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Keely Hodgkinson lief in London die siebtschnellste 800m-Zeit der Geschichte, die schnellste einer Europäerin seit über vier Jahrzehnten. Doch die zweifache Europameisterin und Topfavoritin vor den Olympischen Spielen war nicht die einzige Britin, die in einem denkwürdigen 800m-Lauf glänzen konnte. Glanz versprühten auch der 3.000m-Sieg des Schweizer Dominic Lobalu sowie eine grandiose Aufholjagd des holländischen Ausnahmetalents Niels Laros über die Meile.
1:54,61 Minuten – in diesen Zahlen schreibt sich der neue britische Rekord von 800m-Läuferin Keely Hodgkinson. Das ist 0,58 Sekunden schneller als ihr bisheriger. Die Tatsache, dass die 22-Jährige die zweitschnellste Karrierezeit von Jarmina Kratochvilova unterbot, macht sie besonders. Damit sind nur die Bestleistungen der Sowjetin Nadezhda Olizarenko (Olympische Spiele 1980) und der nicht unumstrittene Weltrekordlauf von Jarmila Kratochvilova, die aufgrund ihres kraftvollen Laufstils und muskulären Körpers bereits damals Polemiken auslöste, in der ewigen Europarangliste noch besser als die Zeit von Hodgkinson. Der Weltrekord der Tschechin liegt seit jenem denkwürdigen Lauf im Münchner Olympiastadion als Generalprobe für die Weltmeisterschaften 1983 in Helsinki unerreichbar bei einer Zeit von 1:53,28 Minuten.
„Ich habe mich heute wirklich gut gefühlt. Ich bin mutig und furchtlos gelaufen und habe mich von der großartigen Atmosphäre tragen lassen. Es war die Gelegenheit, richtig schnell zu laufen“, sagte die zweifache Europameisterin nach ihrem Rennen vor der beeindruckenden Kulisse von 57.000 Zuschauern im Londoner Olympiastadion.
Ihre Leistung von 1:54,61 Minuten ist umso höher einzuschätzen, als dass Tempomacherin Erin Wallace, eine Trainingspartnerin von Hodgkinson, etwas zu schnell anging und die Engländerin nicht den vollen Windschatten genießen konnte. Nach einer ersten Runde in geschätzten 56 Sekunden ließ sie eine zweite rasante folgen.
Die historische Dimension der Leistung Hodkginsons wird beim Blick in die Geschichtsbücher einer Disziplin, in der die besten Leistungen aus den 80er Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts nach wie vor eine große Rolle spielen, sichtbar. Es ist die siebtschnellste Marke aller Zeiten.
Hodgkinson ist der Star einer internationalen Trainingsgruppe mit Fokus auf Mittelstrecken, die Trevor Painter und seine Frau, die ehemalige Spitzenläuferin Jennifer Meadows, in Manchester aufgebaut haben. „Dank der Erfolge, die wir mit Keely gefeiert haben, wurden wir ein beliebter Ansprechpartner für Athletinnen, die eine Trainingsgruppe suchen“, erzählte der Coach im Winter dem britischen Fachmagazin „Athletics Weekly“. Den Saisonaufbau absolvierte die Gruppe in einem mehrwöchigen Trainingslager in Südafrika mit dem Ziel, Richtung Olympischer Spiele von Paris das Niveau der Gruppe im Schnitt zu erhöhen.
Klammert man Caster Semenya aus, die laut heutigen Regularien von World Athletics unter den Voraussetzungen ihrer sportlichen Hochzeit nicht bei Frauen-Wettkämpfen startberechtigt ist, hat seit der kurzen aber unglaublichen Karriere des kenianischen Wunderkinds Pamela Jelimo rund um die Olympischen Spiele 2008 in Peking nur eine Athletin außer Hodgkinson eine 800m-Zeit unter 1:55 Minuten geschafft. Athing Mu flog 2023 in 1:54,97 Minuten zum Sieg beim Diamond-League-Finale in Eugene. Weil die US-Amerikanerin nach einem Sturz bei den US-Trials in Paris aber nicht dabei ist, reist die 22-jährige Engländerin als Topfavoritin auf den Olympiasieg nach Frankreich. Erst kürzlich erzählte sie im „High Performance Podcast“, in welches mentales Loch sie 2021 gefallen ist, nachdem sie erspürt und erfahren hat, welch große Bühne die Olympischen Spiele sind. Damals war Hodgkinson 19 Jahre alt und in ihrer ersten wirklichen internationalen Saison, in der sie sofort den Durchbruch in die Weltklasse schaffte.
