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Weltmeister Josh Kerr düpierte beim Diamond-League-Meeting in Eugene den seit über zweieinhalb Jahren in dieser Wettkampfserie ungeschlagenen Jakob Ingebrigtsen im Meilenrennen. Knapp zwei Wochen vor den Europameisterschaften und zwei Monate vor den Olympischen Spielen ist dieses Duell, welches die Mittelstreckenfans auf der ganzen Welt fasziniert, angeheizt. Generell wies das Prefontaine Classic, das einzige Diamond-League-Meeting in den USA, nach: Die Crunch Time in der Vorbereitung auf den Saisonhöhepunkt ist eröffnet.
Bereits 600 Meter vor der Ziellinie der traditionsreichen „Bowerman Mile“ in der WM-Arena von 2022 überließ Jakob Ingebrigtsen die Führungsposition dem Schotten Josh Kerr. Bereits davor hatte der Norweger ungewohnt dem Kenianer Abel Kipsang die Tempowahl gestattet. Vertauschte Rollen also im Vergleich zu den Rennen in den Vorjahren. Normalerweise diktiert Jakob Ingebrigtsen die Rennen von vorne und zermürbt seine Konkurrenz mit einem hohen Tempo von der ersten Runde bis zur letzten. Normalerweise versuchen seine Verfolger, darunter Kerr, so gut wie möglich zu folgen und den Norweger im langen Schlussspurt auf den letzten 200 Metern zu attackieren.
Dieses Mal kam es also anders: Eine „Instinktentscheidung“ gegen die Logik aus Kerrs Sicht. Der Schotte bog als Erster in die Zielgerade ein, in seinem Rücken versuchte der Norweger zur forcieren: Aber Kerr konnte den Schritt halten und der Attacke widerstehen. Mit einer Zeit von 3:45,34 Minuten setzte sich der 26-Jährige vor Ingebrigtsen (3:45,60) durch und feierte seinen ersten Sieg im Rahmen der Wanda Diamond League überhaupt. Außerdem verbesserte er den seit 1985 bestehenden britischen Meilenrekord von Steve Cram, ehemaliger Welt- und Europameister im 1.500m-Lauf, um knapp eine Sekunde.
„Mir war heute wichtig, die ersten 800 Meter recht komfortabel zu absolvieren. Ich war in einer guten Position und als ich eineinhalb Runden vor dem Ende in Führung ging, hab ich mir einfach gedacht: Warum nicht, ich bleib am Gaspedal und zieh es durch“, kommentierte Josh Kerr sein Rennen im Interview mit der Diamond League. Für den Schotten war dieser Erfolg am Hayward Field auch deshalb ein prestigeträchtiger, weil er seit Jahren im benachbarten Seattle lebt und trainiert – also eine Art Heimspiel.
Vor- und Halbfinalläufe bei großen Meisterschaften exkludiert, hat Kerr vor Eugene in zehn direkten Duellen mit Ingebrigtsen nur eines gewonnen – beim WM-Titel von Budapest. Und darin liegt auch ein gewisser Reiz der hyperaggressiven Ankündigungen Kerrs, die ihn nun auch in die Position bringen, liefern zu müssen. „Alle werden von Woche zu Woche besser werden. Ich muss Schritt halten, um dort zu bleiben, wo ich bin: vorne.“
Das weiß auch sein Kontrahent, der den Countdown Richtung Olympischen Showdown ticken sieht. „Der 1.500m-Lauf ist ein ehrlicher Bewerb. Normalerweise gewinnt der Beste“, philosophiert der 23-Jährige im Interview mit der Diamond League. „Im Moment bin ich nicht der Beste. Aber ich glaube an mich und mein Training und denke, wir werden einen sehr spannenden Sommer mit einer Menge toller Duelle sehen. Am Ende werde ich vorne sein, denke ich.“ Im ersten Teilaspekt herrschte zumindest Einigkeit zwischen den Rivalen, nicht jedoch im zweiten. „Ich jage meine Kindheitsträume und will unbedingt Olympiasieger werden. Ich bin sicher, die Saison bringt eine Menge Spaß. Jetzt bin ich vorne, weil ich hart gearbeitete habe. Damit werde für den Rest der Saison fortsetzen!“, so Kerr.
