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So lautete bis Juli 2021 das Motto der Olympischen Spiele. Oftmals bekommt man den Eindruck, dass dieses Motto für unsere ganze Gesellschaft gilt. Der Leistungsgedanke treibt uns an, nicht nur in Hinblick auf Beruf und Karriere, sondern auch unsere Freizeitaktivitäten stehen häufig unter seinem Stern. Welche Rolle spielt der Leistungsgedanke bei Freizeitsportler*innen und inwiefern ist er in uns verankert?
Zweifelsohne ist der Leistungsgedanke eine Triebfeder unserer Gesellschaft. Dieser Drang kann aus intrinsischer Motivation entstehen, aber auch durch externe Faktoren wie sozialen Druck oder Vergleich mit anderen. Die Medien, soziale Netzwerke und gesellschaftliche Normen verstärken oft den Eindruck, dass ständige Verbesserung und Erfolg erstrebenswert sind. Bereits in jungen Jahren begegnen wir dieser Lebenseinstellung: Vergleich der kindlichen Entwicklung, Kinderwettläufe, Musikwettbewerbe, bis wir in die Schule eintreten und unsere Leistung auf einer Skala von eins bis fünf bewertet wird. Mehr beziehungsweise gute Leistung führt zu einer guten Note und damit meist zu Anerkennung und Lob. Schüler*innen vergleichen sich untereinander, der Wettbewerbsgedanke ist oftmals sehr präsent. Wenn ich eine Deutschschularbeit austeile, hallt die Frage „Welche Note hast du?“ von allen Seiten durch die Klasse. Der Datenschutz sorgt dafür, dass es nicht mehr Usus ist, die Noten laut vorzulesen. Dennoch hält niemand dem sozialen Druck stand und behält seine Note auf energische Nachfrage der Mitschüler*innen für sich – und selbst wenn: Irgendjemanden gelingt es immer, einen Blick darauf zu erhaschen. Sozialer Vergleich ist uns wichtig, da wir Auskunft darüber bekommen, wo wir in unserem Umfeld stehen. Er hilft uns auch, Stärken zu entdecken und uns weiterzuentwickeln. Der Vergleich „nach oben“ treibt uns an, der Vergleich „nach unten“ kann uns ermutigen und unser Selbstbewusstsein stärken. Was vergleichen wir? Leistung – privat, beruflich.
Werfen wir einen Blick in das Leben von Freizeitsportler*innen. Viele beginnen mit dem Laufsport, um gesünder zu leben, einen Ausgleich zum Alltag zu genießen, als Maßnahme zur Stressbewältigung oder um Gewicht zu verlieren. Bei einer gewissen Routine bemerkt man schnell, dass sich die Ausdauer verbessert, man weiter und auch schneller laufen kann. Der Leistungsgedanke entwickelt sich oft aus einem gesunden Streben nach persönlicher Entwicklung. So kann sich der anfängliche Fokus allmählich verschieben, wenn der Wunsch nach besseren Zeiten, längeren Strecken und Wettkampferfahrungen und -erfolgen in den Vordergrund tritt. Dieses Streben setzt nicht bei allen Freizeitläufer*innen ein, viele achten gar nicht auf Pace und Co, sondern genießen die positiven Effekte, die der Laufsport mit sich bringt, ohne sie und damit sich messen und vergleichen zu wollen. Wo liegt also der Moment, in dem sich die Geister scheiden?
