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Bei der Athletinnenpräsentation am Startblock wurde im akustischen Vergleich klar, wer sich hier die Goldmedaille erwartete. Fast etwas schüchtern winkte Keely Hodgkinson ins laute Publikum im ausverkauften Alexander Stadium, ähnlich viel Applaus bekam bei der Ankündigung nur der schottische „Everybodys Darling“ Laura Muir. Daher konnte die Engländerin nach der Silbermedaille bei ihrem Heimspiel nur etwas schwerherzig lächeln, auch wenn sie ihrem Ziel, bei jeder der Meisterschaften in diesem Sommer Edelmetall zu holen, weiter auf Kurs nachjagt. Auf heimischem Boden hätte es aber Gold sein sollen, es kam anders. Mit einem frenetischen Finish am Ende einer unwirklichen individuellen Renngestaltung spurtete Mary Moraa an der Engländerin vorbei und gewann einen außergewöhnlichen Wettkampf in einer Zeit von 1:57,07 Minuten. Hodgkinson erreichte das Ziel in 1:57,40 Minuten als Zweitplatzierte. Eine Fabelteilzeit von knapp 29,3 Sekunden von der Zwischenzeit am gegenüberliegenden Eck des Stadions (600m) bis ins Ziel hatte das Pendel zugunsten Moraas ausschlagen lassen, die bei der WM noch hinter Hodgkinson ins Ziel gelaufen ist und im Vorfeld der Commonwealth Games Revanche ankündigte. Damals in Eugene musste sich die Engländerin wie bei den Olympischen Spielen hinter Athing Mu mit Silber zufrieden geben. Die britische Presse zeigte am Tag nach der Niederlage Mitleid für die Silber-Sammlerin. „Ich gebe Gas bis ich endlich ganz oben auf dem Podium stehe“, blickte Hodgkinson kämpferisch Richtung Europameisterschaften.
In fast allen Laufentscheidungen bei den Commonwealth Games hatte sich die gute Qualität in den Feldern gezeigt, wenngleich ein Großteil der globalen Spitze von diesen Wettkämpfen per Definition ausgeschlossen ist, weil diese Athletinnen und Athleten in nicht dem Commonwealth angehörigen Nationen geboren wurden. Nirgends wurde die sportliche Klasse so deutlich sichtbar wie im 800m-Lauf der Frauen, wo bereits in den Vorläufen prominente Namen international arrivierter Läuferinnen scheiterten. Die Kanadierin Lindsey Butterworth war die einzige der acht Finalistinnen, die noch nie unter 1:59 Minuten gelaufen ist. Gleich drei WM-Finalistinnen, nämlich die Medaillengewinnerinnen Hodgkinson und Moraa sowie die Jamaikanerin Natoya Goule (5.), bewarben sich um die Medaillen bei den Commonwealth Games.
Dementsprechend war es wenig überraschend, dass das Rennen nicht zum Bummelzug mutierte. Mit einem harten Anfangsspurt zog Moraa das Feld so sehr in die Länge, dass Laura Muir, die auf Bahn drei gestartet war, mit den beiden Kolleginnen von der Innenbahn Mühe hatte, nicht gleich auf der ersten Geraden eine Lücke zulaufen zu müssen. Nachher sollte die Schottin im „The Guardian“ sagte: „Oh mein Gott sind diese Mädels schnell. Bis zum Schluss dachte ich, ich hätte keine Medaillenchance.“ In unter 26 Sekunden hatte die Kenianerin die 200m-Zwischenzeit erreicht. „Zu schnell“, befand sie später, wodurch sie das Tempo reduzierte. Hodgkinson reagierte in der zweiten Kurve erstmals auf Moraas gewaltigen Vorstoß und schloss gemeinsam mit Natoya Goule die Lücke nach 350 Metern. Erst dann konnte die Jamaikanerin ihren Plan, nach vorne zu gehen, verfolgen. Nach 56,5 Sekunden führte sie das Feld in die zweite Runde. Hodgkinson und Muir folgten, Moraa war unerwartet ganz ans Ende des Feldes zurückgefallen, um neuen Schwung zu holen. Es war eine absurde Achterbahnfahrt der kenianischen Meisterin, die auf die Überholspur wechselte, als Vierte durch die Kurve lief und als Hodgkinson vorne gerade Goule überholte zur Attacke auf die Goldmedaille blies. Tatsächlich schaffte es die 22-Jährige noch vorbei an Hodkinson und damit zum Sieg. „Ich habe so etwas noch nie gesehen“, sagte die Lokalmatadorin wohl etwas genervt. „Jede läuft ihre Rennen unterschiedlich, der Laufsport ist voller Überraschungen.“ Dagegen war Moraa einfach nur „glücklich“.
