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1.500, 5.000m, 10.000m und Marathon – Sifan Hassan steht bei den Olympischen Spielen in Startlisten von vier unterschiedlichen Disziplinen. Ist ein solches Pensum in so kurzer Zeit überhaupt mit den Ambitionen von Medaillengewinnen vereinbar? Es wäre jedenfalls ein Novum in der Olympischen Geschichte der Leichtathletik der Frauen, denn nur Sprinterinnen ist es mit Hilfe der Staffelbewerbe bisher gelungen, vier Medaillen bei ein und derselben Austragung der Olympischen Spielen zu gewinnen: Fanny Blankers-Koen (1948) und Florence Griffith-Joyner (1988).
Gold über 5.000m, Bronze über 1.500m, Gold über 10.000m – die Ausbeute Sifan Hassans von den Olympischen Spielen 2021 schenkte ihr einen Eintrag in die Geschichtsbücher der Leichtathletik als historische Besonderheit. Trotz des Mammutprogramms gelang ihr in drei Disziplinen der Sprung auf das Stockerl, auch wenn der Traum vom Triple nur zu zwei Drittel erfüllt wurde. Wer soll es ihr verdenken? Angesichts der Präsenz von Faith Kipyegon auf der Mittelstrecke.
Bei der WM in Budapest 2023 wiederholte sie dieses enorme Programm, kam zum Auftakt im Duell um Gold auf der Zielgerade des 10.000m-Laufs zu Sturz und musste sich über 1.500m (Bronze) und 5.000m (Silber) jeweils hinter dem kenianischen Mittelstreckenstar einordnen.
Ist es möglich, dass Sifan Hassan ihr Programm in Paris mit dem Marathon erweitert und sich damit Ziele setzt, die sogar das historische Gold-Triple des legendären Emil Zatopek 1952 in Helsinki überbieten würde? Das holländische Olympische Komitee hat in einer Aussendung noch einmal bestätigt, dass Hassan in vier Disziplinen gelistet ist. Die theoretische Möglichkeit ist gegeben, schließlich hat die Ausnahmeläuferin mit äthiopischen Wurzeln Fachleute schon öfters mit der Einschätzung „unmöglich“ eines Besseren belehrt. Realistischerweise wäre der Vierfachstart eine Überraschung und, verbunden mit der Ambition, viermal Gold zu holen, förmlich utopisch. Dafür sind Anforderungen des Programms zu schwierig und die (frischere) Konkurrenz sicherlich zu stark. Für die Holländerin spricht allerdings ihre Leistungspalette: Keine andere Athletin ist vom 800m-Lauf bis zum Marathon in durchgehend allen Disziplinen Weltklasse.
Distanz – persönliche Bestzeiten – Position in der ewigen europäischen Bestenliste
800m – 1:56,81 Minuten – Position 46
1.500m – 3:51,95 Minuten – Position 1
Meile – 4:12,33 Minuten – Position 1
3.000m – 8:18,49 Minuten – Position 1
5.000m – 14:13,42 Minuten – Position 1
10.000m – 29:06,82 Minuten – Position 1
Halbmarathon – 1:05:15 Stunden – Position 1
Marathon – 2:13:44 Stunden – Position 1
Die wohl entscheidende Frage ist, ob Sifan Hassan im Marathon an den Start geht. Dort hat sie keiner holländischen Athletin einen Startplatz weggenommen (und auch keiner internationalen, da alle Startplätze über das Direktlimit weggegangen sind), also könnte ihre Nominierung vom Verband auch provisorisch ausgesprochen sein. In den drei Bahndistanzen ist das anders. Auch da hat sie keiner Landsfrau einen Startplatz weggenommen, allerdings könnte sich nachher eine Läuferin, die über die Weltrangliste hineingerutscht wäre, über einen Startverzicht Hassans ärgern.
