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Bei Kilometer 35 schien alles vorbei: Sieben Läuferinnen liefen gemeinsam an der Spitze, Schulter an Schulter. Als Jemima Sumgong urplötzlich von einem Kontakt mit Aselefech Mergias an der Wade überrascht wurde und äußerst unsanft zu Boden fiel. Mergia konnte nicht…
Bei Kilometer 35 schien alles vorbei: Sieben Läuferinnen liefen gemeinsam an der Spitze, Schulter an Schulter. Als Jemima Sumgong urplötzlich von einem Kontakt mit Aselefech Mergias an der Wade überrascht wurde und äußerst unsanft zu Boden fiel. Mergia konnte nicht mehr ausweichen und fiel über ihre Konkurrentin drüber, auch Mary Keitany wurde ins Schlamassel mitgerissen. Es war jener unglückliche Moment, der den wichtigsten Frühjahrsmarathon der Damen mitentschied. Und es war jener Moment, der den Stoff für Heldinnen liefert. Denn die unerschrockene Jemima Sumgong rappelte sich auf, sprintete an die Spitzengruppe heran, wartete kurz und attackierte dann. „Ich habe den Willen, zu gewinnen nicht verloren. Der Sturz hat meinen Willen sogar bestärkt“, sollte die Kenianerin später sagen. Wer so einen Rückschlag auf derartig bewundernde Art und Weise übersteht, ist nicht mehr aufzuhalten. Und das war die 31-Jährige auch nicht mehr, obwohl Vorjahressiegerin Tigist Tufa bis zum Schluss alles gab, um die Kenianerin nicht aus den Augen zu verlieren. Nach 2:22:58 Stunden war der größte Triumph ihrer Karriere in trockenen Tüchern. Sumgong, die nicht zum Kreis der absoluten Favoritinnen gezählt hatte, hatte die versammelte Weltklasse besiegt und hält nun auch hinblicklich der Olympia-Nominierung der Kenianerinnen beste Karten in den Händen. „Es war ein sehr hartes und schmerzvolles Erlebnis. Ich habe alles gegeben und war für alles bereit“, zog Sumgong nach ihrem ersten Majors-Sieg ein erfreuliches Fazit.
Eine Siegerin, mit der sich nicht jeder freut
Dabei ist Jemima Sumgong nicht die unumstrittenste Marathonläuferin aus dem kritisch beäugten ostafrikanischen Land. Ihre Nähe zu Trainingspartnerin Rita Jeptoo, im Herbst 2014 der bis dato größte Dopingfall in der Geschichte des kenianischen Laufsports, und dem umstrittenen italienischen Trainer Claudio Berardelli war und ist vielen ein Dorn im Auge. Sie selbst hat auch keine blütenweiße Weste, auch wenn sie frei gesprochen wurde. Nach dem Boston Marathon 2012 hatte sie eine positive Dopingprobe auf das Kortison-Präparat Prednisolon abgegeben, eine ausgesprochene, zweijährige Sperre wurde aufgehoben, weil die Injektion medizinisch indiziert war. Beim Chicago Marathon 2013 lief Sumgong ihre persönliche Bestleistung von 2:20:48 Stunden, ein Jahr später verpasste sie den Sieg beim New York City Marathon ausgerechnet im Duell mit „Sturzpartnerin“ Mary Keitany nur hauchdünn.
Klassisches Ausscheidungsrennen
Von Beginn an entwickelte sich ein hochspannendes Rennen mit einer Hand voll Favoritinnen, denen das Attribut „Weltklasse“ zurecht attestiert werden muss. Ein Ausscheidungsrennen der prickelnden Art bei einem vernünftigen Tempo ließ die Frage nach der Siegerin bis zum Schluss offen. Die kenianischen Pacemakerinnen Angela Tanui und Helah Kiprop, ihres Zeichens Siegerin des Tokio Marathon, führten das Feld in einer Zeit von 1:10:45 Stunden über die Halbmarathon-Zwischenzeit. Bei Kilometer 30 waren immer noch sieben Athletinnen an der Spitze: Neben der späteren Siegerin und Titelverteidigerin Tigist Tufa waren dies die Kenianerinnen Florence Kiplagat und Mary Keitany sowie die Äthiopierinnen Mare Dibaba, Feyse Tadese und Aselefech Mergia. Die einzige, die zu diesem Zeitpunkt bereits fehlte, war Priscah Jeptoo, Siegerin von 2013.
