Als RunAustria.at am Mittwochnachmittag gemeinsam mit Julia Mayer (DSG Wien) im Telefongespräch auf den kommenden Sonntag blickte, war die 30-Jährige gerade auf einer lockeren Laufrunde in Valencia unterwegs. Auch, um die Atmosphäre aufzusaugen, denn sie nun kann gut schildern, dass an der selbst erwähnten Etikette der Stadt, „Ciudad del Running“, durchaus etwas dran ist. „Gefühlt ist die ganze Stadt beim Laufen. Es gibt hier traumhafte Laufstrecken, ideal“, zeigt sich die Niederösterreicherin begeistert. Es quillt auch die Vorfreude aus ihren Worten, denn die Vorzeichen Richtung ihres dritten Marathons in diesem Jahr sind sehr gut. Obwohl sie mit ihrer Bestleistung von 2:30:42 Stunden nur auf Platz 57 der Meldeliste nach Bestleistungen gereiht ist – man lasse sich diese Dichte auf der Zunge zergehen, 57, prominente Debütantinnen übrigens exklusive – erhält sie den gleichen Service im Rennen wie alle Eliteläuferinnen. „Diese hohe Dichte ist unglaublich motivierend, das Feld ist irre stark“, meint Mayer. Die Aussicht auf nationale Rekorde sind für den Veranstalter von erheblicher Bedeutung, in den letzten Jahren gab es etliche zu feiern. Und bei aller Vorsicht, die in einer Sportart wie dem Marathonlaufen immer und jederzeit geboten ist: Bei Julia Mayer sind die Aussichten darauf gut. Denn auch die äußeren Bedingungen könnten, zumindest laut Prognose, ziemlich ideal sein: kühle Temperaturen nach Tagesanbruch, Sonnenschein und wohl sehr wenig Wind für die Meeresnähe der Stadt. Ganz generell: Den Winter in Mitteleuropa spüren die Valencianer noch nicht.
RunAustria TV-Tipp: Der Valencia Marathon wird am Sonntag ab 8 Uhr live auf Eurosport 2 übertragen. Außerdem läuft ein Livestreaming auf der Plattform streamster.
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Mit mehr Tempo und bei bester Gesundheit
Der Optimismus ergründet sich im Wesentlichen nicht nur durch ihr Leistungsniveau über die letzten Jahre bis hin zu ihren beiden Marathon-Erfahrungen in Wien und bei der WM in Budapest, sondern auch im abgelaufenen Trainingszyklus. „Ich bin sehr glücklich mit der Vorbereitung, eigentlich hat alles geklappt“, erzählt sie, „ganz besonders zufrieden bin ich mit den wichtigen Einheiten, die ich in Wien mit meinen Vereinskollegen von der DSG absolviert habe.“ Abwechselnd unterstützten sie u.a. Nachwuchshoffnung Timo Hinterndorfer sowie die Routiniers Patrick Krammer und Stephan Listabarth beim Gelingen zentraler Trainingseinheiten.
Wichtigster Aspekt im Trainingszyklus war die Geschwindigkeit. So setzte Julia Mayer in Zusammenarbeit mit ihrem Trainer Vincent Vermeulen darauf, in der vergleichbaren Strategie wie in Vorbereitung vor den letzten Marathons alle Einheiten qualitativ minimal schneller umzusetzen. „Um meine Skills im Marathon zu erweitern und mich weiter zu verbessern, war das der richtige Ansatz“, ist die 30-Jährige überzeugt und gibt der Vorbereitung gute Noten. In diese Strategie passten auch zwei kleinere Wettkämpfe auf heimischem Terrain, zuletzt ein Halbmarathon im Wiener Prater als Test für das geplante Wettkampftempo beim Valencia Marathon.
