallauf im 1.500m-Lauf der Männer auf dem Programm und Jakob Ingebrigtsen hatte seine erste Chance auf eine Goldmedaille. Mit bereits zwei Vorläufen seit dem Start der Titelkämpfe am Donnerstag, in denen der Norweger allerdings nicht an sein Limit gehen musste, in den Knochen setzte sich der Favorit gleich an die Spitze und bestimmte die Pace in einem flotten Rennen mit einer 800m-Durchgangszeit von 1:55,47 Minuten. Gefordert vom starken Schotten musste Ingebrigtsen für den Sieg aber eine saubere Leistung abliefern und enttäuschte auch in der Schlussphase nicht. Auf die gute Position des Schotten reagierte der Norweger mit einer Tempoverschärfung zum Glockenton mit der schnellsten Runde seit der Anfangsphase. Am Ende der Gegengerade versuchte Neil Gourley einen ernsthaften Angriff, doch Ingebrigtsen hielt die Nase vorne und lief auf der Innenbahn in die letzte Kurve ein.
Deutlicher neuer Meisterschaftsrekord
Mit einem entschlossenen Schlussspurt lief der 22-Jährige zu einer Zeit von 3:33,95 Minuten und verbesserte damit den 18 Jahre alten Meisterschaftsrekord des Ukrainers Ivan Heshko um fast drei Sekunden. „Das war ein großartiger Kampf mit Gourley, er ist wirklich stark gelaufen. Ich bin sehr glücklich, wie das heute gelaufen ist“, kommentierte Ingebrigtsen am Freitag. Am Sonntag zog er Bilanz über seine Hallensaison und trotz des versöhnlichen Endes mit den programmierten Goldmedaille war Ingebrigtsen nicht glücklich, da er wochenlang aufgrund einer Krankheit nicht trainieren konnte. Ingebrigtsens Erfolge waren aber ein kräftiger Mitgrund, wieso Norwegen erstmals überhaupt bei Leichtathletik-Kontinentalmeisterschaften den Medaillenspiegel gewann: Norwegen verdoppelte seine historischen Hallen-EM-Goldmedaillen von vier auf acht, alleine fünf gehen auf das Konto des Ausnahmeläufers.
Gourley sicherte sich nach einer starken Leistung in 3:34,23 Minuten die Silbermedaille, hätte aber auf mehr gehofft: „Ich war definitiv der Meinung, dass ich Jakob überholen könnte. Aber er ist halt einer der besten aller Zeiten und daher ist es schwierig gegen ihn. Ich habe alles hineingelegt und habe deshalb nicht Gold gewonnen, weil einer besser war.“ Bronze gewann aufgrund einer starken Hallensaison fast konsequenterweise der Franzose Azzedine Habz (3:35,39), der genau mit dieser Zielsetzung in die Saison gegangen war. Als einziger einer Vierer-Spitzengruppe im dritten Rennviertel ging der Spanier Jesus Gomez, bereits zweimal Gewinner einer Medaille bei diesem Event, leer aus. Pech hatte der Brite George Mills nach starken Saisonleistungen. Er stürzte im Anfangsgedränge des mit zwölf Mann großen Feldes auf der engen Bahn und war daher chancenlos.
Ein Hauch entscheidet zwischen Ben und Robert
Den spannendsten Zieleinlauf des Wochenendes in den Laufentscheidungen produzierte der 800m-Lauf der Männer. Der Spanier Adrian Ben und der Franzose Benjamin Robert huschten in einer Zeit von 1:47,34 Minuten zeitgleich über die Ziellinie, erst das Fotofinish erkannte, dass der auf Bahn zwei aus dem Hintergrund mit einem enormen Spurt daherstürmende Spanier den Wimpernschlag früher über die Ziellinie huschte als der Franzose. „Ich habe mein Herz und meine Seele in den Spurt gelegt und wollte unbedingt eine Medaille. Und dann habe ich gesehen, dass ich eine Chance auf Gold hatte“, schilderte der erste spanische Hallen-Europameister im 800m-Lauf seit Alvaro de Arriba 2019. Der 24-Jährige, der bereits im WM- und Olympia-Finale gestanden ist, feierte nach Auswertung des Fotofinishs seinen größten Erfolg bisher. Den hätte auch der 25-jährige Franzose nur allzu gerne bejubelt. Er nahm kurz vor Halbzeit des Rennens die Führungsposition ein und versuchte mit einem hohen Tempo auf der Innenbahn bis zur Ziellinie seine Position zu halten. „Es sind gemischte Gefühle. Ich bin glücklich mit Silber, aber es ist natürlich ärgerlich, wie wenig auf Gold gefehlt hat“, so der Franzose.