Das Ziel Olympia-Gold verfolgt Hodgkinson ganz intensiv, es ist ihr Lebenstraum. Nach drei Silbermedaillen in Serie auf globalem Niveau (Olympische Spiele 2021, Weltmeisterschaften 2022 und 2023) will sie in Paris endlich nach ihrem ersten großen globalen Triumph greifen. Sie habe genug von Silber, betonte sie in diversen Interviews. Doch trotz der Galavorstellung in London ist der Weg zum ersehnten Triumph ein langer, die kenianische Weltmeisterin Mary Moraa wird voraussichtlich die größte Kontrahentin. Auf europäischem Niveau ist Hodgkinson über 800m unschlagbar, doch einmal ging ein wichtiger Wettkampf um Medaillen aus der Favoritenrolle bereits schief. Wenige Wochen, nachdem sie vor der Kenianerin WM-Silber in Eugene gewonnen hatte, wo sie nur um Haaresbreite Athing Mu unterlag, lief ihr Moraa ausgerechnet bei den Commonwealth Games vor heimischem Publikum in Birmingham den Rang ab.
⏱️ Den Meetingrekord von Vorjahressiegerin Jemma Reekie verbesserte Keely Hodgkinson um 2,69 Sekunden, ihre eigene Weltjahresbestleistung um 1,17 Sekunden.
⏱️ Erst zum zweiten Mal in der Geschichte blieben acht Läuferinnen im selben Wettkampf unter 1:58 Minuten.
⏱️ Noch nie war eine Zehntplatzierte im 800m-Lauf so schnell wie Elena Bellò in London: 1:58,89 Minuten.
Nach dem Diamond-League-Meeting in London, dem letzten großen Meeting vor den Olympischen Spielen, liegt ein britisches Trio in der Weltjahresbestenliste noch vor Weltmeisterin Mary Moraa aus Kenia an der Spitze. Im Sog von Hodgkinson stürmten Jemma Reekie (1:55,61) und Georgia Bell (1:56,28) auf die Ränge zwei und drei. Reekie, zuletzt von einer COVID-Infektion etwas ausgebremst, meldete sich mit einer beeindruckenden Steigerung ihrer persönlichen Bestleistung um über eine Sekunde zurück in der ersten Reihe der 800m-Läuferinnen. Die 26-Jährige hielt sich beeindruckend lange an den Fersen von Hodgkinson und verlor auch auf der Zielgerade nicht viel Zeit auf die Siegerin – exakt eine Sekunde.
Die Schottin, 2019 zweifache U23-Europameisterin, hätte 2021 bei den Spielen von Tokio um ein Haar eine Medaille geholt, zeigte in den Jahren darauf allerdings wechselhafte Leistungen mit einigen derben Enttäuschungen, wie Platz fünf bei den Europameisterschaften 2022 oder bei den Europameisterschaften 2024, dort allerdings über 1.500m. Im Winter verlor sie den Kampf um Hallen-WM-Gold vor heimischem Publikum in Glasgow gegen die äthiopische Überraschungssiegerin Tsige Duguma. Nach der Trennung ihres Langzeit-Coaches und Förderers Andy Young trainiert sie nun unter Jon Bigg und seiner Frau Sally Gunnell, 1992 Olympiasiegerin im 400m-Hürdensprint. Mit diesen Vorzeichen ist Reekie in Paris eine Medaillenkandidatin.