Die zweite große Herausforderung neben den Trainingsinhalten war für Mayer die Gesundheit und neuerlich ist es ihr gelungen, ohne Rückschläge durch Erkrankungen durch die Vorbereitung zu kommen. Das sei schwieriger denn je gewesen, weshalb sie auf höchste Vorsicht gesetzt hat, besonders nachdem die kalte Luft der Winterzeit auch Wien erreicht hat: „Gefühlt sind alle in meinem Umfeld krank oder kränklich gewesen. Es war sehr herausfordernd, aber es ist mir gelungen, allem aus dem Weg zu gehen, ohne mich sozial völlig zurückzuziehen.“
Laufsport mit dem Rechenschieber
Für die Qualifikation für die Olympischen Marathonläufe in Paris 2024 wird der Valencia Marathon einer der wichtigsten Termine im noch bis Anfang Mai andauernden Qualifikationszeitraum. Die Weltrangliste, die sich konkretisiert in der „Road to Paris“ darstellt, ist seit Wochen mächtig in Bewegung. 56 Startplätze sind bereits über die Fixqualifikation definiert, 80 Startplätze sehen das Internationale Olympische Komitee und World Athletics in den Marathonläufen vor. Julia Mayer ist auf Platz 77 abgerutscht, ihre beiden gewerteten Leistungen sind Stand jetzt jene beim Vienna City Marathon (2:30:42 plus 45 Punkte für den österreichischen Meistertitel) und jene beim Gent Halbmarathon (1:11:31, keine Zusatzpunkte). Um ein zufällig gewähltes Rechenbeispiel anzubringen: Würde Julia Mayer am Sonntag eine Zeit von 2:28:35 Stunden laufen, erhielte sie 1.147 Punkte (angesichts der Qualität des Feldes vermutlich ohne Zusatzpunkte über die Platzierung) und damit 48 Punkte mehr als beim Gent Halbmarathon. Das würde ihren Punktschnitt um 24 Zähler erhöhen, womit sie – alle anderen Resultate des kommenden Wochenendes außer Acht gelassen – bis auf Rang 61 hochklettern würde. Eine Direktqualifikation für Paris 2024 ist nur mit einer Zeit von 2:26:50 Stunden oder schneller möglich.
Planung Richtung klarer Verbesserung des österreichischen Rekords
Die Startaufstellung für den Valencia Marathon lässt nur einen Schluss zu: Eine große Gruppe wird auf das Olympia-Limit anlaufen. Der Veranstalter stellt entsprechende Tempomacher-Unterstützung, die taktischen Feinheiten werden wie üblich beim technischen Meeting am Tag vor dem Wettkampf besprochen. Mayer zeigt keine Angst vor einem Tempo, das möglicherweise auf eine Halbmarathon-Zwischenzeit von 1:13:20 bis 1:13:30 ausgerichtet wäre, will es aber dennoch vermeiden. „Einerseits weiß ich zwar, was ich drauf habe und kann meine Trainingsleistungen interpretieren. Andererseits will ich das Risiko aber nicht eingehen“, sagt sie bestimmt. Sie hofft, dass der ein oder andere Tempomacher für eine etwas moderatere Angangszeit eingeteilt wird, oder alternativ auf eine Gruppe sehr engagierter spanischer Freizeitläufer, die in ihrem Leistungsbereich laufen. Sie denkt an eine Halbmarathon-Durchgangszeit von 1:14 Stunden oder knapp darunter – was das für die Zielsetzung bei der Endzeit bedeutet, kann leicht errechnet werden.
Halb Europa in Spanien
Die Dichte im Leistungsbereich rund um das Olympia-Limit und darüber ist am Sonntag außergewöhnlich, vielleicht einmalig bei einem großen Stadtmarathon. Je sieben Läuferinnen haben Bestleistungen vom Olympia-Limit bis 2:28 bzw. zwischen 2:28 und 2:29, elf Läuferinnen haben Bestleistungen mit 2:29. In dieser Gruppe befinden sich etliche Europäerinnen wie die Deutsche Rabea Schöneborn, die Top-Französinnen, ein polnisches Quartett und eine Gruppe hoffnungsfroher Spanierinnen, die die heimischen Bestenliste gerne umkrempeln würden. Etliche der schnellsten Europäerinnen im Feld haben das Olympia-Limit schon in der Tasche, wie zum Beispiel die Schweizer Rekordhalterin Fabienne Schlumpf, die nach dem Berlin Marathon ihren zweiten Herbst-Marathon angeht, die Kroatin Bojana Bjeljac, die im Vorjahr eine Zeit von 2:23:39 Stunden gelaufen ist, die Italienerin Sofia Yaremchuk, die den nationalen Rekord gefährden könnte, die Deutsche Fabienne Königstein, die verletzungsbedingt den Frankfurt Marathon abgesagt hat, oder die polnische Europameisterin Aleksandra Lisowska. Zur Gruppe jener Europäerinnen, die persönliche Bestleistungen unter 2:26:50 Stunden aufweisen können, aber das Olympia-Limit nicht in der Tasche haben, gehört die Deutsche Melat Kejeta, der irische Routinier Fionnuala McCormack, die Türkin Sultan Haydar, die Portugiesin Salomé Rocha und die Holländerin Nienke Brinkman, die ihr Ausweichrennen läuft, nachdem sie in Amsterdam kurzfristig absagen musste.
