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Timo Hinterndorfer hat bei den Straßenlauf-Europameisterschaften in Leuven mit einem beachtlichen Top-20-Resultat im Halbmarathon eine gute Leistung gezeigt. Der mit 20 Jahren der deutlich Jüngste im 52-köpfigen Teilnehmerfeld ging mutig ins Rennen und hielt sich in der ersten größeren Verfolgergruppe. Erst im finalen Viertel musste der Wiener etwas sein Tempo anpassen, blieb aber in einer Zeit von 1:03:36 Stunden nur eine halbe Minute hinter seiner persönlichen Bestleistung – angesichts des nicht einfachen Kurses in Leuven ein Beleg für den starken Auftritt.
Platz 18 bei einer Europameisterschaft – mit diesem Zeugnis konnte Timo Hinterndorfer (DSG Wien) nach dem gestrigen Rennen gut leben. Wenngleich die Qualität der Teilnehmerfelder kaum vergleichbar ist, hat die Steigerung um 14 Positionen gegenüber der EM in Rom einen anderen Wert. „Der Wettkampf heute ist ein Signal, dass ich heuer viel besser laufe als im letzten Jahr. Darauf kann ich aufbauen und ich nähere mich Schritt für Schritt dem Bereich, wo ich hin will“, analysierte Hinterndorfer. Der Wermutstropfen, dass sich eine persönliche Bestleistung knapp nicht ausging, störte nur anfänglich. „Im ersten Moment ist so eine Situation, wenn man das Tempo nicht mehr halten kann, natürlich enttäuschend. Aber insgesamt kann ich zufrieden sein und weiß, dass ich auf einer schnelleren Strecke auch von der Laufzeit her noch einiges drauflegen kann.“
Angesichts der nicht leichten Strecke ist die Leistung des Siegers brillant. Jimmy Gressier dominierte mit jedem einzelnen seiner Schritte diesen Wettkampf und legte eine enorme Pace vor, die ihn zu einer Durchgangszeit von 27:50 Minuten bei der Zwischenzeit bei Kilometer zehn führte. Bereits nach einem Viertel des Rennens hatte er mit Awet Kibrab aus Norwegen nur mehr einen Begleiter, nach einem Drittel der Distanz lag der Franzose alleine in Führung. Der Vorsprung auf den Skandinavier wuchs kontinuierlich auf insgesamt eine Minute und 23 Sekunden. Mit einer Zeit von 59:45 Minuten blieb er eine Sekunde unter seiner bei der Straßenlauf-WM 2023 in Riga aufgestellten persönlichen Bestleistung, als er Fünfter wurde.
Den französischen Feiertag im Halbmarathon rundeten die überlegene Goldmedaille in der Nationenwertung ab, der noch deutlicher ausgefallen wäre, wäre nicht Bastien Augusto ziemlich eingebrochen. Und die Bronzemedaille durch Valentin Goundoin, der in einer Zeit von 1:01:54 Stunden den Kampf um Platz drei auf den letzten 200 Metern gegen den Iren Efrem Gidey gewann. Kibrab gewann die Silbermedaille verdient in einer Zeit von 1:01:08 Stunden, womit er seiner persönlichen Bestleistung ziemlich nahe kam.
Die Leistung von Gressier war die sportlich hochwertigste der Titelkämpfe in Leuven. Auf einem nicht leichten Kurs bis auf fünf Sekunden an den französischen Rekord von Morhad Amdouni, der gegenwärtig wegen familiärer Gewalt gegen seine Lebenspartnerin strafrechtlich verurteilt ist und für zehn Monate im Gefängnis sitzt, heranzulaufen und nur eine halbe Minute über dem Europarekord von Julien Wanders zu bleiben, ist ein kräftiges Statement. Eines, das zu seiner bisherigen Saison passt. „Ich bin überglücklich mit meinem ersten EM-Titel in der Allgemeinen Klasse. Ich liebe den Halbmarathon, daher kommt das zum richtigen Zeitpunkt und ich bin überglücklich“, sagte der 27-Jährige. „Ich wollte vom Start weg puschen und den Sieg nach Hause laufen.“
Gejubelt hat Gressier in seinem typischen Hürdensprung über das Zielband. Seine Aussage: „Ich will im Sommer Hindernisläufe bestreiten, also habe ich so gejubelt“, darf somit kaum ernst genommen werden, wenngleich sie in etlichen Medien so zitiert wurde. Er seit zwar sehr zufrieden mit seiner Leistung, sehe aber keinen weiteren Halbmarathon in näherer Zukunft. Es war der dritte in seiner Karriere, der erste seit eineinhalb Jahren.
