All jene Marathon-Fans, die sich ein direktes Aufeinandertreffen zwischen dem Marathon-König Eliud Kipchoge und seinem potenziellen Thronfolger Kelvin Kiptum beim Berlin Marathon erträumt haben, werden im ersten Moment enttäuscht sein. Der Start des jungen Kenianers in Chicago erlaubt aber die Aussicht auf zwei sehr schnelle Marathons binnen zwei Wochen. Die Strecke des Chicago Marathon in Kombination mit der erfahrenen und finanzstarken Organisation ist eine der wenigen weltweit abseits von Berlin, auf der Weltrekordläufe realisierbar sind und darauf zielt Kiptum, der bei einer Bestleistung von 2:01:25 Stunden hält, nach seinem phänomenalen London-Erfolg wohl ab. Die Hoffnungen auf eine Attacke auf den Weltrekord der Männer teilen die Verantwortlichen des Chicago Marathon natürlich, nachdem vor vier Jahren in Chicago der immer noch gültige Frauen-Weltrekord von Brigid Kosgei erzielt wurde. „Chicago war immer schon eine Heimat für Weltrekorde, historische Debüts und Tor zum Legendenstatus für viele Athletinnen und Athleten. In diesem Jahr bereiten wir einen historischen Meilenstein vor und erwarten Leistungen, über die man noch lange sprechen wird“, legte Renndirektor Carey Pinkowski bei der Ankündigung des Männerfeldes in einem Statement des Chicago Marathon erst gar keine Zurückhaltung an den Tag. Er sprach konkrete Zielsetzungen zwar indirekt, aber dennoch offensiv an. Übersetzt lautet die Ambition, die Weltrekordmarke von Eliud Kipchoge von 2:01:09 Stunden zu unterbieten – oder falls die kenianische Legende beim Berlin Marathon doch noch eine schnellere Zeit vorlegt, dann halt die neue Marke.
Europarekordhalter Abdi läuft in Chicago
Zu einem gelungenen Weltrekordrennen gehören nicht nur ein Topstar und eine schnelle Marathonstrecke, sondern auch leistungsstarke Tempomacher und ein starkes Elitefeld. Letzteres hat Chicago. Denn Titelverteidiger Benson Kipruto aus Kenia und Europarekordhalter Bashir Abdi, der im Frühjahr den Rotterdam Marathon gewonnen hat, sind zwei Weltklasseläufer neben dem 24-jährigen Überflieger auf der Startliste. Kipruto siegte im letzten Jahr in einer Zeit von 2:04:24 Stunden, eine der schnellsten Leistungen in der Geschichte der traditionsreichen Veranstaltung. Gewänne er neuerlich, wäre es die erste erfolgreiche Titelverteidigung in Chicago seit dem legendären Samuel Wanjiru im Jahr 2010. Mit den Äthiopiern Dawit Wolde, Seifu Tura, der 2021 in Chicago gewonnen hat, und dem Südamerikarekordhalter Daniel Do Nascimento folgen drei weitere Läufer mit Bestleistungen unter 2:05 Stunden, der Kenianer John Korir hat eine knapp darüber.
Auch aus US-Sicht verspricht der Chicago Marathon interessant zu werden. Nach Jahre der Dürre geht Galen Rupp, Sieger 2017, an den Start. Es ist für ihn die entscheidende Gelegenheit, sich vor den Olympia-Trials im Februar 2024 in Position zu bringen. Zweiter US-Topläufer ist Conner Mantz, der im Vorjahr in Chicago sein Marathon-Debüt gegeben hat. Der starke kenianische Halbmarathonläufer Daniel Mateiko gibt sein Debüt – vor nicht einmal einem Jahr in Valencia war auch Kelvin Kiptum ein vielversprechender Marathon-Debütant mit guter Halbmarathon-Vorleistung. Nun ist Kiptum ein Star mit zwei Marathonläufen, beide unter 2:02 Stunden.
Bärenstarkes Frauenfeld
Vor einem Monat hat der Chicago Marathon bereits die Teilnahme von Ruth Chepngetich, verbunden mit der Ambition, den Weltrekord ihrer Landsfrau zu unterbieten, sowie von London-Siegerin Sifan Hassan und US-Rekordhalterin Emily Sisson angekündigt. Dieses ohnehin schon sensationelle Line-up wurde nun mit einigen prominenten Marathonläuferinnen ergänzt: Joyciline Jepkosgei, bereits Siegerin der Marathons in London und New York, die im Marathon noch unerfahrene Äthiopierin Genzebe Dibaba sowie ihre Landsfrauen Sutume Kebede und Tigist Girma, die alle Bestleistungen unter 2:19 Stunden haben. Dazu kommt Ababel Yeshaneh, die zwar noch nie unter 2:20 Stunden gelaufen ist, aber 2022 beinahe den Boston Marathon gewonnen hätte und auch in Chicago und New York bereits aufs Stockerl gelaufen ist.
Die Liste der US-Topläuferinnen ergänzten Desiree Linden, die zuletzt vor 13 Jahren in Chicago gelaufen ist, Emma Bates, in Chicago bereits zweimal Zweite, Aliphine Tuliamuk, Nell Rojas, Molly Seidel und Dakotah Lindwurm, was einen schönen Vorgeschmack auf die US-Marathon-Trials bringen könnte. Besonders die Ankündigung von Molly Seidel ist interessant, die sich seit ihrem überraschenden Medaillengewinn bei den Olympischen Spielen und dem folgenden guten Auftritt beim New York City Marathon 2021 in einer dunklen Phase ihrer Karriere mit etlichen gesundheitlichen und psychischen Problemen befand.
Bank of America Chicago Marathon