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Wie Frauen laufen: Hemmende Sorgenfalten

Wissenschaftliche Erkenntnisse beschreiben, dass ein Großteil der Läuferinnen Erfahrungen mit Belästigungen macht. Das gefährdet die Lauffreude von Frauen.
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Auch wenn der Prozess der Gleichstellung von Frau und Mann im Freizeitsport große Fortschritte gemacht hat, ist der Punkt der Gleichheit, den Frauen zweifelsohne verdienen würden und die der Gegenwart in unseren Breiten angemessen wäre, noch nicht erreicht. Dabei sind Frauen sogar genetisch bevorzugt, leichter und schneller von den gesundheitlichen Auswirkungen des Laufens zu profitieren (siehe RunUp-Artikel). Doch die gesellschaftliche Realität zeigt, dass Läuferinnen es manchmal nicht einfach haben und ein gewisses Unwohlsein immer über dem Laufschritt schwebt. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse belegen dies.

Alle paar Jahre ermittelt die Statistik Austria im Rahmen der Gesundheitsumfrage in der Bevölkerung auch das Aktivitätsverhalten und vergleicht dies mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die WHO schätzt 150 Minuten moderater bis intensiver Ausdaueraktivität sowie zwei Einheiten Muskelkräftigungsübungen pro Woche als gesundheitsfördernd ein. Die aktuellsten Daten sind leider schon ein paar Jahre alt (2019), doch sie führten zu zwei wichtigen Ergebnissen. Erstens nahm die Anzahl derer, die die WHO-Empfehlungen erfüllen, im Vergleich zu 2014 ab. Zweitens: In allen Altersklassen außer der Altersklasse 60-64 war der Anteil der Frauen kleiner als jener der Männer.

Ein Drittel ist im Laufschritt

In Umfragen laufen Frauen und Männer nicht exakt, aber ungefähr gleich viel. Laut einer Studie des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft aus dem Jahr 2020 läuft rund ein Drittel der Bevölkerung regelmäßig. Zwar liegt das Laufen bei Männern auf Platz zwei der Hitliste (35%) und bei Frauen auf Rang vier (33%), doch der prozentuelle Unterschied ist nicht groß.

Größere Unterschied gibt es in den Motiven: Frauen laufen verstärkt aus gesundheitlichen Gründen, das Aussehen (inkl. Abnehmen) ist bei Frauen ebenfalls ein stärker verbreitetes Motiv. Auch in der Art und Weise, wie Läuferinnen an das Laufen herangehen, gibt es Abweichungen.

RunUp-Lesetipp: Wie Frauen laufen, Teil eins:

Größere Gefahr des Ausstiegs

Eine im Februar veröffentlichte, globale Studie von ASICS, das sich in Kampagnen verstärkt dem Thema mentale Gesundheit und Laufen widmet, suggeriert, dass bei Läuferinnen die Wahrscheinlichkeit, mit dem Sport aufzuhören, deutlich größer ist als bei Läufern. Laut einer von den Wissenschaftlern Dr. Dee Dlugonski und Professor Brendon Stubbs ausgewerteten Umfrage unter 25.000 Proband*innen war neben naheliegenden Mutterschaftspausen Zeitmangel der mit Abstand mistgenannte Grund. Außerdem: geringes Selbstvertrauen und einschüchternde Signale aus dem Umfeld, sowie das Gefühl, nicht sportlich genug für die Ausübung von Sport zu sein. Freundschaftliche Beziehungen sowie die Erwartung einer besseren mentalen und körperlichen Gesundheit waren dagegen die größten motivierenden Faktoren.

Belästigungen sind Realität

Das Wohlbefinden beim Laufen ist leider für Läuferinnen oft aufgrund der Reaktionen des Umfelds limitiert, wie ein Beispiel aus Nordwestengland mit 500 systematischen Befragungen zeigt. Eine im Februar 2024 veröffentlichte Studie der Universität im englischen Manchester brachte beunruhigende Ergebnisse: Mehr als zwei von drei Frauen werden beim Laufen verbal belästigt, mit Beschimpfungen und Drohungen, aber auch körperliche Übergriffe sind Realität, wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtete. Solche Vorfälle führten nicht selten dazu, dass Läuferinnen auf das Laufen verzichten – und damit zwangsläufig auch auf dessen Vorteile für physische und psychische Gesundheit. Wie der Bericht festhielt, würden nur 5% dieser Fälle der Polizei gemeldet.

Ein TV-Beitrag der BBC zur zitierten Studie.

