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Karoline Bjerkeli Grövdal schenkte sich und dem ganzen Feld ein schnelles Rennen und schüttelte alle Kontrahentinnen ab bis auf Nadia Battocletti. Die Italienerin spurtete 120 Meter vor der Ziellinie aus dem Windschatten der Norwegerin heraus und überquerte die Ziellinie mit einem neuen italienischen Rekord und lauten Jubelschreien als Siegerin. Nie war ein EM-Finale im 5.000m-Lauf der Frauen schneller. Mit anderer Renntaktik entwickelte sich tags darauf das 5.000m-Finale der Männer, das Jakob Ingebrigtsen in der Schlussrunde für sich entschied – zum dritten Mal in Serie.
Der Blick durch die TV-Kamera in ihr Gesicht bei der Präsentation des Starterfeldes im 5.000m-Finale der Frauen verriet: Nadia Battocletti stand an diesem späten Freitagabend hochkonzentriert und schwer fokussiert bereit. Ein leichtes Lächeln, ein kurzes Winken für das Publikum, aber die richtige Anspannung für ihren bisher wichtigsten Wettkampf dominierte. Als der Startschuss erfolgte, war sie bereit und wickelte einen perfekten Lauf mit beeindruckender Souveränität und auch Lockerheit in den Beinen ab.
Ermöglicht hat ihn ihr nicht nur ihr eigene Stärke und Fitness, sondern auch die Taktik von Karoline Bjerkeli Grövdal. Die Norwegerin, nach ihrem Landesrekord im 3.000m-Lauf beim Diamond-League-Meeting in Oslo gemeinsam mit der dort ebenfalls starken Niederländerin Maureen Koster in der leichten Favoritenrolle, schlug nämlich ein hohes Tempo vom Start weg an, das sie von Kilometer zu Kilometer steigerte. Ideal für die 24-jährige Italienerin, die die Rampe nutzte, sich in der letzten Kurve ganz dicht an ihre Kontrahentin heransaugte und 120 Meter vor dem Ziel mit einer Tempoverschäfung die Entscheidung erzwang. Grövdal konnte nicht mehr ansatzweise reagieren, Battocletti überquerte mit zwei lauten Jubelschreien die Ziellinie als neue Europameisterin.
„Es war mein Plan, so lange wie möglich im Windschatten von Karoline zu bleiben. Es war ein hartes Rennen, denn das Tempo war schon sehr hoch. Aber mir war voll bewusst, heute etwas Besonderes erreichen zu können“, erzählte sie nach dem Rennen. Anders als bei der Crosslauf-EM in Brüssel im Dezember war das Duell mit der Norwegerin nicht einseitig zu Battoclettis Ungunsten. Ganz im Gegenteil: Die enorme Verschärfung als Krönung der hohen Tempowahl der Skandinavierin führte die Südeuropäerin zu einem neuen italienischen Rekord. In einer Zeit von 14:35,29 Minuten war sie sechs Sekunden schneller als vor einem Jahr beim Diamond-League-Meeting in London, fast so schnell wie die europäische Jahresbestzeit der in Rom abwesenden Sifan Hassan, aber fast elf Sekunden schneller als der bisherige Europameisterschaftsrekord, erzielt vom holländischen Laufstar in Berlin 2018.
Gehüllt in eine italienische Flagge und mit einem breiten, entspannten Lächeln absolvierte sie geduldig ihre Ehrenrunde, verfolgt von Fotograf*innen und TV-Kameras. „Es sind gewaltige Emotionen, die ich spüre“, erzählte sie später und widmete die Goldmedaille ihrem Vater und Trainer Giuliano, dem sie unmittelbar nach der Zielankunft am untersten Ende der Tribüne um den Hals gefallen ist. „Seine Erfahrung ist enorm wichtig für mich, er gibt mir die richtigen Ratschläge.“
Im Moment des Triumphs erinnerte die Italienerin, die 2021 bei den Olympischen Spielen mit Platz sieben über 5.000m ihr erstes starkes internationales Ergebnis erzielte, auch an nicht so glorreiche Zeiten. Die WM-Enttäuschung 2023 in Battocletti hatte sie verunsichert. Psychischen Herausforderungen in den letzten Monaten wirkte ihr Freundeskreis entgegen, aus vielen Gesprächen entsprang wieder die Zuversicht, in der für sie so wichtigen Wettkampfsaison 2024 performen zu können. „Diese Goldmedaille ist für jede*n, die/der den Glauben an sich immer behält“, betonte die neue Europameisterin.