Durch die frühe, hohe Pace, die Top-Favorit Jimmy Gressier gleich nach dem Startschuss vorlegte, musste Hinterndorfer wichtige strategische Entscheidungen treffen. Gressiers Angangstempo sorgte dafür, dass einige der Medaillenkandidaten hohes Risiko gingen und bereits vor der 5km-Zwischenzeit von 13:52 Minuten für Gressier und Kibrab etwas zurückfielen. Hinter der in die Länge gezogenen Spitzengruppe formierte sich eine große Gruppe mit dem Österreicher, die die ersten fünf Kilometer inklusive des einzigen giftigen Anstiegs der Strecke in einer Zeit von 14:29 Minuten absolvierte. Dieses Tempo war für den Österreicher, der bei einer persönlichen Bestzeit von 14:04 Minuten auf dieser Distanz steht, durchaus im ambitionierten Bereich.
Bei jeder Zwischenzeit passierte Hinterndorfer die Zeitnehmungsmatte auf Platz 17: Nach 29:11 Minuten jene bei Kilometer zehn, womit er nur neun Sekunden über seiner 10km-Bestleistung blieb, nach 44:14 Minuten bei Kilometer und nach 1:00:02 Stunden bei Kilometer 20. „Das Tempo war schon sehr anstrengend. Bis fünf Kilometer vor dem Ziel hab ich noch an eine Bestleistung gelaubt. Als es dann wieder in die Stadt rein ging, waren aber extrem viele Kurven zu laufen und es ging wieder leicht bergauf. Da konnten meine Beine die Kilometerzeiten nicht mehr halten“, schilderte Hinterndorfer. Auf dem letzten Kilometer musste er noch den italienischen Berglauf- und Trailrunning-Spezialisten Xavier Chevrier passieren lassen, ließ aber als 18. den ein oder anderen Läufer hinter sich, den man weiter vorne erwartet hätte: z.B. Chevriers Landsmann Pasquale Selvarolo oder den Spanier Pablo Sanchez.
Bereits im Vorjahr, als der Halbmarathon noch im Programm der klassischen Leichtathletik-Europameisterschaften von Rom platziert war, war Hinterndorfer mit Platz 32 der mit Abstand beste Österreicher in einem damals deutlich größeren Starterfeld. Dieses Mal war er der einzige nominierte ÖLV-Athlet, alle anderen für einen Start in Frage kommende heimischen Athletinnen und Athleten konzentrieren sich auf Frühjahrsmarathonziele.
Als Disziplin mit der deutlich geringsten Dichte an Spitzenläuferinnen brachte der Halbmarathon der Frauen einen Festtag für die vielen Tausenden Zuschauer am Samstag in Leuven. Chloé Herbiet und Juliette Thomas liefen für Belgien einen Doppelsieg heraus. „Als ich auf der Zielgerade war, habe ich mich immer wieder umgeschaut. Aber da kam niemand. Ich bin sehr emotional jetzt und wirklich stolz auf mich“, jubelte die 26-jährige Überraschungssiegerin. Herbiet, die sich bei Kilometer 18 absetzte, erzielte eine Zeit von 1:10:43 Stunden, Thomas eine von 1:10:57 Stunden, beides in Bestleistungsbereich. „Es war ein unglaubliches Gefühl vor dem Heimpublikum zu laufen. Es hat mir Flügel bereitet!“
Das Pendel schlug endgültig Richtung der Gastgeberinnen aus, als die favorisierte Holländerin Diane van Es wenige Kilometer vor dem Ziel immer mehr Probleme bekundete und später ausstieg. So nutzte die Italienerin Sara Nestola, trainiert von Marathon-Olympiasieger Stefano Baldini, die Gunst der Stunde und lief in einer Zeit von 1:11:26 Stunden zur Bronzemedaille. Die italienische Mannschaft holte hinter der überlegenden belgischen die Silbermedaille in der Nationenwertung.
