Einen Zustand ähnlich einer Trance, beschreibt Peter Herzog (Union Salzburg LA) jenes Laufgefühl unter Höchstleistung, das er bisher zweimal in seinem Marathonleben spüren durfte: 2019 beim Berlin Marathon, als er sich in einer Zeit von 2:10:57 Stunden für die Olympischen Spiele qualifizierte, und 2020 im strömenden Regen des London Marathon, ausgetragen auf einem Rundkurs im St. James Park, als er den österreichischen Rekord von 2:10:06 Stunden markierte. „Es ist das optimale Gefühl. Ein komplettes Hochgefühl. Alles funktioniert, der Körper marschiert und es fühlt sich unter Höchstbelastung leichter an als es ist“, beschreibt er seine Sehnsuchtssensation, die er am Sonntagvormittag in der deutschen Hauptstadt unterwegs wieder treffen möchte.
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Schwung geholt auf den Unterdistanzen
Der 35-Jährige hat die gesundheitlichen Einschnitte und Verletzungssorgen der letzten Jahre bis einschließlich seiner muskulär bedingten Aufgabe beim Sevilla Marathon im Februar hinter sich gelassen. Nach einem Abstecher auf die Unterdistanzen mit persönlichen Bestleistungen im 5.000m- und 10.000m-Lauf, wo in Leiden nicht viel zur EM-Qualifikation gefehlt hat, fokussierte er sich den ganzen Sommer akribisch auf die Marathon-Vorbereitung und wechselte für zwei längere Blöcke Pinzgauer Heimat gegen Engadiner Wahlheimat. Das Trainingslager im modernen und beliebten Höhentrainingszentrum in St. Moritz hat sich rentiert: „Ich konnte gut trainieren. Vom Gefühl her und in der Analyse erinnern meine Trainingsleistungen an 2019 und 2020. Daher reise ich heute zuversichtlich und voller Vorfreude nach Berlin.“
Eine Premiere in der Vorbereitung
Hauptziel des dreiwöchigen Aufenthalts in den Schweizer Alpen („Zwei Wochen habe ich gut trainiert, die letzten Tage waren regenerativ um die Beine für Sonntag frisch zu bekommen.“) war das Zurückfinden ins Marathon-Training nach dem Halbmarathon bei Kärnten Läuft, der nicht nach Wunsch verlief. „Besonders die Long Runs im Marathon-Tempo haben gut funktioniert und das auf einer Meereshöhe von 1.800m. Ich habe auch einige sehr gute Einheiten mit Johannes Motschmann absolviert“, berichtet Herzog. Trotz des energischen Einzugs herbstlichen Wetters waren die Trainingsbedingungen in St. Moritz gut.
Es ist das erste Mal, dass der Salzburger de facto direkt aus dem Höhentrainingslager zu einem Marathon reist. Sein Trainer Johannes Langer und Herzog blicken dieser Premiere optimistisch entgegen, auch wenn die Simulation einer Generalprobe vor einem 10km-Lauf im Sommer ebenfalls in Berlin ohne entscheidende Erkenntnisse abgelaufen ist. Es ist ein Teil neuer Impulse, um ein gut ausgereiztes Trainingssystem weiterzuentwickeln, wie Langer erklärt. Zwischenzeitliche Leistungsdiagnostiken hätten den Gesamtweg durch die letzten Monate bestärkt, meint der Coach.
Zweitbester Europäer auf der Startliste
Am Mittwoch kehrte Herzog von St. Moritz für einen kleinen Abstecher in die Heimat zurück, ehe er heute nach Berlin weiterflog. Dort findet er ein Elitefeld vor, das in der Theorie mit seinen Vorstellungen harmonieren sollte. 13 Läufer weisen inklusive des Österreichers eine persönliche Bestleistung zwischen 2:09 und 2:11:30 Stunden auf, daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass es eine größere Gruppe im Leistungsbereich von Herzog geben wird, in die sich auch Motschmann, der vor einem Jahr in Rotterdam eine Zeit von 2:12:18 Stunden gelaufen ist, begeben will. „Dank Renndirektor Mark Milde und Peters Management um Christoph Kopp ist das Notwendige fast optimal aufbereitet“, erklärt Langer. Jetzt müsse sein Schützling auf der Strecke den guten Rahmen in eine gute Leistung fassen: „Peter kennt sein Ziel und hat gerade in herausfordernden Situationen immer einen Weg gefunden.“
Dass Herzog mit seiner Vorleistung der am zweitbesten gereihte Europäer hinter dem Iren Stephen Scullion ist, der seinen irischen Rekord von 2:09:49 Stunden ebenfalls beim London Marathon 2020 aufgestellt hat, ehrt ihn. Vor Herzog sind neben einigen Ostafrikanern gleich 13 Japaner gemeldet. Im Elitefeld sticht natürlich der Big-Name Eliud Kipchoge heraus und überstrahlt alles.
„Es müssten viele Faktoren zusammenpassen“
Ein Langzeitwunsch des Österreichischen Marathon-Rekordhalters ist seit London 2020 eine Marathonzeit unter 2:10 Stunden. Der auf einem starken Winter-Trainingslager basierende Optimismus vor dem Sevilla Marathon wurde jäh von der Verletzung gebremst. „Die Grundvoraussetzungen und die Motivation wären geschaffen, dieses Ziel ins Visier zu nehmen. Aber ich würde gerne die Erwartungen dämpfen, weil es für mich nicht selbstverständlich ist, dieses Niveau abzurufen. Ich bewege mich da am Limit“, sind von Herzog keine großen Ansagen zu hören. „Natürlich würde ich gerne an London 2020 anknüpfen, aber da müssen viele Faktoren zusammenpassen. Ich wünsche mir, dass ich ein gutes Rennen absolviere und im Ziel zufrieden bin. Das ist nicht an eine bestimmte Laufzeit gebunden.“ Auch Langer orientiert sich nicht an einer bestimmten Marke, Hauptziel für Berlin sei ein solider Marathon: „Der Qualifikationszeitraum für die Olympischen Spiele 2024 in Paris beginnt erst im Dezember. Daher braucht es jetzt einen Leistungsnachweis, der aufzeigt, dass es im nächsten Jahr in Richtung des Limits von 2:09:40 Stunden klappen kann.“
Dass Herzogs letzte starke Marathonleistung nun bereits zwei Jahre zurückliegt, hat etwas Druck aufgebaut. Für den Athleten kein Problem, Druck spüre man im Leistungssport sowieso immer. Für ihn bedeutet Druck ohnehin „die beinharte Arbeit im Training am perfekten Tag abrufen zu können, damit sie im Wettkampfergebnis widergespiegelt wird.“ Diese Herangehensweise ist vor jedem Wettkampf gleich, bei besonderen Auftritten wie jenem beim Berlin Marathon aber sicherlich noch bedeutungsvoller.
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