Auch die italienische Presse ist voll des Lobes über Battocletti: „Du bist wunderbar!“, titelte etwa die Sporttageszeitung „La Gazzetta dello Sport“ online. Schade nur für die 24-Jährige, dass das Stadio Olimpico am Eröffnungsabend so spärlich und damit enttäuschend besetzt war – der hervorragende EM-Auftakt des italienischen Teams mit gleich zwei Goldmedaillen hätte es anders verdient gehabt. Der Erfolg über 5.000m ist auch ein historischer für diese Disziplin, Battoclettis siebter Platz von vor zwei Jahren war das bisher beste italienische überhaupt bei Europameisterschaften über zwölfeinhalb Stadionrunden.
Nadia Battocletti, Jahrgang 2000, stammt aus Cles, dem Hauptort des Nonstal in der Provinz Trentino mitten in den italienischen Alpen. Ihr Vater Giuliano und ihre Mutter, die Marokkanerin Jawara Saddogui, waren beide erfolgreiche Mittelstreckenläufer. Giuliano, heute Nadias Trainer, gewann einst eine Junioren-WM-Medaille über 5.000m und lief gegen Ende seiner Karriere auch Marathonläufe. Die italienische Presse beschreibt Nadia Battocletti als überaus freundliche und kontaktfreudige Athletin, die neben ihren sportlichen Aufgaben im Studium Bauwesen und Architektur an der Universität Mailand sehr gefordert ist. Und damit etwas konträr zu ihrem Vater Giuliano, der laut „Gazzetta dello Sport“ als schwierig zu leitender Athlet galt.
Karoline Bjerkeli Grövdal konnte nicht in eine euphorische Jubelstimmung einsteigen. „Mein Ziel war es, die Goldmedaille zu holen und dafür habe ich alles gegeben. Daher ist das Resultat für mich bitter-süß. Ich habe das ganze Rennen gestaltet und Nadia ist hinter mir mitgelaufen. Sie war am Ende sehr stark und das ist fair. Aufgrund ihrer Endschnelligkeit habe ich ja auch meine Taktik gewählt, sie war der Schlüssel für mich“, erklärte die fast 34-Jährige. Nach den Bronzemedaillen 2016 (10.000m) und 2018 (3.000m-Hindernislauf) hat sie nun erstmals EM-Silber und damit dreimal Edelmetall, womit sie die norwegischen Lauflegenden Ingrid Kristiansen und Grete Waitz übertrumpfte – ein durchaus historisches Ereignis. Es war auch die erste norwegische Medaille in dieser Disziplin seit Waitz’ drittem Platz im Jahr 1978 im Vorgänger-Bewerb über 3.000m.
Das Stadio Olimpico, das an diesem Abend geschlossen Nadia Battocletti die Daumen drückte, ist auch für die Norwegerin eine besondere Arena. „Hier bin ich erstmals im 5.000m-Lauf unter 15 Minuten gelaufen, das war ein enorm wichtiger Schritt in meiner Karriere“, erinnerte sie an das Diamond-League-Meeting im Jahr 2016, kurz bevor sie bei den Olympischen Spielen starke Siebte über diese Distanz wurde. Dieses Mal blieb die Zeitnehmung bei einer Zeit von 14:38,62 Minuten stehen, nur sieben Sekunden über ihrem norwegischen Rekord. Das, fast ausschließlich von vorne gelaufen, zeigt den enormen Versuch, die Konkurrenz müde zu laufen. Trotz des atmosphärischen Nachteils für sie bedauerte die dreifache Crosslauf-Europameisterin, dass am ersten Abend so wenige Zuschauer*innen den Weg ins Stadio Olimpico gefunden haben.
