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Mehrere Todesfälle, darunter die brutalen Ermordungen der kenianischen Spitzenathletin Agnes Tirop und der ugandischen Marathonläuferin Rebecca Cheptegei, haben ausländische Scheinwerfer auf geschlechterspezifische Gewalt in Kenia gelenkt. Rückstände in der gesellschaftlichen Entwicklung bremsen Gleichstellungsbestrebungen aus, die gestärkte Stellung von Frauen durch den Spitzensport ist Chance und Gefahr gleichermaßen. Doch in Kenia bewegt sich etwas und einige der bekanntesten Läuferinnen der Welt gehen initiativ voraus: Sie setzen wichtige Schritte, um Sportlerinnen und Frauen besser vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Es ist eine Bedrohung, der auf unterschiedlichen Ebenen nicht nur kenianische Athletinnen ausgesetzt sind.
Als Olympia-Fünfte im 10.000m-Lauf in Peking 2008, als Halbmarathon-WM-Vierte in Kopenhagen 2014 und als Marathonläuferin mit einer Bestleistung von 2:19:34 Stunden (Dubai 2012) war Lucy Kabuu einst Weltklasse. Nun ist sie abseits von der sportlichen Bühne ein Vorbild für alle Kenianerinnen. Sie setzt sich gegen ihren Ex-Mann zur Wehr und klagt ihn vor Gericht an, weil sie ihn beschuldigt, bei der Aufteilung des ehelichen Vermögens gerichtliche Anordnungen missachtet zu haben. Dabei gehe es um das Nutzungsrecht von Immobilien und Grundstücken, die primär aus den Einkünften Kabuus als Spitzensportlerin in den Besitz des ehemaligen Paares übergegangen sind. Sie habe ihrem Ex-Mann Zugang zu ihren Konten gegeben, da er ihr bei ihrer Karriere als „Assistance Coach“ unterstützte. So konnte er sie bei Investitionen leicht täuschen und überall seinen Namen eintragen lassen. Nachher habe er sie mit physischer Gewalt zusätzlich unter Druck gesetzt. Das berichtet die kenianische Plattform „Pulse Sports“ in zwei Berichten Ende Oktober und Anfang Dezember.
Abgesehen von der aktiven Handlung der Anklage scheint die Geschichte in kenianischen Laufzentren wohl keinen Exklusivcharakter zu haben. Athletinnen, die mit ihrer Karriere gutes Geld verdienen, werden von ihren Partnern und Männern, die sie oft in jungen Jahren heiraten (müssen), ausgenutzt. Gewalt oder Gewaltandrohung scheint hierbei ein weit verbreitetes Mittel, das auch deshalb funktioniert, weil kenianische Läuferinnen gewisse Erwartungshaltungen an eine kenianische Frau erfüllen müssen. Bei der Ermordung Agnes Tirops im Jahr 2021 spielten Immobilien beispielsweise eine Rolle.
Kabuu will eine Vorbildwirkung erzeugen, wie sie bei einer Rede vor einigen Wochen im Rahmen eines Termins des kenianischen Leichtathletik-Verbandes betonte, sich direkt an junge Läuferinnen wendend: „Wenn du beginnst, mit dem Laufen Geld zu verdienen, sei sehr vorsichtig, nicht in die Falle von skrupellosen Trainern und Managern zu tappen. Investiere dein Geld selbst, unter deinem Namen, lass dich beraten.“ Außerdem ermunterte sie junge Frauen, im Falle von toxischen Beziehungen aktiv zu werden und sie zu beenden. Sie sei ein negatives Beispiel, habe jahrelang geschwiegen, gelitten und vergeblich auf Hilfe von außen gewartet, wie sie in einem Bericht gegenüber „Capital FM“ sagte.
„Wir als Frauen haben Angst!“ Das sagte keine geringere als die ehemalige 800m-Weltmeisterin Janeth Jepkosgei, eine der berühmtesten und erfolgreichsten Mittelstreckenläuferinnen der kenianischen Geschichte. Heute arbeitet die 41-Jährige erfolgreich als Trainerin, unter anderem entdeckte und förderte sie 800m-Olympiasieger Emmanuel Wanyonyi, den sie folglich zu Startrainer Claudio Berardelli brachte. Sie stellte im Interview mit der „New York Times“ nüchtern fest: „Athletinnen sind nicht sicher. Erst recht nicht, wenn sie sich in eine Beziehung begeben!“ Besonders warnte Jepkosgei öffentlich vor Männern, die vorgäben, Trainer zu sein, um leichter in eine Beziehung mit jungen Mädchen zu kommen – oft mit erheblichem Altersunterschied. „Das muss aufhören!“, forderte sie in einem von Athletics Kenya veröffentlichten Social-Media-Post.
