Newsletter Subscribe
Enter your email address below and subscribe to our newsletter
Mit ihr fing alles an: Alysia Montaño. Am 26. Juni 2014 geht die US-Amerikanerin bei den nationalen Leichtathletikmeisterschaften in Sacramento an den Start und wird zum Star der Veranstaltung. Ihre sportliche Leistung bleibt an diesem Tag aber eher eine Nebensache. Bei den 800m-Vorläufen schafft es die mehrmalige nationale Meisterin und Olympionikin nicht, mit ihren Konkurrentinnen mitzuhalten und ist von ihrer Bestzeiten weit entfernt. Sie war überhaupt froh, nicht überrundet worden zu sein. Ihre Zeit spielte an diesem Tag aber auch keine Rolle, denn das Besondere an ihrem Auftritt war etwas anderes: Montaño war im achten Monat schwanger.
Die Medien stürzten sich auf diese Sensation und nannten Montaño fortan „The Pregnant Runner“. Eine längst überfällige Diskussion entfachte und viele Fragen taten sich auf: Wieso hat Montaño an den Meisterschaften teilgenommen? Sollte sie ihren Körper während der Schwangerschaft nicht schonen? Schadet solch eine intensive Belastung nicht der Mutter oder dem Baby.
Mutter sein und eine Karriere im Leistungssport zu kombinieren war damals eine Utopie. Während der Schwangerschaft musste eine Frau zu dieser Zeit ihr Training aufgeben und ihren Fokus im Anschluss voll auf ihre Kinder legen. Das Balancieren von Mutterschaft, intensivem Training als Vorbereitung auf und das zeitintensive Teilnehmen an Wettkämpfen war nicht nur in den Köpfen der Menschen ein Unding, sondern auch logistisch kaum möglich. Denn nicht nur das allgemeine Verständnis dafür fehlte, sondern auch die nötigen Infrastrukturen in Vereinen und Verbänden und die finanzielle Unterstützung durch Sponsoren.
Montaño war die erste, die sich gegen diese eingefahrenen Strukturen wehrte und der Öffentlichkeit die Stirn bot. Sie habe einfach weiter laufen, Sportlerinnen und Frauen motivieren und der gesamten Welt zeigen wollen, was der weibliche Körper leisten kann, sagte sie in einem Interview kurz nach ihrem Rennen. „Ich habe vor allem herausgefunden, dass Sport in der Schwangerschaft viel besser für die Mutter und das Baby ist…Ich habe alles gemacht, was ich normalerweise mache…Ich war nur gerade schwanger. Das ist in diesem Jahr mein Normalzustand“, sagte sie.
Wer als professionelle Athletin neben dem sportlichen Erfolg auch noch einen Kinderwunsch hatte, musste sich an einem Punkt für einen „Karriere“weg entscheiden. Oftmals war die mangelnde Unterstützung von den Verbänden und den Sponsoren ein zu weitreichendes Problem und der Grund für das vorzeitige Karriereende. Gerade Sponsoren drohten mit Zahlungsverweigerungen wegen Vertragsbrüchen aufgrund mangelnder Leistungsnachweise und dem Austritt aus dem Vertrag.
Auch Montaño hatte damit zu kämpfen. Einige Zeit nach ihrem Auftritt bei den US-Meisterschaften gab sie zu, sie habe Druck verspürt laufen zu müssen, weil es sonst finanzielle und rechtliche Konsequenzen von ihrem Sponsor gegeben hätte.
Sie kritisierte ihren ehemaligen Sponsor Nike öffentlich dafür und betonte, sie habe sich im Stich gelassen gefühlt. Damit andere Athletinnen sich nicht genauso fühlen müssen, startete sie die Initiativen &Mother und #DreamMaternity. Ihr Ziel ist es damit professionelle Athletinnen, die sich für eine sportliche und familiäre Karriere entscheiden, finanziell, logistisch und emotional zu unterstützen. Außerdem unterstützt sie schwangerschaftsinklusive Sportmarken und setzt sich für den weitaus flexibleren Einbau von möglichen Schwangerschaften und Mutterschutz in Sponsorenverträgen ein. „Ich kann Ihnen sagen, wenn ein Unternehmen kommt und sagt, dass wir an Sie glauben, dann ist das wichtig, und es ist ermutigend. Es sollte auch nicht verhandelbar sein. Marken sollten die ganze Person unterstützen, einschließlich der Möglichkeit der Mutterschaft, und sollten Barrieren abbauen, die ihre Wahlmöglichkeiten einschränken. Athletinnen mussten für die Möglichkeit, sich auszuprobieren, kämpfen; Unternehmen, die es richtig machen, nehmen den Frauen diesen Kampf ab.“, so Montaño.
