2019 mutierte der Hitzemarathon von Doha, trotz Startzeit in den dunkelsten Nachtstunden, zum abschreckenden Beispiel für Ausdauer-Leistungssport in unwirtlichen Bedingungen und bewirkte endgültig, dass die Olympischen Marathonläufe nicht in Tokio, sondern in Sapporo stattfanden. Auch dort erwischten die Frauen die schwierigeren Bedingungen als die Männer. Der WM-Marathon 2022 von Eugene wird freilich endlich kein Hitzerennen – zwar könnte der Montag der bisher heißeste Tag der WM werden, zur Marathonzeit in der Früh werden sich die Temperaturen laut Wetterprognose jedoch im Bereich zwischen 13 und 17°C. bewegen. Dennoch steht der Bewerb über die traditionsreichen 42,195 Kilometer unter keinem guten Stern.
Nur 47 Teilnehmerinnen: ein Planungsdesaster
100 Startplätze hat der Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) für die Marathonläufe bei der WM 2022 vorgesehen und damit nach der heiß diskutierten Regulierung der Olympischen Starterfelder auf 80 immerhin 20 Plätze draufgepackt. Während bereits der Marathon der Männer die Kontingente bei weitem nicht ausgeschöpft hat, werden lediglich maximal 47 Läuferinnen den Marathon der Frauen bestreiten – und damit weniger als die Hälfte der intendierten Größe.
Zu diesem Fiasko geführt haben hauptsächlich zwei Gründe: Erstens finden im Sommer 2022 neben den Weltmeisterschaften noch die Europameisterschaften für die europäischen Verbände und die Commonwealth Games statt. Nur wenige Verbände können aufgrund der hohen Qualifikationsanforderungen Teams zu diversen Großereignissen im dichten Kalender schicken. Doppelstarts sind aufgrund der Charakteristik der Disziplin ohnehin de facto auszuschließen. Fast alle europäischen Nationen haben der EM in München den Vorzug gegeben.
Zweitens erwies sich die Weltrangliste als doppeltes Problem. Zum bereits Bekannten der fehlenden Planungssicherheit nach aktuellem Mechanismus für all jene, die das Direktlimit nicht erbringen können, kam im Sommer 2022 durch die multiplen Großereignisse ein enormes Hindernis dazu. Die nationalen Verbände gaben erst spät oder gar nicht bekannt, welche Startplätze sie im WM-Marathon besetzen und welche nicht. Dadurch konnte World Athletics erst nach Erstellung der finalen Entry List auf Anmeldung der nationale Verbände mit dem Auffüllen von Startplätzen beginnen. Während im 100m-Sprint eine last-minute-Anmeldung mit komplizierter Anreise zwar auch eine Herausforderung ist, aber eine machbare, kommt das im Marathon aufgrund der langen Vorbereitungszeit natürlich nicht in Frage: So viel Flexibilität ist praktisch nicht möglich. Ein dritter Grund sind auch einige gesundheitliche Probleme, weswegen etwa Eva Wutti (SU Tri Styria), die angesichts der zahlreichen Absagen locker über die Weltrangliste ins Feld gerutscht wäre, aber nach ihren langwierigen Magenproblemen noch nicht in der Verfassung für einen guten Marathon ist, oder Laura Hottenrott, die nach der Berglauf-EM und damit unmittelbar vor der WM eine COVID-19-Infektion hatte, nicht dabei sind.
Marathonlauf der Frauen: Montag, 18. Juli um 6:15 Uhr Ortszeit (15:15 Uhr MEZ)
Titelverteidigerin: Ruth Chepngetich (Kenia)
Olympiasiegerin von Tokio: Peres Jepchirchir (Kenia)
Rekord-Weltmeisterinnen: Catherina Ndereba (Kenia) und Edna Kiplagat (Kenia) mit je zwei WM-Titel
Erfolgreichste Nation: Kenia mit fünf WM-Titel
WM-Rekord: Paula Radcliffe (Großbritannien) in 2:20:57 Stunden (Helsinki 2005)
Favoritin: Ruth Chepngetich (Kenia)
Teilnehmerinnen aus der DACH-Region: keine
Olympiasiegerin Jepchirchir verletzt
Die prominenteste Abwesende aufgrund gesundheitlicher Probleme ist natürlich Peres Jepchirchir. Die Olympiasiegerin von Tokio, Siegerin des New York City Marathon 2021 und des Boston Marathon 2022 – mit kurzen Worten, der Topstar schlechthin – leidet an einer Hüftverletzung und muss eine Trainingspause einlegen. Der Verzicht kam kurzfristig, so dass der kenianische Verband keine Ersatzläuferin lancieren konnte. Weil auch Molly Seidel ihren Start aufgrund einer Stressfraktur im Beckenbereich absagen musste, ist keine der Olympia-Medaillengewinnerinnen am Start.
