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(Un)bewegte Mädchen-Jahre

Schön und schlank ist das Körperideal, das jugendlichen Mädchen vermittelt wird. Das erzeugt nicht nur enormen Druck, Selbstzweifel und fordert ungesundes Verhalten, sondern wirft auch die Frage auf, ob Gesundheit in diesem Selbstoptimierungswahn überhaupt eine Rolle spielt.

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Schön und schlank ist das Körperideal, das jugendlichen Mädchen vermittelt wird. Das erzeugt nicht nur enormen Druck, Selbstzweifel und fordert ungesundes Verhalten, sondern wirft auch die Frage auf, ob Gesundheit in diesem Selbstoptimierungswahn überhaupt eine Rolle spielt.

„Hauptsach gsund“, sagen die Eltern und blicken stolz auf das Neugeborene. „Hauptsach gsund“, diesen allbekannten Satz, sagen auch die Großeltern, die Verwandten und Bekannten am Anfang eines neuen Lebens. Die kleine Brust hebt und senkt sich bei jedem Atemzug. Das Herz des kleinen Mädchens schlägt. Ein Großteil der Kinder kommt gesund auf die Welt. Sie haben die Basis ein gesundes Leben zu führen. Ein komplexer Vorgang, ein perfektes Zusammenspiel aller Körperfunktionen machen es möglich. Ein Wunder der Natur in seiner Perfektion!

Die gesündesten Lebensjahre

Drei Jahre später flitzt das kleine Mädchen lachend über die Wiese. Es läuft, klettert, rutscht und springt vergnügt über den Spielplatz. Es dreht sich im Kreis. Es prustet, es schnauft, es schwitzt. Und ganz nebenbei verbessert es seine Ausdauer, kräftigt seine Muskeln, stärkt seine Knochen und fördert seine körperliche und mentale Gesundheit. Der große natürliche Bewegungsdrang von Kindern macht das Kindergartenalter zu den gesündesten Lebensjahren eines Menschen. Nicht nur kurzfristig, sondern langfristig wirkt sich diese Bewegung auf die Gesundheit aus. Eine aktive Kindheit ist das Fundament eines gesunden Lebens.

Drei Stunden Bewegung am Tag empfiehlt der Fonds Gesundes Österreich für die Drei- bis Sechs-jährigen. Ein gesundes Kind schafft das spielerisch. Kinder haben von Natur aus Spaß an der Bewegung und Freude an ihrem Körper. Vielmehr werden sie von ihrem Umfeld gebremst und eingeschränkt. Besonders Mädchen werden nach wie vor mit konventionellen Stereotypen konfrontiert, die ihre Freude an Bewegung hemmen.

Brave Mädchen toben nicht

Ruth Mayr vom Mädchenbeirat setzt sich für Empowerment von Mädchen ein und sieht in vielen Bereichen große Unterschiede, wie Verhalten in der Gesellschaft beurteilt wird: „Wenn Burschen toben, wird das häufiger akzeptiert, weil das als ihr Naturell angesehen wird. Wenn ein Mädchen sich so verhält, wird es oft als ungezogen angesehen. Von ihnen wird erwartet, dass sie brav und ruhig sind und sich nicht schmutzig machen“.

Das bleibt nicht ohne Auswirkung. Indem Mädchen dafür gelobt werden, dass sie stillsitzen und sich so wenig wie möglich bewegen, sprich „brav sind“, wird ihr natürlicher Bewegungsdrang reguliert. Obwohl Mädchen vor der Pubertät den gleichaltrigen Burschen körperlich nicht unterlegen sind, bewegen sie sich ab dem Schulalter deutlich weniger als ihre männlichen Altersgenossen. Das liegt mitunter daran, dass Mädchen seltener bei Sportvereinen aktiv sind oder zu Sportkursen angemeldet werden, ihnen körperlich weniger zugetraut und ihnen oftmals sportliche Freundinnen zum gemeinsamen Sporttreiben fehlen.

Bin ich richtig, wie ich bin?

Die Pubertät ist ein besonders einschneidender Lebensabschnitt im Leben eines Mädchens. Während der pubertäre Muskelzuwachs Burschen stärker und männlicher wirken lässt, führen die natürliche Gewichtszunahme und die körperlichen Rundungen dazu, dass Mädchen in dieser Phase häufig mit ihrem Körper unzufrieden sind, da er nicht dem weiblichen Schlankheitsideal entspricht.

In dieser sensiblen Phase, in der Mädchen ihren neuen Körper kennenlernen und sich mit ihm zurechtfinden müssen, werden sie permanent bewertet und mit Schönheitsidealen konfrontiert. Besonders Social Media und darin agierende Influencerinnen üben einen starken Einfluss und Druck auf junge Mädchen aus, indem sie ihnen eine inszenierte Scheinwelt als Ideal vermitteln. Dass Schlankheits- und Schönheitswahn wenig mit Gesundheit zu tun haben, zeigt das Beispiel der Fitness-Influencerin Sophia Thiel. Auf unzähligen perfekt inszenierten Fotos präsentierte die 26-jährige ihren schlanken, durchtrainierten Körper und propagierte ihren von Disziplin geprägten Lebensstil hin zur absoluten Selbstoptimierung. Bis sie schließlich untertauchte und nach langer Funkstille ihren Fans mitteilte, aufgrund einer Essstörung in Therapie gewesen zu sein.

