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Vorschau, 10.000m der Männer: Ringers Hoffnung und die türkischen Fragezeichen
Die Heim-Europameisterschaften in Berlin vor den Augen hat Richard Ringer eine Karriere weisende Entscheidung getroffen. Der 29-Jährige hat seinen Teilzeit-Job in Friedrichshafen gekündigt, um sich vorübergehend mit vollster Konzentration auf den Sport konzentrieren zu können. Höhere Trainingsumfänge, längere Trainingslager und…
Die Heim-Europameisterschaften in Berlin vor den Augen hat Richard Ringer eine Karriere weisende Entscheidung getroffen. Der 29-Jährige hat seinen Teilzeit-Job in Friedrichshafen gekündigt, um sich vorübergehend mit vollster Konzentration auf den Sport konzentrieren zu können. Höhere Trainingsumfänge, längere Trainingslager und variablere Trainingsgestaltung sollten die Basis einer erfolgreichen Heim-EM für den wohl aussichtsreichsten Läufer im Aufgebot des DLV bilden. Für dieses Ziel hat der EM-Dritte von 2016 im 5.000m-Lauf seinen Horizont erweitert und die 10.000m ins Programm genommen. Der erste Lohn der Neuausrichtung: Sieg beim Europacup in London mit der aktuellen, europäischen Jahresbestleistung von 27:36,52 Minuten, die ihn in der Tat in den Kreis der Favoriten hievt. Nachdem Mo Farah, der die letzten beiden Europameisterschaften in nicht-olympischen Jahren beherrscht hat, seine Bahnkarriere beendet hat, ist die erste Laufentscheidung im Rahmen der 24. Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin eine ziemlich offene Angelegenheit mit vielen Medaillenanwärtern und einigen türkischen Fragezeichen.
Bewerb: 10.000m-Lauf der Männer Startzeit: Dienstag, 7. August um 20:20 Uhr Titelverteidiger: Polat Kemboi Arikan (Türkei) Rekord-Europameister: Polat Kemboi Arikan (Türkei), Mo Farah (Großbritannien), Jürgen Haase (DDR), Emil Zatopek (Tschechoslowakei), Ilmari Salminen (Finnland) (je zwei Titel) Erfolgreichste Nation: Finnland (fünf EM-Titel) EM-Rekord: Martti Vainio (Finnland) 27:30,99 Minuten (Prag 1978) Europäische Jahresbestleistung 2018: Richard Ringer (Deutschland) 27:36,52 Minuten (London, 19. Mai)
Bereits im November 2017 spekulierte Richard Ringer im exklusiven RunAustria-Interview damit, dass die Konkurrenzsituation im 10.000m-Lauf in Berlin einfacher sein könnte als über seine Spezialdistanz, dem 5.000m-Lauf und erwog zu diesem Zeitpunkt sogar eine absolute Fokussierung auf die längere der beiden Distanzen. Wie immer vor internationalen Meisterschaften ist eine Einschätzung vor den 10.000m-Finals schwierig, weil Vorleistungen überwiegend rar sind und auf 25 Runden, speziell bei der zu erwartenden Hitze, viel passieren kann. Einen klaren Favoriten gibt es nicht, Richard Ringer zählt im Gegensatz zu seinen deutschen Landsleuten Amanal Petros und Sebastian Hendel zum Anwärterkreis auf Edelmetall. In den letzten Wochen lief es für den 29-Jährigen allerdings nicht nach Wunsch, denn nach seinem Sieg beim Europacup in London gelang ihm kein sehr guter 5.000m-Lauf. Überhaupt hielten sich Wettkampfstarts zu Gunsten harter Trainingsarbeit lange Zeit in Grenzen, in den letzten Wochen hatte seine Absenz aber gesundheitliche Gründe. Inwiefern seine Erkrankung im Vorfeld seine Leistungsfähigkeit in Berlin beeinträchtigt, wird sich zeigen. Ideal war der Zeitpunkt sicherlich nicht.