Grövdals beachtliche Tempowahl war die Bühne für etliche Spitzenleistungen im Feld. „Das Rennen hat mich zerstört, ich konnte für die Zielgerade meinem Körper kaum mehr Reserven entlocken“, sagte Marta Garcia nach dem Rennen. Dennoch schaffte es die Spanierin, im engen Dreikampf um die Bronzemedaille die Holländerin Maureen Koster und die Finnin Nathalie Blomqvist hinter sich zu lassen. „Irgendwo her kam noch ein bisschen Energie, ich habe keine Ahnung woher.“
Garcia, 2022 noch Zwölfte, hat in den letzten beiden Jahren enorme Fortschritte gemacht, die sie zur ersten spanischen Medaille in dieser Disziplin seit Marta Dominguez 2006, eine wegen einer späteren Dopingsperre nach langem Erfahrung umstrittene Athletin, führte. In Rom unterbot Garcia den 28 Jahre alten spanischen 5.000m-Rekord von Julia Vaquero um eine Sekunde. „Ich bin von zuhause weggegangen, um in einem professionellen Team (im On Athletics Europe Club, Anm. d. Red.) zu trainieren. Das war eine exzellente Entscheidung, heute ernte ich die Früchte dafür“, erzählte sie. Mit einer Zeit von 14:44,04 Minuten lag sie am Ende 0,42 Sekunden vor Koster, die eine persönliche Bestleistung erzielte, und 0,68 Sekunden vor Blomqvist. Die Skandinavierin, 23-jährige U23-Bronzemedaillengewinnerin im Crosslauf im vergangenen Jahr, pulverisierte ihre bisherige Bestleistung aus dem April um 15 Sekunden und den ebenfalls 28 Jahre alten finnischen Rekord von Annemari Sandell um elfeinhalb Sekunden.
Erst hinter ihr ging eine große Lücke auf, die einzige weitere im Feld unter 15 Minuten war die Deutsche Hanna Klein, die in Abwesenheit ihrer Landsfrau und Titelverteidigerin Konstanze Klosterhalfen nicht in den Kampf um die Medaillen eingreifen konnte.
24 Stunden später ging im nun aufgrund der parallelen Präsenz der italienischen Stars Lamont Marcell Jacobs (100m) und Leonardo Fabbri (Kugelstoßen) deutlich besser besetzten Stadio Olimpico das 5.000m-Finale der Männer über die Bühne. Auch hier gab es im Gegensatz zu den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften keine Vorläufe.
Der Wettkampf entwickelte sich bei 24°C zur späten Abendstunde gänzlich anders. Nach einem eher konservativen ersten Kilometer in 2:44,38 Minuten setzten sich erst Adel Mechaal, dann sein spanischer Landsmann Thierry Ndikumwenayo und der Schweizer Dominic Lobalu an die Spitze, das Tempo wurde aber nicht schneller (2:44,55 für Lobalu). Dennoch war es ein Signal, denn der seit einem Jahr für Spanien startberechtigte und aus Burundi stammende Ndikumwenayo sowie der aus dem Südsüdan über Kenia in die Schweiz geflüchtete Lobalu, der seit einem Monat für die Schweiz starten darf, waren mit Bestleistungen deutlich unter 13 Minuten durchaus seriöse und hochqualitative Herausforderer Ingebrigtsens.