Leistungsstarke Spitze ist WM-würdig
Dennoch steht im Marathon der Frauen, der aufgrund des kleinen Feldes als elitäres Event daher kommt, das Duell Kenia gegen Äthiopien im Vordergrund. Die natürliche Favoritin ist Ruth Chepngetich, Weltmeisterin von Doha 2019, und die zweitschnellste des Jahres hinter Tokio-Siegerin Brigid Kosgei. Die 27-Jährige gewann den Nagoya Women’s Marathon in einer Zeit von 2:17:18 Stunden und heimste ein Rekordpreisgeld für den Marathonlauf ein. Neben Chepngetich haben noch ihre Landsfrau Angela Tanui („Es ist ein Privileg, hier dabei sein zu dürfen.“), die aus Kenia stammende Israelin Lonah Chemtai Salpeter und die stärkste der drei Äthiopierinnen, Ashete Bekere, eine Bestleistung unter 2:18 Stunden aufzuweisen. Die 34-jährige Äthiopierin hat bereits Marathonsiege in Berlin und Valencia zu Buche stehen und kletterte in ihren beiden schnellsten und jüngsten Marathons auf die Podeste in Tokio (2., 2022) und London (3., 2021). Die dritte Kenianerin im Feld ist Paris-Siegerin Judith Jeptum, das äthiopische Trio ergänzen Berlin-Siegerin Gotytom Gebreslase und Ababel Yeshaneh, die als ehemalige Weltrekordhalterin im Halbmarathon mit Platz zwei beim Boston Marathon gezeigt hat, dass sie auch ohne Weltklasse-Bestleistung zu den Besten gehört. Die Qualität an der Spitze stimmt also und lässt einen hochklassigen, engen Wettbewerb um die besten Plätze erwarten: Auch ohne Jepchirchir sind sechs der Top-Ten der Weltrangliste am Start. Im Gegensatz zum restlichen kenianischen Nationalteam mussten die Marathonläuferinnen und Marathonläufer nicht in die „Bubble“ in Nairobi, sondern durften ihre Vorbereitungen im gewohnten Umfeld finalisieren.
Olympische Spiele 2020
- Gold: Peres Jepchirchir (KEN)
- Silber: Brigid Kosgei (KEN)
- Bronze: Molly Seidel (USA)
Weltmeisterschaften 2019
- Gold: Ruth Chepngetich (KEN)
- Silber: Rose Chelimo (BRN)
- Bronze: Helalia Johannes (TAN)
Wunderläuferin Keira D’Amato
Der US-amerikanische Leichtathletik-Verband (USATF) nominierte die Marathonteams nach dem Marathon-Herbst 2021 – also frühzeitig, um die Planung der Athletinnen und Athleten zu sichern und damit auch bevor Keira D’Amato im Jänner in Houston ihren US-Rekord von 2:19:36 Stunden aufgestellt hat. Diese Leistung ist durchaus wundersam. Denn D’Amato hatte ihre Laufkarriere beendet, strebte beruflich nach oben, heiratete und gründete eine Familie – bis sie das Lauffieber wieder packte und sie nach sieben Jahren zurückkehrte. Weil Olympia-Bronzemedaillengewinnerin Molly Seidel relativ kurzfristig ihren WM-Start aufgrund einer Stressfraktur absagen musste, wurde ein Platz frei und die 37-Jährige, die binnen kürzester Zeit enorme Leistungssprünge im Marathon verzeichnete, sprang ein. „Meine Reaktion ging gleich in die Richtung: Es gäbe keine größere Ehre. Mein ganzes Leben habe ich darauf hingearbeitet, die USA auf großer Bühne zu vertreten“, schilderte sie im Interview mit der US-amerikanischen Läufer-Plattform „Runner’s World“ den überraschenden Anruf des Verbandes am 1. Juli. Nach kurzer Rücksprache mit ihrem Coach entschieden sich die beiden, so flexibel zu sein und sich in kürzester Zeit so gut wie möglich auf den WM-Marathon vorzubereiten.
Weiters für die USA am Start sind Routinier Sara Hall und Emma Bates, auch für diese beiden ist dieses Rennen ein Karriere-Highlight. Ein starkes Trio schickt auch Japan mit Mizuki Matsuda, Mao Ichiyama und Hitomi Niiya ins Rennen – der in Japan lebende kanadische Journalist Brett Larner bezeichnete das Trio sogar als Japans stärkstes überhaupt bei globalen Meisterschaften. Eine japanische Medaillenchance ist genauso wie eine US-amerikanische trotz der Qualität schwer vorstellbar, insbesondere, sollte es auf schnelle finale Kilometer ankommen – die Konkurrenz aus Ostafrika ist halt enorm stark, auch in diesem Meisterschaftsrennen-typischen Szenario.
Britischer Verband setzt auf WM
Von den 47 Genannten repräsentieren elf einen europäischen Verband. Abgesehen von Lonah Chemtai Salpeter, die zu den Medaillenkandidatinnen zählt, hat einzig der britische Verband ein starkes Trio nach Eugene geschickt – sogar das stärkste Trio, wenn man den direkten Vergleich mit den Commonwealth Games und den Europameisterschaften vergleicht. Laut Vorwert die beste Britin ist Olympia-Teilnehmerin Jess Piasecki, ehemalige Siegerin des Florenz Marathon, Charlotte Purdue dürfte ein ähnliches Niveau haben. Die dritte Britin im Feld ist Rose Harvey.
Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2022 in Eugene
World Athletics