Enter your email address below and subscribe to our newsletter

Olympia-Gold: 10.000m-Krönung für Cheptegei

Nach drei WM-Titeln in Serie sicherte sich Joshua Cheptegei in einem denkwürdigen Rennen seinen ersten Olympiasieg im 10.000m-Lauf und verlässt die Disziplin als Legende Richtung Marathon.
Weiterlesen

Share your love

Joshua Cheptegei hat seine eindrucksvolle Karriere auf den Bahndistanzen mit dem Olympiasieg in jener Disziplin, die er seit dem Ende der Ära Mo Farah international dominiert hat, gekrönt. Ein wahres Spektakel führte den 27-Jährige zu Olympia-Gold im 10.000m-Lauf, seinem zweiten nach dem Triumph über 5.000m von Tokio 2021. Seine Zukunft soll im Straßenlauf liegen, er hinterlässt mit drei WM-Titeln und einem Olympiasieg ein gewaltiges Erbe. Der äthiopischen Tempojagd fehlte am Ende der Mut, die Silbermedaille für Berihu Aregawi ist ein Trostpflaster, während Erzrivale Kenia neuerlich ein Debakel erlebte. Historisch ist die Bronzemedaille für den US-Amerikaner Grant Fisher, erst die zweite 10.000m-Lauf Medaille bei Olympischen Spielen eines nicht in Afrika geborenen Läufers seit 1988.

Höhepunkt und Ende einer Ära

Es brauchte schon einen „miesepetrischen“ Ansatz, um ein Haar in der Suppe der Karriere von Joshua Cheptegei zu finden. Womöglich ist der Olympische 10.000m-Lauf von Tokio genau dieses leichte Ärgernis, als Selemon Barega ihm im Schlussspurt die Goldmedaille wegnahm. In der Welt von Joshua Cheptegei, die im Spitzensport auf Perfektion ausgelegt ist, war es gar ein großes Ärgernis. Umso fokussierter trieb der Ugander den Wunsch voran, in Paris die Verhältnisse zurechtzurücken. Jahrelang konzentrierte er sich einzig auf den 10.000m-Lauf.

Sieben Jahre ist es her, als er im Alter von 20 Jahren beinahe die Ära von Mo Farah bei dessen Heimspiel in London beendet hatte. Dem WM-Titel von Doha 2019 fügte er nach der Pandemie, die er für Weltrekordläufe über 5.000m und 10.000m genutzt hat, die Titel von Eugene 2022 und Budapest 2023 hinzu. Und am Samstag, beim vielleicht letzten 10.000m-Rennen seiner Karriere, das fehlende Mosaiksteinchen: Olympisches Gold!

Ergebnis Olympischer 10.000m-Lauf der Männer, Paris 2024
Gold: Joshua Cheptegei (Uganda) 26:43,13 Minuten (Olympischer Rekord)
Silber: Berihu Aregawi (Äthiopien) 26:43,44 Minuten
Bronze: Grant Fisher (USA) 26:43,46 Minuten

 
4. Mohammed Ahmed (Kanada) 26:43,79 Minuten
5. Benard Kibet (Kenia) 26:43,98 Minuten (persönliche Bestleistung)
6. Yomif Kejelcha (Äthiopien) 26:44,02 Minuten
7. Selemon Barega (Äthiopien) 26:44,48 Minuten
8. Jacob Kiplimo (Uganda) 26:46,39 Minuten
9. Thierry Ndikumwenayo (Spanien) 26:49,49 Minuten (spanischer Rekord)
10. Adriaan Wildschutt (Südafrika) 26:50,64 Minuten (südafrikanischer Rekord)
11. Daniel Mateiko (Kenia) 26:50,83 Minuten
12. Nico Young (USA) 26:58,11 Minuten
13. Jimmy Gressier (Frankreich) 26:58,67 Minuten (französischer Rekord)
14. Nicholas Kipkorir (Kenia) 27:23,97 Minuten
15. Merhawi Mebrahtu (Eritrea) 27:24,25 Minuten

Ein Rennen für die Annalen

Die Zweifel am Gelingen waren im Vorfeld durchaus präsent. Keine der jüngsten Vorleistungen deutete darauf hin, dass Joshua Cheptegei seine Favoritenrolle vergolden würde. Seine Klasse ist freilich bekannt, auch seine Stärke in der Schlussphase. Diese spielte er am Samstagabend im vollbesetzten Stade de France gnadenlos aus und stürmte zum Titel.

„Ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben. Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet. Die Silbermedaille vor drei Jahren war eine Enttäuschung, ich wollte dieses Olympische Rennen unbedingt gewinnen“, sagte der 27-Jährige nach dem Rennen, mit dem er Zweifler verstummte. Er tat es mit einer eindrucksvollen Zeit: 26:43,14 Minuten. Er löschte den für ein Meisterschaftsrennen flotten Olympischen Rekord aus, den Kenenisa Bekele in seiner absoluten Hochzeit 2008 in Peking aufgestellt hatte. Er unterbot ihn, dank äthiopischer Mithilfe, um sage und schreibe 18 Sekunden.

13 Läufer blieben am Ende unter der Bekele-Zeit von damals. 13 Läufer unter 27 Minuten – das gab es in der Geschichte des Laufsports noch nie! Schlussendlich ist das auch ein Zeichen, dass das vermeintlich absurde Olympia-Limit von 27:00,00 Minuten, mit dem sich weltweit etliche Spitzenathleten monatelang förmlich plagten, doch nicht einer surrealen Einschätzung entstammte.

Von Bekele inspirierter Lebenstraum

„Junge Athleten haben Träume, was sie gerne in ihrem Leben erreichen möchten. Das war meiner. Vor 16 Jahren habe ich den großen Kenenisa im Fernsehen gesehen, wie er Olympisches Gold gewann. Damals ist mein Herz gewachsen. Ich sagte mir: Eines Tages will ich Olympiasieger sein!“, erzählte der emotionale Joshua Cheptegei, dessen Karriereplan nach den Olympischen Spielen den Wechsel in den Marathon vorsieht.

Er geht als Legende, denn mit dem Sieg vom Samstag hat Cheptegei alles erreicht, was in dieser Disziplin möglich ist. Cheptegei widmete den Erfolg seiner Familie und seinem Umfeld. Den Status des Nationalhelden hat der 27-Jährige in seiner Heimat längst schon inne. Allerspätestens nun ist er in einem Atemzug mit den Laufelegenden der 10.000m-Geschichte aufzulisten: mit Paavo Nurmi, Emil Zatopek, Lasse Viren, Haile Gebrselassie, Kenenisa Bekele, Mo Farah.

Alle Olympiasieger aus Uganda
John Akii-Bua – 400m Hürden (München 1972)
Stephen Kiprotich – Marathonlauf (London 2012)
Peruth Chemutai – 3.000m-Hindernislauf (Tokio 2021)
Joshua Cheptegei – 5.000m-Lauf (Tokio 2021)
Joshua Cheptegai – 10.000m-Lauf (Paris 2024)

Äthiopier auf dem Gaspedal

Dass sich in Paris ein historisch schnelles Rennen entwickelte, lag an der mutigen Taktik des äthiopischen Trios. Nach einer kurzen Einführungsphase mit Lokalmatador Jimmy Gressier an der Spitze, der sich Teil eins des verdienten Applauses der Heimfans abholte, übernahmen die Äthiopier auf dem dritten Kilometer das Kommando. Dabei wechselten sich Yomif Kejelcha, Berihu Aregawi und Selemon Barega ab, die Folge waren Kilometerschnitts von 2:43, 2:39, 2:39, 2:41 und 2:39 Minuten für die erste Rennhälfte.

Die Taktik hatte einen erkennbaren Hintergrund: Mit hohem Durchschnittstempo wollten die Jahresschnellsten die Konkurrenz müde laufen und auch das ugandische Duo Cheptegei und Kiplimo auf den Zahn fühlen, wie gut deren Form ist. Beide verhielten sich ruhig und liefen im hinteren Teil der immer noch 13-köpfigen Spitzengruppe, ein klares Signal für die hohe Qualität im Feld. Das erste prominente Opfer war der Kenianer Nicholas Kipkorir, der den Anschluss verlor. Europas Bester bei der WM 2023 und Vize-Europameister Yann Schrub aus Frankreich, gab nach weniger als sechs Kilometern erschöpft auf. Doch viele andere widerstanden dem Tempodiktat.

© Dan Vernon for World Athletics

Große Spitzengruppe

Nach zwei weiteren schnellen Kilometern lagen immer noch 13 Läufer beieinander, was bei den Äthiopiern sichtlich den Schneid abkaufte. Denn mittlerweile hatte sich Cheptegei bestens im Feld positioniert, der US-Amerikaner Grant Fisher hielt stur und sichtlich locker seine Optimalposition in der ersten Verfolgerreihe auf der Innenkante. Als der Kanadier Mohammed Ahmed an die Spitze kam, stotterte der bisher intensive Rhythmus erstmals merklich und das Feld stauchte zusammen. Zwar versuchte Kejelcha mehrfach, die alte Gangart zurückzuholen, doch der Schwung war verloren. Beinahe „passierte“ sogar eine 70er-Runde, nachdem in der ersten Rennhälfte durchgehend Rundenzeiten von deutlich unter 65 Sekunden registriert wurden.

