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Es könnte ein fantastisches Duell werden, jenes zwischen Hellen Obiri und Gotytom Gebreslase. Zumindest, wenn man die optimistischen und offensiven Aussagen der letzten Zeit in Medienberichterstattungen der Kenianerin herbeizieht. Denn selten war ein Marathon-Debüt so häufig Thema in den Medien wie jenes von Obiri, insbesondere in kenianischen und in den US-Plattformen, schließlich lebt die Kenianerin mittlerweile in Colorado. Und dieses Menge an Medienberichten brachte polarisierende Eindrücke: Vom unbedingten Willen das Marathon-Debüt unabhängig der Zeit siegreich zu gestalten, wie Obiri etwa dem Online-Portal „Women’s Running“ sagte, bis hin zu zurückhaltenden Aussagen wie gegenüber CNN“: „Ich bin mir der harten Konkurrenz bewusst, die mich erwartet. Ich möchte nur gut laufen und die Ziellinie erreichen.“ Je näher der Marathon rückte, desto offensiver wurden die Ankündigungen, was möglicherweise auch mit der Absage der Olympiasiegerin zu tun hatte.
Die läuferische Klasse und das stabile Leistungsniveau in den vergangenen Jahren, zu dem auch die WM-Silbermedaille im 10.000m-Lauf noch vor wenigen Monaten in Eugene wie auch einige starke Halbmarathon-Leistungen zählen, lassen aber durchaus erwarten, dass Hellen Obiri in ihrem ersten Marathon eine Siegkandidatin ist. Auch wenn sie keine Marathon-Erfahrung besitzt, könnte ihre reichhaltige Lauferfahrung auf dem schwierigen Kurs mit erwartbar taktischer kniffliger Renngestaltung ein Vorteil sein. Außerdem muss sie nicht in den Wunderzeitenbereich von 2:18 Stunden oder darunter laufen, um vorne mit dabei zu sein, weil der New York City Marathon traditionell auf Tempomacher verzichtet. Was ihr übrigens auf einem flachen Kurs zuzutrauen wäre.
Gegenüber der Plattform „Women’s Running“ erzählte sie von einem herzlichen Willkommen im On Athletics Club in Boulder in der Höhenlage von Colorado und findet das Trainingsumfeld perfekt – ähnlich wie im kenianischen Hochland. „Und: Es wird ein guter Ort für meine Tochter, aufzuwachsen. Ich hoffe, mein Mann und sie bekommen bald ein Visum, denn ich vermisse sie schon sehr.“ Die US-amerikanische Laufplattform „Let’s Run“ schildert unter Berufung auf Obiris neuen Coach Dathan Ritzenhein, ein ehemaliger US-amerikanischer Topläufer, einen hervorragenden Marathon-Aufbau. Sie sei auf die Herausforderung der Strecke vorbereitet, sagt Obiri im Vorfeld. „Ich habe den Marathon mehrmals im Fernsehen gesehen. Ich hoffe, dass meine Erfahrung mich durch Wellen navigiert. Außerdem werde ich auf meinen Coach hören, der mehrmals den New York City Marathon gelaufen ist.“ Ritzenhein habe laut Women’s Running viele Trainingseinheiten auf ähnlich hügeligem Gelände wie im Central Park, nur halt in den Rocky Mountains, durchführen lassen.
Gotytom Gebreslase ist ein Marathon-Phänomen: Abgesehen von einem nicht beendeten Debüt in Osaka hat die 27-jährige Äthiopierin, einzig im Marathon und in keinen anderen Disziplinen, eine richtige Größe, nur starke Marathons absolviert. 2021 gewann sie den Berlin Marathon in 2:20:09 Stunden, 2022 steigerte sie sich auf eine Zeit von 2:18:18 Stunden in Tokio und um weitere sieben Sekunden, um mit ihrer bisher beeindruckendsten Darbietung Weltmeisterin in Eugene zu werden. Das war vor dreieinhalb Monaten, die Zeit für Regeneration und einen neuen Marathon-Aufbau dürfte nach den heutigen Standards unter ostafrikanischen Spitzenathleten gereicht haben.
Hinter der erfolgreichen Sportlerin verbirgt sich aber auch eine dramatische Familiengeschichte, wie CNN am gestrigen Donnerstag erzählte. Seit über einem Jahr hatte die Läuferinnen keinen Kontakt zu ihren Eltern, Kommunikationskanäle sind im militärischen Konflikt in Äthiopien unterbrochen worden. „Einzig Gott weiß, wann wir uns wieder sehen können. Ich wünsche mir, so bald wie möglich – das würde mich glücklich machen“, so die Athletin, bei weitem nicht die einzige internationale Topläuferin, die aus der umkämpften nordäthiopischen Region Tigray stammt und in der Hauptstadtregion von Addis Abeba lebt und trainiert – ein sich abzeichnender Waffenstillstand nährt wahrscheinlich auch Gebreslases Hoffnungen auf Kontakt in die Heimat.
Die dritte absolute Topläuferin im Feld ist Lonah Chemtai Salpeter. Die Israelin, die mit einer Bestleistung von 2:17:45 Stunden die Meldeliste anführt, belegte beim von Gebreslase gewonnen WM-Marathon in Eugene den dritten Platz und gewann damit die Bronzemedaille genauso wie vier Wochen später im 10.000m-Lauf bei den Europameisterschaften von Berlin. Wettkampfpause gab es danach auch keine, der vierte Platz bei Dam tot Damloop überzeugte aber nicht. Den stärksten Wettkampf bestritt die aus Kenia stammende 33-Jährige allerdings schon im Frühling, als sie in einer Zeit von 2:18:45 Stunden Zweite beim Nagoya Women’s Marathon war. „Den New York City Marathon zu laufen war immer ein Traum von mir. Ich hoffe, dass ich auf das Stockerl laufen kann“, so die Israelin.
