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Wie Frauen laufen: Ein historischer Rückblick

Immer mehr Frauen finden zum Laufsport und beleben die Szene – dennoch sind auf dem Weg zur Gleichstellung noch viele Schritte zu gehen. Ein Streifzug durch die Geschichte.
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Immer mehr Frauen finden zum Laufsport und beleben die Szene – dennoch sind auf dem Weg zur Gleichstellung noch viele Schritte zu gehen. Die großen, entscheidenden sind in der Vergangenheit passiert. Heute legendäre Pionierinnen haben mit ihrem Mut und Einsatz Meilensteine gesetzt. RunUp.eu wirft einen Blick zurück.

Ich stehe in meinem Startblock beim Salzburg Marathon. Das Startfeld ist bunt gemischt – Männer, Frauen, Jung und Alt treffen aufeinander, geben sich letzte Tipps, motivieren sich gegenseitig. Die Energie lässt den Boden förmlich beben. Was macht diese unvergleichliche Stimmung aus? Ich komme zum Schluss, dass das zugrundeliegende Geheimnis im Gefühl der Gleichrangigkeit und der gemeinsamen Herausforderung wurzelt. Egal welches Geschlecht, egal welches Alter, jede Läuferin ist gleich vor den Augen des jeweiligen Bewerbs und der Zeitnehmung. Dieser Umstand ist für mich, 1993 geboren, Normalzustand.

Der Mut, die Regeln neu zu definieren

Tatsächlich steckt hinter einem gemischten Starterinnenfeld eine lange Geschichte und der unerschütterliche Mut zahlreicher Läuferinnen. Noch 1966 musste sich Roberta Louise „Bobbi“ Gibb anhören, Frauen seien nicht in der Lage, die Marathondistanz zurückzulegen und ihren abgelehnten Antrag auf Teilnahme am Boston Marathon entgegennehmen. Die damals 23-Jährige ließ sich davon aber nicht von ihrem Ziel abhalten. Sie mischte sich ohne Startnummer unter die Läufer und legte eine Zeit von 3:21:40 hin, eine Zeit, von der nicht nur viele Frauen, sondern auch Männer träumen.

Der 20-jährigen Kathrine Switzer gelang dieser Streich 1967 mit offizieller Startnummer für Männer unter Angabe eines Kürzels ihres Namens und einer Verkleidung mit Wollmütze und dickem Trainingsanzug. Zwei Begleiter mussten den aufgebrachten Rennleiter davon abhalten, sie zu attackieren und ihr die Startnummer zu entreißen. Ihr Bestreben, etwas in der Denkweise der Gesellschaft über Frauen zu verändern, hat Früchte getragen. Seit 1972 sind Frauen beim (Boston) Marathon startberechtigt.

Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang der deutsche Sportarzt und Trainer Ernst von Aaken, der 1967 in Waldniel einen Marathon organisierte, bei dem er auch zwei Läuferinnen offiziell starten ließ, um zu beweisen, dass Frauen sehr wohl in der Lage dazu sind, diese Distanz zu bestreiten. Das Ergebnis gab ihm Recht und der 1973 von ihm organisierte Frauen-Marathon kann als Meilenstein gelten.

RunUp.eu-Lesetipp: Wie Frauen laufen, Teil eins
RunUp.eu-Lesetipp: Wie Frauen laufen, Teil zwei

Langwierige Angleichungsprozesse

In vielen gesellschaftlichen Themen befinden wir uns heute, 50 Jahre später, immer noch auf der Reise zur Gleichstellung, man denke etwa an den Gender-Pay-Gap. Wie sieht es damit im Laufsport aus? Gibt es auch hier noch einen Gender-Gap, der sich auf die (lauf)sportlichen Möglichkeiten bezieht?

Diese Frage lässt sich relativ einfach beantworten. Ja, den gibt es. Natürlich gibt es in der globalen Laufcommunity Länder, in denen dieser kleiner ist als in anderen. Noch 2017 wäre es einer Frau beispielsweise nicht möglich gewesen, am Marathon in Teheran teilzunehmen. Man hätte sie auf die 10K-Indoor-Strecke, woman only, verwiesen. Auch bei diesem Event waren wieder mutige Läuferinnen am Start, die trotz allem die volle Distanz im Freien absolvierten, vor dem offiziellen Start. Durch ihren Einsatz, das unermüdliche Bestreben des Leiters des Start­ups „I Run Iran“, Sebastian Straaten, und internationales Feedback waren 2019 bei dem als „Persian Gulf Marathon“ bezeichneten Event auch Frauen zugelassen – anstatt des Slogans „real men run Iran“ findet sich nun „be the first to run Iran“ sowie der Zusatz „first female international marathon of Iran“ in der Beschreibung.

Organisationen wie die NGO Free to Run oder 261 fearless, gegründet von Kathrine Switzer, setzen sich nach wie vor hartnäckig unter anderem für die Sicherheit und Gleichberechtigung von Frauen im (Lauf)sport ein. Während sich im Iran erste erfreuliche Entwicklungen zeigten, war Free to Run gezwungen, die Zelte in Afghanistan abzubrechen und während noch 2019 der Marathon in Afghanistan Männern und Frauen zugänglich war, findet sich auf der Website nun folgende Information: „Our website is largely paused, and we see no way to stage an inclusive event in 2022“.

