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Warum wir laufen? Weil es uns Spaß macht und weil es uns gut geht. Sonst noch Fragen? Hier sind Antworten. Also nichts wie rein in die laufende Erklärungsreise zur analogen Zukunft.
Warum wir laufen? Weil es uns Spaß macht und weil es uns gut geht. Sonst noch Fragen? Hier sind Antworten. Also nichts wie rein in die laufende Erklärungsreise zur analogen Zukunft.
Warum wir laufen? Was ist das bitte für eine Frage! Kinder fragen „Warum?“, bevorzugt zu Dingen, die schwer zu beantworten sind. Es gibt unzählige Gründe, warum jemand läuft. Jeder stimmt. Die Gründe verändern sich im Lauf eines Lebens und im Lauf der Entwicklung von Gesellschaften. Aber es gibt einen gemeinsamen Kern. Laufen macht einfach Freude. Wir können gar nicht anders, als uns dabei wohl zu fühlen. Um es zu verfeinern, will ich auch fragen: Warum laufen so viele? Es geht beim Laufen schließlich nicht um ein paar crazy guys, sondern um eine große Bewegung. Warum ist das Laufen in Österreich und weltweit die Sportart Nummer eins? Denn das ist sie. Nicht in den Medien und auch nicht in jenem Teil des Showbusiness, der Spitzensport genannt wird. Aber als aktiv ausgeübte Sportart ist nichts so groß und so weit verbreitet wie das Laufen.
Eine erste Antwort lautet: Wir laufen, weil es so tief in uns liegt wie keine andere Bewegungsform. Vom Gehen, der älteren Schwester, einmal abgesehen. Wir laufen, weil es im heutigen Ostafrika vor rund sechs Millionen Jahren zu einem Quellcode unseres Erfolges als Menschen geworden ist – der aufrechte Gang. Das Gehen auf zwei Beinen und das Laufen veränderte für unsere Vorfahren den Horizont und erhöhte die Übersicht. Sie konnten sich schnell fortbewegen und gleichzeitig etwas Halten oder Tragen. Die Anatomie des aufrechten Ganges begünstigte das Wachstum und die Entwicklung des Gehirnes. Unsere Sprache, Wahrnehmung und Kultur gründen darauf. Ein leistungsfähigeres Gehirn ermöglichte es, das eigene Selbst zu reflektieren und Ziele zu verfolgen, die über den Tag hinausreichen. Laufen war untrennbar mit existenziellen Erfahrungen verbunden. Kampf oder Flucht, Sieg oder Niederlage, Leben oder Tod. Es müssen außergewöhnliche Emotionen im Spiel gewesen sein, wenn eine Gruppe von Jägern in stundenlanger Verfolgung laufend ein Tier ermüdet und schließlich erlegt hat. Es gibt Felszeichnungen im Matobo Nationalpark von Simbabwe, die einige tausend Jahre alt sind, in denen der Erste einer Gruppe von laufenden Jägern mit hochgerissenen Armen dargestellt wird. Eine Art Marathonjubel der Frühzeit?
Laufen war ein Überlebens-Mittel und ein Generator von Glück. Der Zoologe und Langstreckenläufer Bernd Heinrich beschreibt in seinem Buch „Why we run“ die These, dass lebensnotwendige Verhaltensweisen mit starken Instinkten und positiven Gefühlen gekoppelt sind: „Das Gefühl der Lust ist ein Produkt der Evolution, das gesunde Organismen veranlasst, das zu tun, was ihnen hilft, zu überleben.“ Laufen = überlebenswichtig = geil. Enttäuschung und Ernüchterung waren und sind nicht ausgeschlossen, aber die Gleichung gilt, wenn auch unter anderen Bedingungen, in ihrer Grundaussage bis heute. Wenn wir laufen, aktivieren wir uralte Erfahrungsmuster. Wir spüren die Muskeln, den Herzschlag, das Pumpen der Lunge und den Rhythmus der Schritte auf ähnliche Weise wie Menschen der Altsteinzeit. Es blitzen heute die gleichen Botenstoffe und Nervenimpulse durch die Körper wie damals. Wir stoßen uns auf die gleiche Weise mit dem Vorfuß vom Boden ab, schweben kurz, und setzen den anderen Fuß auf, während die Arme gegengleich pendeln. Das Laufen mit all seinen Wirkungen gehört zur menschlichen Lebendigkeit. Moderne bildgebende Verfahren bestätigen, dass Laufen eine Neurogenese im Gehirn bewirkt. Heinrich ist felsenfest: „Tief in unserem Inneren sind wir immer noch Läufer, egal, ob wir das in unserem Verhalten zum Ausdruck bringen oder nicht.“
All dies beinhaltet keinen Auftrag, so zu leben wie steinzeitliche Jäger oder Überlegungen und Planungen durch Triebe und Instinkte zu ersetzen. Es bedeutet zu verstehen, wie wir auch als moderne Menschen innerlich verfasst sind, und dass Laufen keine Modeerscheinung ist, sondern mit elementaren Bedürfnissen verknüpft ist.