Das Duell des Jahres ist also eröffnet. Der 1.500m-Lauf ist dank dieser beiden Protagonisten wohl der mit der größten Spannung erwartete Olympische Laufbewerb im Stadion. Im separaten Gespräch mit der US-amerikanischen Plattform Let’sRun.com bei einem Pressetermin am vergangenen Freitag lässt sich zusammenfassen, dass die beiden Kontrahenten sich nicht besonders mögen. „Wir sind keine Freunde. Wir verbringen keine Zeit miteinander, wir schreiben uns nicht“, sagt der eine, Josh Kerr. „Wir kennen uns nicht“, betont der andere, Jakob Ingebrigtsen. Und fügte an: „Keiner meiner Rivalen kennt mich.“

Der Grundstein für diese Hass-Liebe, die dieses Duell mit Facetten aufladet, liegt im WM-Rennen 2023 in Budapest begraben. Jakob Ingebrigtsen gestaltete sein Rennen mit dem Ziel des ersten WM-Titels auf seiner Lieblingsdistanz offensiv von vorne, konnte aber Verfolger Josh Kerr nicht abschütteln. Wie dessen Landsmann Jake Wightman ein Jahr zuvor bei der WM in Eugene stürmte Kerr entlang der Zielgerade am Norweger vorbei und fügte diesem eine empfindliche Niederlage zu.
Während der Brite seinen Triumph zelebrierte, redete sich der Skandinavier darauf hinaus, aufgrund von Halsschmerzen nicht 100%ig fit gewesen zu sein und konterte wenige Tage später mit dem WM-Sieg im 5.000m-Lauf. Doch sein Hauptziel hatte er verpasst. Seine Kommentare zum Rennen, Josh Kerr sei einfach „der nächste“ hinter ihm, empfand der neue Weltmeister als wenig respektvoll. Der Schotte war angestachelt.
Während dieser im Winter ausgesprochen aggressiv über die Öffentlichkeit eine verbale Stichelei nach der anderen Richtung des Olympiasiegers abfeuerte und sich mit einem äußerst stimmungsvollen Heimsieg bei den Hallen-Weltmeisterschaften im 3.000m-Lauf in Glasgow wenige Monate vor den Spielen von Paris weiteres Selbstvertrauen holte, verpasste der Norweger die Hallensaison wie bereits die Crosslauf-EM davor wegen langwieriger Beschwerden an der Achillessehne. Kerr warf Ingebrigtsen in einem Podcast Schwächen im taktischen Verhalten vor, die in seinem überdurchschnittlich ausgeprägten Ego begründet wären und ihm den Olympiasieg in Paris kosten würden. Ingebrigtsen habe nur „Ja-Sager“ um sich, die ihm die Realität verbergen würden. Er wisse bereits ein halbes Jahr vor dem Olympischen Finale genau, mit welcher Taktik er an diesem Tag den weltschnellsten 1.500m-Läufer der Gegenwart besiegen könne.
In der Öffentlichkeit hielt sich der manchmal nicht durch fehlende Überheblichkeit auffallende Ingebrigtsen zwar vorerst zurück, über seine Verletzung war zu jener Zeit wenig publik. Dann präsentierte er sich mit zeitlicher Verzögerung Ende Jänner bei diversen Medienterminen mit der norwegischen Presse. In einem Gespräch mit der Tageszeitung „Stavanger Aftenblad“ bezeichnete er Kerrs Attacken als „verzweifelte und wenig smarte Versuche“ und betonte: „In 100 Rennen gegen Kerr und Wightman gewinne ich 98.“.
