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Mit ihrem EM-Titel stieg Mittelstreckenläuferin Ciara Mageean in die großen Fußstapfen der irischen Lauflegende Sonia O’Sullivan. Im 800m-Lauf der Männer gab es dank Gabriel Tual erstmals überhaupt bei Europameisterschaften einen französischen Sieg.
„Ich bin absolut ekstatisch!“, jubelte die 32-jährige Irin nach dem größten Erfolg ihrer Karriere, der freilich als logische Konsequenz der Entwicklung in den letzten Jahren kommt. Ihre emotionale Reaktion unterstreicht die Bedeutung des Triumphs für ihre Karriere: „Ich habe so lange auf diesen einen Moment im Sport gewartet, in dem die irische Nationalhymne im Stadion für mich gespielt wird. Ich bin nun das älteste Teammitglied hier und die Atmosphäre im Teamhotel ist fantastisch. Es ist alles wunderbar!“
Es sind große Fußstapfen, in die Ciara Mageean an diesem Abend in Rom trat. Drei Europameisterinnen hat das kleine Land im Atlantischen Ozean bisher gewonnen, allesamt durch die unvergessene Sonia O’Sullivan. In einem Atemzug mit ihr wird die 32-Jährige künftig genannt werden. Acht Jahre, nachdem sie als jüngste irische Leichtathletin der Geschichte in Amsterdam die Bronzemedaille in dieser Disziplin gewann, und zwei Jahre nach der Silbermedaille von München ist der Edelmetall-Satz nun komplett – als erst dritte irische EM-Medaillengewinnerin überhaupt nach O’Sullivan (fünf Medaillen) und Hürdensprinterin Derval O’Rourke.
In Abwesenheit von Laura Muir, der sie sich vor zwei Jahren noch beugen musste und die in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele auf den Trip nach Rom verzichtet hat, galt die irische Rekordhalterin als die Favoritin auf die Goldmedaille. Mit einem sagenhaften Rennen hat sie in Budapest vor einem Jahr nur haarscharf eine WM-Medaille verpasst. Obwohl sie sich damals hinter drei absoluten Größen – Faith Kipyegon, Diribe Welteji und Sifan Hassan – einordnen musste, verließ sie die ungarische Hauptstadt frustriert. Mit ihrer wenige Tage später beim Diamond-League-Meeting in Brüssel aufgestellten Bestleistung von 3:55,87 Minuten imponierte sie neuerlich auch über die europäischen Grenzen hinaus. Genau dort, wo ihr 2022 sogar ein Sieg in der Diamond League gelungen war. Die Krönung einer außergewöhnliche Karriere der Irin ist nun aber auch mit dem Stadio Olimpico von Rom untrennbar verbunden.
Ciara Mageean stammt aus dem kleinen Städtchen Portaferry am östlichen Rand Nordirlands und entschied sich, für Irland an den Start zu gehen. Sie studierte Physiotherapie an der Universität in Dublin und orientierte sich sportlich nach England. Am New Balance Trainingsstandort in Manchester ging es mit ihrer Karriere steil bergauf, unter anderem betreute sie die ehemalige englische Spitzenläuferin Helen Clitheroe.
Im EM-Finale von Rom fürchtete Mageean vor allen Dingen die Konkurrenz aus Großbritannien. Jemma Reekie, ehemalige U23-Europameisterin und in den letzten Jahren vermehrt auf die 800m-Strecke spezialisiert, Katie Snowden und Georgia Bell bildeten auch ohne Laura Muir ein starkes Trio. Reekie kontrollierte auch überraschenderweise die Anfangsphase, wollte sich also nicht auf ihre Spurtstärke im Finale verlassen. Überhaupt gestalteten die Britinnen das Rennen von vorne, die 800m-Durchgangszeit von 2:16,36 Minuten war aber keineswegs schnell. Nur zweimal im laufenden Jahrtausend war die Siegerzeit höher als in Rom 2024.
Die Irin platzierte sich hinter dem Duo Reekie und Bell, als das Rennen in die entscheidende Phase ging und nun seinen Geschwindigkeitshöhepunkt erlebte. Mageean fand eingangs der Zielgerade eine Lücke zwischen den beiden tatkisch nicht sehr umsichtig laufenden Britinnen und stürmte hindurch. Nach 4:04,66 Minuten stand ihr Triumph fest, für die Schlussrunde benötigte die Siegerin lediglich 60,34 Sekunden – und damit viel weniger als die Konkurrenz.
Reekie hatte sich mit ihrer Taktik völlig verspekuliert. Nach 1.400m noch in Führung liegend verlor sie auf der Zielgerade vier Positionen. Die 30-jährige Bell, die ihren Durchbruch eigentlich erst in diesem Jahr geschafft hat, rettete die britische Ehre mit der Silbermedaille in einer Zeit von 4:05,33 Minuten. „Es ist unglaublich, wirklich unglaublich! Ich habe jede einzelne Sekunde dieses Rennens geliebt.“ Vor vielen Jahren galt Bell als ein britisches Toptalent, doch im US-Collegesystem an der University of California entwickelte sich die Karriere nicht weiter. In einem Artikel auf der Website des britischen Fachmagazins „Athletics Weekly“ im Februar erzählte die Athletin von unzähligen Verletzungen aufgrund der hohen Beanspruchung.