Es wird immer wieder versucht, die verschiedenen Läufer*innen-Persönlichkeiten zu kategorisieren, so wird unter anderem von „Genussläufer*innen“ gesprochen, „Gesundheitsläufer*innen“, und „Wettkämpfer*innen“. Auch wenn viele Läufer*innen sich in mehreren Kategorien erkennen, geben diese doch Aufschluss darüber, dass ein wichtiger Faktor in der Beschaffenheit unserer Persönlichkeit liegt. Einige Menschen sind von Natur aus ehrgeizig und setzen sich gerne herausfordernde Ziele. Sie ziehen Befriedigung daraus, sich selbst zu übertreffen und ihre eigenen Grenzen zu erweitern. Für sie kann die Verbesserung der Leistung ein Ansporn sein, kontinuierlich härter zu arbeiten. Menschen mit einem starken Wettbewerbsgeist sind oft motiviert, sich mit anderen zu messen – die Möglichkeit, sich mit anderen zu vergleichen und sich zu behaupten, kann ein bedeutender Antrieb sein, sich in ihrer Leistung zu steigern. Aber auch externe Faktoren können einen Einfluss haben: Einige Läufer*innen werden durch Belohnung oder Anerkennung angetrieben, sei es durch Medaillen, Auszeichnungen oder Lob von anderen. Die Aussicht auf solche Belohnungen kann den Anreiz zur Leistungsverbesserung verstärken. Auch die sozialen Einflüsse sind nicht außer Acht zu lassen: Der Freundeskreis, die Laufgemeinschaft und das Umfeld können einen starken Einfluss auf die Einstellung zur Leistungssteigerung haben. In einem Umfeld, in dem viele andere Läufer*innen sich auf Leistungsziele konzentrieren, kann dies den Druck erhöhen, sich ebenfalls zu verbessern. Andere Läufer*innen hingegen sind zufrieden mit ihrer aktuellen Leistung und fühlen sich wohl dabei, ohne ständig nach Verbesserungen zu streben. Für sie steht der Genuss des Laufens selbst im Vordergrund, unabhängig von Geschwindigkeit oder Distanz. Für sie kann das Laufen eine Möglichkeit sein, Stress abzubauen oder psychische Gesundheit zu fördern. Das emotionale Wohlbefinden steht im Vordergrund, und die Leistungssteigerung ist nicht der Hauptfokus. Diese erfordert oft ein erhebliches Engagement in Bezug auf Zeit, Training und Planung. Manche Menschen haben aufgrund anderer Verpflichtungen weniger Zeit oder Energie, um sich intensiv auf Leistungsverbesserung zu konzentrieren. Die Einstellung zur Leistung kann sich im Laufe des Lebens auch deutlich ändern. Was in jüngeren Jahren wichtig war, kann sich mit zunehmendem Alter verschieben, wenn andere Prioritäten wie Gesundheit, Gemeinschaft und Spaß an Bedeutung gewinnen.
Wir sehen also, ein Zusammenspiel aus persönlichen, kontextuellen, sozialen und psychologischen Faktoren bedingt die Ausrichtung und Prioritätensetzung der Freizeitläufer*innen. Es gibt hierbei keine „richtige“ oder „falsche“ Herangehensweise. Jede Person hat ihre eigenen Beweggründe und Motivationen, und diese können im Laufe der Zeit variieren. Die Vielfalt der Einstellungen zum Leistungsgedanken trägt zur bunt gefächerten Laufgemeinschaft bei. Jedoch liegt eine Gefahr, die ich auch bei mir selbst beobachte, darin, dass das Streben nach Verbesserung das ursprüngliche Ziel verdrängt – nämlich die Freude an der Bewegung und der eigenen Entwicklung. Die anfängliche Freude am Bewegungserlebnis weicht dem Ehrgeiz, längere Strecken zu bewältigen, persönliche Bestzeiten zu überbieten, den Trainingsplan auf Biegen und Brechen durchzuziehen.
Sehen wir uns an dieser Stelle die beiden Seiten der Medaille an: Der Leistungsgedanke kann zu erstaunlichen Erfolgen führen. Freizeitsportler*innen können sich selbst überwinden, persönliche Bestleistungen erreichen und ein starkes Selbstwertgefühl entwickeln. Die Struktur, die Training und Ziele bieten, kann Disziplin und Durchhaltevermögen fördern, Eigenschaften, die auch in anderen Lebensbereichen nützlich sind. Jedoch birgt ein exzessiver Leistungsgedanke auch Risiken. Übertraining, Verletzungen und mentale Erschöpfung können auftreten, wenn das Streben nach Leistung die körperlichen und emotionalen Grenzen ignoriert. Der ständige Vergleich mit anderen kann zu Frustration führen und den eigentlichen Spaß am Laufen mindern. Auch das Sozialleben kann darunter leiden, wenn die Freizeit, die oft knapp bemessen ist, eisern rund um den Trainingsplan organisiert und von diesem womöglich zur Gänze beansprucht wird. Zudem kann eine ungesunde Fixierung auf Leistung das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden.
Manche finden sich in einem Drahtseilakt wieder – zwischen Ansporn und Balance. Wichtig ist es, eine ausgewogene Perspektive zu bewahren. Der Spaß am Laufen und die persönliche Entwicklung sollten niemals dem Streben nach immer besseren Leistungen geopfert werden. Ein bewusster Umgang mit dem Leistungsgedanken kann dazu beitragen, die positiven Aspekte zu nutzen und gleichzeitig die negativen Folgen zu minimieren. Das eingangs erwähnte Motto der Olympischen Spiele wurde im Juli 2021 auf Vorschlag von Präsident Dr. Thomas Bach auf „citius, altius, fortius – communiter“, also „schneller, höher, stärker – gemeinsam“ geändert. Der Austausch und die Gemeinschaft mit anderen kann Psychohygiene bei einem Genusslauf sein, kann uns Anstoß zur Reflexion unseres womöglich zu verbissenen Leistungsstrebens geben, kann Feedback und Input zugleich sein. Konstruktive Gemeinschaft – ein Aspekt, den ich mir allgemein für unsere Gesellschaft wünschen würde.
Autorin: Lina Unteregger
Bild: SIP | Johannes Langer