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Bill Crothers ist nicht unbedingt der erste Läufer, der einem in den Sinn kommt, wenn man über bedeutende Leistungen in der Olympischen Leichtathletik-Geschichte schwelgt. Warum aber nimmt der heute 76-Jährige dennoch eine außergewöhnliche Stellung ein? Mit der Olympischen Silbermedaille bei…
Bill Crothers ist nicht unbedingt der erste Läufer, der einem in den Sinn kommt, wenn man über bedeutende Leistungen in der Olympischen Leichtathletik-Geschichte schwelgt. Warum aber nimmt der heute 76-Jährige dennoch eine außergewöhnliche Stellung ein? Mit der Olympischen Silbermedaille bei den Spielen von Tokio 1964 gewann er die einzige Olympische Medaille für Kanada auf den Laufdistanzen in der Nachkriegszeit!
Kaum zu glauben, aber wahr. Das größte Land der Welt ist zwar eine Sportnation, die sich – gemessen an der verhältnismäßig geringen Bevölkerung – über große Erfolge freuen darf. Aber was die Erfolge in der Leichtathletik betrifft, ist Kanada ein eher unbedeutendes Territorium. Im Laufsport sowieso. Dass aber beim nördlichen Nachbarn der erfolgreichen Leichtathletik-Nation der Durst nach Erfolgen in der Olympischen Kernsportart groß ist, zeigt die Entwicklung in den letzten Jahren. In Rio konnte beispielsweise bereits der Hochspringer Derek Drouin zum ganz großen Schlag ausholen, großartige Ergebnisse der letzten Weltmeisterschaften lassen auf eine positive Zukunft hoffen mit kanadischen Erfolgen in der Leichtathletik. Auch im Laufsport.
Hoffnung ist genau das Stichwort. Denn mit Melissa Bishop‚ hat Kanada erstmals seit Ewigkeiten eine Läuferin, die an der Weltklasse mithalten kann. Vielleicht ist die 28-Jährige aus dem Bundesstaat Ontario sogar die einzige Läuferin, die im delikaten und schwierigen Umfeld der Diskussion um Hermaphroditismus jenen Läuferinnen, durch deren Körper mehr Testosteron schießt, Paroli bieten und den Kampf um eine Medaille offen halten kann. Eine bärenstarke persönliche Bestleistung von 1:57,43 Minuten bei den kanadischen Meisterschaften in Edmonton und ein überzeugender Auftritt im Vorlauf mit der schnellsten Zeit aller 64 Teilnehmerinnen (was nur begrenzte Aussagekraft hat) manifestieren, dass der Formaufbau der Kanadierin gelungen ist. „2012 bei den Spielen von London, da war alles so neu für mich. All die großen Namen um mich herum. Es war so cool, einfach nur dort zu sein“, erzählt Bishop in einem Interview mit der kanadischen News-Plattform von „The Globe and Mail“ über die vier Jahre alten Eindrücke. Doch mittlerweile hat sich die Einstellung geändert: „Heute habe ich viel mehr Selbstvertrauen, deutlich mehr Erfahrung und bin viel besser vorbereitet. Dieses Mal wird alles anders.“ Stimmt, denn in London scheiterte die Kanadierin bereits im Vorlauf. Und als Vize-Weltmeisterin hat sie selbstredende Medaillen-Ambitionen: „Wenn du älter wirst, erkennt du einfach, dass gewisse Chancen sich nicht häufig bieten. Als junge Athletin glaubst du, die Welt steht für alles offen. Ich will die Möglichkeit des Olympischen Finals am Schopfe packen und dann kann alles passieren.“
Aufgrund der Erwartungshaltung des sportverrückten Heimatlandes muss Bishop aber aufpassen, dass die Hoffnung einer ganzen Nation sich nicht als massiver Druck bleischwer auf ihre Schultern legt. „Ich will unbedingt wieder diesen Adrenalinstoß spüren, den ich in den Tagen von Peking hatte. Es war so aufregend, ich war so glücklich. Ich habe vier Tage lang nicht schlafen können, weil ich so aufgeregt war. Aber das Adrenalin hat mich fit gehalten. Anschließend war ich so erschöpft, ich konnte bei der Massage nicht einmal mehr den Kopf anheben. Es ist nicht einfach, kühlen Kopf zu bewahren. Aber man muss sich vor und zwischen den Wettkämpfen auf das Wesentliche konzentrieren und versuchen, den Kopf auch einmal auszuschalten“, erzählt sie in einem Interview mit dem kanadischen TV-Sender CBC.
Bishop blickt demütig in Richtung Finale. Sie weiß, dass sie auf dem Weg dorthin erst einen wichtigen Schritt gehen muss – das Halbfinale. Und wenn man sich in Erinnerung ruft, wie brutal hart die Vorläufe teilweise gestaltet wurden, weiß, dass die Hürde Halbfinale für fast alle Läuferinnen eine schwierige wird. Auch für die Kanadierin, die aber als Favoritin in den zweiten von drei Halbfinalläufen geht. Es gilt einen der zwei besten Plätze zu erreichen oder einen der zwei „Wildcards“ über die Zeitregel. Eine direkte Gegnerin Bishops ist die Schweizerin Selina Büchel, die ihr gestecktes Minimalziel mit dem Halbfinaleinzug bereits abgehakt hat. Im Vorlauf (siehe RunAustria-Bericht) zeigte sie sich allerdings so stark, dass vielleicht noch mehr geht. Kanonenfutter ist keines mehr im Rennen, Ex-Weltmeisterin Eunice Sum, die ehemalige EM-Medaillengewinnerin Joanna Jozwick aus Polen, die ehemalige Hallen-Europameisterin Nataliia Lupu aus der Ukraine, die britische WM-Finalistin Shelayna Oskan-Clarke, die schwedische EM-Medaillengewinnerin von Amsterdam, Lovisa Lindh und die erst 19 Jahre alte Äthiopierin komplettieren den Halbfinallauf.
Über eine unglückliche Auslosung darf sich allerdings keine Läuferin beschweren, denn auch die beiden anderen Läufe sind ordentlich bestückt. Im ersten laufen die Medaillen-Kandidatinnen Francine Niyonsaba und Margaret Wambui gegen Europameisterin Nataliia Pryshchepa und Ajee Wilson. Die US-Amerikanerin ist die zweite Nordamerikanerin, die eine Olympische Medaille anvisiert und bisher hat das US-Team auf den Mittelstrecken verlässlich ein Edelmetall nach dem anderen eingesammelt. „Zuerst Top Drei bei den Trials, dann die Finalqualifikation in Rio und dann im Finale versuchen, eine Medaille zu gewinnen“, gab die 22-jährige Hallen-WM-Silbermedaillengewinnerin bereits bei den Trials die Marschroute zu Olympischem Edelmetall aus.
Die Topfavoritin auf Gold, Caster Semenya beschließt im letzten Halbfinallauf den Run auf die acht begehrten Finalplätze. Im von der Dichte her wahrscheinlich leichtesten Lauf tritt sie gegen die offensichtlich wieder erstarkte Weltmeisterin Maryna Arzamasova, die Britin Lynsey Sharp und US-Meisterin Kate Grace an. Die Chinesin Wang Chunyu und Noélie Yarigo aus dem Benin haben in den Vorläufen persönliche Bestleistungen aufgestellt. Im 24-köpfigen Halbfinalfeld befinden sich übrigens nur zwei Läuferinnen, die noch nie in ihrer Karriere unter zwei Minuten gelaufen sind.
Olympische Spiele 2016 in Rio de Janeiro