Der Titelverteidiger, auch zweimal Weltmeister in dieser Disziplin, absolvierte die Anfangsphase im Hinterfeld Seite an Seite mit seinem Bruder und Trainer Henrik, der im Laufe des Rennens aber keine Rolle spielen und auf Platz 25 von 27 ins Ziel kommen sollte. Jakob orientierte sich in der sechsten Runde nach vorne, um das Rennen ab nun zu kontrollieren. Die Mittelphase des Rennens, die eine Zeitlang auch der am Ende gut auf Platz acht platzierte Schweizer Morgan Le Guen angeführt hat, zeichnete sich durch etliche Positionskämpfe und -verschiebungen aus. Ingebrigtsen demonstrierte seine Erfahrung und hielt seine Position in der zweiten Reihe auf der Innenbahn konsequent.
Erst zum Glockenton, der die letzte Runde ankündigte, löste er sich umsichtig nach außen und ging in Führung. Mehrfach blickte er über die linke und über die rechte Schulter. Es war aber kein angsterfüllter Blick der Schwäche, wie sich herausstellen sollte, sondern diente zur Orientierung. In der letzten Kurve zog der Norweger an und gewann das Rennen souverän in einer „Meisterschaftszeit“ von 13:20,11 Minuten. Und zeigte sich rundum zufrieden: „Heute war alles dabei, was die Leichtathletik braucht: ein großes Stadion, ein großartiges Publikum und eine Leistung, mit der ich zufrieden bin.“
Der Norweger, der seinen fünften EM-Titel alleine auf der Bahn feierte, richtete gleich den Blick nach vorne, schließlich ist er am Montag bereits wieder im Vorlauf über 1.500m am Start. „Ich bewege mich in die richtige Richtung. Aber das Niveau hier ist schon hoch und ich muss an meine Leistungsgrenze gehen, um die Rennen zu gewinnen. Ich liebe Meisterschaften, daher liebe ich es, meine Leistung zu maximieren.“
Ingebrigtsen erwies Ingebrigtsen seiner Konkurrenz an diesem Abend also großen Respekt, was bei ihm nicht immer festzustellen war in der Vergangenheit. Und so mancher Beobachter mag ein Flashback gehabt haben, denn auch dieses Mal war es ein Brite, der dem Norweger gefährlich nah durch die letzte Kurve folgte. Doch im Gegensatz zu Jake Wightman und Josh Kerr bei den letzten beiden WM-Entscheidungen im 1.500m-Lauf hatte George Mills nicht die Klasse, Ingebrigtsen gefährlich zu werden. Seine Silbermedaille in einer Zeit von 13:21,38 Minuten war die Überraschung des Rennens. „Das war ein Schritt in die richtige Richtung in einer jungen Saison. Es war ein gut geplantes Rennen und ist mir so aufgegangen, wie ich es mir gewünscht hätte“, meinte der 25-Jährige, der das beste britische EM-Resultat in dieser Disziplin nach der Ära des dreifachen Europameisters (insgesamt fünffach) Mo Farah einfuhr.
Gleich in seinem ersten Rennen für sein auch offiziell neues Heimatland gewann Dominic Lobalu in einer Zeit von 13:21,61 Minuten die erste Medaille, die erste für die Schweiz in dieser Disziplin seit Markus Ryffel 1978. „Ich bin mit einer Mission nach Rom gekommen. Ich habe mich sehr gut gefühlt. Es war ein ungewöhnliches Rennen mit vielen Teilnehmern, aber ich habe das geschafft, was ich wollte: eine Medaille!“, jubelte der 25-Jährige.
Die großen Verlierer des Tages waren die Spanier und das deutsche Team. Routinier Adel Mechaal und Thierry Ndikumwenayo, drittschnellster Europäer über diese Distanz aller Zeiten, mussten sich mit den undankbaren Positionen vier und fünf abfinden. Das deutsche Trio lieferte geschlossen keine gute Leistung ab: Maximilian Thorwirth, Florian Bremm und der ehemalige U23-Europameister Mohamed Abdilaati landeten allesamt weit abgeschlagen im Hinterfeld.
Autor: Thomas Kofler
Titelbild: © Mattia Ozbot / Getty Images for European Athletics