Der 3.000m-Lauf der Männer begann in einem für Meisterschaftsrennen nicht untypischen, langsamen Tempo. Der erste Kilometer beispielsweise dauerte fast 3:22 Minuten lang. Der junge Norweger Andreas Fjeld Halvorsen und der Brite Edward Bird liefen lange Zeit an der Spitze, der erklärte Favorit Nicholas Griggs hielt sich erst im Mittelfeld und später weiter hinten auf. Keine Tempoverschärfung gefährdete die Vorhersehbarkeit des Rennens, das harmonisch und ohne radikalen Übergang in die finale Phase mündete. Dann wurde es aber turbulent. Kurz vor Ende der vorletzten Runde schoben sich Griggs außen und der Schwede Jonathan Grahn innen an die Spitze. Damit stauchte die Spitzengruppe zusammen, der Holländer Juan Zijderlaan kam zu Sturz und riss den norwegischen Medaillenkandidaten Andreas Fjeld Halvorsen mit ins Verderben, in dem er in seine Fersen fiel. Bitter für den 17-Jährigen, der bei der U18-EM im Vorjahr zweimal nur Niels Laros den Vortritt lassen musste, unter anderem eben im 3.000m-Lauf.
Frühzeitiger Jubel
Mit dieser Verschärfung setzten sich Grahn und Griggs vorne ab, auf der Gegengerade schob sich der Ire plangemäß an die Spitze und bog als Erster in die letzte Kurve ein. Doch der Skandinavier kam mit größerem Schwung aus der Kurve heraus und bereits im Moment des Überholmanövers war im Gesicht des Iren zusehen, dass er nicht kontern würde. Das erkannte auch Grahn, der schon direkt nach dem Überholmanöver mit dem Siegesjubel begann. Diese übersprühende vorzeitige Freude noch im laufenden Wettkampf scheint eine seltsame Modeerscheinung bei diesen Titelkämpfen, die vermutlich nicht allen gefällt. „Unsere Altersgruppe hat außergewöhnliche Qualität in diesem Jahr. So war das hier richtig schwierig, zu gewinnen“, zollte der Schwede dann im Ziel seinen Gegner Respekt und fügte an: „Ich bin froh, dass Niels Laros sich entschieden hat, den 3.000m-Lauf auszulassen.“ Beim morgigen 5.000m-Lauf allerdings muss Jonathan Grahn gegen Niels Laros – und im Übrigen auch Kevin Kamenschak – antreten, nach der Goldmedaille kann der 18-Jährige, der auch ein guter 1.500m-Läufer ist, aber ohne Druck ins Rennen gehen.
Während Grahn als erster schwedischer Medaillengewinner in dieser Disziplin, die zwischen 1987 und 2017 aber auch nicht im Programm war, laut und ausgiebig jubelte, war Nicholas Griggs die Enttäuschung im Ziel ins Gesicht geschrieben. Der Ire war als Titelverteidiger ins Rennen gegangen und hat sich trotz einer sehr guten Saison bisher auf der Mittelstrecke gegen ein Antreten im 1.500m-Lauf und für eines im 3.000m-Lauf entschieden, um den schier bei diesen Titelkämpfen unbezwingbaren Niels Laros aus dem Weg zu gehen. Die Bronzemedaille ging, deutlich hinter dem Top-Duo, an den Briten Bradley Giblin, der sich letztendlich deutlich vor dem zweitbesten Schweden, Karl Ottfalk durchsetzte. Im 3.000m-Finale waren keine deutschsprachigen Starter am Ablauf.
U20-EM 2023, Ergebnis 3.000m-Lauf der Burschen
Gold: Jonathan Grahn (Schweden) 8:44,67 Minuten
Silber: Nicholas Griggs (Irland) 8:45,69 Minuten
Bronze: Bradley Giblin (Großbritannien) 8:47,26 Minuten
4. Karl Ottfalk (Schweden) 8:49,34 Minuten
5. Kamil Herzyk (Polen) 8:49,84 Minuten
6. Suleyman Yalaoui (Frankreich) 8:50,58 Minuten
7. Edward Bird (Großbritannien) 8:51,09 Minuten
8. Alessandro Morotti (Italien) 8:51,37 Minuten
…
DNF Andreas Fjeld Halvorsen (Norwegen)
Kocak wendet das Blatt spät
Wenige Minuten zuvor war das Duell um den EM-Titel zwischen Dilek Kocak aus der Türkei und Sofia Thögersen aus Dänemark im 1.500m-Lauf der Frauen eine Kopie zum Duell zwischen Grahn und Griggs, zumindest bis auf die letzten 100m. Thögersen, die als leichte Favoritin ins Rennen ging, positionierte sich beim Glockenton, der die letzte Runde ankündigte, hinter der seit der Anfangsphase führenden Türkin. Auf der Gegengerade zog sie vorbei und führte durch die Kurve. Mit angestrengtem Gesicht hielt die Dänin die Position bis zehn Meter vor dem Ziel, konnte aber nicht mehr zusetzen. Das gelang der 17-jährigen Kocak, eine kraftvolle Läuferin, und so zog sie mit den letzten Atemzügen an ihrer Kontrahentin vorbei und sicherte sich in einer Zeit von 4:16,86 Minuten den Titel. „Ich habe meine Träume erfüllt“, meinte die neue Europameisterin, die am heutigen Abend auch den 800m-Lauf bestreitet. Mit diesem hat sie eine Rechnung offen, blieb sie doch bei der U18-EM vor einem Jahr in dieser Disziplin als klare Favoritin ohne Edelmetall. Die letzte türkische Titelträgerin in der Altersklasse U20 war Sibel Özyurt im Jahr 1999.