Nadia Battocletti war die haushohe Favoritin auf dem EM-Titel im 10km-Straßenlauf und die 25-jährige Italienerin lieferte am Tag nach ihrem Geburtstag wie gewohnt ab. In einer Zeit von 31:10 Minuten lief sie auf nassem Untergrund einen sicheren Sieg aus einem kontrollierten Wettkampfgeschehen heraus. „Es ist das beste Geburtstagsgeschenk, das ich mir machen konnte“, jubelte die Siegerin. Battocletti ist nun amtierende Europameisterin im 5.000m-Lauf, im 10.000m-Lauf, im Crosslauf und im 10km-Straßenlauf. „Ein unglaublicher Lauf!“, findet die Italienerin, die neun Sekunden unter ihrem eigenen italienischen Rekord geblieben ist.
Die Überraschung des Rennens lieferte Eva Dieterich, zur Halbzeit noch Neunte, mit ihrer Silbermedaille in einer Zeit von 31:25 Minuten vor der Slowenin Klara Lukan, die lange Zeit versucht hatte mit Battocletti zu konkurrieren. „Dieser Erfolg bedeutet mir sehr viel, er kam aus dem Nichts. Ich habe gehofft, vielleicht in die Top-Ten laufen zu können“, staunte die 26-jährige Deutsche, die sich auf Platz vier der ewigen nationalen Bestenliste verbesserte. Mariana Machado aus Portugal und Lokalmatadorin Jana van Lent gingen knapp leer aus, im Falle von Machado trotz einer deutlichen Verbesserung des portugiesischen Rekords.
Für Dieterich lohnte sich ihre Top-Leistung doppelt: Deutschland gewann in der Nationenwertung nämlich die Silbermedaille hinter dem überlegenen italienischen Team, das drei Läuferinnen in die Top-Ten brachte. Neben der 26-Jährigen fielen die zehnplatzierte Elena Burkard und Lisa Merkel auf Platz 17 in die Wertung. Bronze gewann Frankreich hauchdünn vor Gastgeber Belgien.
Einen französischen Doppelsieg brachte der 10km-Lauf der Männer, in dem der ehemalige Crosslauf-Europameister Yann Schrub im innerfranzösischen Duell die Oberhand gegen den ehemaligen Europarekordhalter Étienne Daguinos um neun Sekunden gewann. Schrub erzielte auf der schwierigen und selektiven Strecke eine persönliche Bestleistung von 27:37 Minuten. „Instinktive Rennen lauf ich am liebsten, deshalb liebe ich den Crosslauf so sehr“, sagte der Sieger, der nach einem herausfordernden Jahr 2024 mit neuem Mentaltrainer in das Wettkampfjahr 2025 gestartet ist, wie die „L’Équipe“ berichtete. Isaac Kimeli sicherte sich die erhoffte Medaille für Belgien. Mitfavorit Dominic Lobalu aus der Schweiz war nach einer Oberschenkelverletzung im Vorfeld nicht ganz fit und verließ den Wettkampf noch vor dem Ziel.
In der Nationenwertung dominierte Frankreich vor Spanien und Gastgeber Belgien. Deutschland kam trotz der guten Platzierungen von Nils Voigt (Sechster) und Davor Aaron Bienenfeld (15.) nicht über Rang sieben hinaus.
Beim am Sonntag von Brüssel nach Leuven auf einer – wohlgemerkt nicht für den Global Calender tauglichen Punkt-zu-Punkt-Strecke – lieferte der Marathonlauf der Herren eine Überraschung. Iliass Aouani aus Italien düpierte die klar favorisierten Israelis auf den letzten beiden Kilometern und gewann letztendlich den Endspurt gegen Gashau Ayale. In einer Zeit von 2:09:05 Stunden krönte er sich als erster Italiener zum Marathon-Europameister seit Daniele Meucci 2014 in Zürich. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das gegen diese sehr starken Gegner schaffe. Aber in solchen Rennen ist nicht die Qualität der Bestleistung entscheidend und es gewinnen nicht immer die stärksten, sondern die, die am intelligentesten laufen“, lobte sich der in Marokko geborene und in Mailand aufgewachsene Italiener selbst. Seinen lauten Schrei bei der Zielankunft erklärte er damit, dass der gesamte Frust, der sich über die verpasste Olympia-Qualifikation (trotz Limits) in den letzten Monaten angestaut hatte, hinaus musste.
