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Vorschau 1.500m-Finale der Männer: Der Traum vom Familien-Triple
Gjert Ingebrigtsen hat in den Tagen von Berlin alle Hände voll zu tun. Mehr noch, als im restlichen Jahr. Es ist schon eine absolute Seltenheit, dass ein Coach bei einem EM-Finale gleich drei Athleten zu betreuen hat. Einzigartig ist, dass…
Gjert Ingebrigtsen hat in den Tagen von Berlin alle Hände voll zu tun. Mehr noch, als im restlichen Jahr. Es ist schon eine absolute Seltenheit, dass ein Coach bei einem EM-Finale gleich drei Athleten zu betreuen hat. Einzigartig ist, dass alle drei einer Familie angehören. Seiner. Der 51-Jährige ist seit einigen Jahren der erfolgreichste Leichtathletik-Coach Norwegens. Einer Nation, die aktuell in der Olympischen Kernsportart dank einiger hoch talentierter junger Sportler am aufsteigenden Ast ist wie keine andere europäische. Jene Sportnation, die trotz ihrer Bevölkerungskapazität von etwas mehr als fünf Millionen Menschen jährlich mit irren Erfolgen in der internationalen Sportwelt verblüfft. Nicht nur im Wintersport, dafür sind die Ingebrigtsens das beste Beispiel. Auch sie profitieren von der unheimlichen Kompetenz des norwegischen Sport in Ausdauersportarten.
Bewerb: 1.500m-Lauf der Herren Startzeit: Freitag, 10. August um 21:50 Uhr Titelverteidiger: Filip Ingebrigtsen (Norwegen) Rekord-Europameister: Steve Cram (Großbritannien) und Mehdi Baala (Frankreich) (je zwei EM-Titel) Erfolgreichste Nation: Großbritannien (sieben EM-Titel) EM-Rekord: Fermin Cacho (Spanien) 3:35,27 Minuten (Helsinki 1994) Europäische Jahresbestleistung: Filip Ingebrigtsen (Norwegen) 3:30,01 Minuten (Monaco, 20. Juli)
Für das Finale über 1.500m am Freitagabend – einen Tag bevor seine Jungs ins Finale über 5.000m gehen werden – hat Gjert Ingebrigtsen einen Traum. Eins, zwei und drei. Und in der Tat sind die Chancen auf dem Papier auf einen innenfamiliären Dreifachsieg durchaus intakt. Filip und Jakob führen nach ihren grandiosen Auftritten beim Diamond-League-Meeting in Monaco die europäische Bestenliste an. Der Titelverteidiger und sein erst 17 Jahre alter Bruder sind die besten Mittelstreckenläufer im Feld. Nur der älteste der drei, der 27-jährige Henrik, bereits Familienvater, war zuletzt auf den 1.500m nicht so stark, zumal er sich mittlerweile verstärkt den 5.000m widmet. Wie man in EM-Finals unter die besten Drei kommt, weiß der Europameister von 2012 genau. Er hat in den letzten Jahren einen kompletten Medaillensatz gesammelt.
Die Leistungen der Ingebrigtsens werden in Norwegen naturgemäß verherrlicht, international aufgrund der Außergewöhnlichkeit mitunter auch kritisch beobachtet. Jakobs Talent und dessen Auswirkungen in jungen Jahren auf der internationalen Wettkampfbühne sind einzigartig. In ihm stecken die Hoffnungen des europäischen Laufsports, dem afrikanischen zukünftig Paroli zu bieten. Filip hat als einziger bereits eine Medaille auf globalem Niveau gewonnen (WM-Bronze 2017). Kritische Beobachter stoßen sich aber auch auf den Namen Henrik Ingebrigtsen, der 2017 auf einem von Fancy Bears gehackten IAAF-Dokument aufgetaucht ist. Konkreten Dopingverdacht gibt es aber keinen. „Er wurde so oft getestet. Oft war er der einzige Nicht-Afrikaner in Starterfeldern und er wurde als einziger getestet“, hält sein Vater dagegen.