Schwere Saison für Mechaal
Obwohl einige hochkarätige Marathonläufer wie Sondre Nordstad Moen oder Arne Gabius aus unterschiedlichen Gründen nicht am Start sind, werden sich am Dienstagabend 32 Läufer auf der Bahn im Berliner Olympiastadion tummeln. Dass das Feld auf eine gute Qualität aufweist, dafür sind mitunter einige Läufer verantwortlich, die von kürzeren Distanzen aufgestiegen sind. Neben Richard Ringer ist das vor allen Dingen der Spanier Adel Mechaal, der vor einem Jahr im 1.500m-Lauf als sensationeller Vierter noch haarscharf an einer WM-Medaille vorbeigeschrammt ist. 2016 war er zeitgleich mit Ringer Silbermedaillengewinner, der damalige Sieger Ilias Fifa ist aufgrund einer Suspendierung wegen Handels mit verbotenen Medikamenten nicht in Berlin.
Mechaal, der in Marokko geboren ist, ist einer der stärksten Läufer Europas und daher zum Favoritenkreis zu zählen. Die Outdoor-Saison des 27-Jährigen, nachdem er im Winter mit Rang zwei bei den Crosslauf-Europameisterschaften und Platz fünf bei den Hallen-Weltmeisterschaften (3.000m) überzeugen konnte, war allerdings bisher eine für die sprichwörtliche Tonne. Im 1.500m-Lauf lief er hinterher und im 5.000m-Lauf schaffte er auf dem letzten Drücker überhaupt das EM-Limit. Vielleicht bringt der Start über 10.000m, wo er dank Rang vier beim Europacup die Nummer fünf der Europäischen Jahresliste ist, frischen Wind in eine Saison, in der mächtig Sand im Getriebe steckt.
Türkische Fragezeichen
In den letzten Jahren war der europäische Laufsport auf den langen Strecken türkisch gefärbt – dank Nationentransfers aus der Türkei. Polat Kemboi Arikan gewann zwei EM-Titel, Kaan Kigen Özbilen war in Amsterdam Silbermedaillengewinner im Halbmarathon und gewann den Crosslauf-EM-Titel 2017. Der dritte Türke im Feld, Aras Kaya ist wohl nicht stark genug, um um die ersten Plätze mitlaufen zu können. Abgesehen davon, dass Arikan und Özbilen ihre Klasse bereits unter Beweis gestellt haben und daher zum Kreis der Medaillenanwärter zählen müssen, ist eine Einschätzung schwierig. Das Problem: die kenianischen Türken glänzen auf der internationalen Wettkampfbühne durch Abwesenheit. Für solche Fälle wird die neue IAAF-Weltrangliste als Qualifikationsgrundlage für Titelkämpfe ein Segen…
Arikan lief zumindest einmal unter 28 Minuten, startete im Frühjahr bei zwei Halbmarathons und erzielte passable Ergebnisse. Rang zehn bei den Mittelmeerspielen im 5.000m-Lauf irritierte jedoch etwas. Damit war Arikan aber bei weitem der wettkampf-fleißigste des türkischen Trios. Özbilens einziger internationaler Start war ein unterdurchschnittlicher Auftritt bei einem Meeting im französischen Montreuil über 5.000m. Dafür zeigte er zwei starke Halbmarathons mit Rang drei in Istanbul und Rang neun bei den Weltmeisterschaften in Valencia. Der 32-Jährige hat die mit Abstand schnellste persönliche Bestleistung im Feld.
Bahn-Abschied für Abdi
Mit sehr guten Vorleistungen sind Morad Amdouni aus Frankreich, Zweiter beim Europacup in London, der Belgier Soufiane Bouchikhi, der in Palo Alto Zweiter wurde, und der junge Italiener Yemaneberhan Crippa nach Berlin gereist. Die Briten Andy Vernon, Chris Thomspon und der erst 20 Jahre alte Alexander Yee gehören bei der ersten EM nach Mo Farah zu den Außenseitern auf eine Top-3-Platzierung. Der Schweizer Julien Wanders konnte seine hervorragenden Straßenlauf-Leistungen im Winter, die in einem achten Platz bei der Halbmarathon-WM in Valencia gekrönt wurden, nicht vollständig in die Bahnsaison retten. Der Belgier Bashir Abdi, EM-Vierter vor sechs Jahren, feiert in Berlin seinen Abschied von der Bahn, um nach einem viel versprechenden Marathon-Debüt in Rotterdam seinen Fokus ganz auf den Straßenlauf zu legen.
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