Ein Team des norwegischen TV-Senders NRK besuchte Jakob Ingebrigtsen in der neuen Villa in Sandnes, die er kürzlich mit seiner Ehefrau Elisabeth bezogen hat. Chronische Beschwerden in der Hüfte führten zu einer Fehlbelastung, die die Membran um die Achillessehne entzündeten. Bruder und Trainer Hendrik sagte dem NRK, die Gesamtbelastung der Saison 2023 sei wohl zu hoch gewesen. Jakob bekam die Probleme an der Achillessehne nach Wiedereinstieg ins Training im Herbst nicht in den Griff und musste im Winter komplett auf Alternativtraining und gezielte Behandlung wechseln. Er wollte Vorsicht walten lassen, um keine langfristige physische Probleme zu riskieren.
Dass er die Niederlage in Eugene schönzureden versuchte, mag ein Hinweis darauf sein, dass Ingebrigtsen angestachelt ist. Oder es ist verbales Geplänkel, oder der Trainingsrückstand ist tatsächlich entsprechend. „Es ist ein sehr guter Start für mich, viel besser als ich befürchtet habe“, erinnerte er jedenfalls an seine Verletzungs- und Trainingspause – angesichts der immer noch sehr starken Zeit. Das große Saisonziel hat der Norweger, der angekündigt hat, bei der EM sowohl über 1.500m als auch über 5.000m an den Start zu gehen, klar im Blick. „Ich glaube, ich kann die gleiche Fitness wie 2023 erreichen, mindestens. Aber dafür brauche ich makellose zwei Monate bis Paris und daran glaube ich ganz fest.“
Der Norweger ist bekannt dafür, dass er weniger auf die Konkurrenz achtet, sondern sich auf eigene Stärken fokussiert. In Rennen mit Tempomachern ist er seit Jahren beinahe unschlagbar, weil kein anderer Mittelstreckenläufer weltweit das enorme Tempo über die Distanz halten und gleichzeitig im Finale noch Kräfte mobilisieren kann. Wenn in großen Finalläufen Tempomacher fehlen, braucht der Skandinavier noch mehr Tempohärte, um ein schnelles Rennen oder zumindest superschnelle Teile des Rennens zu organisieren, ohne im Schlussspurt antastbar zu sein.
Kerr erklärte die Rivalität mit Ingebrigtsen in der BBC so: „Sie basiert grundlegend auf unser beider Selbstvertrauen. Ich glaube, der beste 1.500m-Läufer der Welt zu sein. Er glaubt wahrscheinlich, dass er das sei. Zwei derartige Persönlichkeiten in einem Rennen – das verspricht aufregend zu sein.“ Bei der Pressekonferenz vor dem Prefontaine Classic spielte Ingebrigtsen Kerrs Attacken im Winter herunter, betonte aber, dass der Sport Rivalitäten wie diese bräuchte.
Ob Ingebrigtsen und Kerr sich vor den Olympischen Spielen noch einmal im Wettkampfrahmen die Klingen kreuzen, scheint nicht sicher. Während der Norweger zu den Europameisterschaften fährt, hat der Schotte sein Interesse an den Kontinentalmeisterschaften noch nicht signalisiert, britische Medienberichte lassen darauf schließen, dass er nicht dabei sein wird. Beste Gelegenheit würden daher die Diamond-League-Meetings in Monaco und London Mitte Juli bieten, denn bei Ingebrigtsens Heimspiel am Donnerstag in Oslo fehlt sein Hauptrivale auf der Startliste.
Auch abseits des emotionalen Top-Duells schrieb die Bowerman Mile in Eugene Geschichten, so zum Beispiel über den Auftritt von Jake Wightman. Der 29-Jährige hatte die gesamte letzte Saison aufgrund einer komplizierten Fraktur im rechten Fuß verpasst. Er war im Winter zurückgekehrt und hatte sich für einige Rennen auf der Südhalbkugel anstelle der europäischen Hallensaison mit den Weltmeisterschaften in seiner Heimat Glasgow entschieden.
