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WM 2017: 10.000m-Lauf der Herren, Vorschau: Mo Farah vor Meilenstein
Die Dramaturgen der 16. IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaften hätten keine optimaleren Rahmenbedingungen finden können. Alles soll mit einem Höhepunkt beginnen. Und so ist die Bühne frei für einen der jetzt bereits erfolgreichsten Läufer aller Zeiten, in Großbritannien spätestens seit seinen beiden Olympischen…
Die Dramaturgen der 16. IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaften hätten keine optimaleren Rahmenbedingungen finden können. Alles soll mit einem Höhepunkt beginnen. Und so ist die Bühne frei für einen der jetzt bereits erfolgreichsten Läufer aller Zeiten, in Großbritannien spätestens seit seinen beiden Olympischen Heimsiegen vor fünf Jahren ein Held: Mo Farah. Die erste Medaillenentscheidung der diesjährigen Titelkämpfe, übrigens vor restlos ausverkauftem Haus, bietet die optimale Gelegenheit für den im Alter von acht Jahren von Somalia nach London übersiedelten Briten. Er könnte die zehnte Goldmedaille bei den zwei wichtigsten internationalen Großereignissen (Olympische Spiele und Weltmeisterschaften) gewinnen. Es wäre sein sechster Titel allein bei Weltmeisterschaften, womit er zum alleinigen Rekordhalter des Langstreckenlaufs aufsteigen würde.
Bewerb: 10.000m-Lauf der Herren Startzeit: Freitag, 4. August um 21:20 Uhr Ortszeit (22:20 Uhr MEZ) Olympiasieger 2016: Mo Farah (Großbritannien) Titelverteidiger: Mo Farah (Großbritannien) Rekord-Weltmeister: Haile Gebrselassie und Kenenisa Bekele (beide Äthiopien, je vier Titel) Erfolgreichste Nation: Äthiopien (neun WM-Titel) WM-Rekord: Kenenisa Bekele (Äthiopien) in 26:46,31 Minuten (Berlin 2009) Weltjahresbestleistung 2017: Abadi Hadis (Äthiopien) in 27:08,26 Minuten (Hengelo) Favorit: Mo Farah (Großbritannien)
The Greatest of All-Time?
Immer wenn der Begriff Geschichtsschreibung mit dem Namen Mo Farah in Kontakt kommt, entfacht sich eine leidige Diskussion. Ist Mo Farah der größte Langstreckenläufer auf der Bahn aller Zeiten? Leidig, weil die Frage einfach nicht fair zu beantworten ist. Fakt ist, dass die Dominanz des Briten auf der letzten Runde eines Meisterschaftsrennens voller Brillanz steckt, die ihn seit sechs Jahren bei internationalen Meisterschaften unbesiegbar macht. Fakt ist auch, dass Mo Farah nie absolute Weltklassezeiten gelaufen ist wie seine äthiopischen Vorgänger Haile Gebrselassie und Kenenisa Bekele (der Hallen-Weltrekord über die Distanz ist von zwei Meilen ist in dieser Diskussion zu vernachlässigen, Anm.). Der kleine Äthiopier ist der Meinung, Farah müsse einen seiner Weltrekorde brechen, um als Allzeit-Großer in die Geschichte einzugehen, geht aber gleichzeitig davon aus, dass die Chance auf zwei WM-Titel 2017 groß sind. Ersteres wird der Brite de facto wohl nicht, zumal er mit Saisonende seinen Abschied von der Bahn angekündigt hat. Demgegenüber steht der Fakt, dass Mo Farah bereits jetzt der erfolgreichste Langstreckenläufer bei Weltmeisterschaften ist (fünf Gold- und eine Silbermedaille) und diesen Vorsprung in London noch ausbauen könnte. Dabei profitierte der in den USA wohlhafte Brite in den vergangenen Jahren sicherlich auch von einer Konkurrenzsituation mit den ostafrikanischen Laufhochburgen, die seinen Siegeszug nicht zu verhindern wussten. Außerdem: Verschiedene Epochen zu vergleichen, verbietet sich im Sport ohnehin.
Ein Höhepunkt zum Abschluss
Dass Mo Farah nach seinen zwei Olympiasiegen in Rio noch ein Jahr Bahn-Laufsport angehängt hat, liegt wohl einzig und allein am Austragungsort der Weltmeisterschaften – sein zweites Wohnzimmer. „London bedeutet mir unheimlich viel. Das werden sehr emotionale Tage“, hofft der 34-Jährige auf eine riesige Party mit 60.000 Fans. „Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, an der Spitze abzutreten.“ Der weltmeisterliche 10.000m-Lauf wird der letzte über diese Distanz in der glorreichen Karriere Farahs. Verlassen will sich der Brite auch heuer wieder auf seine unnachahmliche Schlussrunde, die selbst mit 34 Jahren der Konkurrenz die Schweißperlen auf die Stirn zaubert. Die italienische Tageszeitung „La Gazzetta dello Sport“ titelt in Anlehnung auf das italienische Notensystem und die Distanz: „Farahs Traum von 10 cum laude“. Die Note zehn steht in Italien für ausgezeichnet. Der Brite würde sofort unterschreiben.