Montaño war nicht die einzige, die ihrem ehemaligen Sponsor die Stirn geboten hat. Die erfolgreichste Leichtathletin aller Zeiten, Allyson Felix, ist eine entscheidende Mitstreiterin im Kampf für Gerechtigkeit bei Schwangerschaft in der Karriere. Sie war ab 2010 bei Nike unter Vertrag, feierte zahlreiche Erfolge auf der internationalen Bühne und gewann mit dem Markennamen auf ihrer Brust zahlreiche Medaillen bei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen. Besser hätte es für die Athletin und ihren Sponsor nicht laufen können. Als sie aber 2018 ihre Schwangerschaft bekannt gab, bekam sie von ihrem Sponsor keine positive Rückmeldung auf die erfreulichen Nachrichten ihrerseits.
Nike schätzte ihre Schwangerschaft und den damit verbundenen mehrmonatigen Austritt aus dem Leistungssport als Vertragsbruch ein. Wegen der finanziellen Einbußen und dem vorübergehenden Rücktritt aus der Leichtathletikszene, veranlassten sie eine Verringerung der Zahlungen um 70%.
Nike setzte das Zeichen, dass eine Schwangerschaft und Karriere mit ihnen als Sponsor nicht vereinbar war. Die damalige Kampagne Dream Crazier mit Tennisstar Serena Williams, die betonen sollte, was schwangere Frauen alles erreichen können, war also mehr Schein als Sein.
Felix fühlte sich unter Druck gesetzt. Sie wollte wieder in den Profisport einsteigen, die Einnahmen und die Unterstützung fehlten aber. Trotz eines Notkaiserschnitts, stieg sie demnach so schnell wie möglich nach der Entbindung wieder ins Training ein, um sich international zu präsentieren und Erfolge einzulaufen.
Sie erkannte die Ungerechtigkeit im System und ihrem Sponsor, der sie vermeintlicherweise unterstützte und sprach sich auch öffentlich gegen Nike aus. „Wenn wir Kinder haben, riskieren wir während der Schwangerschaft und danach Gehaltskürzungen von unseren Sponsoren“, erzählte Felix 2018 bei der New York Times.
Nike gab dem öffentlichen Druck nach und passte die Richtlinien zum Mutterschutz an. Athletinnen bekamen einen Mutterschutz von 18 Monaten zugesprochen und mussten keine finanziellen Einbußen in diesem Zeitraum fürchten.
Montaño und Felix mögen die Ersten gewesen sein, die öffentlich ihrem Sponsor den Kampf angesagt haben und sich dennoch für eine Profikarriere und ein Leben mit Kindern entschieden haben. Sie waren aber bei weitem nicht die Letzten. Mittlerweile beschließen zahlreiche Frauen, sich mit ihrer Entscheidung für Kinder nicht gegen ihre sportliche Karriere zu entscheiden und dies öffentlich zu machen und zu normalisieren.
Viele Sportlerinnen begleiten ihre Karriere nach der Schwangerschaft mit der Kamera und teilen sie auf den sozialen Netzwerken, normalisieren es. Sie zeigen, wie man Leistungssport mit Mutterschaft kombinieren kann. Die 3000m-Hindernisläuferin Gesa Krause beispielsweise, hat mit Beginn ihrer Schwangerschaft ihren Weg zum Comeback mit einer Kamera begleitet und ihren Weg zurück zu den Olympischen Spielen 2024 öffentlich gemacht. Sie zeigt ihren Trainingsalltag, die Bedeutung ihrer Tochter für ihr Durchhaltevermögen und die intensive Unterstützung ihres familiären und sportlichen Umfelds bei dieser Entscheidung.
Die Verbände und Sponsoren geben ihren Athletinnen oftmals nicht genug finanzielle Unterstützung, um nur von ihrem Sport leben zu können. Was machen Läuferinnen dann, die lange, intensive Trainingseinheiten – teilweise mehrmals am Tag – absolvieren muss, wenn dann noch der Vollzeitjob Mutter dazukommt?
Ganz einfach: Sie brauchen Unterstützung. Und diese bekommen sie größtenteils aus ihrem privaten Umfeld. Partner*innen, Familienmitglieder, Freunde, Trainer*innen, Mitglieder aus der Trainingsgruppe, und und und. Diese zählen die Athletinnen bei der Frage nach ihren größten Unterstützer*innen auf ihrem Weg auf. Sie tun alles, um den Traum der Athletinnen möglich zu machen.