Intensiver Kampf um Olympia-Startplätze in Spanien
Mit besonderer Brisanz ist der spanische Kampf um die Olympia-Startplätze versehen, das Maximalkontingent von drei Athletinnen stehen dem spanischen Verband schon zur Verfügung. Ein Mitgrund ist die mit Anfang Oktober vollzogene Einbürgerung der Marokkanerin Majida Maayouf. Die hat im letzten Jahr beim Valencia Marathon in einer Zeit von 2:21:01 Stunden einen Landesrekord aufgestellt, allerdings für Marokko. Dieser zählt nach der Einbürgerung als Qualifikationsleistung für das spanische Kontingent. Die weiteren Plätze haben die spanische Rekordhalterin Marta Galimany (Valencia 2022) und Meritxell Soler (Sevilla 2023) inne, das Olympia-Limit unterboten hat auch Fatima Azzanraa Ouhaddou Nafie, seit 26. Oktober 2022 für Spanien startberechtigt und ebenfalls aus Marokko stammend. Sie lief in Rotterdam 2023 eine Zeit von 2:26:44 Stunden und könnte sich beim Valencia Marathon 2023 in eine bessere Position bringen. Praktisch das komplette Aufgebot der spanischen Frauen-Spitze ist am Start, mit Ausnahme von Soler. Also auch die frisch gebackene spanische Halbmarathon-Rekordhalterin Laura Luengo, die beim Valencia Halbmarathon am 22. Oktober eine Zeit von 1:09:41 Stunden gelaufen ist und ihr Debüt im Marathon gibt.
Prominente Äthiopierinnen
An der Spitze des Feldes ist die Chance auf einen äthiopischen Sieg groß. Angeführt wird das Feld von Tsehay Gemechu, die heuer als Zweite beim Tokio Marathon unter 2:17 Stunden gelaufen ist. (UPDATE: Tsehay Gemechu wurde wegen eines Vergehens gegen die Anti-Doping-Regeln unmittelbar vor dem Valencia Marathon provisorisch supendiert, gab die Athletics Integrity Unit bekannt.). Zweite auf der Liste ist Almaz Ayana, ehemalige Weltklasseläuferin im 10.000m-Lauf und nach privaten Pausen nun auch im Marathon mit ersten Erfolgsschritten, darunter ihr Triumph beim Amsterdam Marathon 2023. Die dritte sub-2:18-Läuferin im Feld ist die Äthiopierin Worknesh Degefa. Nach dreieinhalb Jahren Wettkampfpause hat sie beim Trento Halbmarathon am 1. Oktober ein gutes Comeback gegeben, nach dieser langen Zeit stehen aber Fragezeichen hinter ihrem Leistungsvermögen. Es ist ihr erster Marathon als zweifache Mutter.
Gemechu und Ayana gehen als Favoritinnen ins Rennen, die beiden kenianischen Eliteläuferinnen sind Celestine Chepchirchir und Jackline Chelal – maximal Außenseiterinnen. Eher für den Sieg in Frage kommen die beiden weiteren Äthiopierinnen Genzebe Dibaba, vor acht Wochen Sechste beim Chicago Marathon, und Hiwot Gebrekidan sowie die für Rumänien laufende Joan Melly. Die gebürtige Kenianerin ist seit Mai 2021 rumänische Staatsbürgerin, was laut Regularien des Leichtathletik-Weltverbands bedeutet, dass sie rechtzeitig zu den Olympischen Spielen für das osteuropäische Land startberechtigt ist. Die 33-Jährige war jahrelang eine der besten Halbmarathonläuferinnen der Welt und überzeugte in Seoul 2022 mit einer Marathonzeit von 2:18:04 Stunden. Seit dem London Marathon 2022, wo sie Fünfte war, fehlen aber brauchbare Wettkampfergebnisse, was auch bedeutet, dass Melly sich noch das Olympia-Limit holen muss. Auch eine Debütantin könnte überraschend: Bosena Mulatie aus Äthiopien. Im Kreis der Marathon-Debütantinnen befindet sich auch die Schweizerin Nicole Egger.
Valencia Marathon Trinidad Alfonso