Erst nach der Rückkehr nach Europa, als sie sich der Trainingsgruppe von Jennifer Meadows rund um 800m-Star Keely Hodgkinson anschloss, gelang der ehemaligen Duathletin ein gewaltiger Leistungssprung. Plötzlich war sie Europaspitze und verpasste bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Glasgow nur knapp eine Medaille. Sie knackte über 800m die zwei Minuten und verpasste die Vier-Minuten-Marke über 1.500m nur knapp – nun ist sie EM-Silbermedaillengewinnerin. Und das, obwohl sie kein Profi ist. Bell geht einem Vollzeitjob nach und schützt Unternehmen beruflich vor Cyber-Angriffen. Da sie aber überwiegend von zuhause aus arbeitet, gebe der Alltag ihr notwendige Flexibilität fürs Training, wie sie gegenüber Athletics Weekly erzählte.
Überraschend zur Bronzemedaille stürmte die französische Hallenrekordhalterin Agathe Guillemot nach einer starken Leistung in einer Zeit von 4:05,69 Minuten. „Ich habe mir immer die Europameisterschaften im Fernsehen angeschaut und jetzt bin ich dabei und habe noch dazu eine Medaille. Ich möchte den Moment genießen und hoffe, er hört nicht so schnell auf. Damit bewegte sich die in der Bretagne lebende Studentin an der Universität in Rennes im Dunstkreis ihrer Bestleistung. Zuletzt hat Frankreich im Jahr 2010 mit Silbermedaillengewinnerin Hind Dehiba-Chahyd eine EM-Medaille über diese Distanz gewonnen. Der vierte Platz ging an Esther Guerrero, der gut drei Zehntelsekunden auf eine Medaille fehlten, obwohl sie eingangs der Zielgerade noch fast eineinhalb Sekunden hinter der Französin lag.
Die einzige Deutsche im Finale, Nele Weßel, kam als Elfte ins Ziel. Bereits in den Vorläufen war unter anderem Sofia Ennaoui gescheitert. Die Polin gewann bei den letzten beiden Gelegenheiten jeweils eine EM-Medaille in dieser Disziplin.
Vergleichbar mit Mageean war das 800m-Finale in Rom der Triumph von Gabriel Tual im 800m-Lauf der Männer. Der 26-jährige Franzose rückte in den vergangenen Jahren der Weltklasse immer näher, schaffte es überraschend in die Finalläufe bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio und den Weltmeisterschaften 2022 in Eugene, nur in München 2022 und Budapest 2023 blieb er im Halbfinale hängen. Sein Moment kam bei der EM 2024, wo er das schaffte, was sein Landsmann und ehemaliger Weltmeister Pierre-Ambroise Bosse nie schaffte: den ersten französischen EM-Titel im 800m-Lauf der Männer überhaupt in einer Zeit von 1:44,87 Minuten. Zu einem günstigen Zeitpunkt, in zwei Monaten finden die Olympischen Spiele in Tuals Heimatland statt.
Das 800m-Finale der Männer begann mit angezogener Handbremse und Catalin Tecuceanu, der nach vorne stürmte und das Feld einbremste. Dem Spanier Alvaro de Arriba ging das auf die Nerven und er beschleunigte nach 300 Metern, die Durchgangszeit von 53,11 Minuten nach einer Runde war entsprechend langsam und versprach eine turbulente Schlussrunde.
Tual und Tecuceanu konnten dem Spanier gut folgen, während Elloit Giles, Andreas Kramer und Mohamed Attaoui auf der Gegengerade ordentlich Boden gut machen mussten. Attaoui, der im Vorlauf noch fast ausgeschieden ist, stürmte mit Wucht in die letzte Kurve und durchführte auf der Außenbahn eine Serie von Überholmanövern. Mit einem energischen Endspurt sicherte er sich in einer Zeit von 1:45,20 Minuten die Silbermedaille – ein Jahr nach der Silbermedaille bei der U23-EM seine erste in der Allgemeinen Klasse. „Ich bin nun der glücklichste Mensch auf der Welt!“
Attaoui stammt aus Marokko und lebt seit Jahren in Spanien. Er trainiert unter dem deutschen Trainer Thomas Dreißigacker beim On Athletics Europe Team. Der 22-Jährige lag ausgangs der vorletzten Kurve noch auf Position sieben, über eine Sekunde hinter seinem zu diesem Zeitpunkt führenden Landsmann. Seine Schlussrunde von 51,06 Sekunden war die schnellste im Feld, ebenfalls seine letzten 200 Meter in 25,36 Sekunden. Die Bronzemedaille rettete der bisher Jahresschnellste in Europa, Catalin Tecuceanu aus Italien. „Das Wichtigste ist, dass ich eine Medaille habe. Ich bin glücklich, aber es war ein hartes Rennen“, sagte der gebürtige Rumäne, der seit 16 Jahren in Italien lebt und seit drei Jahren für das EM-Gastgeberland startet.
De Arriba ging auf der Zielgerade etwas das Gas aus, der ehemalige Hallen-Europameister musste sich mit Platz vier zufrieden geben. Auch Andreas Kramer, im Winter noch Hallen-Vize-Weltmeister, und der WM-Vierte von Budapest, Adrian Ben blieben ohne Medaille – was die Qualität dieses Feldes gut beschreibt.
Im Finale gelaufen wäre wohl auch gerne das niederländische Top-Talent Niels Laros, das sich zwei Monate vor den Olympischen Spielen von Paris in seiner Spezialdisziplin, dem 1.500m-Lauf, bewusst für die Unterdistanz entschied. Er feierte bei der EM seinen Saisoneinstieg nach überstandener Verletzung und war noch nicht so weit, um den Vorlauf zu überstehen.
Autor: Thomas Kofler
Bild: © Mattia Ozbot / Getty Images for European Athletics