„Mit dem siebten Platz habe ich all meine Erwartungen übertroffen. Es ist einfach nur cool!“, zog Kevin Kamenschak (ATSV Linz LA) nach dem Abenteuer U20-EM in Tallinn ein euphorisches Fazit. Eigentlich war der Trip in Estlands Hauptstadt nicht wirklich auf seinem Radar gewesen, doch nach der Absage der U18-Europameisterschaften in Rieti warf sich der 17-jährige Oberösterreicher ins Getümmel der Älteren. Und gerade in diesem Altersbereich ist Altersunterschied aufgrund der körperlichen Entwicklung und der Wettkampferfahrung gewichtiger als im späteren sportlichen Leben. Trotzdem kämpfte sich der Österreicher ins Finale und schnitt dort als Siebter besser ab, als es die Leistungsparameter des Feldes im Vorfeld erwarten ließen. Ein Erfolg also!
Erster Gratulant
Kamenschak erzählte nach dem Rennen von einer Lockerheit und einem guten Laufgefühl, das er nach dem erreichten und durchaus hohen Ziel Finalteilnahme auch haben durfte. Er wählte einen reifen Ansatz, platzierte sich in der ersten Runde im hinteren Mittelfeld und verlor nach einigen Positionsbewegungen durch die Konkurrenz einige Positionen. Bei der Durchgangszeit nach 800m lag er auf dem vorletzten Platz, wechselte aber postwendend auf die Außenbahn und überholte bis zum Glockenton, der die letzte Runde ankündigte, zwei Kontrahenten. Auch die letzte Runde war eine gute, was ihn noch von Position neun auf Rang sieben brachte. Seine Zeit: 3:49,68 Minuten, im Dunstkreis seiner persönlichen Bestleistung. Das Bremsmanöver hinter der Ziellinie timte der Linzer so, dass er der erste Gratulant des irischen Junioren-Europameister Cian McPhillips war.
McPhillips gewinnt Endspurt gegen van Riel
Der am Ende viertplatzierte Brite Kane Elliott setzte sich vom Start weg an die Spitze vor McPhillips und blieb bis 250 Meter vor dem Ziel dort. Erst zu diesem Zeitpunkt gab es den ersten Move, der das Rennen entscheiden sollte. Fast parallel puschten der Ire und Elliots Landsmann Henry McLuckie, Elliott wehrte sich, im Windschatten des Trios konnte der Holländer Rick van Riel mitgehen. Zu viert ging es auf die Zielgerade, es entstanden zwei Spurtentscheidungen. Die erste entschied McPhillips gegen van Riel für sich, in der zweiten ging Elliott wenige Meter vor dem Ziel die Puste aus, McLuckie profitierte. „Es war sehr hart und ich bin ehrlich gesagt immer noch ein bisschen geschockt, dass es so gut aufging“, sagte der Sieger, der sich über eine suboptimale Vorbereitung aufgrund der Pandemie und Schulverpflichtungen beschwerte. Seit dem 20. Februar ist der nun 19-Jährige auf dem Schirm der europäischen Leichtathletik, als er bei einem Meeting in Dublin in der Halle eine Zeit von 1:46,13 Minuten im 800m-Lauf auf die Bahn legte. Bei den folgenden Hallen-Europameisterschaften scheiterte er im Halbfinale, aus den beschriebenen Gründen absolvierte er im Vorfeld der Junioren-Europameisterschaften nur ein Rennen. Er siegte bei den AAI Games in Dublin.
Van Riel jubelte im Ziel am lautesten über Edelmetall und schwärmte von einer „einzigartigen Atmosphäre“. Gleichstellung gibt es nun im Hause van Riel, sein Bruder Rick gewann vor zwei Jahren ebenfalls Junioren-EM-Silber. Genau wie Rick im 1.500m-Lauf. Wie McLuckie war auch van Riel mit einer deutlich besseren Bestleistung im Vergleich zu McPhillips ins Rennen gegangen.