Für alle sei aber klar, es sei den Mehraufwand, den Stress und die zusätzliche Belastung wert. Ihre Kinder gäben ihnen die nötige zusätzliche Motivation, ihre Karriere weiterzuführen.
Die deutsche Marathonläuferin und Olympiateilnehmerin Melat Kejeta betont die Bedeutung ihrer Tochter für ihre sportliche Karriere. Sie gebe ihr die nötige Motivation und die Schärfung ihres Fokus´. Auch die Trailrunnerin Allison Baca sieht den großen Benefit der Mutterschaft auf ihre sportliche Karriere. Das Mutter-sein gebe ihr eine neue Identität und einen Fokus außerhalb des Laufens. Wenn ein Training nicht perfekt verläuft, bleibe sie nicht mehr daran hängen, sondern konzentriere sich danach – egal wie gut oder schlecht ihr Lauf war – wieder auf ihre neue Hauptaufgabe: Mutter sein. Dafür müsse sie ihre volle Aufmerksamkeit geben. Ihr Leben sei zwar rundum anstrengender, aber dafür ausgeglichener und das helfe ihrem Laufen.
Eszter Csillag, eine erfolgreiche Trailrunnerin und Mutter von zwei Töchtern, ist aktuell auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und hat den Sprung in den Profisport erst nach ihrer ersten Schwangerschaften geschafft. Die HOKA-Athletin hat mit der Geburt ihrer ersten Tochter die nötigen Schärfe und den Fokus gehabt, ihrer Leidenschaft intensiver nachzugehen, Sie hat so ihre Leistungsfähigkeit steigern und den Sprung in den Profisport meistern können. Sie betont immer wieder, wie sehr ihre Töchter ihr Laufen und Leben positiv beeinflussen und sie zu einer besseren und schnelleren Läuferin machen.
Nicht nur Csillag ist erst nach ihrer Rückkehr aus der Babypause auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit. 2022 haben 42 professionelle Läuferinnen an einer Studie teilgenommen, welche untersuchen sollte, wie erfolgreich eine Rückkehr in den Laufsport nach der Schwangerschaft verlaufen kann. Das Ergebnis: Fast die Hälfte der Läuferinnen (46%), die bewusst das Ziel verfolgt haben, den erneuten Weg in den Leistungssport zu wagen und zu meistern, haben sich nach ein bis drei Jahren wieder auf dem vorherigen Leistungsniveau gesehen.
Faith Kipyegon hat ihr Leistungsniveau nach ihrer Schwangerschaft sogar gesteigert. Die dreimalige Olympiasiegerin und Weltrekordhalterin über die 1.500m hat der Welt gezeigt, dass Leistung auf höchstem Niveau zu bringen und eine Tochter zu erziehen möglich ist. Sie trainierte bis zum fünften Schwangerschaftsmonat und gestattete sich dann eine 18-monatige Pause. Ihr Comeback gab sie im Juni 2019, als ihre Tochter Alyn ein Jahr alt war, und lief direkt wieder ganz oben aufs Treppchen. Ihre Teilnahmen an den Olympischen Spielen 2021 und 2024 waren ebenso erfolgreich. Sie will ein Vorbild für ihre Tochter sein und der nächsten Genereation zeigen, dass alles möglich ist. „Ich möchte der Welt zeigen, dass man auch als Mutter stärker werden kann.“, sagte sie in einem Interview auf dem Olympics Youtube Kanal.
Der Trainingsumfang, die Intensität und die Dauer muss bei jeder Sportlerin jedoch individuell an den Körper angepasst werden. Das gilt sowohl vor, nach und auch während der Schwangerschaft. Jede Schwangerschaft verläuft anders und jeder Körper verhält sich folglich unterschiedlich in Bezug auf die Belastung.
Die Limitationen von schwangeren Körpern und auch der Leistungsfähigkeit von Müttern werden neu interpretiert. Aus Expertenkreisen gibt es jedoch noch nicht viele Informationen dazu, wie sich ein optimales Training während der Schwangerschaft gestaltet, da eben die individuelle Verfassung und der Verlauf ausschlaggebend sind.
Moderate sportliche Betätigung sei während der Schwangerschaft für Mutter und Baby aber empfehlenswert. Die WHO empfiehlt täglich mindestens 60min aktiv zu sein, da es die Schwangerschaft erleichtern und gesundheitsfördernd wirken und Krankheiten wie Diabetes vorbeugen kann. Neben Beckenboden- und Krafttraining wird auch ausdauerorientiertes Training empfohlen. Die Intensität und der Trainingsumfang sollte immer von ärztlicher Seite abgeklärt werden. Wer aber vor der Schwangerschaft bereits regelmäßig gelaufen ist, zählt als körperlich aktiv und kann deshalb (unter Absprache mit den behandelnden Ärzt*innen) das gewohnte Pensum so lange weiterführen wie sie sich gut anfühlt und dann entsprechend angepasst werden.
Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, weil andere noch oder schon mehr machen können, schneller oder besser sind. Man sollte es nicht übertreiben und auch nach der Entbindung nicht zu schnell wieder zu früh ins Training einsteigen und zu viel erwarten. Es kann nicht jede wie die spanische Läuferin Marta Galimany zwei Tage vor ihrer Entbindung noch zehn Kilometer laufen oder wie Aliphine Tuliamuk ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer Tochter am olympischen Marathon teilnehmen. Hochleistungssportlerinnen sind vor der Schwangerschaft auf einem extrem hohen Leistungsniveau, die solche Leistungen erst möglich machen. Aber auch diese Vorraussetzungen bedeuten nicht gleich, dass der Wiedereinstieg ein Selbstläufer wird.
Die amerikanische Marathonläufern Sarah Sellers bestätigt das. Sie habe während und auch nach der Schwangerschaft zu schnell mit zu intensivem Training begonnen und nicht auf ihren Körper gehört. Das habe sie in ihrem Training zurückgeworfen. Nun gehe sie bewusster mit ihrem Körpergefühl um und höre auf die Signale, die er ihr gibt.
Egal ob Hobbyläuferin oder Hochleistungssportlerin, das Training während der Schwangerschaft und das Comeback nach der Geburt muss also individuell gestaltet werden. Das eigene Körpergefühl ist wichtiger als die Zeiten und Ziele auf einem Trainingsplan.
Wenn es um Sport während und nach der Schwangerschaft geht, wird sowohl bei Leistungssportlerinnen als auch bei Breitensportlerinnen immer wieder ein Punkt thematisiert: das richtige Outfit.
Hier geht es nicht um das Klischee, dass es bei Frauen immer nur um das Aussehen und den perfekten Style geht, sondern um den Komfort und die Leistungsfähigkeit. Rutscht der Sport-BH oder zwickt die Hose, fällt das Laufen schwerer. Das Training wird beeinflusst und die Fähigkeiten gehemmt. Unabhängig von der Intensität oder der Leistungsstufe, das Outfit muss passen.
Der Körper verändert sich während der Schwangerschaft dauernd, die Brust wird empfindlicher, größer und schwerer, da muss auch die BH-Größe angepasst werden. Die Laufhose darf nicht rutschen, das Shirt oder der Pulli sollten den Bauch komplett verdecken. Mittlerweile legen einzelne Sportausstatter entsprechend der aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Schwangerschaft und Sport immer mehr wert auf das Angebot von passender Sportbekleidung. Einige Firmen spezialisieren sich speziell auf Schwangerschaftskollektionen für den Sport.
Die Marken Boob, Ingrid + Isabel und Mamalicious beispielsweise legen Wert auf nachhaltige Komfort beim Sport während und nach der Schwangerschaft. Auch die großen Sportmarken sehen sich mittlerweile in der Verantwortung Frauen während der Schwangerschaft passende Sportbekleidung anbieten zu können. Allyson Felix hat die Aufgabe selbst auch in die Hand genommen und sich mit Athleta zusammengetan, um Umstandsmode für aktive Schwangere jeder Leistungsintensität zu erstellen. Außerdem gründete sie 2021 eine eigene Schuhmarke, mit der sie bis zu ihrem Karriereende ihre Rennen lief. Der besondere Leitsatz von Saysh: verändert sich die Größe der Füße während der Schwangerschaft, kann die Schuhgröße kostenlos ausgetauscht werden.
Montaño, Felix, ihre Mitstreiterinnen und ihre Nachfolgerinnen haben sich entschieden, ihren einen Traum nicht für den anderen aufzugeben, sondern miteinander zu vereinen. Sie haben die Laufwelt nachhaltig geprägt, setzen Tag für Tag ein Zeichen, was eine Mutter alles leisten kann. Sie demonstrieren, dass Mutterschaft nicht gleich ein Karriereende bedeuten muss und Leistungsfähigkeit und Kinder zu vereinen sind.
Sie haben Steine ins Rollen gebracht und ein Umdenken ausgelöst. Sie zeigen aber auch, dass noch viele Herausforderungen und ein langer Weg vor ihnen liegt.
Autorin: Eva Bernhard
Foto: Envatoelements