In der Conclusio hielt Professor Rose Broad fest, eine der beiden Studienleiterinnen, dass der Großteil der befragten Läuferinnen die Belästigung einfach akzeptiert, weil dieses Verhalten Teil ihrer täglichen Erfahrungen sei. Ihre Kollegin Dr. Caroline Miles sagte dem „The Guardian“: „Sie haben Angst, angegriffen, vergewaltigt, umgebracht zu werden. Wir wissen, dass das passiert, wenn auch in geringer Anzahl. Aber Frauen haben Angst.“

Solche Studien sind durchaus eine Ausnahme, auch aufgrund einer Geschlechterungleichkeit in der Studienlage. Laut einer 2021 im Fachmagazin „Women in Sport und Physical Acitvity Journal“ veröffentlichten Untersuchung britischer und amerikanischer Forscherinnen fokussieren sich lediglich 6% der sportwissenschaftlichen Studien auf Sportlerinnen, während gut fünfmal so viel den Fokus auf Sportler legen, die restlichen berücksichtigen beide Geschlechter.

RunUp.eu-Lesetipp: Wie Frauen laufen, Teil drei

Unterstützung für Spitzensportlerinnen

Der von der britischen Studie aufgezeigte Missstand ist heutzutage leider nicht nur in der Realität vorhanden, sondern auch im digitalen Raum des Internets und der sozialen Netzwerke. Der japanische Sportartikelhersteller ASICS hat unlängst eine Kampagne lanciert, die das mentale Wohlbefinden von Athletinnen schützen und aktiv gegen Hass im Netz vorgehen soll. In einer Partnerschaft mit dem Data-Science-Unternehmen Signify bietet ASICS seinen unter Vertrag stehenden Profiathletinnen Cybersicherheitsdienste an, um sich besser vor digitalem Hass zu schützen.

„Die mentale Gesundheit unserer Athlet*innen ist einer unserer Schwerpunkte. Wir sind zwar stolz darauf, Athlet*innen bei ihren Siegen und Rekorden zu unterstützen, glauben aber nicht an den Sieg um jeden Preis. Das körperliche und geistige Wohlbefinden der Athlet*innen ist wichtiger als jeder Podiumsplatz. Wir sind uns der negativen Auswirkungen von Hass im Netz und Cybermobbing auf die mentale Gesundheit sehr bewusst und möchten unsere Athlet*innen schützen“, betont Olivier Mignon, Global Head of Sports Marketing bei ASICS, und erinnert an das Akronym aus dem lateinischen Satz „anima sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper).

Julia Mayer startet in einigen Tagen beim Olympischen Marathon in Paris. © Albin Durand

Aussagen mit hohem Wirkungspotenzial

Die anonymisierten urteilenden Meldungen im Netz inklusive beleidigender Äußerungen mit hohem psychischen Schadenspotenzial sind ein Problem, das nicht nur viele Spitzenläufer*innen kennen und fallweise auch öffentlich thematisieren, sondern das vermutlich viele, viele Freizeitläufer*innen mit negativen Erfahrungen konfrontiert. Um so wichtiger ist, wenn Vorbilder diese Problematik thematisieren.

Österreichs Olympia-Starterin im Marathon, Julia Mayer, ist eine ASICS-Athletin. „Seitdem ich in der Öffentlichkeit stehe, gibt es immer wieder Menschen, die sich erlauben, über mich zur urteilen. Mit Kommentaren auf meinen Kanälen selbst, mit Privatnachrichten oder auf Sport- und Nachrichtenkanälen. In den meisten Fällen trifft mich das zum Glück nicht mehr, aber hier und da spüre ich die Auswirkungen und würde lieber, meine Energie in etwas Positives investieren. Ich möchte mich mit einem positiven Mindset auf meine sportlichen Leistungen konzentrieren“, erzählt die 31-Jährige in der Aussendung von ASICS.

Egal ob abwertend, beleidigend oder lapidar – Worte und bereits Blicke können verletzen. Läuferinnen jeglichen Niveaus sind wohl auch in Österreich im Alltag damit konfrontiert. Wenngleich es keine auf die Laufszene bezogene Vergleichsforschungsergebnisse aus dem deutschen Sprachraum gibt, scheint das eine realistische Annahme. Dazu kommen noch Kommentare und Äußerungen in sozialen Netzwerken.

Das Schadenspotenzial ist individuell hoch, betont die Salzburger Psychotherapeutin und Sportwissenschaftlerin Alexandra Haller-Knopp in einem RunUp-Artikel über das Thema Body Shaming (Hauptausgabe Herbst/Winter 2022): „Der Körper ist das Persönlichste und Individuellste, das wir haben. Wenn er angegriffen wird, ist das furchtbar.“ Daher ist jede dieser Erfahrung potenziell auch eine Gefahr für ein gesundheitsbewusstes Verhalten einer Frau für sich.

Das ist eine Fehlentwicklung im Prozess der Gleichstellung der Geschlechter: Denn, dass Frauen offensichtlich nicht in stabiler Ruhe ihre Laufrunden absolvieren können, passt wahrlich nicht zu unserem heutigen Weltbild.

Autor: Thomas Kofler
Bilder: © Fitsum Admasu / Unsplash & © Albin Durand

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