Die Folgen des Sturzes
Das Finale wurde bei Kilometer 35 eröffnet. Und es war nicht die Läuferin, die den Sturz auslöste, sondern die Favoritin, die am meisten unter dieser unglücklichen Situation litt. Mary Keitany, die sich zuvor stets am Ende des Feldes aufhielt und damit zumindest das Risiko unvorhersehbarer Situationen akzeptierte, kam nach diesem – wie man im Motorsport sagen würde – „Rennunfall“ nicht mehr in ihren Rhythmus und wurde bis auf Rang neun durchgereicht. Es ist ihr schlechtestes Marathon-Ergebnis seit Menschengedenken. Den Kontakt zur Spitzengruppe konnte auch Aselefech Mergia nicht mehr herstellen, am Ende überholte sie noch Weltmeisterin Mare Dibaba, der der Sprit im Finale komplett ausging, und wurde Fünfte. Wie sauber Mergias Aktion war, ist aus den TV-Bildern schwer zu beurteilen, wäre sie weiter vorne gelandet, hätte dies sicherlich Diskussionen zur Folge gehabt.
Kiplagat auf dem Podest
Lange Zeit machte Chicago-Siegerin Florence Kiplagat den optisch besten Eindruck. Doch als Überraschungssiegerin Jemima Sumgong ihr Tempo forcierte, konnte einzig Tigist Tufa mitgehen. Die Äthiopierin bewies mit ihrem Auftritt, dass ihr Vorjahressieg nicht dem Zufall entspross. Sie kämpfte vorbildlich, doch es reichte nicht ganz für eine erfolgreiche Titelverteidigung. „Ich bin zufrieden mit meiner Zeit. Die Zuschauer haben mich sehr unterstützt“, so die Äthiopierin. Kiplagat lief nach einer Zeit von 2:23:39 Stunden über die Ziellinie und muss weiterhin auf ihren ersten Sieg beim London Marathon warten. „Ich wollte zwar ein besseres Ergebnis, aber ich bin besser gelaufen als im letzten Jahr“, zeigte die 28-Jährige gemischte Gefühle.
Sensation durch Mazuronak
Jemima Sumgong war die eine Überraschung des Rennens, die große Sensation war jedoch die Weißrussin Volha Mazuronak, die bereits im vergangenen Jahr einen starken London Marathon absolviert hatte. Aber nichts im Vergleich zu heuer. In einer Zeit von 2:23:54 Stunden markierte sie eine neue europäische Jahresbestleistung und verpasste das Podest als Vierte nur um 16 Sekunden. Absurd war dabei die Art und Weise, wie dieses Resultat zustande gekommen war. Denn je länger der Marathon dauerte, desto schneller wurde die 27-Jährige, die die zweite Marathonhälfte um zwei Minuten und 44 Sekunden schneller absolvierte als die erste! Beim Halbmarathon lag die Weißrussin über zweieinhalb Minuten hinter der Spitze, ehe die Aufholjagd langsam ihren Anfang nahm. Der Zeitensprung kam dann just, als sich vorne die Entscheidung anbahnte: Zwischen Kilometer 30 und Kilometer 35 nahm Mazuronak der Spitze eine Minute ab und lag plötzlich nur noch 31 Sekunden hinter der Führungsgruppe. Hätte Sumgong vorne nicht beschleunigt, wer weiß, welches Ende diese wundersame zweite Marathonhälfte genommen hätte…
Als zweite Europäerin schaffte die Portugiesin Jessica Augusto den Sprung in die Top Ten. Die US-Amerikanerin Sara Hall belegte mit einer neuen persönlichen Bestleistung von 2:30:06 Stunden Rang zwölf hinter der Polin Katarzyna Kowalska. Als beste Britin überquerte Alyson Dixon die Ziellinie auf Rang 13.
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