Wermutstropfen für das Rennen ist die Absage von Vorjahressiegerin Peres Jepchirchir, die als erste Athletin der Geschichte den Olympiasieg und den Triumph beim New York City Marathon in ein und demselben Jahr feiern konnte. Sie leidet schon seit Monaten an diversen Verletzungen. „Ich habe mit meinem Team aus Physios hart daran gearbeitet, rechtzeitig zurückzukommen. Aber uns ist die Zeit ausgegangen“, ließ die Kenianerin in einem Statement wissen.
Hinter den Top-Drei erscheint das Feld auf der Liste leistungsstärker als es in Wirklichkeit ist. Keira D’Amato bestreitet bereits ihren vierten Marathon in diesem Jahr, den dritten seit Juli. Daher ist gerade einmal sechs Wochen nach dem Berlin Marathon äußerst fraglich, ob die 38-Jährige mit so frischen Beinen an der Startlinie ist, um tatsächlich um die Top-Fünf mitzulaufen. Edna Kiplagat, Siegerin vor zwölf Jahren, ist eine gute Platzierung nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung zuzutrauen, sondern auch aufgrund ihrer Klasse. Kiplagat lebt schon seit Jahren in Boulder. Mit fast 43 Jahren hat sie aber natürlich nicht mehr das Niveau aus ihren besten Zeiten. Viola Cheptoo, Schwester von Bernard Lagat, ist nach ihrem zweiten Platz im Vorjahr unter Druck, diese herausragende Leistung zu bestätigen. Luft nach oben hat in ihrer noch kurzen Marathon-Karriere Senbere Teferi, deren Sieg am Sonntag historisch wäre. Sie könnte als erste Läuferin der Geschichte der New York Road Runners in einem Jahr den New York City Halbmarathon, den New York Mini 10K und den New York City Marathon gewinnen.
Das Feld der US-Amerikanerinnen wird angeführt von der entthronten US-Rekordhalterin Keira D’Amato, über deren Leistungsfähigkeit am Sonntag wie erwähnt Fragezeichen stehen. „Während des Frühlings und Sommers gab es viele Gespräche mit den New York Road Runners. Für mich war es wichtig, mich auf Berlin zu fokussieren. Erst danach habe ich final darüber nachgedacht und ich habe mich nach dem Berlin Marathon sehr gut regeneriert“, so D’Amato. Ihre Last-Minute-Verpflichtung wurde quasi als Ersatz für eine andere US-Topläuferin getätigt. Sara Hall hat seit Wochen mit der Oberschenkelmuskulatur zu kämpfen und wurde nicht rechtzeitig fit, um ihre Vorbereitung auf den Marathon in New York zu beginnen. Sie musste absagen. Das Feld der US-Amerikanerinnen wird ergänzt durch die zuletzt gut laufenden Emma Bates, Lindsay Flanagan, Dakotah Lindwurm, Nell Rojas und Olympia-Teilnehmerin Aliphine Tuliamuk. Auch die ehemalige Topläuferin Desiree Linden ist am Start. Dazu kommen zwei englischsprachige Athletinnen aus Australien, Jessica Stenson und Eliose Wellings, die ein ähnliches Niveau wie die Gruppe der US-Amerikanerinnen haben. Stenson hat im Juli den Marathon bei den Commonwealth Games gewonnen. Abgesehen von Chemtai Salpeter ist die Holländerin Ruth van der Meijden die am besten gelistete europäische Läuferin. Die 38-Jährige ist allerdings vor vier Wochen den Eindhoven Marathon gelaufen, damit ist fraglich, ob sie tatsächlich antreten wird.
Der New York City Marathon geht in diesem Jahr zum 51. Mal über die Bühne, aber die Läuferinnen feiern ein rundes Jubiläum. Bereits bei der zweiten Ausgabe im Jahr 1971 waren Frauen zugelassen, womit der New York City Marathon eine enorm wichtige Pionierfunktion für die Entwicklung des Frauenlaufsports und des Marathonsports für Frauen eingenommen hat. Beth Bonner war 1971 die schnellste von fünf Läuferinnen, im Jahr darauf siegte Nina Kuscsik, als sechs Läuferinnen teilgenommen haben und erstmals zehn Minuten vor den Männern gestartet sind. Sie nutzten die Scheinwerfer für einen Protest aufgrund der Benachteiligung der Frauen im Laufsport. Kuscsik wird von den New York Road Runners heuer mit dem Abebe-Bikila-Award ausgezeichnet, was sie sehr stolz mache, wie sie eine Aussendung zitiert. Kuscsik war gemeinsam mit Katherine Switzer und Fred Lebow sehr an der Initiative des ersten Frauenlaufs der Welt in New York beteiligt und später eine starke Fürsprecherin für die Aufnahme des Marathonlaufs der Frauen in das Olympische Programm.
Zum Jubiläum laufen etliche weibliche Prominente den New York City Marathon, auch aus der Sportwelt. Die norwegische, ehemalige Ausnahme-Skilangläuferin Marit Björgen läuft für eine Charity-Initiative zur Unterstützung von Krebspatienten. Außerdem ist Monica Puig aus Puerto Rico am Start, die 2016 völlig unerwartet das Olympische Tennisturnier von Rio gewonnen hat – als erste Athletin ihres Inselstaats überhaupt in allen Sportarten. In New York anwesend ist auch die viermalige Siegerin Mary Keitany, die offiziell – und wohlgemerkt hochverdient – in die Hall of Fame des Events aufgenommen wird.