Schweizer Triumph über 800m
Mit gleich drei Athletinnen war der Schweizer Leichtathletik-Verband (Swiss Athletics) im achtköpfigen Finalfeld über 800m der Mädchen vertreten und das Finale wurde zum erhofften eidgenössischen Triumph. Die erst 17 Jahre alte Audrey Werro triumphierte in einer Zeit von 2:03,12 Minuten, Valentina Rosamilia gewann hinter der Ukrainerin Svitlana Zhulzhyk die Bronzemedaille. Die beiden hatten aber unterschiedliche Geschichten vom Rennen im Kadiorg Stadion von Tallinn zu erzählen.
Werro dominierte, nahm das flotte Tempo der am Ende viertplatzierten Griechin Elli-Eutychia Deligianni, die die schnelle erste Runde in knapp über einer Minute beendete, gerne auf, attackierte von Position drei aus direkt auf den Glockenton und hatte bereits am Ende der Gegengerade einen Vorsprung von fünf Metern auf die beiden weiteren Medaillengewinnerinnen. Auf der Zielgerade hielt sie ihren Vorsprung und war die klare Siegerin. „Als ich angereist bin, habe ich mit einer Medaille geliebäugelt. Ich bin daher überglücklich“, so die neue Junioren-Europameisterin.
Mit letzter Kraft
Das Spannendste des Rennens verpasste sie naturgemäß. In ihrem Rücken entwickelte sich ein turbulenter und faszinierender Endspurt um Silber, Bronze und Blech. Rosamilia innen, Zhulzhyk in der Mitte und die aus der Kurve heraus angreifende Deligianni außen. Wenige Meter vor dem Ziel war alles noch offen. Die Ukrainerin hatte die Nase vorne, innen kam die Schweizerin aus dem Tritt. Ob ungewollt, gewollt oder semigewollt, Rosamilia warf sich im Hechtsprung über die Ziellinie und der Transponder an der Brust löste die Zeitnehmung 0,03 Sekunden vor Deligianni, die einen neuen griechischen Juniorenrekord lief, aus. Rosamilias Schuhe an ihren Füßen blieben vor der Ziellinie liegen, nach nur gut 799,5 Metern. Unwichtig! „Ich musste alles in die Waagschale werfen“, kommentierte sie kurz und knapp. Sie sei müde, aber sehr glücklich.
Ergebnisse U20-Europameisterschaften in Tallinn
1.500m-Lauf der Burschen
Gold: Cian McPhillips (Irland) 3:46,55 Minuten
Silber: Rick van Riel (Niederlande) 3:46,69 Minuten
Bronze: Henry McLuckie (Großbritannien) 3:47,15 Minuten
- Kane Elliott (Großbritannien) 3:47,53 Minuten
- Ylies Mihoubi (Frankreich) 3:49,03 Minuten
- Santtu Heikkinen (Finnland) 3:49,56 Minuten
- Kevin Kamenschak (Österreich) 3:49,68 Minuten
- Victor Blasi (Spanien) 3:49,90 Minuten
- Filip Rak (Polen) 3:50,00 Minuten
- Joe Eweing (Großbritannien) 3:50,66 Minuten
- Moritz Ebbeskotte (Deutschland) 3:51,01 Minuten
- Vivien Henz (Luxemburg) 3:51,49 Minuten
800m-Lauf der Mädchen
Gold: Audrey Werro (Schweiz) 2:03,12 Minuten
Silber: Svitlana Zhulzhyk (Ukraine) 2:04,02 Minuten *
Bronze: Valentina Rosamilia (Schweiz) 2:04,08 Minuten
- Elli-Eutychia Deligianni (Griechenland) 2:04,11 Minuten **
- Pernille Karlsen (Norwegen) 2.06,01 Minuten
- Lea Ammann (Schweiz) 2:07,51 Minuten *
- Sigrid Björnsdatter Wahlberg (Norwegen) 2:09,26 Minuten
- Anne Knijnenburg (Niederlande) 2:12,51 Minuten
* neue persönliche Bestleistung
** neuer griechischer Juniorenrekord
European Athletics
U20-Europameisterschaften in Tallinn