Meister der Taktik

Und es entwickelte sich jene Schlussphase, die insbesondere die wahrlich nicht für ihre Endschnelligkeit bekannten Äthiopier Kejelcha und Aregawi gerne vermieden hätten. Zwar fielen mit Gressier und dem zweiten Amerikaner, Young, zwei Leute zurück, die Positionskämpfe vorne kosteten nun aber Kraft.

Cheptegei hatte den Durchblick und zog rund 550 Meter vor dem Ziel an. Ahmed huschte hinterher, dann Kejelcha, dessen Landsleute in diesem neuralgischen Moment zu weit zurück lagen. Durch die letzte Kurve sah Cheptegei schon wie der Sieger aus, er ließ sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen: Eine Schlussrunde von knapp unter 55 Sekunden war ein Machtwort.

Die Erfolge von Joshua Cheptegei

Alter: 27
Nationalität: Uganda

🥇🥇 Olympiasieger: 2021 (5.000m), 2024 (10.000m)
🥈 Olympia-Silber: 2021 (10.000m)
🥇🥇🥇 Weltmeister: 2019, 2022 und 2023 (10.000m-Lauf)
🥇 Crosslauf-Weltmeister: 2019
🥉 Crosslauf-WM-Bronze: 2023
🥈 WM-Silber: 2017 (10.000m)
🥇 Junioren-Weltmeister: 2014 (10.000m)

Ernüchterung bei den Äthiopiern

Der Schlussspurt von Barega zündete dieses Mal nicht wie in Tokio. Nur Kiplimo, der auf der Zielgerade im Kampf um Edelmetall förmlich einbrach, absolvierte in den Top-Acht die letzten 100 Meter noch langsamer als der Olympiasieger von Tokio. Als alles nach einem gewaltigen Nackenschlag für das zurecht hochgelobte äthiopische Team aussah, rettete Berihu Aregawi die Ehre der Laufnation so halbwegs.

Mit dem mit Abstand schnellsten Endspurt stürmte er von Platz sieben am Ausgang der Kurve noch zur Silbermedaille in einer Zeit von 26:43,14 Minuten. „Wir haben ein großartiges Teamwork gezeigt und das Rennen schnell gemacht. Ich bin sehr traurig, dass es uns nicht gelungen ist, die Goldmedaille nach Äthiopien zu holen“, sagte der 23-Jährige. Es ist sein erster großer Erfolg auf der Bahn, nachdem er bei Crosslauf-Weltmeisterschaften bereits zweimal Silber hinter Kiplimo gewonnen hat. Der Weltjahresschnellste und äthiopische Meister, Kejelcha, und Tokio-Sieger Barega hatten keine Chance.

Ob die Schadenfreude über das Debakel des Erzrivalen Kenias über das verpasste Gold etwas tröstete, ist nicht bekannt. Der 24-jährige Newcomer Benard Kibet, ein Japan-Export der Kenianer, wurde immerhin Fünfter, als einziger der Kenianer in den Top-Ten. Damit hat Kenia in den letzten sechs Olympischen 10.000m-Läufen gerade einmal zwei Medaillen gewonnen, der letzte (und einzige) Olympiasieg liegt 56 Jahre zurück. Dass mit Paul Tergat eine kenianische Lauflegende und Vorsitzender des Kenianischen Olympischen Komitees die Medaillen überreichte, war eine kleine ironische Note des Abends. Es schwang wohl auch die Hoffnung der Laufnation mit, dass Tergats Auftritt inspirierend für ein Ende der Durststrecke wirken könnte.

© Mattia Ozbot for World Athletics

Grant Fisher am Ziel

Historisch war aus anderen Gründen auch das Abschneiden Grant Fishers. Als dritter Amerikaner nach Lewis Tewanima im fernen Jahr 1912 und Galen Rupp exakt 100 Jahre später (beide Silber) hängte er sich mit Bronze Edelmetall um. Mit dem drittschnellsten Endspurt des Feldes, dem zweitschnellsten in der Spitzengruppe, krönte der 27-Jährige ein von Anfang an perfektes Rennen mit einer Zeit von 26:43,46 Minuten, beinahe wäre es Silber geworden. „Diese Medaille bedeutet mir so viel. Es braucht eine unglaubliche Stärke, in diesem Feld in die Top-Drei zu laufen. Es ist ein unglaubliches Gefühl“, kommentierte der Amerikaner. Vor zwei Jahren hatte er vor heimischem Publikum in Eugene nur knapp die 10.000m-Medaille verpasst.