Thögersen, die vor zwei Jahren in Tallinn Silber im 3.000m-Lauf gewann, fokussierte sich in Jerusalem wohl auch deshalb auf den 1.500m-Lauf, weil über die doppelte Distanz mit Agate Caune eine wohl unerreichbare Kontrahentin am Start stand. Der Traum von Gold erfüllte sich für die 18-Jährige nicht. „Ich hatte gehofft, alle anderen mit meiner Tempoverschärfung überraschend zu können. Ich denke, es war die richtige Strategie und wüsste nicht, wie ich es besser machen hätte können“, meinte sie. Richtig gut machte es die Bronzemedaillengewinnerin Natalie Millerova, die zu einer persönlichen Bestleistung von 4:18,92 Minuten stürmte. Die 19-Jährige ist die erste tschechische Medaillengewinnerin überhaupt in dieser Disziplin bei Junioren-Europameisterschaften.
U20-EM 2023, Ergebnis 1.500m-Lauf der Mädchen
Gold: Dilek Kocak (Türkei) 4:16,86 Minuten
Silber: Sofia Thögersen (Dänemark) 4:17,08 Minuten
Bronze: Natalie Millerova (Tschechien) 4:18,92 Minuten *
4. Julia Gruchala (Polen) 4:20,19 Minuten
5. Matilde Prati (Italien) 4:20,85 Minuten
6. Ayca Fidanoglu (Türkei) 4:21,26 Minuten
7. Jade Le Corre (Frankreich) 4:21,59 Minuten
8. Emie Lotta Berger (Deutschland) 4:21,72 Minuten
* neue persönliche Bestleistung
Jarosova beendet deutsche Serie
Im 3.000m-Hindernislauf war Carolin Hinrichs aus Deutschland aufgrund ihrer Vorleistungen die Favoritin auf die Goldmedaille und sie lag lange Zeit auch an der entsprechenden Position in der Spitzengruppe. Doch als Karolina Jarosova das Tempo vor der vorletzten Runde verschärfte und sich hinter ihren beiden deutschen Verfolgerinnen Adia Budde und Hinrichs eine Lücke öffnete, kam die Favoritin in den roten Bereich. 650 Meter vor dem Ziel wurde sie plötzlich abrupt langsam, verlor Position drei, stieg sofort aus und legte sich erschöpft auf die Bahn.
Vorne ließ Karolina Jarosova, erste tschechische Medaillengewinnerin überhaupt im 3.000m-Hindernislauf der Mädchen bei Junioren-Europameisterschaften, in ihrem dritten Hindernislauf über die volle Distanz keine Zweifel über den Sieg aufkommen. Die erst 17 Jahre alte Athletin, zuletzt Siegerin beim European Youth Olympic Festival, hatte bereits den Löwenanteil der Führungsarbeit erledigt und ermüdete die Kontrahentinnen mit ihrem Schritt von der Spitze weg. Mit einer Steigerung ihrer persönlichen Bestleistung um fast zehn Sekunden übertrumpfte sie den bisherigen tschechischen Juniorinnenrekord um sechs Sekunden und stellte ihn auf eine Zeit von 10:04,57 Minuten. Damit blieb zum vierten Mal bei den letzten fünf Titelkämpfen die Siegerzeit über zehn Minuten, nachdem sie zuvor viermal in Folge unter zehn Minuten blieb – verantwortlich waren damals etwa die heutigen Topläuferinnen Karoline Bjerkeli Grövdal mit zwei Titeln und Gesa Krause 2011.
Mit der Siegermedaille rettete Adia Budde, im letzten Jahr bei der U18-EM ebenfalls Silbermedaillengewinnerin, damals hinter ihrer Landsfrau Jolanda Kallabis, die auf die heurige Saison aus gesundheitlichen Gründen verzichten muss, die deutsche Ehre halbwegs, auch Julia Rath sorgte mit einer persönlichen Bestleistung und Rang vier dank einer starken Schlussrunde für ein gutes Ergebnis. Allerdings konnten beide das Ende der Serie von drei EM-Titel in der Altersklasse U20 in Folge durch Lisa Oed, Paula Schneiders und Olivia Gürth (heuer U23-Europameisterin) nicht verhindern. Die Bronzemedaille ging an Vasiliki Kalimogianni, die einen griechischen Juniorenrekord lief (10:08,44).
U20-EM 2023, Ergebnis 3.000m-Hindernislauf der Mädchen
Gold: Karolina Jarosova (Tschechien) 10:04,57 Minuten *
Silber: Adia Budde (Deutschland) 10:07,34 Minuten
Bronze: Vasiliki Kallimongianni (Griechenland) 10:08,44 Minuten **
4. Julia Rath (Deutschland) 10:21,38 Minuten ***
5. Mejra Mehmedovic (Serbien) 10:26,48 Minuten ***
6. Merve Karakaya (Türkei) 10:27,45 Minuten
7. Martyna Krawczynska (Polen) 10:27,55 Minuten
8. Mihaela Blaga (Rumänien) 10:28,31 Minuten
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DNF Carolin Hinrichs (Deutschland)
* neuer tschechischer Juniorinnenrekord
** neuer griechischer Juniorinnenrekord
*** neue persönliche Bestleistung
U20-Europameisterschaften 2023 in Jerusalem
European Athletics
Österreichischer Leichtathletik-Verband