Die Israelis mussten wie schon in München 2022, damals hinter Richard Ringer, mit den Positionen zwei und drei sowie der überlegenen Goldmedaille in der Nationenwertung Vorlieb nehmen. Ayale, vor drei Jahren Bronzemedaillengewinner, sicherte sich in 2:09:08 Stunden die Silbermedaille. Teferi, vor drei Jahren Zweiter wie auch bei der WM 2023 in Budapest, rettete in 2:09:17 Stunden gerade so die Bronzemedaille gegen Haimo Alame, nachdem er in der Schlussphase kurze Zeit nur auf Platz vier lief. Mitbestimmt hatte das Rennen lange Zeit der vierte Israeli, Bukayawe Malede, der bei der Halbmarathon-Durchgangszeit von 1:03:52 Stunden noch in Führung lag, aber ab Kilometer 30 einbrach und am Ende bis auf Rang 17 zurückfiel – unter nur 42 Teilnehmern.
Bei den Frauen begann das Rennen für Fatima Ouhaddou denkbar ungünstig, als sie zu Rennmitte bei einer Verpflegungsstation über einen unachtsamen Hobbyläufer stolperte und zu Sturz kam. Dieser Zwischenfall verhinderte nicht, dass die 31-Jährige nach 2:27:14 Stunden als Erste über die Ziellinie lief und sich damit zur ersten spanischen Marathon-Europameisterin überhaupt krönte. Die Entscheidung im Duell mit ihrer höher eingeschätzten Landsfrau und spanischen Rekordhalterin Majida Maayouf fiel kurz vor der Zwischenzeit bei Kilometer 40. Die aus Marokko stammende Maayouf gewann in 2:27:41 Stunden die Silbermedaille, die siebtplatzierte Esther Navarrete sicherte Spanien den klaren Sieg in der Nationenwertung.
Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte sie gedacht, Leuven mit zwei Goldmedaillen zu verlassen, zitierte die spanische Sportzeitung „As“ die neue Europameisterin. Wie Maayouf ist auch sie in Marokko geboren. Seit 2022 ist sie für Spanien startberechtigt. Die große Herausforderung in der Vorbereitung der Straßenlauf-EM lag für sie im Ramadan, weswegen sie Trainingseinheiten teilweise in die Nachstunden verlegte. In einem harten und fast körperlichen Duell um die Bronzemedaille behielt Routinier Lonah Chemtai Salpeter in einer Zeit von 2:28:01 Stunden knapp die Oberhand gegen ihre Landsfrau Maor Tiyouri. Die 36-jährige Salpeter hat aufgrund diverser Verletzungsprobleme in den letzten Jahren nicht mehr das Niveau früherer Jahre. Die Italienerin Giovanna Epis wurde wie in München 2022 Fünfte.
Auf Rang elf kam Clémence Calvin ins Ziel. Die Französin war einer der spektakulärsten Dopingfälle der europäischen Leichtathletik der letzten Jahre und ist nun wieder startberechtigt. Nach ihrem Comeback für die französische Nationalmannschaft sagte sie gegenüber der französischen Sportzeitung „L’Équipe“, sie habe sie wie eine Anfängerin gefühlt. 2018 gewann sie Marathon-EM-Silber.
Mit der Premiere der zweitägigen Straßenlauf-Eruopameisterschaften, die im Vorfeld mit durchaus polarisierenden Argumenten begutachtet wurden, war der Europäische Leichtathletik-Verband (European Athletics) naturgemäß sehr zufrieden. EA-Präsident Dobromir Karamarinov sprach in einem Statement von einer unglaublichen Chance für den Laufsport: „Erstmals nahmen Spitzensportler*innen und Freizeitsportler*innen an einem unserer Events teil. Das zeigt den Enthusiasmus fürs Laufen.“
Rund 28.000 Laufbegeisterte nahmen an den Bewerben teil, mit 12.500 Läufer*innen wurde der EM-Marathon zum größten je in Belgien ausgetragenen Marathonlauf. Spannend ist dabei der hohe Anteil der lokaler Laufgemeinschaft. Eine weitere spannende Zahl: Die Hälfte der Teilnehmenden war jünger als 35. In der Profiszene fehlten vor allem im Halbmarathon und im Marathon aber eine Reihe von Europas Top-Athlet*innen.
Autor: Thomas Kofler
Bilder: © European Athletics