Glücklicherweise können heute auch Menschen, die nicht oder nicht mehr gehen oder laufen können, ein gutes Leben führen. Niemand in der Wohlstandsgesellschaft ist mehr zum Laufen gezwungen, auch wenn es gesundheitlich oft angeraten wäre. Vielmehr können wir uns den Luxus leisten, es ohne äußeren Zweck zu machen.
Umso stärker sind die inneren Beweggründe, Ideen und Träume, die uns schwungvoll antreiben.
Eine zweite Antwort lautet: Wir laufen, weil es uns gut geht und damit es uns gut geht. Das Laufen, wie wir es kennen, ist auch eine Wohlstandserscheinung. Der Aufstieg des Laufens als Lifestylesport und der Boom großer Laufveranstaltungen im 20. Jahrhundert waren gekoppelt an die wirtschaftliche Entwicklung und den wachsenden Wohlstand. Die erste „Joggingwelle“ und die Entwicklung von „City Marathons“ ab den 1970er-/1980er Jahren zuerst in den USA und danach in Westeuropa hatten mit wirtschaftlichem Erfolg und der Modernisierung der Gesellschaften zu tun. Wenn Freizeit, Einkommen, Technisierung und Individualisierung steigen und körperliche Anstrengungen im Alltag fehlen, entsteht ein Bedürfnis für Sport. „Irgendwann gibt es auch so etwas wie eine Bewegungssehnsucht. Wir müssen uns das in der Freizeit zurückholen, was uns unser alltägliches bewegungsloses Leben vorenthält“, sagte der Philosoph Konrad Paul Liessmann bei einem Vortrag 2016 in Wien. Laufen ist gleichzeitig eine Notwendigkeit geworden, denn Bewegungsarmut bringt gesundheitliche Probleme für eine ganze Gesellschaft mit sich. Der „Sports for All“-Gedanke hat früh erkannt, dass sportliche Aktivität für breite Teile der Gesellschaft eine zentrale gesundheitspolitische Herausforderung ist. „Fit mach mit“ hieß im Österreich der 1960er- und 1970er Jahre die Aufforderung der Sportverbände und des Bundespräsidenten zu Fitläufen und Fitmärschen am Nationalfeiertag. Der Gedanke dahinter gilt bis heute: Wir brauchen Sport, um das erleben und genießen zu können, was die Wohlstandsgesellschaft, wenn man Teil von ihr ist, bietet.
Eine dritte Antwort lautet: Wir laufen, weil es uns so gesagt und empfohlen wird. Es muss aber differenziert werden. Pädagogische Apelle zu mehr Sport von wohlmeinenden Funktionsträgern, Sportlehrern und Eltern bewirken eher das Gegenteil des Angestrebten. Imagekampagnen zur sportlichen Aktivierung, sind gut fürs Budget von Agenturen, ob sie tatsächlich spürbar jemand zum Sport bringen, sei dahingestellt. Aber der „sportliche Imperativ“ unserer Zeit ist nicht wirkungslos. Wenn ein Arzt den Sport quasi verordnet, weil es nach einem Herzinfarkt ein Muss zur Gesundwerdung und Gesunderhaltung ist, dann entfaltet das seine Wirkung. Wenn auf medialen Oberflächen fitte Menschen gezeigt werden und Influencer für aktiven Lebensstil werben, ist es ein zumindest sanfter Hinweis darauf, selbst Sport zu machen. Wenn in Unternehmen sportliche Aktivitäten gefördert werden, entstehen ein Gruppeneffekt und eine gewisse Breitenwirkung. Wenn in Familien gemeinsam Sport gemacht wird, bildet sich ein Bewusstsein heraus, wie lustig und erfahrungsreich das ist. Wenn Menschen sich zusammentun, um durch Laufen eine Herzensangelegenheit zu unterstützen oder Spenden zu sammeln, dann bildet sich eine besondere Dynamik. Wenn Fitness-Apps und Social Media Challenges zum Sport anleiten, hält das für viele die Motivation am Laufen. Gefragt werden muss aber immer: Was ist Oberfläche und was ist Tatsächlichkeit? „Sport“ auf Instagram heißt noch nicht, dass jemand tatsächlich Sport in regelmäßiger und gesundheitsfördernder Weise ausübt.
