Mit der Entscheidung, den russischen Verband zu suspendieren – was den direkten Ausschluss russischer Leichtathleten von allen wichtigen internationalen Wettkämpfen (u.a. Olympische Spiele 2016) zur Folge hatte – hat der Leichtathletik-Weltverband im November 2015 Mut und Konsequenz bewiesen. Lob ist stets eine Folge von Handlung und es hat etwas gedauert, bis die IAAF dafür flächendeckende Anerkennung aus dem internationalen Sport erhalten hat. Nicht, weil dieses strikte Vorgehen seither teilweise Schule gemacht hat oder retrospektiv zurecht als entschlossen und richtig eingestuft wurde, sondern weil es hat zu einer Bewusstseinsveränderung geführt hat. Die Perspektive auf die Thematik Doping im Sport hat sich gewandelt. Die Suspendierung damals wurde als gewagten Schritt angesehen, die Verlängerung der Suspendierung zwei Jahre später als erwartete Formalie. Zweifelsohne ein Verdienst der internationalen Leichtathletik, die auch die Konfrontation mit dem Internationalen Olympischen Komitee in den Tagen vor Rio 2016 nicht gescheut hat.
Das strikte Vorgehen hat zu einer Bewusstseinsveränderung geführt. Die Perspektive auf die Thematik Doping im Sport hat sich gewandelt.
Die Vorgehensweise der IAAF und der operierenden Taskforce ist nachvollziehbar. Forderungen sind als Kriterien klar formuliert. Sobald die Kriterien erfüllt sind, ist Russland wieder an Bord. Der Prozess der Formulierung der Kriterien war einseitig, die IAAF besteht genauso wie die WADA auf die Anerkennung des McLaren-Reports und das öffentliche Einräumen, dass in Russland ein minutiös durchdachtes, staatlich gefördertes Dopingsystem über Jahre im Einsatz war. Das entspricht dem Ermittlungs- und aktuellen Wissensstand. Dennoch wehrt sich Russland dagegen und wirft einen Schutzmantel über den eigenen Sport.
Die Sachlage scheint simpel: Kommt Russland den Forderungen nach, rückt die Wiederaufnahme der RUSADA und der RusAF nahe. Für diesen Schritt setzt sich Russland aber selbst eine sehr hohe Hürde, denn sie würde die eigene Verteidigungslinie zerstören. In der Zwischenzeit hat Russland ein Dopingproblem anerkannt, das es wohl auch zu beseitigen versucht. Gleichzeitig betont Russland aber immer wieder, dass Doping im Sport kein rein russisches, sondern ein weltweites Problem sei. Außerdem würde Russland würde aus politischen Motiven an den Pranger gestellt. Das erste Argument ist weder faktisch noch von logischen Gedanken widerlegbar, das zweite scheint keine vordergründige Rolle zu spielen, wird aber durch unvorsichtige Aussagen hochrangiger Sportfunktionäre westlicher Nationen immer wieder leicht befeuert. Ebenfalls durch das optimale Nutzen einer öffentlichen Bühne mit neuen Enthüllungen stets zu neuralgisch wichtigen Zeitpunkten, nämlich kurz vor wichtigen Entscheidungen. Ein leichter Beigeschmack der versuchten Einflussnahme ist nicht von der Hand zu weisen.
Gibt Russland ein staatlich gefördertes Dopingsystem öffentlich zu, hebt man sich selbst vom Rest der Sportwelt ab.
Das Hauptproblem aus russischer Perspektive: Gibt Russland ein staatlich gefördertes Dopingsystem öffentlich zu, hebt man sich selbst vom Rest der Sportwelt ab. Denn in der Neuzeit des Sports gibt es kein definiertes, staatlich gelenktes, kriminelles System des Sportbetrugs diesen Ausmaßes. Und es würde die symbolisch kreierte Trennung zwischen dem Westen und dem alten Bild des „dopingverseuchten Ostens“ in der Sportwelt wieder faktische Konturen verleihen. Das diesbezügliche Mauern der russischen Politik und des russischen Sports ist als minimales Wahren des zukünftigen Images zu verstehen. Erfolgt eine öffentliche Anerkennung eines staatlich geförderten Dopingsystems, könnte das Bild des russischen Sports noch langwieriger getrübt sein als ohnehin. Daher wäre eine Vermeidung des Olympia-Ausschlusses 2018 aus Sicht des russischen Sports eine tragreiche Schadensbegrenzung.
Die Zukunft wird weisen, welche Seite in diesem Stellungskampf der Positionen ein Stück zurückrückt. Auch die wirklich sauberen, russischen Leichtathleten werden diese Entwicklung interessiert beobachten müssen, während sie als Randgruppe, genannt „Authorized Neutral Athletes“, bei internationalen Wettkämpfen immerhin teilnehmen dürfen. Ohne ihr Heimatland zu repräsentieren.