Verwurzelt in Sandnes
Die Familie Ingebrigtsen ist längst der ganze Stolz der Kleinstadt Sandnes an der Südwestspitze Norwegens. Sandnes ist die Fahrradstadt Norwegens und beheimatet das größte Einkaufszentrum des Landes. Die Sandnes Sparebank hat dem Trio eine Finanzspritze von 1,8 Millionen Norwegischen Kronen (das entspricht knapp 190.000 Euro) einfach geschenkt. Einzige Bedingung: Die Ingebrigtsens müssen verstärkt in Sandnes und der Umgebung trainieren. Der Werbeeffekt wirkt. Und so haben die Ingebrigtsens ihren Trainingsmittelpunkt zu Hause aufgeschlagen und fliegen fast pausenlos zu Wettkämpfen. Es ist erstaunlich, wie viele Meetings vor allen Dingen Filip und Jakob in den letzten Monaten bestritten haben. Müdigkeit ist bei keinem der beiden erkennbar. Filip lief im Vorlauf locker-leicht eine Lücke von rund 30 Metern zu, die nach einem Sturz entstanden ist. Alleine diese Aktion hievt ihn in die Favoritenrolle für das Finale. Mit dem jüngeren Bruder, dem Vater Gjert schon vor drei Jahren das größte Talent zugeschrieben hat, als härtestem Kontrahenten im Nacken. Gewinnt Jakob, frisch gebackener Vize-Weltmeister in der Juniorenklasse, hätten alle drei Ingebrigtsens in linearer Reihenfolge einen EM-Titel im 1.500m-Lauf gewonnen. Klappt es heuer nicht, ist es aber nur eine Frage der Zeit.
Ob Trainervater Gjert ingebrigtsen mit seiner beruflichen Belastung bei der EM 2018 bereits an seinem Maximum ist, ist übrigens auch fraglich. Tochter Ingrid soll nämlich – wem wundert’s – mit besonderen Lauf-Genen ausgestattet sein. Vor einigen Jahren wurden ähnliche Meldungen über Jakob noch lächelnd in die Gerüchte-Schublade geschoben…
Starkes Trio aus Großbritannien
Auch wenn es in der öffentlichen Betrachtung anders wirkt, es gibt auch noch neun Finalteilnehmer, die nicht den Namen Ingebrigtsen tragen. Die Konkurrenz wird angeführt von einem starken britischen Trio – Jake Wightman, Chris O’Hare, Bronzemedaillengewinner von 2014, und Charlie Grice sowie dem polnischen Hallen-Europameister Marcin Lewandowski. Sie sind die aussichtsreichsten Läufer im Feld, die einen norwegischen Dreifachsieg verhindern könnten. Alle drei liegen in der europäischen Jahresbestenliste immerhin vor Henrik. Großbritannien, das Land der Mittelstreckenläufer, hat nach der Ära Sebastian Coe, Steve Cram und Steve Ovett nur eine einzige EM-Medaille auf der „metrischen Meile“ geholt!
Das Berliner Heimpublikum hofft auf Homiyu Tesfaye, der einen guten Vorlauf zeigte, seine Tauglichkeit für Edelmetall aber erst nachweisen muss. Landsmann Timo Benitz wird auf seinen schnellen Endspurt vertrauen, eine Top-Platzierung wäre allerdings eine Überraschung. Weitere Außenseiter im 13 Läufer umfassenden Feld sind die Italiener Joao Bussotti Neves und Mohad Abdikadar Sheikh, der Belgier Ismael Debjani und der Litauer Simas Bertasius. Debjani und Abdikadar Shekih hatten im Vorlauf die exakt gleiche Zeit erzielt, um sich für den letzten Platz über die Zeitregel zu bewerben, worauf European Athletics sich entschieden hatte, beide ins Finale zu nehmen. Glück für den Italiener, der einige Tausendstelsekunden langsamer war.
Was auffällt: Kein Spanier hat den Sprung ins Finale gesorgt, dabei gewann Spanien bei sieben der letzten acht Europameisterschaften im 1.500m-Lauf mindestens eine Medaille. Der Tscheche Jakub Holusa, der zum Favoritenkreis auf die Medaillen gezählt hatte, landete im Vorlauf einen gewaltigen Flop und muss ebenfalls zuschauen.
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