Eine weitere starke Stimme im kenianischen Sport ist Hellen Obiri, Marathonstar und dreifache Olympia-Medaillengewinnerin auf unterschiedlichen Distanzen. Sie sagte in einem Interview mit „Food Boom“, welches auf „Pulse Sports“ zitiert wurde: „In meiner Community werden Frauen nicht geschätzt. Niemand glaubt, dass Frauen Champions werden könnten. Niemand hat eine Idee, welches Potenzial Frauen im Sport haben. Sie finden es verrückt, wenn Mädchen trainieren.“ Obiri erkennt, dass sich diese Sichtweise langsam auch in kleineren, entlegenen Dörfern verändert. Aber die 35-Jährige kennt auch die andere Perspektive. Seit zwei Jahren lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in den USA. Diese Erfahrung habe ihr die Augen geöffnet, wie unterschiedlich die Stellung der Frau in der Gesellschaft sein kann. „In den USA werden Frauen geschätzt. Ich fühle mich gewertschätzt, motiviert, ja fast geehrt. Ich habe ein ganz andere Einstellung bekommen.“
Geschlechtsbasierte Ungerechtigkeiten bis hin zu Gewalt und Missbrauch ist in der Welt der Leichtathletik kein Missstand, der sich auf einzelne Länder reduzieren ließe. Dies zeigt ein kürzlich an die Öffentlichkeit gerückter Skandal aus Australien in einer Trainingsgruppe, zu der auch Stabhochsprung-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin Nina Kennedy gehörte – und unter dem Machtverständnis des Trainers in der Beziehung zu seinen Athletinnen litt. Auch das US Center for SafeSport musste sich in den letzten Jahren öfters mit der Leichtathletik beschäftigen.
Der Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) nimmt die geschlechterspezifische Ungleichheit in seiner Sportart seit Jahren ernst. Ein wichtiger Aspekt ist der Druck, der durch Beschimpfung von Athlet*innen in sozialen Medien entsteht. „Es ist kein Geheimnis, dass Beleidigungen in sozialen Netzwerken einen verheerenden Einfluss auf die mentale Gesundheit der Athlet*innen und folglich auf deren sportlicher Leistung haben können“, betont WA-Präsident Sebastian Coe.
Eine von World Athletics in Auftrag gegebene Studie, die Postings von Leichtathletinnen rund um die Olympischen Spiele von Paris 2024 und die dazugehörigen Interaktionen in diversen Netzwerken analysierte, bezifferte die beleidigenden Kommentare auf 809. Ein Sechstel davon wurde wegen der Drastik offiziell bei der Plattform gemeldet. Beides ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur Studie, die vor drei Jahren nach den Olympischen Spielen von Tokio veröffentlicht wurde.
Was auffällt: Knapp die Hälfte der deplatzierten Meldungen waren entweder rassistisch (18%) und sexistisch (30%) gefärbt. Während Athleten großteils rassistisch beleidigt wurden, waren Athletinnen häufiger Opfer sexistischer und geschlechterbasierter Beleidigungen. Untersucht wurden mit Hilfe künstlicher Intelligenz insgesamt 355.873 Kommentare auf Profilen von 1.917 Athlet*innen in 36 verschiedenen Sprachen. Dabei waren zwei Athlet*innen vom Großteil der Beleidigungen betroffen, US-amerikanische Athlet*innen wurden überdurchschnittlich oft beleidigt, so World Athletics.
World Athletics reagierte auf die Erkenntnisse der Studie und nahm die geschlechtsbasierte Gewalt, auch im Angesicht der tragischen Ereignisse in Afrika, als Tagesordnungspunkt für das World Athletics Council Meeting Anfang Dezember auf. In Zusammenarbeit mit der Athlet*innenkommission sowie einer entsprechenden Taskforce hat das Council die Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt in der Leichtathletik zu einer Priorität erklärt. Zwar könne der Sport keine politischen Maßnahmen umsetzen, aber die Bewusstseinsbildung und Aufklärung mit Lobbyarbeit verbinden, um Veränderungen voranzutreiben, heißt es in einer Abschlusserklärung. Coe bekräftigte den Tatendrang, auf globaler Ebene mit Partnern und Organisationen praktische Ideen zu entwickeln und Kräfte zu bündeln.
Der Mordfall Cheptegei, die in Kenia lebte und trainierte, hat dem Vorgehen gegen geschlechterspezifische Gewalt in Kenia noch einmal Dringlichkeit verliehen. Der kenianische Leichtathletik-Verband (Athletics Kenya) startete gemeinsam mit Partner-Organisationen eine wochenlange, gezielte Kampagne, die eine Tour mit organisierten Informationsabenden und Diskussionsforen in den ländlichen Gebieten beinhaltete. Unterstützt wurde die Wirkung der Kampagne durch etliche bekannte, ehemalige Läuferinnen wie Mary Keitany oder Catherine Ndereba, die Reden hielten oder als Vortragende auftraten. Auch männliche Lauflegenden unterstützen die Kampagne öffentlich.
Ein wichtiges Ziel der Kampagne ist die gezielte Schulung von Personal an allen wichtigen Trainingsstützpunkten, die ein besonderes Auge auf die Sicherheit von Athletinnen werfen sollen. Ein bereits erreichtes Ziel ist die Etablierung einer Hotline, bei der telefonisch oder per Nachricht anonym über Verfehlungen berichtet werden kann. Genderspezifische Gewalt sei sowohl in der Läuferinnen-Community als auch in der kenianischen Gesellschaft total inakzeptabel, heißt es von Athletics Kenya. Daher sollen alle Betroffenen ermutigt werden, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Autor: Thomas Kofler
Bild: Pixabay