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Zwölf Jahre nach seiner ersten EM-Teilnahme in Helsinki gelang Raphael Pallitsch in Rom 2024 der Sprung ins Finale über 1.500m. Am Ende eines facettenreichen Vorlaufs und eines mit Herzblut bestrittenen Schlussspurts entschied die Winzigkeit einer Hundertstelsekunde zugunsten des Burgenländers.
Dieser Zieleinlauf war ein Abenteuer an sich, nicht nur aus österreichischer Perspektive. Nach einer Tempoverschärfung des Feldes mit Adel Mechaal an der Spitze nach gut 800 Metern war Raphael Pallitsch (SVS Leichtathletik) auf der Innenbahn etwas ins Hintertreffen gelangt. „Ich habe immer wieder durchgezählt, um mich orientieren zu können, auf welcher Position ich liege“, schildert der 34-Jährige aus dem Rennen. Er musste geduldig warten, bis sich eine Lücke öffnete, durch die er sich aus seiner Position auf der Innenkante der Laufbahn lösen konnte.
Es gelang. Auf Bahn drei zog Pallitsch noch einmal alle Register und holte sämtliche Kräfte für seinen Endspurt heraus. Während vorne das von Neil Gourley und Pietro Arese angeführte Feld schon im Bremsmanöver die Ziellinie überquerte, stauchte sich das Feld durch die Endschnelligkeit der um die Positionen Kämpfenden zusammen. Der ÖLV-Rekordhalter wusste genau, dass er mit seinen letzten Schritten noch einen Kontrahenten überholen musste, um in die Top-Sechs zu rutschen.
„Ich habe sekundengleich realisiert, wie ich liege und dass es Spitz auf Knopf geht“, erzählt der Burgenländer im Gespräch mit RunUp.eu. Mit dem letzten Schritt schob er seinen Oberkörper nach vorne und löste den entscheidenden Augenblick früher die Zeitnehmung aus als sein spanischer Kontrahent Mario Garcia – und andererseits eine Hundertstelsekunde später als der Franzose Romain Mornet. Nämlich genau 3:44,29 Minuten nach dem Startschuss. „Ich hatte einen kleinen Geschwindigkeitsüberschuss und habe mich nach vorne gelehnt. Das macht dann den Unterschied, wenn es um Nuancen geht. Es hätte anders ausgehen können, aber das ist Racing!“, kommentierte er. „Es war denkbar knapp. Aber solche Momente sind doch das Schöne am Sport. “
Als Siebtbester seines Vorlaufs laut Papier, die Europarangliste als Relation herangezogen, war der Finaleinzug durchaus im Bereich der Realistischen, ein Platz unter den Top-Sechs war dafür mit dem neuen Reglement notwendig. Er erreichte ihn auf dem allerletzten Abdruck: Eingangs der letzten Kurve lag der Österreicher auf Position neun, ausgangs der Kurve auf Position acht. 0,64 Sekunden holte er alleine auf der Zielgerade gegen Mario Garcia auf. Der Franzose Mael Gouyette, der auf den letzten 100 Metern gleich acht Positionen einbüßte, brach völlig ein. Mit einer Teilzeit von 12,58 Sekunden für die letzten 100 Meter war Pallitsch im Schlussspurt der Zweitschnellste im Feld hinter Marius Probst (12,37), der Deutsche war allerdings vor der Schlussphase schon zu weit hinten.
Es war ein turbulenter Vorlauf, in dem Pallitsch gleich an die Spitze ging, um dem anfänglichen Gedränge zu entgehen. Von dort versuchte er das Rennen teilweise zu orchestrieren, wollte es langsam machen und sich selbst mehrfach mit breiten Armen genügend Platz verschaffen. Die Durchgangszeit von 2:10,83 Minuten nach 800 Metern ist für einen 1.500m-Lauf relativ langsam, Meisterschaftsvorläufe eben. „Die Taktik ändert sich im Renngeschehen permanent und man muss sich anpassen können“, erklärt Pallitsch. „Viel kommt letztendlich auf die richtige Intuition an.“
Der energische Jubel zeigte die Bedeutung dieses Glücksmoments für ihn, als sein Name hinter der Position sechs auf der Anzeigetafel des Stadions erschien. „Traumziel erreicht!“, stellte er fest. Denn genau mit der Ambition, das EM-Finale zu erreichen, ist Pallitsch nach Rom gekommen.
Bei aller Dramatik des Zieleinlaufs verdient auch Beachtung, wen der Österreicher hinter sich gelassen hat. Mario Garcia, der nur eine Hundertstelsekunde hinter Pallitsch die Zeitnehmung auslöste, lebt und trainiert seit einigen Jahren in den USA und war in letzter Zeit sehr erfolgreich. Bei den Weltmeisterschaften 2022 in Eugene verpasste er als Vierter nur knapp eine Medaille, auch sein sechster Platz bei den Welttitelkämpfen in Budapest im vergangenen Sommer war richtig stark. 2022 gewann der heute 24-Jährige EM-Bronze in München und hält bei einer persönlichen Bestleistung von 3:29,18 Minuten.
Auch Narve Gilje Nordas, ebenfalls ein sub-3:30-Läufer, ist im Finale überraschend Zuschauer. Der Norweger stürmte bei den letzten Weltmeisterschaften in Budapest als Dritter zur einer Medaille, konnte aber in der bisherigen Saison nicht das Niveau des Vorjahres erreichen. Nordas und Garcia waren auch die beiden Bestplatzierten in der Europarangliste vor diesem Vorlauf (Positionen drei und vier, hinter Superstar Jakob Ingebrigtsen und Weltmeister Josh Kerr, Anm.).
Im Finale am späten Mittwochabend um 22:26 Uhr erlebt der Österreicher den Höhepunkt seiner Karriere, sein erstes großes Finale in einer der stärksten Konkurrenzsituationen, die er je erlebt hat. Dann braucht Pallitsch aber auch taktische Finesse. Denn aufgrund eines Massensturzes im zweiten Vorlauf, in den u.a. der Deutsche Robert Farken verwickelt war, sind nach dem Urteil des Wettkampfgerichts nicht nur zwölf Athleten am Start, sondern fünf weitere über die entsprechende Sonderregel. „Ein Starterfeld von 17 Athleten ist natürlich gar keine angenehme Situation. Das bedeutet einen enormen Stress und es gilt, Runde für Runde das Szenario zu analysieren und die Taktik daran anzupassen“, so Pallitsch.
Im Finale trifft er natürlich auch auf Titelverteidiger Jakob Ingebrigtsen, der im zweiten Vorlauf, der wesentlich schneller gestaltet wurde, im letzten Umlauf das komplette Feld überholte und dem Italiener Federico Riva noch mit nachhaltiger Theatralik den Vorlaufsieg wegschnappte. Um eine Zeit von 3:37,65 Minuten zu erreichen, benötigte der 23-Jährige, der in Rom bereits den 5.000m-Lauf gewonnen hat, eine Schlussrunde von 53,04 Sekunden. Ein kleiner Vorgeschmack dessen, was am Mittwochabend in der entscheidenden Wettkampfphase gefordert wird.
Autor: Thomas Kofler
Bilder: © ÖLV / @ wolf.amri