Neun bedeutende Pionier*innen

Noch keine Augenhöhe

Gleichberechtigung beschränkt sich aber nicht nur auf den Umstand, dass es Menschen unabhängig vom Geschlecht möglich ist, an denselben Events teilzunehmen. Ob eine Gleichstellung erreicht ist, lässt sich auch anhand der Wahrnehmung der Sportlerinnen sowie in der Sichtbarkeit dieser überprüfen. Im Zuge der Studie „Genderbalance in der Sportberichterstattung“, durchgeführt von exploristas gemeinsam mit RTR und „100% Sport“, wurden österreichische Tageszeitungen sowie Webportale und die Berichterstattung im ORF ausgewertet.

Die Ergebnisse zeichnen ein deutliches Bild: 88% der Sportberichterstattung ist Sportlern gewidmet, damit sind Sportlerinnen mit den verbleibenden 12% deutlich unterrepräsentiert. 3,5-mal häufiger als Sportler werden Frauen in Posen ohne direkten Sportbezug gezeigt. 8-mal häufiger werden Sportlerinnen sexualisiert dargestellt und 13-mal häufiger trivialisiert, damit sind etwa Verniedlichungen gemeint. Ziel der Studie ist es, wie betont wird, nicht, Medien anzukreiden, sondern aufzuzeigen, dass Handlungsbedarf besteht. Auch, wenn sich die Daten nicht allein auf den Laufsport beschränken, können diese Tendenzen definitiv festgehalten werden. Der Schluss drängt sich auf, dass eine Gleichstellung noch nicht als erreicht gelten kann. Warum aber ist eine solche gerade auch im sportlichen Bereich so wichtig?

Vorbildfunktion Sport

Sport ist immer Ausdruck von Freiheit und stellt einen wesentlichen Teil unserer Gesellschaft dar. Der Sportbereich sendet wichtige Signale, er hat unbestrittene Relevanz, er zeigt und eröffnet Perspektiven. Es ist wichtig, erfahren zu können, dass man mit Konsequenz selbst gesteckte Ziele erreichen kann, es ist wichtig, sich als selbstwirksam zu erleben – das ist nur ein Bruchteil dessen, was Sport möglich macht. Ist ein fairer Zugang erreicht, ist es ebenso wichtig, Sportler und Sportlerinnen gleichfalls sichtbar zu machen.

Aufgrund seiner Geschichte war der Laufsport viele Jahre lang männerdominiert. Heute ist das aber nicht mehr der Fall und das muss nach außen getragen werden. Die ernstzunehmende Repräsentation von Sportlerinnen ist unerlässlich, um Frauen sportliche Vorbilder zu ermöglichen, ihnen zu zeigen, was möglich ist, Identifikationen zuzulassen. Die Sexualisierung und Trivialisierung von Frauen im (Lauf)sport erhält ein höchst problematisches Rollenbild am Leben, das keine Daseinsberechtigung hat. Wirft man einen Blick auf die Geschlechterverteilung bei Wettbewerben lässt sich feststellen, dass beispielsweise beim Berlin Marathon im Jahr 2015 rund 25% Frauen an den Start gingen, im Jahr 2019 waren bereits 30% der Finisher weiblich.

Nachdem Lauf­events aufgrund der Corona-Pandemie einige Zeit auf Eis gelegt waren, freut man sich jetzt umso mehr über das Wiederaufleben. Auffällig ist jedoch, dass 2021 der Anteil der Frauen im Ziel wieder rückläufig bei rund 27% lag. Die Tatsache, dass sich die steigende Tendenz unterbrochen findet, muss zum Nachdenken anregen. Die Corona-Pandemie hat uns allen viel abverlangt, fest steht jedoch, dass vor allem auch Frauen unter der Krise gelitten haben. Neben Homeoffice, Kinderbetreuung, Homeschooling und all den neuen Herausforderungen noch Zeit und Energie für Sport zu finden, war vielen nicht möglich. Umso mehr bedarf es der Wertschätzung, der Motivation, der Ermunterung und der starken Vorbilder, um nun wieder einzusteigen.

Schritt für Schritt zum Ziel

Ein Grund dafür, dass in den genannten Beispielen die Männerquote deutlich höher ist als die Frauenquote, was stellvertretend für die Verteilung bei vielen Events steht, könnte darin fußen, dass Männer häufig aus anderen Beweggründen laufen als Frauen. Der Leistungs- und Konkurrenzgedanke ist laut Umfragen bei Läufern zentral, wohingegen Frauen oftmals in ihrer Komfortzone bleiben, für sich laufen, um abzuschalten, den Kopf freizubekommen oder ihre Figur zu formen.

In einem gleichrangingen Austausch profitieren sowohl Läufer als auch Läuferinnen. Natürlich lässt sich dies nicht pauschalisieren, auch viele Frauen treibt der Ehrgeiz an, vermehrt können aber Männer von Frauen lernen, das ein oder andere Mal ohne Sportuhr laufen zu gehen, achtsame Läufe einzubauen, den Leistungsgedanken hin und wieder hintenanzustellen, wohingegen Frauen sich von Männern abschauen können, sich mehr zuzutrauen, Neues auszuprobieren, Komfortzonen zu verlassen. Bei einem Austausch auf Augenhöhe beginnt Gleichstellung.

Bei meinem Marathon ist der Startschuss gefallen. Ich laufe euphorisiert los und genieße die einzigartige Stimmung. Für mich gilt nun dasselbe wie für die Mission Gleichberechtigung: Schritt für Schritt ins Ziel.

Anmerkung: Dieser Artikel erschien in der RunUp-Hauptausgabe Herbst/Winter 2022.

Autorin: Lina Unteregger
Bild: Alexander Schwarz

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