Gegen einen Start im Marathon könnte die relative Unerfahrenheit der Holländerin sprechen, die möglicherweise guten Chancen in einem Meisterschaftsrennen, das sehr selektiv ist, vielleicht dafür. Gegen den Marathon-Start spricht die Tatsache, dass jegliche Wettkampf-Anforderung in den Tagen zuvor keine gute Vorbereitung wäre. Selbst das Finale über 5.000m geht nur fünf Nächte vor dem Marathon über die Bühne, scheint aber die mit Abstand realistische Kombinationsmöglichkeit mit einem Marathon-Start.
Entscheidet sich Sifan Hassan gegen den Marathon-Start, ist die Wiederholung des Tokio-Triples denkbar, aber mit einer großen Herausforderung gegen Ende des Olympischen Programms versehen. Ein 5.000m-Start wäre dann aufgrund des Programms logisch, da sich diese Disziplin am ersten Wochenende konzentriert. Zwischen den Halbfinalläufen im 1.500m-Lauf und dem Finale im 10.000m-Lauf liegen gerade einmal 25 Stunden, zwischen dem 10.000m-Lauf und dem Finale im 1.500m-Lauf gar nur 23. Das wäre ein Programm, das zwangsläufig an den Helden der Olympischen Spiele von Paris 1924 erinnert, Paavo Nurmi (siehe den RunUp-Rückblick).
Falls sich Hassan das Mammutprogramm von drei Wettkampf-Distanzen antut, stellt sich die Frage der Erfolgschancen, die durch Mehrfachbelastungen im Einzelfall sinken könnten. Wenngleich die Holländerin schon häufiger fordernde Programme ohne erkennbare Einbrücke durchgelaufen ist und weder die Olympischen Spiele von Tokio noch die Weltmeisterschaften von Budapest wirkliche Indizien dafür liefern, dass Hassans Energie unter dem Programm merklich gelitten hätte.
Sie ist stark, zäh, ausdauernd und scheint sich rasch zu erholen. Beim Meeting in Portland Anfang Juni übte sie einen Doppelstart und gewann an einem Abend den 1.500m-Lauf und den 5.000m-Lauf, beide allerdings ohne ans Leistungslimit zu müssen. Anfang Juli war in Hengelo ein Doppel binnen 24 Stunden über 10.000m und 1.500m geplant. Hassan verzichtete auf den 10.000m-Start wegen starken Windes und wurde auf der Mittelstrecke nur Fünfte. Anschließend beruhigte sie ihre Fans in sozialen Netzwerken und schrieb von einem schlechten Tag.
Eine zweite, wohl bedeutendere Komponente ist die physische und psychischer Verfassung. Während Hassan eine tolle 2023er-Saison absolviert hat, mit Europarekord im 5.000m-Lauf sowie den beiden Medaillen bei der WM und dazu die fantastischen Triumphe bei ihren ersten beiden Marathons in London (Frühling) und Chicago (Herbst), ließen die Leistungen 2024 mit dem Messwert ihres eigenen Niveaus deutlich zu wünschen übrig. Weder beim Tokio Marathon, wo sie in einer respektablen Zeit von 2:18:05 Stunden immerhin Vierte wurde, noch bei ihren Bahn-Auftritten schloss die 31-Jährige zu Leistungen aus den Vorjahren auf. Sie entfachten keine Anzeichen, dass die Olympischen Spiele die Spiele der Sifan Hassan werden.
Geburtstag: 1. Jänner 1993
Nationalität: Niederlande (gebürtige Äthiopierin)
Persönliche Geschichte:
2008 flüchtete sie aus ihrer Heimat in die Niederlande, arbeitete dort als Pflegerin und begann mit dem Laufen. 2013 startete sie ihre erfolgreiche Karriere als niederländische Staatsbürgerin.
Olympische Erfolge:
🥇 (10.000m, 2021)
🥇 (5.000m, 2021)
🥉 (1.500m, 2021)
Autor: Thomas Kofler
Bild: Public Domain Pictures / Pixabay