Die WM 2023 verfolgte Fisher vom eigenen Wohnzimmer aus, nachdem er wegen einer Verletzung nicht früh genug für die Trials in Form gekommen ist. Seit dem überzeugenden Erfolg bei den diesjährigen US Olympic Trials sprach er öffentlich vom Wunsch, in Paris eine Medaille zu gewinnen. Obwohl er mit dem Narrativ aufgewachsen sei, amerikanische Langstreckenläufer seien einfach nicht stark genug, um gegen die Ostafrikaner zu bestehen, wie er in einem Interview mit „Runner’s World“ erzählte. Er wolle unbedingt in die Fußstapfen von Galen Rupp (Olympia-Silber 2012, 10.000m) oder Matt Centrowitz (Olympiasieger 2016, 1.500m) treten, sagte er damals. Es gelang!

Mutiger Wechsel vor der Saison

Vor drei Jahren verfehlten Aregawi und Fisher in Tokio noch knapp das Stockerl, die harte Arbeit der letzten Jahre hat sich ausgezahlt. Fisher hat vor der Saisonvorbereitung das bekannte Trainingszentrum Bowerman Track Club in Oregon unter Startrainer Jerry Schumacher verlassen und trainiert seither in der Höhenlage der Olympischen Wettkampforte der Winterspiele 2022 rund um Salt Lake City unter seinem Highscool Coach Mike Schannell, wie die US-amerikanische Plattform „Let’s Run.com“ schrieb.

Olympische Spiele 2024

Die Olympischen Leichtathletik-Bewerbe werden mit Ausnahme der Geh- und Marathonbewerbe im Stade de France in Saint-Denis in der Metropolregion von Paris ausgerichtet. Charakteristisch ist die in pink gehaltene Laufbahn. Die Wettbewerbe werden von einem bemerkenswerten Zuschaueraufkommen und großartiger Atmosphäre im Stadion begleitet.
Alle Ergebnisse findest du auf der offiziellen Website:

Ahmed so nah wie nie an Medaille

Gut drei Zehntelsekunden fehlten dem Kanadier Ahmed, anfangs der Zielgerade noch Zweiter, auf eine Medaille. Viermal in Serie war er bei globalen Entscheidungen Sechster geworden, der vierte Platz ist daher ein Fortschritt. Gegenüber dem kanadischen TV-Sender CBC sagte der 33-Jährige nach dem Rennen, seinem vierten Olympischen über diese Distanz: „Ich kann mich nicht beschweren. Ich glaube, ich bin verdammt gut gelaufen.“ Der aus Somalia stammende Nordamerikaner kennt das Gefühl einer Olympischen Medaille allerdings bereits: In Tokio war er hinter Cheptegei Zweiter über 5.000m.

Dass Ahmed ein langjähriger, ehemaliger Trainingspartner von Fisher beim Bowerman Track Club war, gibt dem Zieleinlauf eine prestigeträchtige Note. Statistisch war das Abschneiden normal, auch das fünfte Wettkampfduell der beiden Nordamerikaner über 10.000m ging an den US-Boy. Mit einem neuen spanischen Rekord von 26:49,49 Minuten erreichte Thierry Ndikumwenayo – seit 2023 für seine Wahlheimat startberechtigt – einen europäischen Top-Ten-Platz. Den nationalen Rekord von Fabian Roncero aus dem Jahr 1998 pulverisierte der 27-jährige EM-Bronzemedaillengewinner von Rom um 25 Sekunden, mit Mo Farah ist nur ein Europäer jemals schneller gelaufen.

Eine herausragende Stimmung begleitet die Leichtathletik-Bewerbe im Stade de France. © Mattia Ozbot for World Athletics

Eine nie da gewesene Kulisse

Und noch ein Europäer sorgte für Jubelstürme und gönnte sich mit einer französischen Flagge um den Nacken eine emotionale Ehrenrunde à la Olympiasieger. Mit einem Paradefinish sicherte er sich eine Zeit unter 27 Minuten – als 13. wohlgemerkt – und verbesserte den 32 Jahre alten französischen Rekord von Antonio Bordello Martins um 24 Sekunden auf eine Zeit von 26:58,67 Minuten. „Ich hatte unfassbare Beine, es war ein großer Kampf. Es ist toll, solche Emotionen zu erleben. Aber sie mit dem ganzen Stadion zu teilen, ist noch besser. Es war ein verrückter Abend!“, wird der 27-Jährige auf der Website des Französischen Leichtathletik-Verbandes (FFA) zitiert.

Minutenlang feierte das grandiose Publikum die Protagonisten der eigentlich nicht sehr beliebten Disziplin, nicht nur den Lokalmatador. „Der 10.000m-Lauf widerfährt manchmal nicht viel Liebe. Aber dieses Publikum hat das Gefühl erweckt, als würden wir die beste Show in der Stadt liefern“, betonte Fisher.

Autor: Thomas Kofler
Bild: © Mattia Ozbot for World Athletics (3) / Dan Vernon for World Athletics (1)
Quelle Zitate: www.olympics.com

Share your love