Ein weiteres Drama gab es im Kampf um die Bronzemedaille. Die schien Goule bis Mini-Augenblicke vor der Ziellinie sicher, doch mit allerletztem Einsatz schob Laura Muir ihre Brust nach vorne und nach Auswertung des Fotofinishs wurde der Schottin tatsächlich die Bronzemedaille zugeteilt. 1:57,80 zu 1:57,81 Minuten stand zu Buche, dass vier Läuferinnen in einem Meisterschaftsrennen unter 1:58 Minuten blieben, ist schon bemerkenswert. Die Australierin Catriona Bisset führte in 1:59,41 Minuten die zweite Tableau-Hälfte vor Alexandra Bell, Lindsey Butterworth und Ex-Weltmeisterin Halimah Nakaayi an.
Einen Tag nach ihrer Bronzemedaille im 800m-Lauf erreichte Laura Muir ihr großes Ziel und schloss damit endgültig Frieden mit den Commonwealth Games. „Dieser Sieg bedeutet mir viel“, erinnerte die 29-Jährige an eine bisher missglückte Beziehung. 2014 bei den Commonwealth Games in ihrer Heimat Glasgow, als sie als neues britische Lauftalent groß angekündigt wurde und eines der Poster Girls der Leichtathletik-Bewerbe war, enttäuschte die Schottin bitter und wurde, gehandelt als Medaillenaspirantin, desolate Elfte. Vier Jahre später verhinderten Aufgaben in ihrem Veterinärstudium eine Reise nach Gold Coast, damals nicht im Sommer, sondern im April. 2022 war endlich ihr Augenblick bei Commonwealth Games gekommen. „Ich würde gern mein jüngeres Ich aufbauen und ihm sagen: Du wirst aus dieser Erfahrung lernen und stärker zurückkommen“, wird Muir in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ zitiert. Elf Medaillen bei großen internationalen Meisterschaften hat die Schottin nun als Beweis ihrer erfolgreichen Karriere zu Hause, die Europameisterschaften von München stehen unmittelbar vor der Tür.
Der Titel für Laura Muir war absolut keine Sensation, sie war als klare Favoritin ins Rennen gestartet, zumal ihre vermutet größte Kontrahentin, Jessica Hull aus Australien den falschen Tag erwischte und nur Achte wurde. Dennoch bestand die Schottin darauf zu erwähnen, dass das Doppel mit dem 800m-Lauf inklusive der Vorläufe eine große Herausforderung war. Sie konnte sich gleich zu Beginn am Ende des Feldes einordnen, das von Hull angelegte Tempo erlaubte dies. Nach 600 Metern zeigten sich die Nordirin Ciara Mageean und die Kenianerin Edinah Jebitok an der Spitze, doch das Tempo war mit einer 800m-Durchgangszeit von 2:15,42 Minuten nicht superschnell. Kurz vor der Zwischenzeit bei 800m schoben sich die schottischen Teamkolleginnen Laura Muir und Jemma Reekie außen in die erste Linie. Die spätere Siegerin beschleunigte ausgangs der vorletzten Runde unter dem Jubel der 30.000 Zuschauer im neuerlich vollen Alexander Stadium und setzte sich ab, nur Mageean konnte einigermaßen folgen. Die Tempohärte der WM-Dritten auf dieser Distanz reichte aber, dass die Lücke nicht mehr zuging. Muir gewann in 4:02,75 Minuten vor Mageean, die ihren schnellsten 1.500m-Lauf der Saison absolvierte (4:04,14), und Abbey Caldwell, die sich dank eines bemerkenswerten Schlussspurts die Bronzemedaille sicherte. Ausgerechnet die am wenigsten prominente Australierin sicherte sich damit das erhoffte Edelmetall, nicht Hull oder Linden Hall.
Gold: Mary Moraa (KEN) 1:57,07 Minuten
Silber: Keely Hodgkinson (ENG) 1:57,40 Minuten
Bronze: Laura Muir (SCO) 1:57,87 Minuten *
Gold: Laura Muir (SCO) 4:02,75 Minuten
Silber: Ciara Mageean (NIR) 4:04,14 Minuten *
Bronze: Abbey Caldwell (AUS) 4:04,79 Minuten
* neue Saisonbestleistung