Farah stapelt tief
Die jüngere Geschichte und die hohe Erwartungshaltung lassen nur einen Schluss zu: Mo Farah ist fast verpflichtet, in London erfolgreich abzuschneiden. Und erfolgreich ist hier als zweifaches Gold definiert. Das weiß auch der Lokalmatador selbst. Ihm dürfte aber auch bewusst sein, dass es im Sport keine Garantien gibt. Der Sturz im Olympischen Finale von Rio mit glimpflichem Ausgang ist ein Mahnmal im riesigen Erfahrungsschatz des Stars. Vielleicht ist das ein Grund, warum der Topfavorit, der wie gewohnt nur wenige Wettkämpfe bestritt und dafür traditionell ein längeres Trainingslager in den französischen Pyrenäen einlegte, vor der WM tief stapelt. „Ich bin nicht ganz in der Form, die ich mir gewünscht hätte. Die Fortschritte zuletzt waren gut, ich denke, ich bin am Tag X bereit“, so der Brite in britischen Medien. Noch vor einigen Wochen hat er nach einem Rennen in Ostrava zugegeben, dass noch viel Arbeit auf ihn warte. „Hoffentlich reicht die Zeit“, sagte der Routinier damals. Eine Trainingspause im Spätherbst hat ihm wertvolle Zeit gekostet, die zeitliche Distanz zur WM müsste aber gereicht haben, das Verpasste aufzuholen.
Kenianische Herausforderer
Mo Farah über seine Lieblingsdistanz zu schlagen, gleich fast der Quadratur eines Kreises. Zumindest auf statistischer Ebene, denn der Brite ist seit weit mehr als fünf Jahren über die 25 Stadionrunden unbesiegt. Die Gegner waren seit den letzten Weltmeisterschaften immer dieselben, die Hauptkonkurrenz kommt aus Kenia. Der kenianische Verband bildet ein starkes Trio mit Paul Tanui, Silbermedaillengewinner von Rio und Bronzemedaillengewinner von Peking, Vize-Weltmeister Geoffrey Kamworor und Bedan Karoki, WM-Vierter von Peking und Olympia-Fünfter 2012, als Mo Farahs Triumphserie begann. In Rio kam Tanui Farah auch im Schlussspurt bedenklich nahe, eine Erinnerung, die dem vielleicht stärksten Kenianer Rückenwind verleihen könnte. Tanui hat angekündigt, in London Farahs Siegesserie unbedingt stoppen zu wollen.
Traditionell die größte Klappe demonstrierte aber Landsmann Geoffrey Kamworor, einer der eindrucksvollsten Persönlichkeiten im Laufsport, ein Tausendsassa. Der 24-Jährige ist zweifacher Weltmeister im Halbmarathon und zweifacher Weltmeister im Crosslauf, sein Selbstvertrauen schier grenzenlos. Für ihn gibt es keine Zweifel über den zukünftigen Weltmeister und das Rezept hat er sich auch schon zurechtgelegt. „Ich habe sehr an meiner Schnelligkeit gearbeitet. Mittlerweile kann ich locker eine Schlussrunde in 52 Sekunden abspulen, früher habe ich nie unter 55 Sekunden geschafft. Dank Gott wird unser Plan dieses Mal funktionieren!“ Das nennt sich wohl eine gelungene Kampfansage. Farahs Schlussrunden in Peking und Rio beliefen sich auf 54,2 bzw. 55,4 Sekunden…
Äthiopische Kücken
Der 10.000m-Lauf bei den Weltmeisterschaften in Peking war der erste seit Tokio 1991, bei dem Äthiopien ohne Edelmetall blieb. Dass sich in London das Blatt zum Guten wendet, ist trotz der Olympia-Bronzemedaille durch Tamirat Tola im Vorjahr nicht sehr wahrscheinlich. Tola ist dieses Mal im Marathon am Start, das äthiopische Trio Ababi Hadis, Jemal Yimer und Andamlak Belihu ist jung, unerfahren und international relativ unbekannt. Dass die drei in der Weltjahresbestenliste an der Spitze liegen, liegt an den äthiopischen Vorausscheidungen, die in Hengelo ausgetragen wurden. Am ehesten ist wohl dem 19-jährigen Hadis ein Überraschungserfolg zuzutrauen.
Außenseiterchancen auf eine Medaille hat Joshua Cheptegei, Youngster aus Uganda, der bei Olympia Rang sechs erzielte. Das US-amerikanische Trio mit US-Meister Hassan Mead, Leonard Korir und Shadrack Kipchirchir scheint nicht podest-fähig. Galen Rupp hat die nationalen Vorausscheidungen nicht überstanden. Weitere interessante Teilnehmer im 24-köpfigen Starterfeld sind der Kanadier Mo Ahmed, hinter dessen aktueller Leistungsfähigkeit ein Fragezeichen steht, der zuletzt auf Unterdistanzen starke Australier Patrick Tiernan und die neuseeländische Halbmarathon-Größe Zane Robertson. Europäische Starter muss man mit der Lupe suchen, neben Mo Farah ist einzig der kenianisch stämmige Türke Polat Kemboi Arikan, ein zweifacher Europameister in Abwesenheit des Briten, dabei.
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