Die vierte Antwort führt zurück zur ersten Antwort. Wir laufen, weil es in uns liegt und dieser Blick immer wichtiger wird. Auch wenn die Digitalisierung alles erfasst und verändert: die Natur und der Körper bleiben analog. Der eigene Rhythmus, die eigenen Bedürfnisse und der eigene Antrieb werden sich behaupten. Das Laufen bietet hervorragende Möglichkeiten dafür. Der Sportpsychologe Andreas Marlovits beschreibt in seinem Buch „Dem Geheimnis des Laufens auf der Spur“ auf Basis von hundert Tiefeninterviews eine paradoxe, aber zentrale Wirkung des Laufens. Es aktiviert und beruhigt gleichzeitig. Es hilft, Gefühle von Stillstand und Unzufriedenheit genauso zu überwinden wie Zustände von Dauerstress und Überforderung. Die zwei Gegenpole Stagnation und Hypermobilität sieht er als Grundmotive fürs Laufen. Nicht selten sind beide Gefühlszustände in einem Körper vereint.
Ein gelungener Lauf hat etwas von einem Tagtraum. Alte Gedanken, Kindheitsgedanken, Zukunftsgedanken tauchen auf. Aber es ist nicht ein aktives Denken, sondern eher das Ansehen von Gedanken, wie von Bildern im Kino, vergleicht Marlovits. Für kurze Momente kann im Zusammenspiel von körperlichem und geistigem Erlebnis ein Glückszustand entstehen, der völlig unabhängig von Tempo oder Leistung ist. Diese Momente lassen sich nicht planen und nicht festhalten. Am Ende des Laufes, zu jenem Zeitpunkt, an dem durch die Erschöpfung die Körperlichkeit wieder bewusst wird, fragt man sich verwundert, mit immer noch tanzenden Gehirnzellen, wie das jetzt möglich war.
Laufen als Gegenpol zur stressigen Arbeitswelt, als persönlicher Freiraum inmitten von Fremdbestimmung, als Freundschafts-Finder, zur Gesunderhaltung, als Mittel zur Selbstverwirklichung, als Wunderwaffe am Schlachtfeld der Selbstdarstellung, als Ausdruck der Spaßgesellschaft oder auch der Leistungsgesellschaft: die Ansätze sind vielfältig und haben ihre Erklärungskraft. Warum laufen wir also? „Keine Erklärung ist zufriedenstellend, die nicht die Gefühle von Schönheit und Stärke berücksichtigt“, schrieb Meilenlauf-Legende Roger Bannister schon vor über 60 Jahren.
Wir laufen und werden auch in Zukunft laufen, weil es so viele Menschen machen können, weil es ohne Aufwand von Kosten und Ressourcen durchführbar ist, weil es unzählige persönliche und soziale Anknüpfungspunkte gibt und weil jeder einzelne Lauf den Läufer mit Wohlbefinden belohnt. Das Laufen wird sich, wie der gesamte Sport, radikal verändern, und wir sind mittendrin. Aber der Kern bleibt unverändert. Den Fuß abstoßen, schweben, den anderen Fuß aufsetzen, dazu eine gegengleiche Armbewegung. Laufen ist und bleibt einfach. Und, das wusste auch Apple-Guru Steve Jobs: Das Einfache setzt sich durch.
Autor: Andreas Maier
Bilder: © SIP | Johannes Langer