Diskussion um Bronze
Einen Zwischenfall gab es in der zweiten von vier Runden, als der Belgier Eliott Crestan etwas vehement auf der Innenbahn durchs Feld pflügte und den Briten Guy Learmonth touchierte. Der kam ins Straucheln, hielt sich aber auf den Beinen. Crestan verlor die Balance und machte einen Schritt nach links, um im Gleichgewicht zu bleiben. Dabei setzte er einen Fuß ins Infield, doch das Wettkampfgericht sah dadurch keinen Vorteil und so konnte Crestan seine Bronzemedaille, die er im Schlussspurt von Amel Tuka und Andreas Kramer erkämpfte, genießen. Es war das erste Edelmetall für Belgien im 800m-Lauf der Männer bei Hallen-Europameisterschaften seit dem legendären Ivo van Damme Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Der Schwede hatte im Gegensatz zu den Vorläufen dieses Mal versucht, durch ein hohes Starttempo zur Medaille zu laufen. Die ersten 200m absolvierte er in gut 25 Sekunden, in der letzten Runde fehlte ihm folglich die Kraft für mehr.
Ergebnis 3.000m-Lauf der Männer, Hallen-EM 2023
Gold: Jakob Ingebrigtsen (Norwegen) 7:40,32 Minuten *
Silber: Adel Mechaal (Spanien) 7:41,75 Minuten **
Bronze: Elzan Bibic (Serbien) 7:44,03 Minuten
- Darragh McElhinney (Irland) 7:44,72 Minuten ***
- Charles Grethen (Luxemburg) 7:46,65 Minuten
- Tim Verbaandert (Niederlande) 7:47,24 Minuten
- Sam Parsons (Deutschland) 7:48,01 Minuten
- James West (Großbritannien) 7:48,22 Minuten
- Jack Rowe (Großbritannien) 7:48,32 Minuten
- Robin Hendrix (Belgien) 7:50,46 Minuten
- Mike Foppen (Niederlande) 7:50,95 Minuten
- Magnus Tuv Myhre (Norwegen) 7:51,30 Minuten ***
- Simon Sundsröm (Schweden) 7:52,54 Minuten
- Bastien Augusto (Frankreich) 8:20,60 Minuten
DQ Emil Danielsson (Schweden)
Ergebnis 1.500m-Lauf der Männer, Hallen-EM 2023
Gold: Jakob Ingebrigtsen (Norwegen) 3:33,95 Minuten ****
Silber: Neil Gourley (Großbritannien) 3:34,23 Minuten
Bronze: Azzedine Habz (Frankreich) 3:35,39 Minuten
- Jesus Gomez (Spanien) 3:38,11 Minuten
- Pietro Arese (Italien) 3:38,91 Minuten **
- Louis Gilavert (Frankreich) 3:39,54 Minuten
- Ismael Debjani (Belgien) 3:40,06 Minuten
- Jan Fris (Tschechien) 3:40,86 Minuten
- Michal Rozmys (Polen) 3:43,09 Minuten
- Luke McCann (Irland) 3:44,55 Minuten
- George Mills (Großbritannien) 3:51,28 Minuten
DNF Ossama Meslek (Italien)
Ergebnis 800m-Lauf der Männer, Hallen-EM 2023
Gold: Adrian Ben (Spanien) 1:47,34 Minuten
Silber: Benjamin Robert (Frankreich) 1:47,34 Minuten
Bronze: Eliott Crestan (Belgien) 1:47,65 Minuten
- Amel Tuka (Bosnien Herzegowina) 1:47,90 Minuten
- Andreas Kramer (Schweden) 1:48,15 Minuten
- Guy Learmonth (Großbritannien) 1:46,46 Minuten
- Catalin Tecuceanu (Italien) 1:48,54 Minuten
- Simone Barontini (Italien) 1:48,63 Minuten
* neuer norwegischer Hallenrekord
** neue Saisonbestleistung
*** neue persönliche Hallen-Bestleistung
**** neuer Meisterschaftsrekord
Leichtathletik-Europameisterschaften 2023 in Istanbul
European Athletics