Auf jener Bahn, auf der er 2022 sensationell 1.500m-Weltmeister vor Ingebrigtsen wurde, lief der 29-Jährige am Samstag seinen bisher besten Wettkampf seit dem Comeback und wurde Fünfter. „Ich muss mich diese Saison neu beweisen, man hat nach so einer langen Verletzungspause nie die Garantie, wieder ganz nach oben zu kommen. Es ist harte Arbeit, aber es fühlt sich gut an, wieder gegen die Weltspitze anzutreten“, sagte Wightman nach dem Rennen.
Hinter Kerr, wie immer mit Sonnenbrille laufend, und Ingebrigtsen lief Yared Nuguse als Dritter ins Ziel und blieb dabei gut zwei Sekunden über seiner Sensationszeit im September an gleicher Stelle, als er sich Ingebrigtsen bei dessen Europarekord über die Meile nur haarscharf geschlagen geben musste. Mit Neil Gourley war noch ein zweiter Brite vor Wightman ins Ziel, der beste Afrikaner folgte – bei einem Laufbewerb im Rahmen der Diamond League durchaus untypisch – mit Reynold Cheruiyot erst auf Platz sechs. Applaus verdiente sich auch der elftplatzierte Australier Cameron Myers, frische 17 Jahre alt. In einer Zeit von 3:50,15 Minuten war er zwei Sekunden schneller als Jakob Ingebrigtsen vor sechs Jahren hier, damals als 17-Jähriger.
800m-Lauf der Frauen: Keely Hodgkinson eröffnete die neue Saison mit einer beeindruckenden Siegesleistung von 1:55,78 Minuten. Die 22-jährige Britin, die die drittschnellste Zeit ihrer Karriere erzielte, besiegte dabei die kenianische Weltmeisterin Mary Moraa, die nach 500 Metern mit einer aggressiven Anfangsphase noch einen kleinen Abstand zur Britin hatte. Aus der letzten Kurve heraus spielte die Europameisterin allerdings ihre Klasse aus. Die Schottin Jemma Reekie wurde Dritte. US-Star Athing Mu hatte ihren Start kurzfristig wegen muskulärer Probleme zurückgezogen.
1.500m-Lauf der Frauen: Jessica Hull verbesserte den australischen Landesrekord und ozeanischen Kontinentalrekord ihrer Landsfrau Linden Hall um fast eine Sekunde auf eine Zeit von 3:55,97 Minuten. Die 27-Jährige musste sich einzig der überlegenen Siegerin Diribe Welteji aus Äthiopien, die eine persönliche Bestleistung von 3:53,75 Minuten erzielte, geschlagen geben. Europameisterin Laura Muir wurde hinter der starken US-Amerikanerin Elle St. Pierre, Hallen-Weltmeisterin im 3.000m-Lauf, Vierte. Superstar Faith Kipyegon fehlte verletzungsbedingt.
3.000m-Hindernislauf der Frauen: Im mit Abstand besten Wettkampf seit ihrem sensationellen Olympiasieg in Tokio verbesserte Peruth Chemutai den Landesrekord für Uganda auf eine Zeit von 8:55,09 Minuten. Die 24-Jährige ist nun die sechstschnellste Hindernisläuferin aller Zeiten und ließ Weltrekordhalterin Beatrice Chepkoech um eineinhalb Sekunden hinter sich. Bei ihrem zweiten Rennen nach dem Freispruch aus ihren Dopinganschuldigungen hatte die Weltmeisterin aus dem Jahr 2022, Norah Jeruto, mit einer Zeit von 9:22,91 Minuten keine Chance.
5.000m-Lauf der Frauen: Sifan Hassan belegte bei ihrem zweiten Bahnrennen der Saison in einer Zeit von 14:34,38 Minuten nur den siebten Platz. Vor ihr platzierten sich angeführt von Tsigie Gebreselama (14:18,76) sechs Äthiopierinnen.
Autor: Thomas Kofler
Bild: © Matthew Quine for Diamond League AG