Noch gewaltiger war der Leistungssprung von Georgia Bell, die den Spurt aus der Verfolgergruppe gewann und ihre 800m-Bestleistung um über drei Sekunden auf eine Zeit von 1:56,28 Minuten senkte. „Als Londonerin ist es extrem cool in meiner Heimatstadt zu laufen. Diese schnelle 800m-Zeit wird mir sehr für meinen 1.500m-Auftritt in Paris helfen“, sagte sie gegenüber der Diamond League.
Bell bringt eine untypische Geschichte mit. Als eines der größten Talente des britischen Laufsports wurde sie zum Opfer des harten College-Systems in den USA und plagte sich mit einer Verletzung nach der anderen. Sie wähnte ihre Karriere bereits zu Ende, als sie aufgrund enormer Zeitverfügbarkeit in der Pandemiezeit wieder mit dem Laufen begann. Sie nahm an der Duathlon-WM teil und fand in die Trainingsgruppe um Keely Hodgkinson. Mit enormen Fortschritten in diesem Jahr schaffte sie die Qualifikation für die Olympischen Spiele – und ist seit Samstag die Nummer vier der ewigen britischen 800m-Bestenliste. Unmittelbar hinter einer gewissen Kelly Holmes, zweifache Olympiasiegerin von Athen 2004.
Hinter den drei Britinnen feierten vier weitere Läuferinnen eine persönliche Bestleistung. Die routinierte Französin Renelle Lamote steigerte sich auf 1:57,06 Minuten, Halimah Nakaayi, Weltmeisterin von 2019, verbesserte ihren Landesrekord für Uganda auf 1:57,26 Minuten, die US-amerikanische Olympia-Teilnehmerin Allie Wilson lief 1:57,52 Minuten und die Italienerin Elena Bellò eine Zeit von 1:58,89 Minuten. Diese Zeit reichte übrigens, recht abgeschlagen, zu Platz zehn.
💎 Sage und schreibe 15 persönliche Bestleistungen lieferte der 3.000m-Lauf der Männer, an dem 19 Läufer teilnahmen. Der Schweizer 10.000m-Europameister Dominic Lobalu feierte seinen zweiten Diamond-League-Sieg und brach dabei seinen eigenen Schweizer Rekord um exakt sechs Sekunden, wobei er die letzte Runde in unter 55 Sekunden absolvierte. In einer Zeit von 7:27,68 Minuten, gut zwei Sekunden unter dem Meetingrekord der äthiopischen Lauflegende Haile Gebrselassie, lag er im Ziel vor dem US-Amerikaner Grant Fisher und dem Kenianer Edwin Kurgat, der sich bei den Kenya Trials überraschend für Paris 2024 qualifiziert hat.
Warum Dominic Lobalu in Paris nicht für seine Heimat Schweiz an den Start gehen darf, liest du im RunUp.eu-Artikel.
💎 Im Meilenrennen der Männer wurde der Veranstalter dafür bestraft, dass er 17 Läufer an der Startlinie versammelte. Gleich nach dem Beginn stürzten die britischen Hoffnungen Neil Gourley und George Mills sowie das holländische Lauftalent Niels Laros. Der Australier Ollie Hoare feierte einen Wimpernschlag vor dem Norweger Narve Gilje Nordas seinen ersten Diamond-League-Sieg in 3:49,03 Minuten. Besonders beeindruckend: Laros lief mit einem phänomenalen Schlussspurt nach dem anfänglichen Missgeschick noch auf Platz vier.
Der 19-Jährige war aber nicht der Jüngste im Spitzenfeld. Der 18-jährige Cameron Myers war als Sechster nur der drittbeste Australier im Wettkampf. In einer engen Nominierungsentscheidung wurde das ozeanische Supertalent nicht für die Olympischen Spiele (1.500m) nominiert, Adam Spencer erhielt den dritten Startplatz neben jenen für Hoare und Stewart McSweyn.
Autor: Thomas Kofler
Bild: © Diamond League AG for Diamond League AG