Heiß genug fürs Podest

Bekannte Sportlerinnen könnten Mädchen als Vorbilder dienen, um das Bild der sportlichen Frau zu stärken und die Mädchen zu mehr Bewegung zu motivieren. Zahlreiche prominente Läuferinnen schöpfen dieses Potenzial bei Auftritten bei heimischen Laufevents aus. Doch auch Spitzensportlerinnen werden oft stark auf ihr Aussehen reduziert. Je attraktiver Sportlerinnen sind, desto mehr Follower haben sie auf Social Media, desto mehr Einnahmen bekommen sie von Sponsoren und Werbepartnern. Obwohl das nichts mit ihrer sportlichen Leistung zu tun hat, geht es bei dieser Selbstvermarktung um wichtige Einnahmequellen, die über die Existenz einer Sportlerin entscheiden können.

Es gibt attraktive Sportlerinnen, die ihre Selbstdarstellung perfektioniert haben und von diesem System profitieren. Die 400-Meter-Läuferin Alica Schmidt inszeniert sich auf Instagram wie ein Model. Egal ob im engen Sportoutfit auf der Laufbahn oder privat im engen Kleid, die 23-jährige deutsche Leichtathletin wirft sich top gestylt in sexy Posen. Allein auf Instagram folgen ihr 2,5 Millionen Fans. Das Boulevard-Blatt „The sun“ bejubelte sie als „The Sexiest Athlete in the World”.

Die Spielregeln sind klar: Eine Sportlerin soll nicht nur Leistung erbringen, sondern dabei gut aussehen. Sportlerinnen, die nicht dem Schönheitsideal der Gesellschaft oder ihrer Sportart entsprechen, bleiben dabei oft auf der Strecke. Dabei wäre die Botschaft für einen optimierten Lebensstil ihrer Fans eine andere: Bewegung ist für alle empfehlenswert.

Knappe Höschen als Hingucker

In vielen Sportarten ist es üblich, dass Frauen deutlich engere und kürzere Outfits tragen als Männer. Dabei geht es nicht um Funktionalität, sondern darum, dass Frauenbewerbe durch freizügige Kleidung attraktiver fürs Publikum werden. „In den Medien sieht man nach wie vor, dass bei Sportlern andere Bilder hergenommen werden als bei Sportlerinnen. Männer werden als cool und athletisch dargestellt, während Frauen auch beim Sport attraktiv sein müssen! Das führt dann dazu, dass Frauen top gestylt mit Make Up bei einem Wettkampf antreten, während bei Männern nur die sportliche Leistung zählt!“, beobachtet die Sportfotografin Jasmin Walter, die es sich selbst zum Ziel gemacht hat, Sportlerinnen genauso stark und athletisch zu präsentieren wie Sportler.

Für Jasmin Walter ist es ein Zeichen von Respekt und Professionalität auf voyeuristische Aufnahmen zu verzichten. „Wenn ich Sportlerinnen in teils sehr knappen Sportoutfits fotografiere, dann achte ich darauf, dass ich nicht ausgerechnet den Moment fotografiere, wo die Eiskunstläuferin einen Spagat macht und ihre Unterhose zu sehen ist, sondern drücke eine Millisekunde später ab, wo die Figur ebenso eindrucksvoll ist, aber die Sportlerin nicht mehr so entblößt ist“.

Besonders junge Mädchen in der Pubertät fühlen sich oft unwohl in sehr kurzer und knapper Kleidung Sport zu betreiben. Um ein Zeichen dafür zu setzen, dass Sportlerinnen die Kleidung wählen sollen, in der sie sich wohlfühlen, entschied sich die Kunstturnerin Sarah Voss heuer beim Auftakt der Kunstturn-Europameisterschaft für einen Overall mit langen Beinen.

Glücklich und gesund statt schön und schlank

„Hauptsach gsund!“, sagen wir am Anfang eines Lebens. Das kleine Mädchen war auf dem besten Weg ein gesundes Leben zu führen. Doch kaum ist der erste Lebensabschnitt vorbei, wird die Freude an Bewegung zerstört. Viele junge Mädchen sind mit ihrem Körper unzufrieden, haben eine negative Körperwahrnehmung und neigen zu ungesundem Verhalten wie Essstörungen. Um den eigenen Körper nicht anderen vorzuführen, ziehen sich viele jugendliche Mädchen aus der Sportwelt zurück. Laut HBSC-Bericht von 2018 betreiben nur zwei von zehn 17-jährigen Schülerinnen mindestens vier Mal die Woche Sport. Es kann angenommen werden, dass der Mangel an Bewegung bei Jugendlichen durch die Pandemie noch größer geworden ist.

Bewegung ist jedoch nicht optional, sondern essenziell für die menschliche Gesundheit. Regelmäßige Bewegung stärkt nicht nur Körper und Psyche, sondern auch das Selbstvertrauen und führt nachweislich zu einer positiven Körperwahrnehmung. Zweifelsohne ist das Laufen der richtige Weg – als effektivste Bewegungsform, diese Ziele zu erreichen.

Wir wünschen dem Mädchen, dass es in einer Welt heranwächst, in der nicht „schön und schlank“ die Maxime der Zeit sind und sein Äußeres und seine Figur nicht dauernd bewertet werden. Dass seine Natürlichkeit bewertet wird. Dass es von seinen Eltern, Großeltern und Bekannten dafür gelobt wird, wie schnell es laufen oder wie hoch es klettern kann, wie gesund seine roten Wangen aussehen und wie glücklich sein Strahlen. Das Mädchen soll nicht das Gefühl haben sich optimieren zu müssen, sondern sich richtig fühlen, so wie es ist.

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